Urteil des BGH vom 01.04.2015

Ablauf der Frist, Ex Nunc, Versicherer, Lebensversicherung, Form

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I V Z R 4 8 7 / 1 4
Verkündet am:
1. April 2015
Heinekamp
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf -Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftli-
chen Verfahren, bei dem Schriftsätze bis zum 11. März 2015 eingereicht
werden konnten,
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerseite gegen das Urteil des Land-
gerichts München I - 30. Zivilkammer - vom 26. April
2012 wird als unzulässig verworfen, soweit der Anspruch
nicht auf den gemäß § 5a VVG a.F. erklärten Wider-
spruch gestützt ist.
Im Übrigen sowie im Kostenpunkt wird das Berufungsur-
teil auf die Revision aufgehoben und die Sache zur neu-
en Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zu-
rückverwiesen.
Der Streitwert wird auf 4.220,34
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmerin: im Folgenden d. VN) b e-
gehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rüc k-
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zahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen Re n-
tenversicherung.
Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Vertragsbeginn zum
1. Juli 2003 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der
bei Antragstellung gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) ab-
geschlossen. Im März 2007 kündigte d. VN den Vertrag; der Versicherer
zahlte den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2009
erklärte d. VN schließlich den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG
a.F.
Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf die Verträge
geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rück-
kaufswerts, insgesamt 4.220,34
€.
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemein-
schaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der W i-
derspruch noch erklärt werden können. Mangels Aufklärung über die
Rückvergütung sei der Versicherer zum Schadensersatz nach den
Grundsätzen des Verschuldens beim Vertragsschluss verpflichtet.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht die
hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt
d. VN das Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist als unzulässig zu verwerfen, soweit der Anspruch
nicht auf den gemäß § 5a VVG a.F. erklärten Widerspruch gestützt ist.
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Im Übrigen führt sie zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurüc k-
verweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ung e-
rechtfertigter Bereicherung verneint. D. VN sei in dem Anschreiben, das
dem Versicherungsschein beigefügt gewesen sei, gem. § 5a VVG a.F. in
drucktechnisch hervorgehobener Form auf das Widerspruchsrecht hin-
gewiesen worden. D. VN stehe auch kein Anspruch auf Schadensersatz
wegen Verletzung der vorvertraglichen Aufklärungspflicht zu.
II. Die Revision ist mangels Zulassung hinsichtlich des mit ihr we i-
terverfolgten Schadensersatzanspruchs unzulässig.
Sie ist nur statthaft, soweit das Berufungsgericht den Widerspruch
nach § 5a VVG a.F. für unwirksam erachtet hat. Es hat die Revision mit
Blick auf mittlerweile gegenteilige Rechtsprechung hinsichtlich der A n-
wendung des § 5a VVG a.F. zugelassen. Diese in den Entscheidungs-
gründen des Berufungsurteils mit der gebotenen Deutlichkeit zum Au s-
druck gebrachte Beschränkung der Revisionszulassung auf den aus dem
Widerspruch abgeleiteten Bereicherungsanspruch ist wirksam. Der die-
sem zugrunde liegende Sachverhalt kann in tatsächlicher und rechtlicher
Hinsicht unabhängig von dem für die Schadensersatzf orderung maßgeb-
lichen Prozessstoff beurteilt werden (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014
- IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 11).
III. Die Revision ist, soweit sie zulässig ist, begründet.
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1. Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1
Alt. 1 BGB kann d. VN mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begrü n-
dung nicht versagt werden.
a) Nach dem für das Revisionsverfahren maßgeblichen Sachve r-
halt ist davon auszugehen, dass der von d. VN erklärte Wider spruch
- ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten
Jahresfrist - rechtzeitig war und infolgedessen der zwischen den Parte i-
en geschlossene Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande geko m-
men ist.
aa) Das Berufungsgericht hat angenommen, dass d. VN in dem
Begleitschreiben zum Versicherungsschein über das Widerspruchsrecht
in drucktechnisch deutlicher Form belehrt worden sei. Ob - wie das Beru-
fungsgericht meint - die fristauslösenden Unterlagen in diesem Schre i-
ben unmissverständlich bezeichnet worden sind, erscheint zweifelhaft,
kann aber dahinstehen. Das Berufungsgericht hat jedenfalls nicht festge-
stellt, dass d. VN mit dem Versicherungsschein, der auch die Versiche-
rungsbedingungen enthielt, auch eine Verbraucherinformation erhielt.
Wenn d. VN - was für das Revisionsverfahren zu unterstellen ist -
eine Verbraucherinformation nicht erhalten hat, bestand das Wide r-
spruchsrecht nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der W i-
derspruchserklärung fort.
Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des G e-
richtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (aaO Rn. 17-34)
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entschieden und im Einzelnen begründet, die Regelu ng müsse richtli-
nienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im A n-
wendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversich e-
rung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Ren-
tenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung
grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn d. VN nicht or d-
nungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist
und/oder - wie hier für das Revisionsverfahren zu unterstellen ist - die
Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erha l-
ten hat.
bb) Die vorher erklärte Kündigung des Versicherungsvertrages
steht dem Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai
2014 aaO Rn. 36 m.w.N.).
b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechts-
widrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur e i-
ne Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwic k-
lung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versi-
cherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes
kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden;
bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung z u-
kommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).
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Da es auch hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur
neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurüc k-
zuverweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag
zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
AG München, Entscheidung vom 18.10.2010 - 111 C 18218/10 -
LG München I, Entscheidung vom 26.04.2012 - 30 S 21540/10 -
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