Urteil des BGH vom 08.06.2016

Leitsatzentscheidung zu Beendigung, Auszahlung, Versicherungsnehmer, Versicherer

ECLI:DE:BGH:2016:080616UIVZR346.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 346/15
Verkündet am:
8. Juni 2016
Heinekamp
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BetrAVG § 2 Abs. 2 Satz 5, § 3 Abs. 1
§ 2 Abs. 2 Satz 5 BetrAVG schließt die Inanspruchnahme des Rückkaufswerts einer
Lebensversicherung durch den ausgeschiedenen Arbeitnehmer nicht aus, wenn die
Kündigungserklärung des Versicherungsnehmers und Arbeitgebers dem Versicherer
noch während des bestehenden Arbeitsverhältnisses zugegangen ist. Allerdings ist
die Kündigung des Versicherungsvertrages unwirksam, wenn sie auf einer nach § 3
Abs. 1 BetrAVG unzulässigen Abfindungsvereinbarung zwischen Arbeitnehmer und
Arbeitgeber beruht.
BGH, Urteil vom 8. Juni 2016 - IV ZR 346/15 - OLG Köln
LG Köln
- 2 -
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin Mayen, den Richter Felsch, die Richterin Harsdorf -Gebhardt,
den Richter Dr. Karczewski und die Richterin Dr. Bußmann auf die münd-
liche Verhandlung vom 8. Juni 2016
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des
20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln
vom
12. Juni 2015 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen
Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zu-
rückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger verlangt von der Beklagten die Auszahlung des Rück-
kaufswerts einer Lebensversicherung.
Im Jahr 1994 schloss die damalige Arbeitgeberin des Klägers für
diesen bei der Beklagten eine Lebensversicherung als Direktversiche-
rung zur betrieblichen Altersversorgung ab. Der Kläger wurde als unwi-
derruflich Bezugsberechtigter bestimmt. Als Versicherungsbeginn war
der 1. Dezember 1994, als Versicherungsablauf der 30. November 2017
vereinbart.
1
2
- 3 -
Mit Schreiben vom 30. Juli 2013 bat der Kläger die Beklagte we-
gen langjähriger Krankheit und einer daraus resultierenden wirtschaftli-
chen Notlage um die Auszahlung der Versicherungssumme zum 1. De-
zember 2013; die Arbeitgeberin erklärte im selben Schreiben, sie sei
"[m]it der Kündigung einverstanden". Die Beklagte bestätigte die Kündi-
gung zunächst mit Schreiben an die Arbeitgeberin vom 2. August 2013
zum 1. September 2013 und sodann mit Schreiben vom 14. August 2013
zum 1. Dezember 2013. Mit Schreiben vom 31. Oktober 2013 erklärte die
Arbeitgeberin, sie widerspreche der Kündigung, woraufhin die Beklagte
ihr und dem Kläger mit Schreiben vom 8. November 2013 mitteilte, dass
die Versicherung fortgeführt werde.
Die Arbeitgeberin erklärte mit Schreiben vom 30. Dezember 2013/
7. Januar 2014 erneut die Kündigung des Versicherungsvertrages. Durch
Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 8. Januar 2014 wurde sie auf A n-
trag des Klägers zur Kündigung des Lebensversicherungsvertrages ver-
urteilt.
Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Arbeitgeberin mit
Schreiben vom 7. Januar 2014 fristlos zum 31. Januar 2014. Nachdem
die Arbeitgeberin die Beklagte über die Beendigung des Arbeitsverhält-
nisses informiert hatte, verweigerte diese die Auszahlung des Rück-
kaufswerts.
Das Landgericht hat die Klage auf Zahlung des Rückkaufswerts
abgewiesen; das Oberlandesgericht hat ihr auf die Berufung des Klägers
stattgegeben. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten, mit der
sie die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erstrebt.
