Urteil des BGH vom 12.10.2015

Treu Und Glauben, Versicherungsnehmer, Vollzug, Lebensversicherung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I V Z R 2 9 3 / 1 4
vom
12. Oktober 2015
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf-Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller
am 12. Oktober 2015
beschlossen:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberlan-
desgerichts München - 25. Zivilsenat - vom 27. Juni 2014
wird gemäß § 552a Satz 1 ZPO auf ihre Kosten zurück-
gewiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
12.730,70
€ festgesetzt.
Gründe:
Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerseite
(Versicherungsnehmerin: im Folgenden d. VN) war gemäß § 552a ZPO
zurückzuweisen, weil die Voraussetzungen für ihre Zulassu ng nicht vor-
liegen und die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat. Der Senat hat die
Parteien mit Beschluss vom 17. August 2015 auf die beabsichtigte Zu-
rückweisung hingewiesen. Auf die dortigen Gründe wird ergänzend B e-
zug genommen.
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Der Schriftsatz des Klägervertreters vom 27. August 2015 gibt kei-
ne Veranlassung, von der Zurückweisung der Revision abzusehen.
Soweit dort darauf hingewiesen wird, die Revision sei auf die E u-
roparechtswidrigkeit des Policenmodells insgesamt gestützt, begründet
dies im Streitfall nicht die Pflicht zu einer Vorlage an den Gerichtshof der
Europäischen Union, da es auf diese Frage hier nicht entscheidungse r-
heblich ankommt. Wie der Senat in seinem Hinweisbeschluss näher au s-
geführt hat, wäre es d. VN, die trotz Belehrung darüb er, dass sie den
Vertrag nicht zustande kommen lassen musste, diesen bis zum Wide r-
spruch über zwölf Jahre und fünf Monate durchgeführt hat, wegen wide r-
sprüchlichen Verhaltens verwehrt, sich bei unterstellter Gemeinschaft s-
rechtswidrigkeit des Policenmodells auf eine Unwirksamkeit des Vertra-
ges zu berufen. Die Frage einer möglichen Vorlage an den Gerichtshof
der Europäischen Union in einem Fall, in dem kein widersprüchliches
Verhalten der Versicherungsnehmer festgestellt werden kann, stellt sich
im Streitfall nicht. Entgegen der Ansicht der Revision sind die Maßstäbe
für die Berücksichtigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben in
der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auch g e-
klärt (siehe im Einzelnen Senatsurteil vom 16. Juli 2014 - IV ZR 73/13,
BGHZ 202, 102 Rn. 41 f.; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 4. März
2015 - 1 BvR 3280/14, juris Rn. 31 ff. m.w.N.) und die Annahme rechts-
missbräuchlichen Verhaltens steht in Fällen wie dem vorliegenden in
Einklang mit dieser Rechtsprechung (vgl. Senatsurteil aaO; vgl. auch
BVerfG aaO).
Soweit die Revision geltend macht, es sei unionsrechtlich ung e-
klärt, ob verbraucherschützende Widerspruchsrechte durch nationale
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Vorschriften zum Rechtsmissbrauch beschränkt werden dürften, berührt
dies zwar das Gebot der praktischen Wirksamkeit. Der Anwendung des
Grundsatzes von Treu und Glauben und des Verbots widersprüchlicher
Rechtsausübung steht dies aber nicht entgegen, weil die Ausübung di e-
ser Rechte in das nationale Zivilrecht eingebettet bleibt und die n ationa-
len Gerichte ein missbräuchliches Verhalten auch nach der Rechtspr e-
chung des Gerichtshofs der Europäischen Union berücksichtigen dürfen
(BVerfG aaO Rn. 32 m.w.N.).
Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben beeinträc h-
tigt auch angesichts der besonderen Umstände des Streitfalles die pra k-
tische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts und den Sinn und Zweck
des Widerspruchsrechts nicht. Die Erwägungen der Zweiten und Dritten
Richtlinie Lebensversicherung, eine genaue Belehrung der Versich e-
rungsnehmer über ihr Rücktrittsrecht vor Abschluss des Vertrages s i-
cherzustellen, werden auch hier nicht berührt, denn entscheidend ist im
Streitfall, dass d. VN, die dem geltenden nationalen Recht entsprechend
ordnungsgemäß über die Möglichkeit belehrt worden ist , den Vertrag oh-
ne Nachteile nicht zustande kommen zu lassen, diesen gleichwohl in
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Vollzug gesetzt und über mehrere Jahre durchgeführt hat (vgl. ergä n-
zend Senatsurteil vom 10. Juni 2015 - IV ZR 105/13, VersR 2015, 876
Rn. 13 f.).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG München II, Entscheidung vom 19.02.2014 - 10 O 5150/13 Ver -
OLG München, Entscheidung vom 27.06.2014 - 25 U 1044/14 -