Urteil des BGH vom 17.12.2014

Ablauf der Frist, Ex Nunc, Versicherer, Lebensversicherung, Prämie

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I V Z R 3 3 3 / 1 4
Verkündet am:
17. Dezember 2014
Schick
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf -Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftli-
chen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum
3. Dezember 2014 eingereicht werden konnten,
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil des
20. Zivilsenats
des
Oberlandesgerichts
Köln
vom
24. Februar 2012 aufgehoben und die Sache zur neuen
Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zu-
rückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
16.897,26
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer/in: im Folgenden d. VN)
begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer)
Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge eine r fondsgebundenen
Lebensversicherung (Vertrag Nr.
… ).
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Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Vertragsbeginn zum
1. Januar 1996 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in
der bei Antragstellung gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.)
abgeschlossen.
D. VN erklärte mit Schreiben vom 30. März 2010 u.a. Widerspruch
gemäß § 5a VVG a.F. bzw. nach § 8 VVG a.F. und Widerruf nach § 355
BGB a.F. Der Versicherer zahlte daraufhin den Rückkaufswert aus. Mit
Schreiben vom 11. Oktober 2010 erklärte d. VN nochmals Widerspruch
gemäß § 5a VVG a.F. bzw. nach § 8 VVG a.F. und Widerruf nach § 355
BGB a.F.
Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag ge-
leisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rüc k-
kaufswerts.
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen. Das Policenmodell sei mit den Lebensversiche-
rungsrichtlinien der Europäischen Union nicht vereinbar. Im Übrigen ha-
be auch nach Ablauf der Frist des - ebenfalls gegen Gemeinschaftsrecht
verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. der Widerspruch noch er-
klärt werden können.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht
die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision ve r-
folgt d. VN das Klagebegehren in Höhe vo
n 16.897,26 € weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Z u-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus unge-
rechtfertigter Bereicherung verneint. Es stehe zwar nicht fest, ob d. VN
ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt wurde. Jedenfalls
sei das Widerspruchsrecht aber gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein
Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erloschen.
II. Die Revision ist begründet.
1. Der Anspruch auf Prämienrückzahlung folgt dem Grunde nach
aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB.
a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag
schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des
Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Wide r-
spruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
normierten Jahresfrist - rechtzeitig.
Nach dem revisionsrechtlich maßgeblichen Sachverhalt belehrte
der Versicherer d. VN nicht ordnungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1
VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Das Berufungsgericht konnte
nicht feststellen, ob der Kläger mit der Übersendung des Versicherung s-
scheins über sein Widerspruchsrecht gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG
a.F. belehrt wurde. Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4
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VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der
ersten Prämie erlischt.
Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahre s-
frist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.
Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des G e-
richtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11,
VersR 2014, 817 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet,
die Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert
werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten
Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon er-
fasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen
zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht,
wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum W i-
derspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder
die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat (im Einzelnen dazu
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 22-34).
b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarecht s-
widrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur e i-
ne Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
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Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwic k-
lung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Vers i-
cherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes
kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden;
bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung z u-
kommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).
Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuve r-
weisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu
geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Bonn, Entscheidung vom 22.06.2011 - 9 O 70/11 -
OLG Köln, Entscheidung vom 24.02.2012 - 20 U 159/11 -
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