Urteil des BGH vom 13.07.2016

Lebensversicherung, Versicherer, Formerfordernis, Vertragsschluss

ECLI:DE:BGH:2016:130716BIVZR329.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IV ZR 329/15
vom
13. Juli 2016
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf-Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller
am 13. Juli 2016
beschlossen:
Die Revision gegen das Urteil des 20. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Köln vom 12. Juni 2015 wird gemäß
§ 552a Satz 1 ZPO auf Kosten der Beklagten zurückge-
wiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
871,08
€ festgesetzt.
Gründe:
Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten
(Versicherer) war gemäß § 552a ZPO zurückzuweisen, weil die Voraus-
setzungen für ihre Zulassung nicht vorliegen und die Revision keine
Aussicht auf Erfolg hat. Der Senat hat die Parteien mit Beschluss vom
23. März 2016 auf die beabsichtigte Zurückweisung hingewiesen. Auf die
dortigen Gründe wird ergänzend Bezug genommen. Der Schriftsatz des
Beklagtenvertreters vom 10. Mai 2016 gibt keine Veranlassung, von der
Zurückweisung der Revision abzusehen.
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1. Entgegen der Auffassung der Revision ist ein Widerspruchsrecht
d. VN nicht selbst dann ausgeschlossen, wenn man die Widerspruchsb e-
lehrung - wegen fehlenden Hinweises auf die erforderliche Textform - als
fehlerhaft ansieht. Dies folgt nicht, wie die Revision meint, aus § 5a
Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. Diese Vorschrift bestimmte zwar, dass das W i-
derspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt. Das
Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und
noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort. Das ergibt die richtl i-
nienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf der
Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen
Union vom 19. Dezember 2013 (VersR 2014, 225). Der Senat hat mit Ur-
teil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschie-
den und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse - abweichend vom
Wortlaut - richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden,
dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie
Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste L e-
bens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur L e-
bensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn
d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch
belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Vers i-
cherungsbedingungen nicht erhalten hat.
Etwas anderes gilt hier entgegen der Ansicht der Revision nicht
deshalb, weil bei Abschluss des streitgegenständlichen Versicherung s-
vertrages bereits die Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parl a-
ments und des Rates vom 5. November 2002 über Lebensversicherun-
gen in Kraft getreten war, durch welche die Zweite und die Dri tte Richtli-
nie Lebensversicherung, die in dem Verfahren IV ZR 76/11 noch ma ß-
geblich waren, ersetzt wurden. Ob gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 1 der
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Richtlinie 2002/83/EG gegenüber einem gewerblichen Versicherung s-
makler, der sich selbst einen Vertrag vermittelt h at, ein Lösungsrecht
ausgeschlossen werden kann, weil er "aufgrund seines Status" des b e-
sonderen Schutzes nicht bedarf, braucht hier nicht entschieden zu we r-
den. Dies kommt allenfalls dann in Betracht, wenn ein solcher Versich e-
rungsmakler über die Einzelheiten des Widerspruchsrechts genau infor-
miert war. Wie im Hinweisbeschluss (Rn. 19 f.) ausgeführt, musste das
Berufungsgericht nicht als unstreitig zugrunde legen, dass d. VN die M o-
dalitäten der Ausübung des Widerspruchsrechts bei Abschluss des Ve r-
sicherungsvertrages bekannt waren. Das Berufungsgericht konnte au f-
grund der Anhörung d. VN insbesondere nicht feststellen, dass er bei
Vertragsschluss wusste, wann die Widerspruchsfrist begann.
2. Die Geltendmachung des Widerspruchsrechts ist auch nicht, wie
im Hinweisbeschluss (Rn. 23 ff.) dargelegt, allein aufgrund des Zeitab-
laufs verwirkt, weil das erforderliche Umstandsmoment nicht erfüllt ist.
Auch insoweit genügt es entgegen der Ansicht der Revision nicht, dass
es sich bei d. VN um einen gewerbsmäßigen Versicherungsmakler han-
delte. Der Versicherer verweist ohne Erfolg darauf, er habe im Gegenzug
für die Provisionszahlungen erwarten dürfen, dass die Versicherungsi n-
teressenten (auch) durch d. VN als Makler ordnungsgemäß über das W i-
derspruchsrecht aufgeklärt würden. Dabei verkennt er, dass er - und
nicht der Versicherungsmakler - für die ordnungsgemäße Widerspruchs-
belehrung verantwortlich war. Dies gilt auch dann, wenn sich - wie hier -
ein Versicherungsmakler selbst eine Versicherung vermittelte und nicht
wusste, wann die Widerspruchsfrist begann. Das Wissensdefizit hinsich t-
lich der Voraussetzungen des Fristbeginns konnte nicht, wie die Revision
meint, durch die übrigen Angaben in der Widerspruchsbelehrung ausg e-
glichen werden, zumal d. VN nicht auf die nötige T extform des Wider-
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spruchs hingewiesen worden war. Dass d. VN das Formerfordernis kan n-
te, ist, wie im Hinweisbeschluss ausgeführt, nicht festgestellt worden. Mit
Blick darauf musste das Berufungsgericht auch die Inanspruchnahme
des Policendarlehens nicht als vertrauensbegründenden Umstand wer-
ten. Dafür reicht es nicht, wie die Revision einwendet, dass tatrichterlich
nicht festgestellt ist, dass d. VN im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des
Darlehens keine Kenntnis von seinem Widerspruchsrecht hatte. Eine sol-
che Kenntnis hätte d. VN mit der Widerspruchsbelehrung und nicht i r-
gendwann später auf anderem Weg vermittelt werden müssen.
Aus den genannten Erwägungen kann d. VN auch keine wide r-
sprüchliche und deshalb treuwidrige Rechtsausübung angelastet werden.
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 21.01.2015 - 26 O 177/14 -
OLG Köln, Entscheidung vom 12.06.2015 - 20 U 25/15 -
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