Urteil des BGH vom 23.09.2015

Treu Und Glauben, Versicherer, Rückzahlung, Versicherungsvertrag

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I V Z R 4 9 6 / 1 4
Verkündet am:
23. September 2015
Heinekamp
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf -Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftl i-
chen Verfahren, bei dem Schriftsätze bis zum 2. September 2015 einge-
reicht werden konnten,
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des Landgerichts Nürn-
berg-Fürth - 11. Zivilkammer - vom 25. Oktober 2012
wird auf Kosten der Klägerseite zurückgewiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
1.926,44
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) be-
gehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rüc k-
zahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen Re n-
tenversicherung.
Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsbe-
ginn zum 1. Oktober 2004 nach dem so genannten Policenmodell des
§ 5a VVG in der bei Antragstellung gültigen Fassung (im Folgenden § 5a
VVG a.F.) abgeschlossen. Nach den Feststellungen des Berufungsge-
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richts erhielt d. VN mit dem Versicherungsschein, der eine Belehrung
über das Widerspruchsrecht in drucktechnisch deutlicher Form gemäß
§ 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. enthielt, die Versicherungsbedingungen und
eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsge-
setzes (VAG).
D. VN zahlte von Oktober 2004 bis Juni 2010 Prämien in Höhe von
insgesamt 2.339,14
€. Im Juni 2010 kündigte d. VN den Vertrag; der
Versicherer zahlte daraufhin den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom
4. November 2010 erklärte d. VN schließlich den Widerspruch nach § 5a
Abs. 1 Satz 1 VVG a.F.
Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag ge-
leisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rüc k-
kaufswerts, insgesamt 1.926,00
€.
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen, weil das Policenmodell mit den Lebensversich e-
rungsrichtlinien der Europäischen Union nicht vereinbar sei.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht die
hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt
d. VN das Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Revision hat keinen Erfolg.
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I. Das Berufungsgericht hat einen Prämienrückerstattungsanspruch
aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. D. VN habe die Prämien
mit Rechtsgrund geleistet. Der Versicherungsvertrag sei wirksam z u-
stande gekommen. Das Widerspruchsrecht sei innerhalb von 14 Tagen
nach Überlassung des Versicherungsscheins, der Versicherung sbedin-
gungen und der Verbraucherinformation erloschen. Die erforderliche W i-
derspruchsbelehrung sei ordnungsgemäß auf Seite 3 des Versich e-
rungsscheins erteilt worden. Sie befinde sich in einem Rahmen und sei
insgesamt in Fettdruck gehalten und kursiv gedruckt. Der Beginn der W i-
derspruchsfrist sei ohne weiteres der Belehrung zu entnehmen. Es we r-
de darauf hingewiesen, dass "nach Überlassung aller Vertragsunterlagen
in Textform" die Widerspruchsfrist beginne. Eine Seite vor der Belehrung
sei im Versicherungsschein aufgeführt, welche Anlagen diesem beigefügt
seien. Damit wisse d. VN, welche Unterlagen vorliegen müssten und
wann die Widerspruchsfrist zu laufen beginne. Zweifel hinsichtlich des
Adressaten des Widerspruchs bestünden nicht. Unmittelbar unter der B e-
lehrung stehe der Name des Versicherers; auf dem Begleitschreiben zum
Versicherungsschein stehe die Anschrift des Absenders. Die Regelung
des Policenmodells verstoße nicht gegen die Zweite und Dritte Richtlinie
Lebensversicherung.
Ein Schadensersatzanspruch wegen angeblicher Falschberatung,
unzureichender Aufklärung und nicht ausreichender Hinweise auf Rück-
vergütungen komme nicht in Betracht. Die Kick -back-Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs bei Fondsanlagevermittlungen sei nicht übe r-
tragbar auf den Abschluss fondsgebundener Rentenversicherungen. Im
Übrigen mangele es an substantiiertem Sachvortrag zum Inhalt des B e-
ratungsgesprächs.
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II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
1. D. VN kann nicht gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB Rück-
zahlung der Prämien verlangen.
