Urteil des BGH vom 04.02.2015

Ablauf der Frist, Ex Nunc, Versicherer, Prämie, Lebensversicherung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I V Z R 4 5 2 / 1 4
Verkündet am:
4. Februar 2015
Heinekamp
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf-Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftli-
chen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum
14. Januar 2015
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil der 5. Zi-
vilkammer des Landgerichts Aachen vom 31. Mai 2012
aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsve r-
fahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
2.016,82
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer/in: im Folgenden d. VN)
begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer)
Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge eine r fondsgebundenen
Rentenversicherung.
Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Vertragsbeginn zum
1. November 2002 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG
in der bei Antragstellung gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.)
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abgeschlossen. Im Oktober 2006 kündigte d. VN den Vertrag und der
Versicherer zahlte den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom Februar
2010 erklärte d. VN schließlich den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1
VVG a.F.
Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag ge-
leisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rück-
kaufswerts.
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemein-
schaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Wi-
derspruch noch erklärt werden können.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht die
hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt
d. VN das Klagebegehren hinsichtlich des Bereicherungsanspruchs wei-
ter (insgesamt 2.016,82
€).
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Z u-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ung e-
rechtfertigter Bereicherung verneint. Es könne dahinstehen, ob d. VN
ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt wurde. Jedenfalls
sei der Vertrag aber gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach
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Zahlung der ersten Prämie rückwirkend endgültig wirksam geworden.
Auch ein Anspruch auf Schadensersatz bestehe nicht.
II. Die Revision ist begründet.
1. Der Anspruch auf Prämienrückzahlung folgt dem Grunde nach
aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB.
a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag
schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des
Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Wide r-
spruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
normierten Jahresfrist - rechtzeitig.
Der Versicherer belehrte d. VN - entgegen der Auffassung der Re-
visionserwiderung - nicht ordnungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1
VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Sowohl die Belehrung im Policen-
begleitschreiben als auch in § 7 der dem Vertrag zugrunde liegenden
Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die fondsgebundene Ren-
tenversicherung ist drucktechnisch nicht im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1
VVG a.F. hervorgehoben. Darauf, ob die Belehrungen - wie die Revision
geltend macht - darüber hinaus inhaltliche Defizite aufweisen, kommt es
deshalb nicht an (vgl. Senatsurteile vom 5. November 2014 - IV ZR
331/14, juris Rn. 13 und vom 28. Januar 2004 - IV ZR 58/03, VersR
2004, 497, 498). Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4
VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der
ersten Prämie erlischt.
Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahre s-
frist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.
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Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des G e-
richtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11,
VersR 2014, 817 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet,
die Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert
werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten
Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon e r-
fasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen
zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht,
wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum W i-
derspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder
die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.
b) Die Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem späteren
Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO
Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits
vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl.
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
c) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarecht s-
widrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur ei-
ne Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwic k-
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lung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Vers i-
cherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes
kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden;
bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung z u-
kommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).
Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuve r-
weisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu
geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
AG Aachen, Entscheidung vom 15.09.2011 - 120 C 222/11 -
LG Aachen, Entscheidung vom 31.05.2012 - 5 S 231/11 -
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