Urteil des BGH vom 20.07.2016

Leitsatzentscheidung zu Private Krankenversicherung, Tarif, Gesundheitszustand, Versicherungsnehmer

ECLI:DE:BGH:2016:200716UIVZR45.16.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 45/16
Verkündet am:
20. Juli 2016
Schick
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
VVG § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
Steht dem privaten Krankenversicherer im Falle eines Tarifwechsels des Versiche-
rungsnehmers nach § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG das Recht zu, für die Mehrleis-
tung im Zieltarif einen angemessenen Risikozuschlag zu verlangen, so darf er nur für
diese Mehrleistung auch eine erneute Gesundheitsprüfung durchführen.
BGH, Urteil vom 20. Juli 2016 - IV ZR 45/16 - OLG Karlsruhe
LG Mannheim
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin Mayen, den Richter Felsch, die Richterin Harsdorf -Gebhardt,
den Richter Dr. Karczewski und die Richterin Dr. B rockmöller auf die
mündliche Verhandlung vom 20. Juli 2016
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Ober-
landesgerichts Karlsruhe - 12. Zivilsenat - vom 14. Ja-
nuar 2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entsche i-
dung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an
das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Berechtigung der Beklagten zur Erhe-
bung von Risikozuschlägen anlässlich eines Tarifwechsels in der priv a-
ten Krankenversicherung.
Der Kläger unterhielt bei der Beklagten seit 1983 für sich und seit
1993 zusätzlich für seine Ehefrau als versicherte Person eine private
Krankenversicherung. Bis zum 31. Dezember 2011 waren der Kläger und
seine Ehefrau im Tarif X (im Folgenden: Herkunftstarif) versichert,
der eine
jährliche Selbstbeteiligung in Höhe von 1.404 € ohne Vereinba-
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rung von Risikozuschlägen vorsah. Ende 2011 wandte sich der Kläger an
die Beklagte mit dem Wunsch nach einem Tarifwechsel. Die Beklagte
schlug ihm mit Schreiben vom 9. Dezember 2011 unter Berücksichtigung
aller bekannten Vorerkrankungen und einer noch vorzunehmenden a b-
schließenden Gesundheitsprüfung den Tarif Y (im Folgenden:
Zieltarif) mit einer jährlichen Selbstbeteiligung in Höhe von je 500
€ vor.
Die monatliche Prämie sollte für den Kläger 277,22
€ und für die Ehefrau
402,01
€ betragen. Der Änderungsantrag vom 10. Januar 2012 wurde
von dem für den Kläger zuständigen Versicherungsvermittler ausgefüllt,
vom Kläger und seiner Ehefrau unterzeichnet und bei der Beklagten ei n-
gereicht. In der Rubrik "Medizinischer Wagnisausgleich" befand sich kei-
ne Eintragung.
Mit Nachtrag zum Versicherungsschein vom 8. Februar 2012 stell-
te die Beklagte den Tarif rückwirkend zum 1. Januar 2012 auf der Grund-
lage der im Antrag genannten Gesamtprämien um, wobei anteilig für den
Kläger und seine Ehefrau jeweils ein medizinischer Wagniszuschlag in
Höhe von monatlich 75,33
€ aufgeführt war. Mit Schreiben vom 10. Fe-
bruar 2012 begehrte der Kläger die Streichung des Risikozuschlags.
Dies lehnte die Beklagte ab und erstellte am 8. August 2012 einen Nach-
trag zum Versicherungsschein, der weiterhin einen monatlichen Wagni s-
ausgleich in Höhe von je 75,33
€ für den Kläger und seine Ehefrau vor-
sieht sowie im Einzelnen die zusätzlichen medizinischen Wagnisse b e-
zeichnet, für den Kläger Prostataerkrankungen, Osteoporose, Arthrose,
Erkrankungen und Veränderungen des Rückens und der Wirbelsäule s o-
wie für die Ehefrau Fettstoffwechselstörungen und Beinvenenerkranku n-
gen.