3
4
5
6
- 4 -
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Z u-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Kläger ein
Anspruch auf den Rückkaufswert der Lebensversicherung bereits auf-
grund der ersten Kündigung des Versicherungsvertrages zu. Die Arbeit-
geberin habe darin zwar die Kündigung n icht ausdrücklich selbst ausge-
sprochen, doch ihre Einverständniserklärung zeige ihren eindeutigen Wil-
len zur Beendigung des Vertrages. Den durch diese Kündigung ausge-
lösten Anspruch des Klägers auf Auszahlung des Rückkaufswerts habe
ihm die Arbeitgeberin weder einseitig noch gemeinschaftlich mit der B e-
klagten wieder entziehen können. Vereinbarten Versicherungsnehmer
und Versicherer ohne Einbeziehung des bezugsberechtigten Dritten nach
einer Kündigungserklärung die Fortsetzung des Versicherungsvertrages
mit der Folge, dass der Auszahlungsanspruch des Bezugsberechtigten
wieder entfiele, so liege darin ein Vertrag zulasten Dritter, der dem ge l-
tenden Vertragsrecht grundsätzlich fremd sei.
Doch auch wenn man die einvernehmliche Aufhebung der e rsten
Kündigung als wirksam ansähe, wäre der Anspruch als Folge der zweiten
Kündigung zum 1. Dezember 2014 entstanden. Dem stehe nicht entg e-
gen, dass nach § 2 Abs. 2 Satz 5 i.V.m. Satz 4 BetrAVG der Rückkaufs-
wert aufgrund einer Kündigung des Versicherungsvertrages vom ausg e-
schiedenen Arbeitnehmer nicht in Anspruch genommen werden könne.
Sinn und Zweck dieser Regelung sprächen dagegen, deren Rechtsfolgen
auch dann eintreten zu lassen, wenn die Kündigung des Versicherung s-
7
8
9
- 5 -
vertrages noch während des bestehenden Arbeitsverhältnisses durch
den Arbeitgeber als Versicherungsnehmer ausgesprochen werde. Die
Auszahlungssperre verfolge den Zweck, den ausgeschiedenen Arbei t-
nehmer, dem anstelle der arbeitsrechtlichen Versorgungszusage die
Versicherungsleistung zugewandt worden sei, an der alsbaldigen Real i-
sierung des Rückkaufswerts zu hindern. Während des bestehenden Ar-
beitsverhältnisses sei der Arbeitgeber dagegen grundsätzlic h nicht ge-
hindert, die Versicherung zu kündigen. Dies gelte auch dann, wenn die
Kündigung im Zuge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgespr o-
chen werde und der Rückkaufswert erst nach dessen Ende fällig werde.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
1. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist d er Anspruch
auf Auszahlung des Rückkaufswerts nicht bereits aufgrund der Kündi-
gung vom 30. Juli 2013 entstanden.
a) In revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise hat das Be-
rufungsgericht allerdings das Schreiben vom 30. Juli 2013 als Kündi-
gungserklärung der Arbeitgeberin als Versicherungsnehmerin, die auch
bei der unwiderruflichen Bezugsberechtigung eines Dritten allein zur
Kündigung berechtigt ist (vgl. Senatsurteil vom 2. Dezember 2009 - IV
ZR 65/09, r+s 2010, 385 Rn. 14), ausgelegt. Das Berufungsgericht hat
sich mit der Erklärung der Versicherungsnehmerin, sie sei mit der Künd i-
gung einverstanden, befasst. Entscheidungserhebliche Auslegungsge-
sichtspunkte, die es dabei übersehen haben könnte, zeigt die Revision
nicht auf; sie sind auch sonst nicht ersichtlich. Eine eigene Willenserklä-
rung setzt voraus, dass der Erklärende durch seine Äußerung einen
10
11
12
- 6 -
Rechtsfolgewillen zum Ausdruck bringt, der auf die Begründun g, Ände-
rung oder Beendigung eines privaten Rechtsverhältnisses abzielt (vgl.
BGH, Urteil vom 17. Oktober 2000 - X ZR 97/99, BGHZ 145, 343 unter II
1 b aa). Er muss dabei entgegen der Ansicht der Revision weder auf-
grund eigener Initiative handeln noch persönliche Zwecke verfolgen. Es
steht dem Willen der Arbeitgeberin zur Beendigung des Versicherung s-
vertrages, den das Berufungsgericht der Erklärung entnommen hat, da-
her nicht entgegen, wenn sie ihre Erklärung ausschließlich auf Wunsch
des Klägers abgegeben und kein eigenes Interesse daran gehabt haben
sollte.
