Urteil des BGH vom 29.07.2015

Treu Und Glauben, Rückzahlung, Versicherer, Vertragsschluss

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I V Z R 4 9 7 / 1 4
Verkündet am:
29. Juli 2015
Schick
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf -Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockm öller im schriftli-
chen Verfahren, bei dem Schriftsätze bis zum 1. Juli 2015 eingereicht
werden konnten,
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des Landgerichts Nürn-
berg-Fürth - 11. Zivilkammer - vom 25. Oktober 2012
wird auf Kosten der Klägerseite zurückgewiesen.
Der Streitwert wird auf 2.272,68
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) be-
gehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rüc k-
zahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen L e-
bensversicherung.
Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsbe-
ginn zum 1. Februar 2006 nach dem so genannten Policenmodell des
§ 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG
a.F.) abgeschlossen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts
erhielt d. VN im Februar 2006 mit dem Versicherungsschein, der eine
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Belehrung über das Widerspruchsrecht gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG
a.F. enthielt, die Versicherungsbedingungen und eine Verbraucherinfor-
mation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG).
D. VN zahlte von Februar 2006 bis Juli 2010 Prämien in Höhe von
insgesamt 1.764,73
€. Mit Schreiben vom 28. Juni 2010 erklärte d. VN
"den Widerspruch gem. § 5a VVG a.F. bzw. den Widerspruch nach § 8
VVG, bzw. den Widerruf nach § 355 BGB höchstvorsorglich die Anfech-
tung nach § 119 I BGB, hilfsweise die Kündigung".
Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag ge-
leisteten Beiträge nebst Zinsen, insgesamt 2.272,68
€.
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen, weil das Policenmodell mit den Lebensversich e-
rungsrichtlinien der Europäischen Union nicht vereinbar sei. Der Versi-
cherer sei wegen fehlerhafter Aufklärung über das Widerspruchsrecht
und nach den Grundsätzen der "Kick-Back"-Rechtsprechung zum Scha-
densersatz verpflichtet.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht die
hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt
d. VN das Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Revision hat keinen Erfolg.
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I. Das Berufungsgericht hat einen Prämienrückerstattungsanspruch
aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. D. VN habe die Prämien
mit Rechtsgrund geleistet. Der Versicherungsvertrag sei wirksam z u-
stande gekommen. Die erforderliche Widerspruchsbelehrung sei ord-
nungsgemäß erteilt worden. Sie sei drucktechnisch hervor gehoben und
inhaltlich ordnungsgemäß. In der Belehrung werde darauf hingewiesen,
dass nach Überlassung aller Vertragsunterlagen die Widerspruchsfrist
beginne. Oberhalb der Belehrung sei im Versicherungsschein aufgeführt,
welche Anlagen dem Versicherungsschein beigefügt seien. Damit wisse
d. VN, welche Unterlagen vorliegen müssten und wann die Wide r-
spruchsfrist zu laufen beginne. Die Regelung des Policenmodells versto-
ße nicht gegen die Zweite und Dritte Richtlinie Lebensversicherung.
Ein Schadensersatzanspruch wegen angeblicher Falschberatung,
unzureichender Aufklärung und nicht ausreichender Hinweise auf Rüc k-
vergütungen komme ebenfalls nicht in Betracht. Die "Kick -Back"-
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei nicht übertragbar auf den
Abschluss fondsgebundener Lebensversicherungen. Die Klage sei inso-
weit bereits nicht schlüssig, da es an substantiiertem Sachvortrag und
einem Bezug zum konkreten Fall fehle.