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Der Kläger hat zunächst die Feststellung begehrt, dass der Mo-
natsbeitrag für ihn und seine Ehefrau ohne Wagnisausgleichzuschlag in
Höhe von monatlich 75,33
€ besteht und die Beklagte verpflichtet ist, die
seit 1. Januar 2012 diesbezüglich vereinnahmten Beträge an den Kläger
zu erstatten. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlan-
desgericht hat auf die Berufung des Klägers unter Zurückweisung seines
weitergehenden Rechtsmittels auf die erstmals im Berufungsverfahren
gestellten Hilfsanträge in der Hauptsache festgestellt, dass die Beklagte
verpflichtet ist, den Antrag des Klägers vom 10. Januar 2012 auf Wech-
sel aus dem Herkunftstarif des privaten Krankenversicherungsvertrages
für den versicherten Kläger und seine Ehefrau in den Zieltarif ohne Ein-
beziehung eines monatlichen Wagnisausgleichs zu einem Betrag von
201,89
€ für den Kläger und von 326,77 € für seine Ehefrau, jeweils
rückwirkend zum 1. Januar 2012, anzunehmen, und die diesbezüglich
seitdem monatlich zu viel entrichteten Beträge zurückzuerstatten.
Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Aufhebun g des ange-
fochtenen sowie die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Z u-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung unter anderem in
r+s 2016, 190 veröffentlicht ist, hat ausgeführt, über die vom Kläger
erstmals zulässigerweise im Berufungsverfahren gestellten Hilfsanträge
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sei zu befinden, weil der auf Feststellung einer erfolgten Vertragsänd e-
rung gerichtete Hauptantrag unbegründet sei. Eine Einigung der Parteien
über eine Versicherung zum Zieltarif ohne Wagniszuschlag sei nicht er-
folgt. Der Kläger habe allerdings einen Anspruch darauf, dass die B e-
klagte seinen Antrag auf Versicherung im Zieltarif rückwirkend zum
1. Januar 2012 ohne Erhebung eines Risikozuschlags annehme. Zwar
treffe es zu, dass die Nachträge zum Versicherungsschein hinsichtlich
der insgesamt zu entrichtenden Prämie im Vergleich zum Änderungsa n-
trag vom 10. Januar 2012 nicht zum Nachteil des Klägers abwichen.
Dem Antrag des Klägers lasse sich aber nicht entnehmen, dass er mit
der Erhebung eines Risikozuschlags einverstanden gewesen wäre. A n-
derenfalls liefe das darauf hinaus, dass ein Versicherer versteckte Z u-
schläge erheben könne, indem diese nicht gesondert ausgewiesen, son-
dern in den Gesamtzahlbetrag eingerechnet würden.
Die Beklagte sei verpflichtet, den Kläger und seine Ehefrau im
Zieltarif ohne einen Wagniszuschlag zu versichern. Dem Kläger stehe
gegen die Beklagte gemäß § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 VVG ein
Anspruch auf Tarifwechsel zu. Der im Zieltarif im Vergleich zum He r-
kunftstarif geringere Selbstbehalt stelle eine partielle Mehrleistung der
Beklagten dar. Zu den aus dem Vertrag erworbenen Rechten zähle aller-
dings auch die Bewertung des Gesundheitszustandes, wie sie der Vers i-
cherer bei Abschluss des Vertrages im Herkunftstarif vorgenommen h a-
be. Er dürfe daher im weiteren Vertragsverlauf von dieser Einstufung
nicht zu Ungunsten des Versicherten abweichen. Dies bedeute, dass
auch bei der Gesundheitsprüfung im Rahmen des Änderungsantrags
stets auf den Gesundheitszustand zum Zeitpunkt des Abschlusses des
ursprünglichen Krankenversicherungsvertrages abzustellen sei. Sehe der
Zieltarif die Erhebung eines Risikozuschlags vor, so ha be der Versiche-
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rungsnehmer Anspruch darauf, dass er nach Maßgabe der ursprüngl i-
chen Risikoeinstufung bewertet werde. Hier habe die Beklagte bei ihrer
Risikoeinstufung nicht auf den Gesundheitszustand des Klägers 1983
bzw. seiner Ehefrau 1993 abgestellt, sondern ausweislich des Schrei-
bens vom 9. Dezember 2011 alle zu diesem Zeitpunkt bekannten Vore r-
krankungen berücksichtigt. Dass die Erkrankungen, die für die Beklagte
Anlass der Erhebung der Risikozuschläge gewesen seien, bereits 1983
respektive 1993 vorgelegen haben, sei weder vorgetragen noch sonst
ersichtlich. Hieraus folge, dass der Kläger auch Feststellung der Ersta t-
tungspflicht der zu viel entrichteten Prämien verlangen könne.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung teilweise nicht stand.