b) Die Arbeitgeberin hat das Versicherungsverhältnis jedoch nach
dieser Kündigungserklärung durch eine Vereinbarung mit der Beklagten
fortgesetzt.
aa) Zwar konnte die Arbeitgeberin die Rechtswirkungen der Kündi-
gung nicht durch eine einseitige Erklärung beseitigen. Die Kündigung hat
als rechtsgestaltende empfangsbedürftige Willenserklärung die Beend i-
gung des Versicherungsverhältnisses zum vertraglich vereinbarten Zei t-
punkt zur Folge. Eine Kündigung kann daher nicht einseitig zurückge-
nommen oder widerrufen werden (Senatsurteile vom 22. Juni 1988 - IVa
ZR 25/87, VersR 1988, 1013 unter II 2; vom 3. Oktober 1984 - IVa ZR
76/83, VersR 1985, 54 unter III). Die Parteien haben aber im Rahmen
der Vertragsfreiheit die Möglichkeit, den Eintritt der Rechtsfolgen einer
bereits wirksam gewordenen Kündigung durch - einverständliche - Ver-
einbarung aufzuheben (BGH, Urteil vom 24. Juni 1998 - XII ZR 195/96,
BGHZ 139, 123 unter 3 c; vgl. Senatsurteil vom 22. Juni 1988 aaO). Eine
entsprechende Vereinbarung führt indessen nicht ohne weiteres und un-
terschiedslos zur Fortsetzung des gekündigten Vertrages. Bei der Beur-
13
14
- 7 -
teilung der Wirkungen, die einer Vereinbarung über die Aufhebung der
Kündigungsfolgen zukommt, ist danach zu unterscheiden, ob die Verein-
barung vor Ablauf der Kündigungsfrist oder erst danach getroffen wird,
denn bis zum Ablauf der Kündigungsfrist besteht das Vertragsverhältnis
der Parteien fort. Jedenfalls dann, wenn die einverständliche Aufhebung
der Kündigung noch vor Ablauf der Kündigungsfrist, also während der
Geltung des Vertrages vereinbart wird, bleibt der gekündigte Vertrag u n-
verändert in Kraft (BGH, Urteile vom 24. Juni 1998 aaO; vom 6. Oktober
1983 - I ZR 127/81, VersR 1984, 138 unter B I 2 c aa; vom 20. März
1974 - VIII ZR 31/73, MDR 1974, 750 unter B I 2). Das wirksam gekün-
digte Versicherungsverhältnis lebt dann aufgrund der Vereinbarung be i-
der Vertragspartner wieder auf (vgl. Senatsurteile vom 22. Juni 1988
aaO; vom 3. Oktober 1984 aaO). In der Erklärung der Rücknahme oder
des Widerrufs der Kündigung durch den Versicherungsnehmer während
der laufenden Kündigungsfrist ist daher ein Angebot zur Fortsetzung des
ursprünglichen Vertragsverhältnisses zu sehen (vgl. MünchKomm -VVG/
Fausten, 2. Aufl. § 11 Rn. 154; Rixecker in Römer/Langheid, VVG
4. Aufl. § 11 Rn. 12).
So liegt es hier. Die Beklagte nahm das entsprechende Angebot
der Arbeitgeberin mit Schreiben vom 8. November 2013 und damit wäh-
rend der laufenden Kündigungsfrist an. Die Arbeitgeberin hatte die Kün-
digung zum 1. Dezember 2013, d.h. zum Schluss des laufenden Vers i-
cherungsjahres, der nach § 4 Abs. 1 Spiegelstrich 1 der dem Vertrag zu-
grunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die kap i-
talbildende Lebensversicherung (ALB) das Ende der Kündigungsfrist
darstellt, erklärt. Ein früherer Beendigungszeitpunkt ergab sich nicht aus
der zunächst erfolgten Bestätigung der Kündigung durch die Beklagte
zum 1. September 2013, da die Arbeitgeberin einer solchen abweiche n-
15
- 8 -
den Vereinbarung zum Vertragsende nicht zugestimmt hatte, bevor die
Beklagte mit ihrem weiteren Schreiben die Kündigung zum 1. Dezember
2013 bestätigte.
bb) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts bedurfte die Ver-
einbarung zur Fortsetzung des Versicherungsverhältnisses während der
laufenden Kündigungsfrist nicht der Zustimmung des Klägers. Sein unwi-
derrufliches Bezugsrecht stand der Vereinbarung nicht entgegen.