a) Die Voraussetzungen für ein Zustandekommen des Versich e-
rungsvertrages sind hier erfüllt. Nach den für das Revisionsverfahren
bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt d. VN mit dem
Versicherungsschein die Versicherungsbedingungen, eine Verbrauche r-
information und eine Widerspruchsbelehrung, die - was die Revision zu
Recht nicht anzweifelt - drucktechnisch hervorgehoben war. Die Revision
beanstandet ohne Erfolg, die fristauslösenden Unterlagen seien nicht
klar bezeichnet. Da - wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt
hat - eine Seite vor der Belehrung im Versicherungsschein die beigefü g-
ten Unterlagen im Einzelnen bezeichnet sind, war für d. VN klar erken n-
bar, welche Unterlagen vorliegen mussten und wann die Widerspruchs-
frist zu laufen begann. Zudem enthält die Belehrung den Hinweis, dass
der Vertrag auf der Grundlage dieses Versicherungsscheins, der Vers i-
cherungsbedingungen und der für den Vertrag maßgeblichen Verbra u-
cherinformation als abgeschlossen gelte, wenn d. VN nicht widerspreche
(vgl. Senatsurteil vom 29. Juli 2015 - IV ZR 497/14, juris Rn. 12). Die
Widerspruchsbelehrung ist entgegen der Auffassung der Revision nicht
deshalb unvollständig, weil sie den Adressaten des Widerspruchs nicht
benennt. Abgesehen davon, dass § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. diese An-
gabe nicht verlangt, ist für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer
ohne eine solche Angabe ersichtlich, dass er den Widerspruch an den
Versicherer zu richten hat, der hier klar unterhalb der Widerspruchsbe-
lehrung und im Policenbegleitschreiben bezeichnet ist. Bis zum Ablauf
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der damit in Gang gesetzten 14-tägigen Widerspruchsfrist erklärte d. VN
den Widerspruch nicht.
b) Ob solchermaßen nach dem Policenmodell geschlossene Vers i-
cherungsverträge wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des § 5a VVG
a.F. Wirksamkeitszweifeln unterliegen (vgl. dazu Senatsurteil vom
16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 16 ff.; BVerfG, Be-
schluss vom 2. Februar 2015 - 2 BvR 2437/14, VersR 2015, 693
Rn. 30 ff.), kann im Streitfall dahinstehen. Die von der Revision begehrte
Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union scheidet bereits
deshalb aus, weil es auf die Frage, ob das Policenmodell mit den g e-
nannten Richtlinien unvereinbar ist, hier nicht ents cheidungserheblich
ankommt. D. VN ist es auch im Falle einer unterstellten Gemeinschaft s-
rechtswidrigkeit des Policenmodells nach Treu und Glauben wegen w i-
dersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger Durc h-
führung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen
und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten. Die Treuwidrigkeit liegt
darin, dass d. VN nach ordnungsgemäßer Belehrung über die Möglic h-
keit, den Vertrag ohne Nachteile nicht zustande kommen zu lassen, di e-
sen jahrelang unter regelmäßiger Prämienzahlung durchführte und erst
dann von dem Versicherer, der auf den Bestand des Vertrag es vertrauen
durfte, unter Berufung auf die behauptete Unwirksamkeit des Vertrages
Rückzahlung aller Prämien verlangte (vgl. im Einzelnen zu den Maßstä-
ben Senatsurteil vom 16. Juli 2014 aaO Rn. 32-42; BVerfG, Beschluss
vom 2. Februar 2015 aaO Rn. 42 ff.). D. VN verhielt sich objektiv wider-
sprüchlich. Die zumindest vertraglich eingeräumte und bekannt gemac h-
te Widerspruchsfrist ließ er bei Vertragsschluss 2004 ungenutzt verstrei-
chen. D. VN zahlte fünf Jahre und acht Monate die Versicherungsprä-
mien, kündigte dann den Vertrag und ließ sich den Rückkaufswert au s-
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zahlen. Erst fünf Monate nach der Kündigung erklärte er den Wide r-
spruch. Die jahrelangen Prämienzahlungen des bereits im September
2004 über die Möglichkeit, den Vertrag nicht zustande kommen zu la s-
sen, belehrten VN haben bei der Beklagten ein schutzwürdiges Vertra u-
en in den Bestand des Vertrages begründet. Diese vertrauensbegrü n-
dende Wirkung war für d. VN auch erkennbar.
Die Frage einer möglichen Vorlage an den Gerichtshof der Europ ä-
ischen Union in einem Fall, in dem kein widersprüchliches Verhalten des
Versicherungsnehmers festgestellt werden kann, stellt sich im Streitfall
nicht.
2. Auch einen Schadensersatzanspruch nach den Grundsätzen
des Verschuldens bei Vertragsschluss hat das Berufungsgericht ohne
Rechtsfehler verneint. Es ist zutreffend davon ausgegangen, dass die
"Kick-Back"-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht auf den A b-
schluss fondsgebundener Rentenversicherungen übertragbar ist, und hat
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im Übrigen schlüssigen Vortrag zu den Voraussetzungen einer Aufkl ä-
rungspflicht des Versicherers vermisst.
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
AG Nürnberg, Entscheidung vom 03.05.2012 - 36 C 8871/11 -
LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 25.10.2012 - 11 S 4547/12 -