Urteil des BGH vom 22.02.2017

Leitsatzentscheidung zu Versicherer, Versicherungsnehmer, Treu Und Glauben, Eintritt des Versicherungsfalles

ECLI:DE:BGH:2017:220217UIVZR289.14.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 289/14
Verkündet am:
22. Februar 2017
Heinekamp
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
VVG § 14 Abs. 1, § 31 Abs. 1, § 213 Abs. 1
1. Zu den zur Feststellung des Versicherungsfalles und des Umfanges der
Leistung des Versicherers notwendigen Erhebungen im Sinne des § 14
Abs. 1 VVG zählen auch solche, die klären sollen, ob der Vers icherungs-
nehmer bei Vertragsschluss seine vorvertraglichen Anzeigeobliegenheiten
im Sinne von § 19 Abs. 1 Satz 1 VVG erfüllt hat.
2. a) Zur Feststellung des Versicherungsfalles oder des Umfanges der Lei s-
tungspflicht des Versicherers sind auch solche Ausk ünfte erforderlich
im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 1 VVG, die der Prüfung vorvertraglicher
Anzeigeobliegenheitsverletzungen dienen. Die den Versicherungsne h-
mer insoweit treffende Mitwirkungsobliegenheit ist nicht auf Fälle b e-
schränkt, in denen bereits eine konkrete Verdachtslage für eine Anzei-
geobliegenheitsverletzung besteht.
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b) Der Versicherungsnehmer hat bei der Erhebung von Daten durch den
Versicherer grundsätzlich nur insoweit mitzuwirken, als diese zur Pr ü-
fung des Leistungsfalles relevant sind. Kann der Umfang der Datener-
hebung nicht von vornherein auf entsprechende Informationen b e-
schränkt werden, weil dem Versicherer noch unbekannt ist, worauf er
sein Augenmerk zu richten hat, so erstreckt sich die Obliegenheit des
Versicherungsnehmers zunächst auf die Einholung solcher weniger
weitreichender und persönlichkeitsrelevanter Vorinformationen, die dem
Versicherer eine Konkretisierung ermöglichen, welche Informationen im
Weiteren tatsächlich für die Leistungsprüfung relevant sind.
3. § 213 Abs. 1 VVG steht einer Datenerhebung des Versicherers zum Zwe-
cke der Überprüfung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheitsverletzungen
des Versicherungsnehmers nicht entgegen.
BGH, Urteil vom 22. Februar 2017 - IV ZR 289/14 - KG
LG Berlin
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin Mayen, den Richter Felsch, die Richterin Harsdorf-Gebhardt,
den Richter Lehmann und die Richterin Dr. Bußmann auf die mündliche
Verhandlung vom 22. Februar 2017
für Recht erkannt:
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des 6. Zivilse-
nats des Kammergerichts in Berlin-Schöneberg vom
8. Juli 2014 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis
95.000
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die unbekannten Erben des während des Revisionsverfahrens
verstorbenen Klägers (im Folgenden weiterhin als Kläger bezeichnet)
fordern Leistungen aus einer bei der Beklagten seit April 20 09 gehalte-
nen Berufsunfähigkeitsversicherung, welcher "Allgemeine Versiche-
rungsbedingungen für die BerufsunfähigkeitsPolice I. " der Be-
klagten (im Folgenden: AVB) zugrunde liegen. Diese lauten auszugswei-
se wie folgt:
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"§ 22 Welche Mitwirkungspflichten sind zu beachten,
wenn Leistungen wegen Berufsunfähigkeit verlangt
werden?
[…]
(2) Wir können außerdem, dann allerdings auf unsere
Kosten, weitere Untersuchungen durch von uns beauftra g-
te Ärzte und sonstige Sachverständige sowie notwendige
Nachweise - auch über die wirtschaftlichen Verhältnisse
und ihre Veränderungen - verlangen, insbesondere zu-
sätzliche Auskünfte und Aufklärungen, auch die des A r-
beitgebers über den Beruf im Zeitpunkt des Abschlusses
des Vertrages. Die versicherte Person hat Ärzte, Kran-
kenhäuser und sonstige Krankenanstalten sowie Pflege-
heime, bei denen sie in Behandlung oder Pflege war oder
sein wird, sowie Sachverständige, Pflegepersonen, and e-
re Personenversicherer und Behörden sowie wegen des
Berufs auch den Arbeitgeber zu ermächtigen, uns auf Ver-
langen Auskunft zu erteilen.