1. Ohne Erfolg macht die Revision allerdings geltend, zwischen
den Parteien sei auf der Grundlage des Angebots des Klägers in seinem
Änderungsantrag vom 10. Januar 2012 sowie der Annahme der Beklag-
ten im Versicherungsschein vom 8. Februar 2012 ein Vertrag mit den von
der Beklagten geforderten Prämien in Höhe von 277,22
€ für den Kläger
und 402,01
€ für seine Ehefrau zustande gekommen. Soweit das Beru-
fungsgericht angenommen hat, aus der Sicht des um Verständnis b e-
mühten Versicherers sei ein Antrag des Versicherungsnehmers, der - wie
hier - keine Angaben zu einem Risikozuschlag enthalte, in dem Sinne zu
verstehen, dass eine Versicherung zum "Grundtarif" ohne Zuschläge b e-
antragt werde, ist das revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Au s-
legung von Individualerklärungen obliegt grundsätzlich dem Tatric hter.
Sie kann in der Revision nur darauf überprüft werden, ob der Ausl e-
gungsstoff vollständig berücksichtigt wurde, ob gesetzliche oder allg e-
mein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze
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verletzt wurden oder ob die Auslegung auf einem Verfahrensfehler be-
ruht (vgl. Senatsbeschlüsse vom 2. Dezember 2015 - IV ZB 27/15, ZEV
2016, 31 Rn. 12; vom 3. November 2014 - IV ZR 230/14, r+s 2015, 458
Rn. 11). Ein derartiger Rechtsfehler liegt hier nicht vor. Zutreffend ist
zwar, dass der Antrag des Klägers und die Annahme der Beklagten je-
weils identische Prämien für den Kläger und seine Ehefrau vorsehen.
Hieraus musste das Berufungsgericht aber nicht zwingend schließen,
dass sich die Willenserklärungen auch in ihrem rechtlichen Gehalt
decken. Vielmehr hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei darauf abg e-
stellt, das Angebot eines Versicherungsnehmers, das - wie hier - keine
Angaben zu einem Risikozuschlag enthalte, sei dahin zu verstehen, dass
eine Versicherung in dem jeweiligen Zieltarif ohne Zuschlä ge beantragt
werde. Hier sind jedenfalls keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass der
Kläger trotz fehlender Angaben zum Wagnisausgleich in dem Versiche-
rungsantrag stillschweigend einen ihm - dem Kläger - unbekannten Zu-
schlag in seinen - auch für die Beklagte erkennbaren - Vertragswillen
aufgenommen hätte.
