Urteil des BGH vom 13.05.2015

Ablauf der Frist, Ex Nunc, Versicherer, Lebensversicherung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I V Z R 5 0 1 / 1 4
Verkündet am:
13. Mai 2015
Schick
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf -Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftli-
chen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum
17. April 2015
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil des
7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main
vom 27. Februar 2013 aufgehoben und die Sache zur
neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
16.095,33
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer/in: im Folgenden d. VN)
begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer)
Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge eine r Rentenversiche-
rung.
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Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Vertragsbeginn zum
1. Februar 2001 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in
der bei Antragstellung gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.)
abgeschlossen. Im Dezember 2009 kündigte d. VN den Vertrag und der
Versicherer zahlte den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vo m 27. Okto-
ber 2010 erklärte d. VN schließlich den Widerspruch nach § 5a VVG a.F.,
§ 8 VVG und den Widerruf nach § 355 BGB.
Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag ge-
leisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rüc k-
kaufswerts (insgesamt 16.095,33
€).
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen. Das Policenmodell sei mit den Lebensversiche-
rungsrichtlinien der Europäischen Union nicht vereinbar. Im Übrigen ha-
be auch nach Ablauf der Frist des - ebenfalls gegen Gemeinschaftsrecht
verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. der Widerspruch noch er-
klärt werden können.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht
die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision ve r-
folgt d. VN das Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Z u-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus unge-
rechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe zwar mangels
drucktechnischer Hervorhebung nicht ordnungsgemäß über das Wider-
spruchsrecht belehrt. Der Vertrag sei aber gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4
VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie rückwirkend endgültig
wirksam geworden.
II. Die Revision ist begründet.
1. Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1
BGB kann d. VN mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung
nicht versagt werden.
a) Nach den auch unter Berücksichtigung der Revisionserwiderung
nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts belehrte
der Versicherer d. VN nicht ordnungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1
VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Für einen solchen Fall bestimmte
§ 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr
nach Zahlung der ersten Prämie erlischt.
Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahres-
frist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort. Das ergibt
die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf
der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europä i-
schen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR 2014, 225). Der Senat hat
mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) ent-
schieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtlinie n-
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konform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im Anwe n-
dungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung
keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens - und Rentenver-
sicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grund -
sätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn d. VN - wie hier - nicht
ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist
und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingu n-
gen nicht erhalten hat.
b) Die Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem späteren
Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO
Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits
vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl.
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
c) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechts-
widrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur e i-
ne Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwic k-
lung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versi-
cherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes
kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden;
bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung z u-
kommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).
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Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuve r-
weisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortr ag zu
geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Wiesbaden, Entscheidung vom 09.08.2012 - 4 O 53/11 -
OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 27.02.2013 - 7 U 215/12 -
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