[…]"
Mit Schreiben vom 18. Mai 2010 zeigte der Kläger, zu diesem
Zeitpunkt noch Bezirksleiter einer Bausparkasse, der Beklagten an, dass
er aufgrund eines Burnout-Syndroms nicht mehr in der Lage sei, seine
berufliche Tätigkeit auszuüben.
Im Februar 2011 meldete er bei der Beklagten Ansprüche aus der
Berufsunfähigkeitsversicherung an. Hierauf bat ihn die Beklagte unter
anderem um die Unterzeichnung von Schweigepflichtentbindungserklä-
rungen zur Einholung von Auskünften bei verschiedenen Stellen. Nach-
dem der Kläger mitgeteilt hatte, er werde die Erhebung von Auskünften
bei der Krankenkasse nur genehmigen, soweit sie sich auf die Berufsu n-
fähigkeit bezögen, wies die Beklagte ihn darauf hin, dass sie auch prüfen
wolle, ob der Versicherungsvertrag ordnungsgemäß zustande gekommen
sei.
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Zur Abgabe einer Schweigepflichtentbindung zu diesem Zweck war
der Kläger im Weiteren nicht bereit. Eine von ihm zuvor noch formulierte
und unterzeichnete "Einwilligung und Schweigepflichtentbindungserklä-
rung" hatte die Beklagte zunächst als unzureichend abgelehnt; als sie
diese später dennoch für eine Abfrage der Gesundheitsverhältnisse des
Klägers für die Zeit ab Juni 2002 nutzen wollte, widersprach der Kläger
dieser Datenerhebung ausdrücklich, soweit sie die Überprüfung "vorver-
traglicher Anzeigepflichtverletzungen" betreffe. Daraufhin teilte die Be-
klagte dem Kläger mit, sie stelle die weitere Leistungsprüfung ein, und
berief sich darauf, die geltend gemachten Leistungsansprüche des Klä-
gers seien nicht fällig.
Mit seiner Klage hat der Kläger die Zahlung von Berufsunfähig-
keitsrente, die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur jährl i-
chen Rentenerhöhung sowie die Freistellung von der Prämienzahlung
begehrt.
Das Landgericht hat die Klage als derzeit unbegründet abgewi e-
sen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Kammerg e-
richt zurückgewiesen. Die Revision des Klägers verfolgt die erhobenen
Ansprüche weiter.
Entscheidungsgründe:
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I. Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in VersR 2014,
1191 veröffentlicht ist, hat ausgeführt, der Leistungsanspruch des Kl ä-
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gers sei derzeit jedenfalls nicht fällig, da die Beklagte ihre Leistungsprü-
fung nicht abschließen könne. Es fehle die erforderliche Einwilligung des
Klägers, die es der Beklagten ermögliche, Gesundheitsdaten aus der Zeit
vor dem Vertragsschluss zu erheben. Infolgedessen habe die Beklagte
nicht prüfen können, ob die behauptete Berufsunfähigkeit bereits vor
Vertragsbeginn eingetreten sei und ob ihr eventuell wegen einer Verlet-
zung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheiten des Klägers ein Anfech-
tungs- oder Rücktrittsrecht zustehe.
Zur Feststellung des Versicherungsfalles gehöre auch die Prüfung,
ob der Versicherungsvertrag wirksam zustande gekommen sei und sich
das versicherte Risiko erst nach Beginn des Versicherungsschutzes ve r-
wirklicht habe. Die hierfür benötigten Daten dürfe der Versicherer im
Rahmen der Leistungsprüfung erheben. Dem stehe weder § 213 VVG
noch das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung ent-
gegen.