2. Nicht rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht demgegenüber
davon ausgegangen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger und
seine Ehefrau im Zieltarif ohne Einbeziehung eines monatlichen Wagnis-
zuschlags
zu einem Monatsbeitrag von 201,89 € bzw. 326,77 € zu versi-
chern.
a) Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Tari f-
wechsel gemäß § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 VVG zu. Hiernach
kann der Versicherungsnehmer bei einem bestehenden Versic herungs-
verhältnis vom Versicherer verlangen, dass dieser Anträge auf Wechsel
in andere Tarife mit gleichartigem Versicherungsschutz unter Anrec h-
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nung der aus dem Vertrag erworbenen Rechte und der Alterungsrüc k-
stellung annimmt. Mit diesem Tarifwechselrecht wird bezweckt, insbe-
sondere älteren Versicherungsnehmern bei Schließung ihres Tarifs
("Herkunftstarif") die Möglichkeit zu eröffnen, eingetretene Kostensteig e-
rungen durch einen Wechsel in einen anderen Tarif des Versicherers
("Zieltarif") zu vermeiden (Senatsurteile vom 13. April 2016 - IV ZR
393/15, juris Rn. 8; vom 15. Juli 2015 - IV ZR 70/15, VersR 2015, 1012
Rn. 8; vom 12. September 2012 - IV ZR 28/12, VersR 2012, 1422 Rn. 7;
BVerwG VersR 2010, 1345 Rn. 27). Dieser Tarifwechselanspruch ist ein
Optionsrecht des Versicherungsnehmers im Rahmen des den Versich e-
rer treffenden Kontrahierungszwangs auf Inhaltsänderung des bestehe n-
den Krankenversicherungsvertrages (Senatsurteile vom 13. April 2016
- IV ZR 393/15, vom 15. Juli 2015 - IV ZR 70/15 und vom 12. September
2012 - IV ZR 28/12 je aaO; BVerwG aaO Rn. 30). Die Voraussetzungen
dieses Tarifwechselanspruchs sind hier unstreitig gegeben.
Besteht ein Anspruch des Versicherungsnehmers auf einen Tari f-
wechsel, so kann der Versicherer, soweit die Leistungen in dem Tarif, in
den der Versicherungsnehmer wechseln will, höher oder umfassender
sind als in dem bisherigen Tarif, für die Mehrleistung einen Leistung s-
ausschluss oder einen angemessenen Risikozuschlag und insoweit auch
eine Wartezeit verlangen (§ 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 VVG).
Hier enthält der Zieltarif nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des
Berufungsgerichts Mehrleistungen im Sinne von § 204 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 Halbsatz 2 VVG. Zu diesen zählt auch der Wegfall eines Selbstbe-
halts oder - wie hier - ein geringerer Selbstbehalt im Zieltarif gegenüber
dem Herkunftstarif (vgl. Senatsurteil vom 12. September 2012 - IV ZR
28/12, VersR 2012, 1422 Rn. 8; Reinhard in Looschelders/Pohlmann,
VVG 2. Aufl. § 204 Rn. 15; Voit in Prölss/Martin, VVG 29. Aufl. § 204
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Rn. 30). Eine Saldierung mit möglichen Minderleistungen findet entgegen
der Auffassung der Revisionserwiderung nicht statt (Senatsurteil vom
12. September 2012 - IV ZR 28/12 aaO Rn. 11).
b) Ist die Beklagte mithin grundsätzlich berechtigt, vom Kläger ei-
nen angemessenen Risikozuschlag zu verlangen, so ist bei dessen Be-
rechnung zu beachten, dass es durch den Tarifwechsel nicht zum A b-
schluss eines neuen Versicherungsvertrages kommt, sondern der bish e-
rige Krankenversicherungsvertrag unter Wechsel d es Tarifs fortgesetzt
wird (Senatsurteile vom 13. April 2016 - IV ZR 393/15 aaO Rn. 13; vom
15. Juli 2015 - IV ZR 70/15 aaO Rn. 21; BVerwG aaO Rn. 30). Hieraus
folgt, dass zu den aus dem Vertrag erworbenen Rechten auch die B e-
wertung des Gesundheitszustandes zählt, wie sie der Versicherer bei
Abschluss des Vertrages im Herkunftstarif vorgenommen hat. Hat der
Versicherer auf dieser Grundlage eine Gesundheitsprüfung durchgeführt
und das gesundheitliche Risiko eingeschätzt sowie die Entscheidung g e-
troffen, den Versicherungsnehmer nach Maßgabe des derart festgestel l-
ten und bewerteten Gesundheitszustandes zu versichern, so erlangt der
Versicherungsnehmer aus dieser Bewertung eine Position, die zu den
"aus dem Vertrag erworbenen Rechten" gehört. Der Versicherer dar f da-
her im weiteren Vertragsverlauf von dieser Einstufung nicht zuungunsten
des Versicherten abweichen, und zwar auch dann nicht, wenn im Lichte
späterer Erkenntnisse, etwa aufgrund des weiteren Krankheitsverlaufs
oder neuerer Ergebnisse der medizinischen Forschung, die damalige
Einstufung zu günstig war (Senatsurteile vom 13. April 2016 - IV ZR
393/15 aaO Rn. 13; vom 15. Juli 2015 - IV ZR 70/15, VersR 2015, 1012
Rn. 16, dort auch zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ).
