Urteil des BGH vom 23.09.2015

Ablauf der Frist, Ex Nunc, Versicherer, Versicherungsvertrag

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I V Z R 3 3 3 / 1 5
Verkündet am:
23. September 2015
Heinekamp
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
- 2 -
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf -Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftl i-
chen Verfahren, bei dem Schriftsätze bis zum 2. September 2015 einge-
reicht werden konnten,
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil des Ha n-
seatischen
Oberlandesgerichts
- 9. Zivilsenat -
vom
18. November 2011 aufgehoben und die Sache zur neu-
en Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zu-
rückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
14.274,29
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) b e-
gehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rüc k-
zahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Kapitallebensversich e-
rung.
1
- 3 -
Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsb e-
ginn zum 1. Oktober 1995 nach dem so genannten Policenmodell des
§ 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG
a.F.) abgeschlossen. Nach den Feststellungen des Berufungsger ichts
erhielt d. VN mit dem Versicherungsschein ein Begleitschreiben mit einer
Belehrung über das Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a.F.
Mit Schreiben vom 26. Juni 2009 erklärte die proConcept Gesell-
schaft für Projektentwicklung- und Durchführung AG (im Folgenden:
proConcept), an die d. VN die Rechte und Ansprüche aus dem Versich e-
rungsvertrag abgetreten hatte, für d. VN den Widerspruch nach § 5a
Abs. 1 Satz 1 VVG a.F., hilfsweise die Kündigung. Der Versicherer a k-
zeptierte die Kündigung und zahlte den Rückkaufswert aus.
Mit der Klage verlangt d. VN - soweit für das Revisionsverfahren
noch von Bedeutung - Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Be i-
träge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts , ins-
gesamt 14.274,29
€.
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen. Er sei nicht ordnungsgemäß über sein Wider-
spruchsrecht belehrt worden, so dass die Widerspruchsfrist nicht in Gang
gesetzt worden sei. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemein-
schaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der W i-
derspruch noch erklärt werden können.
D. VN hat eine Erklärung der proConcept vorgelegt, nach der diese
d. VN ermächtigt hat, die aus und in Zusammenhang mit dem Versich e-
2
3
4
5
6
- 4 -
rungsvertrag bestehenden Forderungen gegen den Versicherer im eig e-
nen Namen gerichtlich geltend zu machen.
Der Versicherer hat sich auf Entreicherung berufen und die Einre-
de der Verjährung erhoben.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht
die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision ve r-
folgt d. VN das Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Z u-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ung e-
rechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe d. VN nicht
ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt. In der Belehrung
im Policenbegleitschreiben sei das Schriftformerfordernis nicht erwähnt.
Die Belehrung im Antragsformular weise zwar darauf hin, sei aber nicht
maßgeblich. Der Vertrag sei gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr
nach Zahlung der ersten Prämie rückwirkend endgültig wirksam gewo r-
den.
II. Die Revision ist zulässig. Die auch in der Revisionsinstanz von
Amts wegen zu prüfende (vgl. BGH, Urteile vom 12. April 2011 - II ZR
197/09, NJW 2011, 2581 Rn. 10; vom 7. Juli 2008 - II ZR 26/07, WM
2008, 1615 Rn. 12; jeweils m.w.N.) Prozessführungsbefugnis d. VN ist
7
8
9
10
11
- 5 -
gegeben. Aus der vorgelegten Ermächtigung der proConcept ergibt sich,
dass d. VN im Rahmen einer gewillkürten Prozessstandschaft ermächtigt
ist, die abgetretenen Forderungen aus und im Zusammenhang mit dem
Versicherungsvertrag - somit auch einen Bereicherungsanspruch - im ei-
genen Namen gerichtlich geltend zu machen.
III. Die Revision ist auch begründet.
1. Der Anspruch auf Prämienrückzahlung folgt dem Grunde nach
aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB.
a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag
schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des
Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Wide r-
spruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
normierten Jahresfrist - rechtzeitig.
aa) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Festste l-
lungen des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. VN nicht or d-
nungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Wider-
spruchsrecht. Die allein maßgebliche Widerspruchsbelehrung in dem Po-
licenbegleitschreiben ist bereits insofern inhaltlich fehlerhaft, als sie ke i-
nen Hinweis darauf enthält, dass der Widerspruch schriftlich zu erheben
war (vgl. Senatsurteil vom 28. Januar 2004 - IV ZR 58/03, VersR 2004,
497 unter 3b). Zudem werden die Unterlagen, von deren Erhalt der B e-
ginn der Widerspruchsfrist nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. den Beginn
der Widerspruchsfrist abhängig machte, nicht genannt.
12
13
14
15
- 6 -
Für einen solchen Fall einer nicht ordnungsgemäßen Wider-
spruchsbelehrung bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass
das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt.
Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist
und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.
Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des G e-
richtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11,
BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die
Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert
werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten
Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon er-
fasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen
zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht,
wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum W i-
derspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder
die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.
bb) Die (hilfsweise) Kündigung des Versicherungsvertrages steht
dem späteren Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai
2014 aaO Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach
beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in
Betracht (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarecht s-
widrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur e i-
16
17
18
19
- 7 -
ne Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
2. Aus der wirksamen Widerspruchserklärung folgende bereiche-
rungsrechtliche Ansprüche waren bei Erhebung der Klage im Januar
2011 noch nicht verjährt. Zu diesem Zeitpunkt war die maßgebliche r e-
gelmäßige dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB nicht abgelaufen.
Diese konnte erst mit Schluss des Jahres 2009 beginnen, da d. VN erst
in diesem Jahr den Widerspruch erklärte. Der nach einem Widerspruch
gemäß § 5a VVG a.F. geltend gemachte Bereicherungsanspruch en t-
stand erst mit Ausübung des Widerspruchsrechts im Sinne von § 199
Abs. 1 Nr. 1 BGB; jedenfalls zu diesem Zeitpunkt hatte der Versich e-
rungsnehmer Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und
der Person des Schuldners im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB (vgl.
Senatsurteil vom 8. April 2015 - IV ZR 103/15, VersR 2015, 700
Rn. 19 ff.).
3. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwic k-
lung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versi-
cherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes
kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden;
bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung z u-
kommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.; Senatsurtei-
le vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101 Rn. 35 ff., IV ZR
448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 33 ff.).
Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuver-
20
21
22
- 8 -
weisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag
- auch zur Frage der Entreicherung (vgl. hierzu Senatsurteile vom
29. Juli 2015 - IV ZR 384/14 aaO Rn. 41 ff.; IV ZR 448/14, aaO
Rn. 46 ff.) - zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO
Rn. 46).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 16.06.2011 - 332 O 318/10 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 18.11.2011 - 9 U 121/11 -