Der Versicherer sei nicht verpflichtet, die Verletzung vorvertragli-
cher Anzeigeobliegenheiten ausschließlich vor Vertragsschluss zu prü-
fen. Die Erhebung vorvertraglicher Gesundheitsdaten sei weder auf Um-
stände beschränkt, die Einfluss auf den Versicherungsfall gehabt haben
könnten, noch auf Fälle, in denen bereits ein konkreter Anfangsverdacht
für eine vorvertragliche Anzeigeobliegenheitsverletzung vorliege. Im
Streitfall habe aber ohnehin ein ausreichender Prüfungsanlass wegen
der zeitlichen Nähe der Vertragserklärung des Klägers zu der vorgetra-
genen Diagnose bestanden.
Die Beklagte habe im Laufe des Rechtsstreits auch nicht auf die
Datenerhebung verzichtet.
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II. Das hält der rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.
Ein Leistungsanspruch des Klägers ist derzeit jedenfalls noch nicht
fällig, weil die Beklagte notwendige Erhebungen zur Prüfung vorvertrag-
licher Anzeigeobliegenheitsverletzungen des Klägers aufgrund dessen
unzureichender Mitwirkung nicht hat abschließen können.
1. Die Fälligkeit des Leistungsanspruchs hängt nach § 14 Abs. 1
VVG auch vom Abschluss der Ermittlungen des Versicherers zur Frage
einer vorvertraglichen Anzeigeobliegenheitsverletzung des Versiche-
rungsnehmers ab.
a) Gemäß § 14 Abs. 1 VVG sind Geldleistungen des Versicherers
mit der Beendigung der zur Feststellung des Versicherungs falles und des
Leistungsumfangs notwendigen Erhebungen fällig. Hierzu zählen entge-
gen der Auffassung der Revision auch solche Nachforschungen, die klä-
ren sollen, ob der Versicherungsnehmer bei Vertragsschluss seine vor-
vertraglichen Anzeigeobliegenheiten im Sinne von § 19 Abs. 1 Satz 1
VVG ordnungsgemäß erfüllt hat (OLG Hamburg VersR 2010, 749, 750;
OLG Hamm VersR 2015, 1497, 1498; OLG Köln VersR 2015, 305; HK-
VVG/Muschner, 3. Aufl. § 14 Rn. 16, 25; MünchKomm-VVG/Fausten,
2. Aufl. § 14 Rn. 22; Armbrüster in Prölss/Martin, VVG 29. Aufl. § 14
Rn. 8; Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG 5. Aufl. § 14 Rn. 6; Marlow/
Spuhl, Das Neue VVG kompakt 4. Aufl. Rn. 1460; Neuhaus, Berufs unfä-
higkeitsversicherung 3. Aufl. P Rn. 84; Britz, VersR 2015, 410, 411;
Fricke, VersR 2009, 297, 300; Höra, r+s 2008, 89, 93; Rixecker, ZfS
2007, 556; a.A. Egger, VersR 2015, 1209, 1211).
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b) Anders als die Revision meint, steht dem nicht entgegen , dass
vorvertragliche Anzeigeobliegenheitsverletzungen weder den Eintritt des
Versicherungsfalles betreffen, noch Auswirkungen auf die Bemessung
der Versicherungsleistung haben, da sie lediglich rechtsvernichtende
Gestaltungsrechte (Rücktritt nach § 19 Abs. 2 VVG und Arglistanfech-
tung nach § 22 VVG i.V.m. § 123 BGB) begründen können (so aber
Egger, VersR 2015, 1209, 1210 f.; ders., VersR 2014, 1304, 1306).
aa) Soweit der Wortlaut des § 14 Abs. 1 VVG die Fälligkeit der
Geldleistungen des Versicherers von der Beendigung der "zur Feststel-
lung des Versicherungsfalles und des Umfanges der Leistung des Vers i-
cherers notwendigen Erhebungen" abhängig macht, wird davon auch die
Prüfung der Vertragswirksamkeit erfasst. Sowohl der Versicherungsfall
als auch der Umfang einer auf diesen gestützten Versicherungsleistung
setzen einen wirksamen Versicherungsvertrag voraus.
bb) Für dieses weite Verständnis des § 14 Abs. 1 VVG sprechen
Sinn und Zweck der Vorschrift, die dem Versicherer angesichts häufig
schwieriger rechtlicher und tatsächlicher Fragen Zeit zur Prüfung ein-
räumen will, ob und in welcher Höhe er zur Leistung verpflichtet ist (J o-
hannsen in Bruck/Möller, 9. Aufl. § 14 VVG Rn. 3). Dies erstreckt sich
auch auf Fragen nach der Wirksamkeit des Versicherungsvertrages, wel-
che die grundlegende Voraussetzung für die Leistungsverpflichtung des
Versicherers bildet. Denn es widerspräche dem Zweck des § 14 Abs. 1
VVG, die Fälligkeit der Versicherungsleistung ungeachtet des Vorliegens
von Umständen eintreten zu lassen, welche die Vertragswirksamkeit in-
frage stellen.