Solange das Versicherungsverhältnis besteht, bleibt der Versich e-
rungsnehmer und nicht der Bezugsberechtigte befugt, über eine Beendi-
gung oder Fortsetzung des Vertrages zu entscheiden. Bei der Direktver-
sicherung zur betrieblichen Altersversorgung ist im versicherungsrechtl i-
chen Deckungsverhältnis der Arbeitgeber gegenüber dem Versicherer
Inhaber aller Rechte und Pflichten aus dem Vertrag, insbesondere aller
Verfügungs- und Gestaltungsrechte (BGH, Beschluss vom 10. Februar
1993 - XII ZB 80/88, VersR 1993, 728 unter 2 b bb; vgl. Brömmelmeyer
in
Beckmann/Matusche-Beckmann,
Versicherungsrechts-Handbuch
3. Aufl. § 42 Rn. 222). Auch bei Vereinbarung eines unwiderruflichen Be-
zugsrechts kann der Versicherungsnehmer über die Ansprüche aus dem
Versicherungsvertrag im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit unterschie d-
lich verfügen (Senatsurteil vom 18. Juni 2003 - IV ZR 59/02, NJW 2003,
2679 unter II 2 b).
Die Fortsetzung des Versicherungsverhältnisses greift nicht in eine
geschützte Rechtsposition des Klägers ein. Zwar erwirbt der Bezugsbe-
rechtigte mit der Einräumung eines unwiderruflichen Bezugsrechts die
Ansprüche auf die Versicherungsleistungen regelmäßig sofort (Senatsur-
teil vom 18. Juni 2003 aaO unter II 1 a). Dies schließt den Rückkaufswert
16
17
18
- 9 -
nach Kündigung des Vertrages ein (Senatsurteile vom 2. Dezember 2009
aaO Rn. 11; vom 18. Juni 2003 aaO unter II 2 b). Das bedeutet jedoch
nur, dass so der mit dem Verzicht auf das Widerrufsrecht verfolgte
Zweck erreicht wird, die Ansprüche auf die Versicherungsleistungen aus
dem Vermögen des Versicherungsnehmers auszusondern und sie damit
dem Zugriff seiner Gläubiger zu entziehen (vgl. Senatsurteil vom 18. Juni
2003 aaO unter II 1 a). Ohne das Einverständnis des Begünstigten kann
daher über das Bezugsrecht, das mit der Unwiderruflichkeit sofort zu
dessen Vermögen gehört (BGH, Urteil vom 9. Oktober 2014 - IX ZR
41/14, NJW 2015, 341 Rn. 14), nicht verfügt werden. Sein Recht ist da-
rauf gerichtet, dass ihm seine Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag
nicht mehr zugunsten eines anderen entzogen werden können. Diese
Vermögenszuordnung wird aber durch die Vereinbarung einer Fortse t-
zung des Versicherungsvertrages nicht beeinträchtigt, da das Bezugs-
recht des Begünstigten unverändert bestehen bleibt . Das Recht des Be-
zugsberechtigten soll nach dem regelmäßigen Verständnis der Begünst i-
gungserklärung sämtliche aus dem Versicherungsvertrag fällig werde n-
den Ansprüche umfassen (Senatsurteile vom 2. Dezember 2009 aaO;
vom 18. Juni 2003 aaO unter II 2 b). Ob solche Ansprüche fällig werden,
unterliegt dagegen während des bestehenden Vertragsverhältnisses der
Disposition von Versicherungsnehmer und Versicherer. Der Kläger er-
warb daher auch durch die zunächst erfolgte Kündigungserklärung keine
Rechtsposition, die über sein unverändert fortbestehendes Bezugsrecht
hinausging. Eine vorzeitige Beendigung des Versicherungsvertrages und
damit die Auszahlung des Rückkaufswerts konnte er nicht beanspruchen.
