Urteil des BGH vom 19.11.2014

Rechtliches Gehör, Darlehen, Rückzahlung, Auszahlung, Beweislast

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I V Z R 3 1 7 / 1 3
vom
19. November 2014
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin Mayen, die Richter Wendt, Felsch, Lehmann und die Richterin
Dr. Brockmöller
am 19. November 2014
beschlossen:
Auf die Beschwerde des Klägers wird die Revision gegen
den Beschluss des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts
Koblenz vom 29. Juli 2013 zugelassen.
Der vorbezeichnete Beschluss wird gemäß § 544 Abs. 7
ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revision s-
verfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 20.950
Gründe:
I. Der Kläger begehrt vom Beklagten, seinem Vater, die Rückza h-
lung eines ihm am 2. J
uni 2005 überwiesenen Betrages von 20.950 €
nebst Zinsen sowie den Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten. Die Pa r-
teien streiten darüber, ob der Geldbetrag, der aus der Auszahlung des
Rückkaufswerts einer Lebensversicherung stammte, welche der Beklagte
für den Kläger unterhalten hatte, dem Beklagten als Darlehen gegeben
war oder ob es sich um eine Schenkung handelte.
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II. Das Landgericht hat die Klage nach Vernehmung mehrerer Zeu-
gen abgewiesen, weil es den Beweis einer Darlehensabsprache als nicht
erbracht ansah. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers ist er-
folglos geblieben.
Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, Fehler in
der Beweiswürdigung des Landgerichts, das sich unter umfassender, w i-
derspruchsfreier und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze ver-
stoßender Würdigung der Zeugenaussagen und sonstigen Umstände
keine hinreichende Überzeugung von einer darlehensweisen Überla s-
sung des Geldbetrages habe bilden können, seien nicht zu erkennen.
Die Umstände drängten eine Hingabe als Darlehen nicht auf, die Be-
weiswürdigung durch das Landgericht sei möglich und überzeugend.
III. Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete B e-
schwerde des Klägers ist begründet und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO
zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverwei-
sung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
1. Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings entgegen der Auf-
fassung der Beschwerde davon ausgegangen, dass den Kläger die Be-
weislast für eine Hingabe des Geldbetrages als Darlehen trifft. Wer die
Rückzahlung eines Darlehens begehrt, muss nach gefestigter Rech t-
sprechung des Bundesgerichtshofs außer der Auszahlung der Valuta
auch die Einigung der Parteien über die Hingabe als Darlehen beweisen
und einen vom Beklagten behaupteten anderen Rechtsgrund ausschlie-
ßen (Senatsbeschluss vom 26. September 2007 - IV ZR 145/07, juris
Rn. 4 m.w.N.).
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Anders als die Beschwerde meint, ergibt sich Gegenteiliges nicht
aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14. November 2006 (X ZR
34/05, BGHZ 169, 377). In jenem Fall ging es nicht um einen Darlehens -,
sondern um einen Bereicherungsanspruch. Nur für die dort gegebene
besondere Situation (Abhebungen vom Konto des Gläubigers durch den
Zahlungsempfänger) ist dem Schuldner die Beweislast für das behaupte-
te Schenkungsversprechen und damit das Bestehen des geltend g e-
machten Rechtsgrundes auferlegt worden. Dass dieses auch dann gilt,
wenn der Anspruchsteller geltend macht, er habe ein Darlehen gewährt,
lässt sich diesem Urteil nicht entnehmen.
2. Zu Recht rügt die Beschwerde aber, dass die angefochtene En t-
scheidung den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör in entsche i-
dungserheblicher Weise verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG), da die vom Kläger
- bereits erstinstanzlich - für eine Darlehensabrede benannten Zeugen
Sascha P. und Lydia F. nicht vernommen worden sind.
Insoweit hat das Berufungsgericht die Anforderungen an die Da r-
legungslast des Klägers überspannt. Eine Partei genügt nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ihren Substantiierungspflichten,
wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz
geeignet sind, das geltend gemachte Recht als bestehend erscheinen zu
lassen. Genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen an die Su b-
stantiierung, kann der Vortrag weiterer Einzeltatsachen nicht verlangt
werden (Senatsurteil vom 18. April 2012 - IV ZR 147/10, VersR 2012,
1110 Rn. 17; Senatsbeschluss vom 21. September 2011 - IV ZR 95/10,
VersR 2011, 1432 Rn. 8; jeweils m.w.N.). Der Pflicht zur Substantiierung
ist nur dann nicht genügt, wenn das Gericht aufgrund der Darstellung
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nicht beurteilen kann, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der an eine
Behauptung geknüpften Rechtsfolgen erfüllt sind. Dagegen ist es Sache
des Tatrichters, bei der Beweisaufnahme die Zeugen oder die zu ver-
nehmende Partei nach allen Einzelheiten zu fragen, die ihm für die Beu r-
teilung der Zuverlässigkeit der Bekundungen erforderlich erscheinen
(BGH, Urteile vom 25. Juli 2005 - II ZR 199/03, BGH-Report 2005, 1589
unter II 2 b und vom 13. Juli 1998 - II ZR 131/97, VersR 1999, 1120 un-
ter I; Beschluss vom 1. Juni 2005 - XII ZR 275/02, NJW 2005, 2710 unter
II 2 a). Die Vernehmung der Zeugen - die schon im landgerichtlichen
Verfahren ebenso zu der behaupteten Darlehensabrede benannt waren
wie die vom Landgericht vernommenen Zeugen - durfte deshalb nicht
davon abhängig gemacht werden, dass der Kläger weitere Anhaltspunkte
zu ihrer Anwesenheit bei Unterredungen der Parteien im Zusammenhang
mit der Geldübergabe vorträgt.
3. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass die
Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts nicht auf die des Revision s-
gerichts beschränkt ist. Das Berufungsgericht hat nicht nur zu überprü-
fen, ob der Tatrichter in erster Instanz den Prozessstoff und die Bewei s-
ergebnisse umfassend und widerspruchsfrei geprüft hat und seine Wü r-
digung vollständig und rechtlich möglich ist, ohne gegen Denkgesetze
und Erfahrungssätze zu verstoßen, wie das Berufungsgericht insbeso n-
dere in seinem Hinweisbeschluss auf Seite 3 ausgeführ t hat. Es hat
vielmehr den Prozessstoff auf der Grundlage der nach § 529 ZPO b e-
rücksichtigungsfähigen Tatsachen auch dahin zu überprüfen, ob die Be-
weiswürdigung des erstinstanzlichen Gerichts bei Berücksichtigung aller
Gesichtspunkte sachlich überzeugend ist (BGH, Urteil vom 12. April 2011
- VI ZR 300/09, VersR 2011, 769 Rn. 22 m.w.N.); die Berufung kann mit-
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hin - anders als eine Revision - auch auf eine von der ersten Instanz ab-
weichende Würdigung von Zeugenaussagen gestützt werden.
Die Aufhebung und Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht
zugleich Gelegenheit, die Beweiswürdigung des Landgerichts zu dem
angeblich unüberbrückbaren Widerspruch zwischen den Erklärungen des
Klägers und den Aussagen der beiden Zeuginnen P . zum Zeitpunkt der
behaupteten Vereinbarung noch einmal unter Berücksichtigung der hie r-
gegen in der Nichtzulassungsbeschwerde erhobenen Einwände zu prü-
fen.
Mayen Wendt Felsch
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Koblenz, Entscheidung vom 14.02.2013 - 1 O 314/12 -
OLG Koblenz, Entscheidung vom 29.07.2013 - 3 U 252/13 -
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