Urteil des BGH vom 08.04.2015

Ablauf der Frist, Ex Nunc, Versicherer, Versicherungsvertrag

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I V Z R 4 9 4 / 1 4
Verkündet am:
8. April 2015
Heinekamp
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf -Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftl i-
chen Verfahren, bei dem Schriftsätze bis zum 18. März 2015 eingereicht
werden konnten,
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerseite gegen das Urteil des Lan d-
gerichts München I - 6. Zivilkammer - vom 26. Juli 2012
wird als unzulässig verworfen, soweit der Anspruch nicht
auf den gemäß § 5a VVG a.F. erklärten Widerspruch ge-
stützt ist.
Im Übrigen sowie im Kostenpunkt wird das Berufungsu r-
teil auf die Revision aufgehoben und die Sache zur neu-
en Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zu-
rückverwiesen.
Der Streitwert wird auf 3.454,93
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) b e-
gehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rüc k-
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zahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebunden en Ren-
tenversicherung.
Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Vertragsbeginn zum
1. September 2005 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG
in der bei Antragstellung gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.)
abgeschlossen. Im September 2008 kündigte d. VN den Vertrag; der
Versicherer zahlte den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom 13. Juli
2009 erklärte d. VN schließlich den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1
VVG a.F.
Mit der Klage verlangt d. VN - soweit für das Revisionsverfahren
noch von Bedeutung - Rückzahlung aller auf die Verträge geleisteten
Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts,
insgesamt 3.454,93
€.
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemein-
schaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der W i-
derspruch noch erklärt werden können. Mangels Aufklärung über wesent-
liche Umstände der Versicherung und über Vertriebsprovisionen sei der
Versicherer zum Schadensersatz nach den Grundsätzen des Verschu l-
dens bei Vertragsschluss verpflichtet.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht die
hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt
d. VN das Klagebegehren weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision ist als unzulässig zu verwerfen, soweit der Anspruch
nicht auf den gemäß § 5a VVG a.F. erklärten Widerspruch gestützt ist.
Im Übrigen führt sie zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurüc k-
verweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ung e-
rechtfertigter Bereicherung verneint. D. VN. habe mit dem Versiche-
rungsschein die erforderlichen Unterlagen erhalten und nicht innerhalb
der zweiwöchigen Frist gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. widerspro-
chen.
II. Die Revision ist mangels Zulassung hinsichtlich des mit ihr we i-
terverfolgten Schadensersatzanspruchs unzulässig.
Sie ist nur statthaft, soweit das Berufungsgericht den Widerspruch
nach § 5a VVG a.F. für unwirksam erachtet hat. Es hat die Revision zu-
gelassen, da der Bundesgerichtshof die Frage, ob § 5a VVG a.F. gegen
Europarecht verstoße, noch nicht entschieden habe . Diese in den Ent-
scheidungsgründen des Berufungsurteils mit der gebotenen Deutlichke it
zum Ausdruck gebrachte Beschränkung der Revisionszulassung auf den
aus dem Widerspruch abgeleiteten Bereicherungsanspruch ist wirksam.
Der diesem zugrunde liegende Sachverhalt kann in tatsächlicher und
rechtlicher Hinsicht unabhängig von dem für die Sch adensersatzforde-
rung maßgeblichen Prozessstoff beurteilt werden (vgl. Senatsurteil vom
7. Mai 2014 - IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 11).
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III. Die Revision ist, soweit sie zulässig ist, begründet.
1. Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1
Alt. 1 BGB kann d. VN mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begrü n-
dung nicht versagt werden.
a) Nach dem für das Revisionsverfahren maßgeblichen Sachve r-
halt ist davon auszugehen, dass der von d. VN erklärte Widerspruch
- ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten
Jahresfrist - rechtzeitig war und infolgedessen der zwischen den Parte i-
en geschlossene Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande geko m-
men ist.
aa) Das Berufungsgericht hat angenommen, dass d. VN mit dem
Versicherungsschein alle "erforderlichen" - nicht näher bezeichneten -
Unterlagen erhalten habe. Es hat jedenfalls nicht festgestellt, dass d. VN
ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1
VVG a.F. belehrt worden ist. Die Widerspruchsbelehrung auf Seite 22
des in Kopie zu den Akten gereichten Versicherungsscheins ist nicht im
Sinne dieser Vorschrift in drucktechnisch deutlicher Form hervorgeh o-
ben.
Wenn d. VN - was für das Revisionsverfahren zu unterstellen ist -
eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung nicht erhalten hat, be-
stand das Widerspruchsrecht nach Ablauf der Jahresfrist und noch im
Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.
Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Ge-
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richtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (aaO Rn. 17-34)
entschieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtl i-
nienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im An-
wendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversich e-
rung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Ren-
tenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung
grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn d. VN - wie hier
für das Revisionsverfahren zu unterstellen ist - nicht ordnungsgemäß
über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Ver-
braucherinformation oder die Versicherungsbedingungen ni cht erhalten
hat.
bb) Die vorher erklärte Kündigung des Versicherungsvertrages
steht dem Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai
2014 aaO Rn. 36 m.w.N.).
b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarecht s-
widrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur e i-
ne Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwic k-
lung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Vers i-
cherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes
kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden;
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bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung z u-
kommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).
Da es auch hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur
neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurüc k-
zuverweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag
zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
AG München, Entscheidung vom 30.12.2010 - 244 C 11940/10 -
LG München I, Entscheidung vom 26.07.2012 - 6 S 778/11 -
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