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Hieraus folgt, dass die Beklagte im Zeitpunkt des Antrags des Klä-
gers auf Tarifwechsel nicht berechtigt war, unter Anwendung der
§§ 19 ff. VVG eine vollständig neue Gesundheitsprüfung durchzuführen
und auf dieser Grundlage einen Leistungsausschluss oder einen Risik o-
zuschlag zu verlangen. Berechtigt ist der Versicherer dagegen, wie sich
aus der Formulierung "soweit" in § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2
VVG ergibt, für die Mehrleistung des Zieltarifs einen Leistungsau s-
schluss oder einen angemessenen Risikozuschlag zu verlange n. Bezüg-
lich dieser Mehrleistung des Zieltarifs hat der Vertrag den Charakter e i-
ner Zusatzversicherung (Senatsurteil vom 13. April 2016 - IV ZR 393/15
aaO Rn. 14; MünchKomm-VVG/Boetius, § 204 Rn. 334). Hinsichtlich der
Mehrleistung kann der Versicherer daher für die Berechnung des ange-
messenen Risikozuschlages auch eine Gesundheitsprüfung vornehmen
(Senatsurteil vom 13. April 2016 - IV ZR 393/15 aaO Rn. 15; Kalis in
Bach/Moser, Private Krankenversicherung 5. Aufl. § 204 Rn. 80; Rein-
hard in Looschelders/Pohlmann, VVG 2. Aufl. § 204 Rn. 15;
MünchKomm-VVG/Boetius aaO Rn. 335; Lehmann, VersR 2010, 992,
994). An dieser Auffassung ist auch unter Berücksichtigung der hieran
von der Revisionserwiderung geübten Kritik festzuhalten (so auch LG
Düsseldorf VersR 2016, 912; anders Egger, VersR 2016, 885).
Der Senat weicht mit seiner Rechtsprechung entgegen der Auffa s-
sung der Revisionserwiderung auch nicht von derjenigen des Bunde s-
verwaltungsgerichts (VersR 2010, 1345; 2007, 1253; 1999, 743) ab, so
dass eine Vorlage an den Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshö-
fe des Bundes nicht geboten ist. Insbesondere hat das Bundesverwa l-
tungsgericht lediglich entschieden, dass bei einem Tarifwechsel die E r-
hebung eines pauschalen Tarifstrukturzuschlages nicht in Betracht
kommt (VersR 2010, 1345 Rn. 20, 26 f.). Davon geht auch der Senat aus
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(Urteil vom 15. Juli 2015 - IV ZR 70/15, VersR 2015, 1012 Rn. 13). Nicht
entschieden ist damit die weitere hier zu beantwortende Frage, ob der
Versicherer für die Mehrleistung bei einem Tarifwec hsel einen angemes-
senen Risikozuschlag auf der Grundlage einer für die Mehrleistung
durchzuführenden Gesundheitsprüfung verlangen kann. Hierzu verhält
sich auch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. März
1999 nicht (VersR 1999, 743).