2. Ob die Arbeitgeberin als Versicherungsnehmerin d as so fortge-
setzte Versicherungsverhältnis mit ihrer Erklärung vom 30. Dezember
2013/7. Januar 2014 wirksam gekündigt hat, so dass die rechtlichen Wir-
19
- 10 -
kungen der Kündigung nach § 4 Abs. 1 Spiegelstrich 1 ALB zum Schluss
des laufenden Versicherungsjahres, d.h. zum 1. Dezember 2014, eintra-
ten, kann nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht abschließend
beurteilt werden.
a) Zu Recht ist das Berufungsgericht allerdings zu dem Ergebnis
gelangt, dass § 2 Abs. 2 Satz 5 BetrAVG einer Auszahlung des Rück-
kaufswerts aufgrund dieser Kündigung nicht entgegensteht. Diese Vor-
schrift verbietet innerhalb ihres Anwendungsbereiches für die zur be-
trieblichen Altersversorgung abgeschlossene Direktversicherung eine In-
anspruchnahme des nach § 169 Abs. 3 und 4 VVG berechneten Rück-
kaufswerts oder - bei älteren Versicherungsverträgen - des durch Bei-
tragszahlungen des Arbeitgebers gebildeten geschäftsplanmäßigen De-
ckungskapitals auf Grund einer Kündigung des Versicherungsvertrages
und bestimmt, dass im Falle einer Kündigung die Versicherung in eine
prämienfreie Versicherung umgewandelt wird. § 169 Abs. 1 VVG (§ 176
Abs. 1 VVG a.F.) findet dann insoweit keine Anwendung, § 2 Abs. 2
Satz 6 BetrAVG.
§ 2 Abs. 2 Satz 5 BetrAVG schließt eine Inanspruchnahme des
Rückkaufswerts jedoch nur dann aus, wenn die Kündigungserklärung
dem Versicherer erst nach dem Ausscheiden des versicherten Arbeit-
nehmers aus dem Arbeitsverhältnis zugeht. Erhält der Versicherer die
vom Arbeitgeber als Versicherungsnehmer erklärte Kündigung dagegen
während des bestehenden Arbeitsverhältnisses, steht die Vorschrift einer
späteren Auszahlung des Rückkaufswerts auch an den inzwischen aus-
geschiedenen Arbeitnehmer nicht im Wege. Dieses Verständnis der Vor-
schrift, das auch das Berufungsgericht zutreffend seiner Entscheidung
zugrunde gelegt hat, folgt aus einer Auslegung des Gesetzes.
20
21
- 11 -
aa) Die Vorschrift lässt nur bei isolierter Betrachtung ihres Wort-
lauts offen, unter welchen Voraussetzungen die Versicherung durch eine
Kündigung in eine prämienfreie Versicherung umgewandelt wird und der
Rückkaufswert nicht in Anspruch genommen werden kann. Aus dem sys-
tematischen Zusammenhang der Regelung innerhalb des § 2 Abs. 2
BetrAVG folgt jedoch, dass sie von vornherein nur die Inanspruchnahme
des Rückkaufswerts durch den vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis au s-
geschiedenen Arbeitnehmer erfasst. § 2 Abs. 2 Satz 5 BetrAVG ergänzt
seinem Wortlaut zufolge § 2 Abs. 2 Satz 4 BetrAVG. Dieser verbietet
ausdrücklich, dass "der ausgeschiedene Arbeitnehmer" die Ansprüche
aus dem Versicherungsvertrag in der dort bestimmten Höhe abtritt oder
beleiht. Daran unmittelbar anknüpfend schließt Satz 5 die Inanspruc h-
nahme des Rückkaufswerts "in dieser Höhe", d.h. der in Satz 4 geregel-
ten, aus. Aus diesem Zusammenhang folgt, dass beide Regelungen
gleichermaßen nur Verfügungen über die Ansprüche aus dem Versich e-
rungsvertrag nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem A r-
beitsverhältnis erfassen.
Dies entspricht auch der Entstehungsgeschichte des § 2 Abs. 2
Satz 5 BetrAVG. Der Entwurf des § 2 Abs. 2 BetrAVG sah zunächst nur
die Beschränkungen in Satz 4 vor. Die Einfügung von § 2 Abs. 2 Satz 5
und 6 BetrAVG begründete der Gesetzgeber damit, dass Satz 4 dem
ausgeschiedenen Arbeitnehmer Verfügungen, die den Versorgung s-
zweck gefährden könnten, verbiete, solche Verfügungen jedoch auch
durch Geltendmachung des Rückkaufswerts aufgrund einer Kündigung
des Versicherungsvertrages möglich seien (BT-Drucks. 7/2843 S. 7).