II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
1. D. VN kann nicht gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB Rück-
zahlung der Prämien verlangen.
a) Die Voraussetzungen für ein Zustandekommen des Versich e-
rungsvertrages sind hier erfüllt. Nach den revisionsrechtlich nicht zu be-
anstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt d. VN mit
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dem Versicherungsschein die Versicherungsbedingungen, eine Verbra u-
cherinformation und eine drucktechnisch deutlich gestaltete Wider-
spruchsbelehrung. Entgegen der Ansicht der Revision sind die fristauslö-
senden Unterlagen in der Belehrung auf Seite 3 des Versicherungs-
scheins hinreichend klar bezeichnet worden. Wie das Berufungsgericht
zutreffend ausgeführt hat, kann d. VN aus der oberhalb der Belehrung
befindlichen Auflistung der dem Versicherungsschein beigefügten Unter-
lagen entnehmen, dass der Beginn der Widerspruchsfrist vom Erhalt die-
ser Unterlagen abhing. Zudem enthält die Belehrung den Hinweis, dass
der Vertrag auf der Grundlage dieses Versicherungsscheins, der Vers i-
cherungsbedingungen und der für den Vertrag maßgeblichen Verbra u-
cherinformation als abgeschlossen gelte, wenn d. VN nicht widerspreche.
Bis zum Ablauf der damit in Gang gesetzten Widerspruchsfrist erklärte
d. VN den Widerspruch nicht.
b) Ob solchermaßen nach dem Policenmodell geschlossene Vers i-
cherungsverträge wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des § 5a VVG
a.F. Wirksamkeitszweifeln unterliegen (vgl. dazu Senatsurteil vom
16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 16 ff.; BVerfG, Be-
schluss vom 2. Februar 2015 - 2 BvR 2437/14, VersR 2015, 514
Rn. 30 ff.), kann im Streitfall dahinstehen. Die von der Revision begehr-
te Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union scheidet bereits
deshalb aus, weil es auf die Frage, ob das Policenmodell mit den g e-
nannten Richtlinien unvereinbar ist, hier nicht entscheidungserheblich
ankommt. D. VN ist es auch im Falle einer unterstellten Gemeinschaft s-
rechtswidrigkeit des Policenmodells nach Treu und Glauben wegen w i-
dersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger Durc h-
führung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen
und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten. Die Treuwidrigkeit liegt
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darin, dass d. VN nach ordnungsgemäßer Belehrung über die Möglic h-
keit, den Vertrag ohne Nachteile nicht zustande kommen zu lassen, di e-
sen jahrelang unter regelmäßiger Prämienzahlung durchführte und erst
dann von dem Versicherer, der auf den Bestand des Vertrag es vertrauen
durfte, unter Berufung auf die behauptete Unwirksamkeit des Vertrages
Rückzahlung aller Prämien verlangte (vgl. im Einzelnen zu den Maßst ä-
ben Senatsurteil vom 16. Juli 2014 aaO Rn. 32-42; BVerfG, Beschluss
vom 2. Februar 2015 aaO Rn. 42 ff.). D. VN verhielt sich objektiv wider-
sprüchlich. Die zumindest vertraglich eingeräumte und bekannt gemac h-
te Widerspruchsfrist ließ er bei Vertragsschluss im Februar 2006 u nge-
nutzt verstreichen. D. VN zahlte von Februar bis Oktober 2006 und von
Mai 2007 bis Juni 2010, somit fast vier Jahre die Versicherungsprämien.
Die jahrelangen Prämienzahlungen des bereits im Februar 2006 über die
Möglichkeit, den Vertrag nicht zustande kommen zu lassen, belehrten
VN haben bei der Beklagten ein schutzwürdiges Vertrauen in den B e-
stand des Vertrages begründet. Diese vertrauensbegründende Wirkung
war für d. VN auch erkennbar.
2. Auch einen Schadensersatzanspruch nach den Grundsätzen
des Verschuldens bei Vertragsschluss hat das Berufungsgericht ohne
Rechtsfehler verneint. Es ist zutreffend davon ausgegangen, dass die
"Kick-Back"-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht auf den Ab -
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schluss fondsgebundener Lebensversicherungen übertragbar ist, und hat
im Übrigen schlüssigen Vortrag zu den Voraussetzungen einer Aufklä-
rungspflicht des Versicherers vermisst.
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
AG Nürnberg, Entscheidung vom 26.03.2012 - 12 C 8879/11 -
LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 25.10.2012 - 11 S 3520/12 -