c) Nach dieser Maßgabe kann die Beklagte aufgrund der bisher
getroffenen Feststellungen jedenfalls den hier begehrten Risikozuschlag
von je 75,33 € nicht beanspruchen. Ausweislich ihres Schreibens vom
9. Dezember 2011 hat sie alle zu diesem Zeitpunkt bekannten Vorer-
krankungen des Klägers und seiner Ehefrau berücksichtigt. Sie hat sich
in der Folge zur Begründung des Risikozuschlages ausdrücklich auf Vor-
erkrankungen entsprechend vorliegender Arztrechnungen aus den Ja h-
ren 2010 und 2011 gestützt. Dieses Abstellen auf den Gesundheitszu-
stand des Versicherungsnehmers und der versicherten Person im Zei t-
punkt des Tarifwechsels ist indessen auf der Grundlage der obigen Aus-
führungen nur im Umfang der Mehrleistung möglich, hier also in Höhe
der Differenz zwischen der bisherigen Selbstbeteiligung von 1.404
€ und
der im Zieltarif vorgesehenen Selbstbeteiligung von 500
€, mithin in Hö-
he von 904
€ jährlich. Es ist nicht festgestellt und auch von der Beklag-
ten nicht vorgetragen, dass sich der von ihr erhobene Risikozuschlag
von 75,33
€ monatlich ausschließlich auf diese Zusatzleistung bezieht.
Vielmehr hat die Beklagte selbst dargelegt, schon bei der Ehefrau des
Klägers hätten die Diagnosen Varizen und Hypercholsterinämie einen
Risikozuschlag von 17% gerechtfertigt, was bei d em damaligen Tarifbei-
trag von 477,17 € einen Risikozuschlag von 81,11 € gerechtfertigt hätte.
Die Beklagte hat mithin den Risikozuschlag auf der Basis des gesamten
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vom Kläger geschuldeten Tarifbeitrages errechnet, nicht dagegen nur
bezüglich der Mehrleistu
ng, hier der Differenz von 904 € jährlich für die
Selbstbeteiligungen im Herkunfts- und im Zieltarif. Dies zeigt sich auch
darin, dass der von der Beklagten errechnete Risikozuschlag jährlich ei-
nen Betrag von 903,96
€ (12 x 75,33 €) und damit praktisch den gesam-
ten Mehrbetrag ausmacht. Hinsichtlich des nicht von der Mehrleistung
umfassten Tarifs ist die Beklagte indessen nicht berechtigt, auf den Ge-
sundheitszustand des Klägers und seiner Ehefrau anlässlich des Tari f-
wechsels abzustellen, sondern an die Risikoeinstufung bei Vertragsab-
schluss in den Jahren 1983 bzw. 1993 gebunden.
d) Aus der Unwirksamkeit des von der Beklagten angesetzten Risi-
kozuschlages von je 75,33 € monatlich folgt indessen entgegen der Auf-
fassung des Berufungsgerichts nicht, dass die Beklagte daran gehindert
wäre, vom Kläger und seiner Ehefrau überhaupt einen Risikozuschlag zu
verlangen, und den Antrag des Klägers auf Tarifwechsel ohne einen mo-
natlichen Risikozuschlag annehmen müsste. Die Beklagte kann vielmehr
hinsichtlich der Mehrleistung, hier also der Differenz von bisherigem und
künftigem behandlungsbezogenen Selbstbehalt in Höhe von 904 € jäh r-
lich, einen angemessenen Risikozuschlag auf der Grundlage einer inso-
weit zulässigen Gesundheitsprüfung verlangen. Die erforderlichen Fest-
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stellungen, ob und in welcher Höhe ein derartiger Risikozuschlag in Be-
tracht kommt, wird das Berufungsgericht nach Zurückverweisung der S a-
che, gegebenenfalls nach ergänzendem Vortrag der Parteien zu treffen
haben.
Mayen Felsch Harsdorf -Gebhardt
Dr. Karczewski Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Mannheim, Entscheidung vom 02.06.2015 - 1 O 159/13 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 14.01.2016 - 12 U 106/15 -