Durch die Einbeziehung der Geltendmachung des Rü ckkaufswerts in das
Verfügungsverbot werde die Sicherung des Versorgungszweckes lücke n-
los verwirklicht (aaO).
22
23
- 12 -
bb) Die Inanspruchnahme des Rückkaufswerts durch den ausge-
schiedenen Arbeitnehmer, d.h. die Auszahlung oder anderweitige Ver-
wertung (vgl. ErfK/Steinmeyer, 16. Aufl. § 2 BetrAVG Rn. 33) nach Be-
endigung des Arbeitsverhältnisses, ist jedoch dann nicht ausgeschlos-
sen, wenn der Versicherungsvertrag noch während des bestehenden Ar-
beitsverhältnisses vom Arbeitgeber als Versicherungsnehmer gekündigt
wurde.
Wie der Senat bereits in seinem nach Erlass des Berufungsurteils
ergangenen Urteil vom 22. Juli 2015 (IV ZR 437/14, NJW 2015, 3303)
ausgeführt hat, stellt § 2 Abs. 2 Satz 4 bis 6 BetrAVG für den Fall
Schranken auf, dass der Arbeitgeber den ausscheidenden Arbeitnehmer
auf die Versicherungsleistung verwiesen hat (aaO Rn. 23). Danach wird
zwar das Recht des Arbeitnehmers eingeschränkt, die Lebensversich e-
rung zu kündigen, zu beleihen oder abzutreten (aaO). Hieraus ergibt sich
aber nur, dass die Verfügungsmacht des Arbeitnehmers, wenn die Vers i-
cherung auf ihn übergeht, in ihrem sachlichen Umfang in bestimmter
Hinsicht beschränkt ist (aaO; vgl. Kemper/Kisters-Kölkes/Berenz/Huber,
BetrAVG 6. Aufl. § 2 Rn. 164; Jumpertz in Förster/Cisch/Karst, Betriebs-
rentengesetz 14. Aufl. § 2 Rn. 31; Höfer in Höfer/Reiners/Wüst, BetrAVG
Band I Stand März 2013 § 2 Rn. 1; Höhne in Heubeck/Höhne/Pauls-
dorff/Rau/Weinert, Betriebsrentengesetz 2. Aufl. § 2 Rn. 257). Die Verfü-
gungsbeschränkungen in § 2 Abs. 2 Satz 4 bis 6 BetrAVG erfassen da-
her nur die Fälle, in denen die Versicherung auf den ausgeschiedenen
Arbeitnehmer übertragen wurde. Diese Übertragung vollzieht sich nach
§ 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 BetrAVG, der dem Arbeitgeber unter bestimmten
Voraussetzungen die Möglichkeit gibt, den vorzeitig ausscheidenden A r-
beitnehmer hinsichtlich seiner unverfallbaren Anwartschaft auf Leistu n-
gen aus der betrieblichen Altersversorgung auf die vom Versicherer zu
24
25
- 13 -
erbringende Leistung zu verweisen und damit die eigene Einstandspflicht
zu begrenzen. Der ausgeschiedene Arbeitnehmer kann in diesen Fällen
die Versicherung als eigene weiterführen (vgl. BGH, Beschluss vom
10. Februar 1993 - XII ZB 80/88, VersR 1993, 728 unter II 2 d). An diese
Regelung knüpfen die Verfügungsbeschränkungen des § 2 Abs. 2 Satz 4
bis 6 BetrAVG an. Der systematische Zusammenhang schließt nicht nur
die Inanspruchnahme des Rückkaufswerts nach § 2 Abs. 2 Satz 5 Halb-
satz 1 BetrAVG, sondern auch die im zweiten Halbsatz geregelte Kündi-
gung ein. Die Verweisung des Arbeitnehmers auf die Versicherung,
durch die er regelmäßig auch Versicherungsnehmer wird ( Rolfs in Blo-
meyer/Rolfs/Otto, BetrAVG 6. Aufl. § 2 Rn. 227; Höhne in Heubeck/Höh-
ne/Paulsdorff/Rau/Weinert aaO Rn. 257), erfolgt erst nach seinem Aus-
scheiden aus dem Arbeitsverhältnis, § 2 Abs. 2 Satz 3 Be trAVG.
