Urteil des BGH vom 07.01.2015

Ablauf der Frist, Ex Nunc, Versicherer, Lebensversicherung, Prämie

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I V Z R 3 3 4 / 1 4
Verkündet am:
7. Januar 2015
Heinekamp
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf -Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmüller im schriftl i-
chen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum
17. Dezember 2014
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerseite gegen das Urteil des
20. Zivilsenats
des
Oberlandesgerichts
Köln
vom
3. Februar 2012 wird als unzulässig verworfen, soweit
sie sich gegen die Verneinung eines Schadensersatza n-
spruchs richtet.
Im Übrigen sowie im Kostenpunkt wird das Berufungsu r-
teil auf die Revision aufgehoben und die Sache zur neu-
en Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zu-
rückverwiesen.
Der Streitwert wird auf 2.737,56
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) b e-
gehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rüc k-
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zahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen Le-
bensversicherung.
Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Vertragsbeginn zum
1. Oktober 1997 abgeschlossen. Nach den Feststellungen des Beru-
fungsgerichts erhielt d. VN bei Antragstellung nicht sämtliche relevanten
Vertragsunterlagen, insbesondere nicht die Verbraucherinformation, und
wurde auch nicht über das Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a.F. in der
bei Antragstellung gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) be-
lehrt. Im Juli 2009 kündigte d. VN den Vertrag und der Versicherer zahlte
den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom 31. März 2010 erklärte d. VN
schließlich den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F.
Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag g e-
leisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rüc k-
kaufswerts (insgesamt 2.737,56
€).
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemein-
schaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der W i-
derspruch noch erklärt werden können.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht
die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision ve r-
folgt d. VN das Klagebegehren weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Z u-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ung e-
rechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe zwar nicht
über das Widerspruchsrecht belehrt. Der Vertrag sei aber gemäß § 5a
Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie rüc k-
wirkend endgültig wirksam geworden. D. VN stehe auch kein Schadens-
ersatzanspruch wegen vorvertraglicher Pflichtverletzung zu.
II. Die Revision ist mangels Zulassung hinsichtlich des geltend
gemachten Schadensersatzanspruchs unzulässig.
Sie ist nur statthaft, soweit das Berufungsgericht den Widerspruch
nach § 5a VVG a.F. für unwirksam erachtet hat. Es hat die Revision z u-
gelassen, da die Frage, ob § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. europarechts-
konform sei, von grundsätzlicher Bedeutung sei. Diese in den Entschei-
dungsgründen des Berufungsurteils mit der gebotenen Deutlichkeit zum
Ausdruck gebrachte Beschränkung der Revisionszulassung auf den aus
dem Widerspruch abgeleiteten Bereicherungsanspruch ist wirksam. Der
diesem zugrunde liegende Sachverhalt kann in tatsächlicher und rechtl i-
cher Hinsicht unabhängig von dem für die Schadensersatzforderung
maßgeblichen Prozessstoff beurteilt werden (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai
2014 - IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101). Die gegen die Nichtzulassung der
Revision eingelegte Beschwerde hat der Senat mit Beschluss vom
26. Juni 2013 zurückgewiesen.
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III. Die Revision ist, soweit sie zulässig ist, begründet.
1. Der Anspruch auf Prämienrückzahlung folgt dem Grunde nac h
aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB.
a) Der nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts
zwischen den Parteien im Wege des sogenannten Policenmodells gemäß
§ 5a VVG a.F. geschlossene Versicherungsvertrag schafft keinen
Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des Widerspruchs d.
VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Widerspruch war - unge-
achtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jah-
resfrist - rechtzeitig.
aa) Wie das Berufungsgericht ebenfalls mit bindender Wirkung
festgestellt hat, belehrte der Versicherer d. VN nicht ordnungsgemäß i.S.
von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Für einen
solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das W i-
derspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt.
Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahre s-
frist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.
Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Ge-
richtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11,
BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die
Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert
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werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten
Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon e r-
fasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen
zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht,
wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum W i-
derspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder
die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.
bb) Die Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem späteren
Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO
Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits
vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht i n Betracht (vgl.
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarecht s-
widrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur ei-
ne Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prä mien.
Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwic k-
lung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Vers i-
cherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes
kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden;
bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung z u-
kommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).
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Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuve r-
weisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu
geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Aachen, Entscheidung vom 17.06.2011 - 9 O 585/10 -
OLG Köln, Entscheidung vom 03.02.2012 - 20 U 140/11 -
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