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cc) Eine Unterscheidung danach, ob tatsächliche Umstände die
Leistungspflicht des Versicherers unmittelbar entfallen lassen oder ihm
lediglich ein Gestaltungsrecht verschaffen, den Versicherungsvertrag
durch eine Anfechtungs- oder Rücktrittserklärung zu Fall zu bringen, ist
insoweit nicht geboten. Denn das von § 14 Abs. 1 VVG letztlich ge-
schützte Interesse des Versicherers und der Versichertengemeinschaft,
Leistungen nicht ohne Grund oder auf Grundlage einer unzureichenden
Prüfung erbringen zu müssen, ist in beiden Fällen gleichermaßen be-
rührt.
2. Die Erhebungen der Beklagten zur Frage vorvertraglicher An-
zeigeobliegenheitsverletzungen des Klägers sind in Anbetracht seiner
Weigerung, in jeglicher Weise an der Beschaffung der insoweit relevan-
ten Gesundheitsdaten bei seinen Krankenkassen sowie dem ihn beha n-
delnden Arzt mitzuwirken, nicht als beendet im Sinne des § 14 Abs. 1
VVG anzusehen.
a) Ob das auch dann gälte, wenn der Versicherungsnehmer aus
keinem rechtlichen Grund zur Mitwirkung bei einer solchen Datenerhe-
bung des Versicherers gehalten wäre (Spuhl, VuR 2009, 1, 4; Looschel-
ders, JR 2010, 530, 532), kann dahinstehen, denn im Streitfall traf den
Kläger eine entsprechende Obliegenheit. Diese ergibt sich allerdings
nicht aus § 22 Abs. 2 Satz 2 AVB, der infolge unangemessener Benach-
teiligung des Versicherungsnehmers gemäß § 307 BGB unwirksam ist
(hierzu aa)), sondern aus § 22 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AVB i.V.m. § 31
Abs. 1 Satz 2 VVG (hierzu bb)).
aa) § 22 Abs. 2 Satz 2 AVB hält der Inhaltskontrolle nach § 307
Abs. 1 Satz 1 BGB nicht stand. Die Klausel bestimmt, dass die versicher-
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te Person im Rahmen der Leistungsprüfung bestimmte Auskunftsperso-
nen zu ermächtigen hat, auf Verlangen des Versicherers Auskunft zu er-
teilen. Das benachteiligt den Versicherungsnehmer entgegen dem Gebot
von Treu und Glauben unangemessen, weil das Recht des Versicherten
auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1
Abs. 1 GG missachtet wird. Damit widerspricht die Klausel zugleich dem
Grundgedanken des § 213 VVG.
(1) Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistet
als besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrec hts die
Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und
Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (grundlegend:
BVerfGE 65, 1, 43). Als Grundrecht entfaltet es im Privatrecht seine
Wirkkraft über die Vorschriften, die das jeweilige Rechtsgebiet unmittel-
bar beherrschen (sog. mittelbare Drittwirkung; hierzu grundlegend:
BVerfGE 7, 198, 205), und ist insbesondere bei der Auslegung von Ge-
neralklauseln (BVerfG aaO 205 f.), wie hier von § 307 Abs. 1 Satz 1
BGB, zu beachten.
(2) Demgemäß sind Bestimmungen in allgemeinen Versicherung s-
bedingungen als unangemessene Benachteiligung des Versicherungs-
nehmers anzusehen, die einen informationellen Selbstschutz vereiteln
oder unzumutbar werden lassen (Senatsurteil vom 13. Juli 2016 - IV ZR
292/14, VersR 2016, 1173 Rn. 29 m.w.N.). Nach Auslegung von § 22
Abs. 2 Satz 2 AVB ist das hier der Fall.