Entgegen der Ansicht der Revision ergibt sich auch nichts anderes
aus § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG, nach dem § 2 BetrAVG für Personen,
die nicht Arbeitnehmer sind, entsprechend anwendbar ist, wenn ihnen
Leistungen der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung aus
Anlass ihrer Tätigkeit für ein Unternehmen zugesagt worden sind. Der
Anwendungsbereich des § 2 Abs. 2 Satz 5 BetrAVG in der hier vorge-
nommenen Auslegung ist für diese Personen eindeutig bestimmt. A uch in
diesen Fällen gibt es einen bestimmten "Zeitpunkt des Ausscheidens"
aus dem Vertragsverhältnis mit dem Unternehmen (vgl. BGH, Urteil vom
15. Juli 2002 - II ZR 192/00, NJW 2002, 3632 unter II 1).
cc) Diese Beschränkung der Vorschrift auf die Kündigung nach
dem Ausscheiden des Arbeitnehmers entspricht auch dem Sinn und
Zweck des Gesetzes sowie dem Willen des Gesetzgebers.
26
27
- 14 -
Durch die Verfügungsbeschränkungen des § 2 BetrAVG soll im
Rahmen des rechtlich Möglichen die bestehende Anwartschaft für den
Versorgungszweck erhalten bleiben (BT-Drucks. 7/1281 S. 26). Nach
dem Willen des Gesetzgebers sollen dabei aber durch § 2 Abs. 2 Satz 5
BetrAVG in Ergänzung von § 2 Abs. 2 Satz 4 BetrAVG gerade dem aus-
geschiedenen Arbeitnehmer Verfügungen, die den Versorgungszweck
gefährden können, untersagt werden (vgl. BT-Drucks. 7/2843 S. 7). Der
Gesetzgeber wollte verhindern, dass der Arbeitnehmer die Anwartschaft
liquidiert und für andere Zwecke verwendet (BGH, Beschluss vom 5. De-
zember 2013 - IX ZR 165/13, r+s 2014, 189 Rn. 2; vgl. Rolfs in Blomey-
er/Rolfs/Otto, BetrAVG 6. Aufl. § 2 Rn. 260; Höhne in Heubeck/Höhne/
Paulsdorff/Rau/Weinert aaO Rn. 256).
Diesem Gesetzeszweck dienen die Verfügungsbeschränkungen je-
doch nur dann, wenn die Kündigung durch den Arbeitnehmer als neuen
Versicherungsnehmer nach seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsver-
hältnis ausgesprochen wird. Will der Arbeitnehmer dagegen während des
bestehenden Arbeitsverhältnisses seine Anwartschaft liquidieren und
veranlasst er daher den Arbeitgeber als Versicherungsnehmer, den Ver-
sicherungsvertrag zu kündigen, treffen die Parteien des Arbeitsverhält-
nisses damit eine entsprechende Vereinbarung zur Änderung oder Auf-
hebung der arbeitsvertraglichen Versorgungszusage.
Solche Vereinbarungen beschränkt das Betriebsrentengesetz nur
durch § 3 Abs. 1 BetrAVG, nach dem unverfallbare Anwartschaften im
Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur unter den dort gere-
gelten Voraussetzungen abgefunden werden dürfen. Nach dem Willen
des Gesetzgebers bleibt die Abfindung von Anwartschaften während des
bestehenden Arbeitsverhältnisses dagegen zulässig, wenn die Abfindung
28
29
30
- 15 -
nicht im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Beendigung
des Arbeitsverhältnisses erfolgt (vgl. BT-Drucks. 15/2150 S. 52). § 3
Abs. 1 BetrAVG ist danach auf Vereinbarungen, durch die unverfallbare
Versorgungsanwartschaften mit oder ohne Zahlung einer Abfindung ei n-
geschränkt oder aufgehoben werden, nur anzuwenden, wenn diese Ve r-
einbarungen im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhäl t-
nisses getroffen werden (BGH, Urteil vom 21. Mai 2003 - VIII ZR 57/02,
NJW 2003, 3350 unter II 1; vgl. BAGE 65, 341 unter I 1 c; Schwintowski
in
Beckmann/Matusche-Beckmann,
Versicherungsrechts-Handbuch
3. Aufl. § 43 Rn. 117). Die Vorschrift setzt einen sowohl zeitlichen als
auch sachlichen Zusammenhang zwischen dem Ausscheiden des Arbeit-
nehmers und der Abfindungsvereinbarung voraus (vgl. Rolfs in Blomey-
er/Rolfs/Otto, BetrAVG 6. Aufl. § 3 Rn. 23; BeckOK-Arbeitsrecht/Molken-
buhr, Stand 1. Dezember 2015 § 3 BetrAVG Rn. 2).
