Urteil des BGH vom 17.12.2014

Ablauf der Frist, Ex Nunc, Versicherer, Beschränkung, Widerrufsrecht

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I V Z R 3 4 7 / 1 4
Verkündet am:
17. Dezember 2014
Schick
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf -Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmüller im schriftl i-
chen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum
26. November 2014
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerseite gegen das Urteil der
2. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 16. Ju-
ni 2011 wird als unzulässig verworfen, soweit der A n-
spruch nicht auf den gemäß § 5a VVG a.F. erklärten W i-
derspruch gestützt ist.
Im Übrigen sowie im Kostenpunkt wird das Berufungsu r-
teil auf die Revision aufgehoben und die Sache zur ne u-
en Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zu-
rückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
3.000
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer/in: im Folgenden d. VN)
begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer)
Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Kapitalrentenversi-
cherung.
Diese wurde - unter Wahl einer monatlichen Prämienzahlung - auf-
grund eines Antrags d. VN mit Vertragsbeginn zum 1. Dezember 2004
nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der bei Antrag-
stellung gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wurde d. VN nicht in
drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht nach § 5a
VVG a.F. belehrt. Im Mai 2008 kündigte d. VN den Vertrag und der Ver-
sicherer zahlte den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom 31. Juli 2008
erklärte d. VN schließlich den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG
a.F. und forderte die Beklagte zur Rückerstattung der Be iträge nebst
Zinsen auf.
Diese sind Gegenstand des Rechtsstreits, wobei die Klage als Stu-
fenklage erhoben worden ist.
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemein-
schaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Wi-
derspruch noch erklärt werden können; außerdem stehe ihm ein Wide r-
rufsrecht nach § 355 BGB zu.
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Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht die
hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt
d. VN das Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist bezüglich eines Rückgewähranspruch s nach § 346
Abs. 1 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1 PAngVO, § 355 Abs. 3, §§ 499, 502 Abs. 1
Nr. 4 BGB a.F. als unzulässig zu verwerfen. Im Übrigen führt sie zur
Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an
das Berufungsgericht.
A. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ung e-
rechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe zwar unstre i-
tig nicht ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt. Der Ver-
trag sei aber gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung
der ersten Prämie rückwirkend endgültig wirksam geworden. Auch ein
Widerrufsrecht nach § 6 PAngVO, §§ 355, 499 Abs. 1, § 495 Abs. 1 BGB
a.F. bestehe nicht.
B. Die Revision ist mangels Zulassung hinsichtlich des geltend
gemachten Widerrufsrechts aus § 6 PAngVO, § 355 Abs. 3 Satz 3, § 495
Abs. 1, § 499 Abs. 1 BGB a.F. nicht zulässig.
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Sie ist nur statthaft, soweit das Berufungsgericht den Widerspruc h
nach § 5a Abs. 1 VVG a.F. für unwirksam erachtet und einen daraus ab-
geleiteten Bereicherungsanspruch verneint hat.
Es hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung beschränkt
auf die Frage zugelassen, ob die Vorschriften des § 5a VVG a.F. den
Regelungen der Europäischen Union entsprechen. Diese Beschränkung
ist den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils zu entnehmen, das
die Revision erkennbar nur für die Frage zulassen wollte, die unmittelbar
zuvor in den Entscheidungsgründen behandelt worden war. Diese Be-
schränkung der Revisionszulassung ist wirksam (vgl. Senatsurteil vom
7. Mai 2014 - IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 11). Der dem Bereiche-
rungsanspruch zugrunde liegende Sachverhalt kann in tatsächlicher und
rechtlicher Hinsicht unabhängig von dem für das Rückgewährschuldver-
hältnis maßgeblichen Prozessstoff beurteilt werden. Im Übrigen hätte die
Revision insoweit auch in der Sache keinen Erfolg. Durch Senatsurteil
vom 6. Februar 2013 (IV ZR 230/12, BGHZ 196, 150) ist mittlerweile g e-
klärt, dass die vertraglich vereinbarte unterjährige Zahlungsweise von
Versicherungsprämien keine Kreditgewährung in Form eines entgeltl i-
chen Zahlungsaufschubs ist.
C. Die Revision ist, soweit sie zulässig ist, begründet.
Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung kann d. VN mit der vom Be-
rufungsgericht gegebenen Begründung nicht versagt werden.
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I. Nach den bisher vom Berufungsgericht getroffenen - von der Re-
visionserwiderung angegriffenen - Feststellungen (dazu unten II.) belehr-
te der Versicherer d. VN nicht ordnungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2
Satz 1 VVG über das Widerspruchsrecht. Für einen solchen Fall b e-
stimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht
ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt.
1. Das Widerspruchsrecht bestand bei nicht ordnungsgemäßer Be-
lehrung d. VN aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der
Widerspruchserklärung fort.
a) Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Ge-
richtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11,
BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die
Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert
werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten
Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon e r-
fasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen
zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht,
wenn d. VN nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch b e-
lehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versich e-
rungsbedingungen nicht erhalten hat (im Einzelnen dazu Senatsurteil
vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 22-34).
b) Die Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem späteren
Widerspruch nicht entgegen und auch ein Erlöschen des Widerspruch s-
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rechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt nicht in
Betracht (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 36 f.)
c) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarecht s-
widrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur e i-
ne Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwick-
lung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Vers i-
cherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes
kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden;
bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zu-
kommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).
Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuve r-
weisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu
geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).
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II. Nach Aufhebung und Zurückverweisung wird das Berufungsg e-
richt allerdings zunächst noch weitere Feststellungen zu der Frage zu
treffen haben, ob d. VN ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht
belehrt worden ist und hierbei die Ausführungen der Revisionserwid e-
rung zu berücksichtigen haben.
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
AG Wiesbaden, Entscheidung vom 12.08.2010 - 91 C 7199/09 (15) -
LG Wiesbaden, Entscheidung vom 16.06.2011 - 2 S 73/10 -
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