Eine einvernehmliche Abfindung von Versorgungsanwartschaften
im bestehenden Arbeitsverhältnis, die nicht in den Anwendungsbereich
des § 3 BetrAVG fällt, wird dann aber auch nicht durch § 2 Abs. 2 Satz 5
BetrAVG ausgeschlossen. Vielmehr bestimmt § 2 Abs. 2 Satz 7
BetrAVG, dass § 2 Abs. 2 Satz 5 BetrAVG sogar eine Abfindung des An-
spruchs nach § 3 BetrAVG - soweit dessen Ausnahmeregelungen rei-
chen - nicht verbietet. § 2 Abs. 2 Satz 5 BetrAVG setzt daher einer Kün-
digung des Versicherungsvertrages während des bestehenden Arbeits-
verhältnisses keine engeren Schranken, als dies § 3 BetrAVG für die der
Kündigung zugrundeliegende Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und
Arbeitnehmer tut, falls diese im Zusammenhang mit der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses steht. Ob ein solcher Zusammenhang vorliegt, be-
trifft allein die Abfindungsregelung des § 3 BetrAVG.
31
- 16 -
b) Die Kündigung des Versicherungsvertrages wäre danach alle r-
dings dann unwirksam und der Anspruch des Klägers auf Auszahlung
des Rückkaufswerts ausgeschlossen, wenn die Kündigung des Versich e-
rungsvertrages auf einer nach § 3 Abs. 1 BetrAVG unzulässigen Abfi n-
dungsvereinbarung zwischen dem Kläger und der Arbeitgeberin beruhte.
Nach § 3 Abs. 1 BetrAVG darf eine unverfallbare Versorgungsa n-
wartschaft nur unter den Voraussetzungen der - vorliegend nicht ein-
schlägigen - weiteren Absätze dieser Vorschrift abgefunden werden. Ei-
ne hiervon abweichende Abfindungsregelung ist gemäß § 134 BGB nich-
tig (BGH, Urteil vom 15. Juli 2002 aaO unter II 2; BAG, NZA 1985, 218).
Das Verbot erfasst nicht nur die Vereinbarung der Abfindung als Grun d-
geschäft, sondern auch das Erfüllungsgeschäft (Höfer/Reiners/Wüst aaO
Stand Juni 2011 § 3 Rn. 79; Blomeyer/Rolfs/Otto aaO § 3 Rn. 42). Bei
der betrieblichen Altersversorgung im Wege der Direktversicherung ist
daher der Versicherer zur Auszahlung des Rückkaufswerts nicht ver-
pflichtet, wenn die Inanspruchnahme der Leistung auf einer verbotswidri-
gen Abfindungsvereinbarung beruht (vgl. Höfer/Reiners/Wüst aaO Stand
Juni 2011 Rn. 85).
III. Das Berufungsgericht hat sich bisher nicht damit befasst, ob
die Kündigung des Versicherungsvertrages auf einer Abfindungsverei n-
barung zwischen dem Kläger und dem Arbeitgeber, die im zeitlichen und
sachlichen Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses
stand, beruhte. Aufgrund der zeitlichen Nähe zwischen der Kündigung
des Versicherungsvertrages und der Beendigung des Arbeitsverhältni s-
ses kommt dies aber zumindest in Betracht. Die Sache ist daher an das
32
33
34
- 17 -
Berufungsgericht zurückzuverweisen, um ihm Gelegenheit zu geben, e r-
gänzende Feststellungen zu treffen.
Mayen Felsch Harsdorf -Gebhardt
Dr. Karczewski Dr. Bußmann
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 27.10.2014 - 26 O 28/14 -
OLG Köln, Entscheidung vom 12.06.2015 - 20 U 199/14 -