(a) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie
ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer
sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter B e-
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rücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei
kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers
ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse an (Senatsurteile vom
17. Februar 2016 - IV ZR 353/14, VersR 2016, 720 Rn. 15; vom 23. Juni
1993 - IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83, 85; st. Rspr.).
(b) Ein solcher Versicherungsnehmer entnimmt § 22 Abs. 2 Satz 2
AVB, dass der Versicherte im Fall der Geltendmachung von Leistungs-
ansprüchen die dort genannten Auskunftspersonen uneingeschränkt zu
ermächtigen hat, dem Versicherer auf dessen Verlangen hin unmittelbar
Auskunft zu erteilen. Eine inhaltliche Begrenzung dieser Verpflichtung
auf Auskünfte etwa nur zu bestimmten Themen oder Zeiträumen lässt
sich für ihn nicht ersehen.
In dieser Auslegung nimmt die Klausel dem Versicherten die Mög-
lichkeit, die Sachdienlichkeit der Informationserhebung zu überprüfen
und die Preisgabe - auch sensibler - Daten selbst zu steuern (vgl. Höra
in Bruck/Möller, VVG 9. Aufl. § 213 Rn. 68; MünchKomm-VVG/Wandt,
2. Aufl. § 31 Rn. 68; Benkel/Hirschberg, Lebens- und Berufsunfähigkeits-
versicherung 2. Aufl. § 4 BUZ 2008 Rn. 6; Neuhaus, Berufsunfähigkeits-
versicherung 3. Aufl. P Rn. 7; ders./Kloth, NJOZ 2 009, 1370, 1393;
Rixecker, ZfS 2007, 37).
(c) Zugleich steht § 22 Abs. 2 Satz 2 AVB damit in Widerspruch zu
dem Grundgedanken des § 213 VVG. Dieser regelt zwar nach seinem
Wortlaut lediglich die Voraussetzungen, unter denen der V ersicherer be-
rechtigt ist, personenbezogene Daten bei Dritten zu erheben, und nicht
die Frage, inwiefern der Versicherte vertraglich angehalten werden kann,
für den Versicherer diese Voraussetzungen zu schaffen. Die Vorschrift
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soll aber nach dem Willen des Gesetzgebers gerade auch die Grundsät-
ze aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Okt o-
ber 2006 (VersR 2006, 1669) umsetzen und den verfassungsrechtlich
geforderten wirkungsvollen Selbstschutz gewährleisten (vgl. Beschlus s-
empfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 28. Juni 2007,
BT-Drucks. 16/5862 S. 100; Höra, r+s 2008, 89, 93). Dem widerspräche
es, die Ausübung der dazu geschaffenen gesetzlichen Möglichkeiten des
Versicherten, die nach Abs. 1 erforderliche Einwilligung zu verweigern
oder trotz erteilter Einwilligung der Datenerhebung nach Abs. 2 Satz 2 zu
widersprechen, regelmäßig als Verstoß gegen vertragliche Mitwi r-
kungsobliegenheiten
anzusehen
(vgl.
MünchKomm-VVG/Eberhardt,
§ 213 Rn. 75). Denn die Wahrnehmung verfassungsrechtlich gebotener
Rechte kann grundsätzlich nicht als Obliegenheitsverletzung gewertet
werden (Höra in Bruck/Möller, 9. Aufl. § 213 VVG Rn. 68; Britz, Die E r-
hebung personenbezogener Gesundheitsdaten durch Versicherungs un-
ternehmen bei Dritten gemäß § 213 VVG unter Berücksichtigung des
Gendiagnostikgesetzes, 2011 S. 211; Marlow/Spuhl, Das Neue VVG
kompakt 4. Aufl. Rn. 1473).
bb) Den Kläger trifft indes eine Obliegenheit zur Mitwirkung bei der
Datenerhebung der Beklagten - auch zur Frage vorvertraglicher Anzei-
geobliegenheitsverletzungen - aus § 22 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AVB i.V.m.
§ 31 Abs. 1 Satz 2 VVG.
(1) Gemäß § 31 Abs. 1 VVG kann der Versicherer nach dem Ein-
tritt des Versicherungsfalles verlangen, dass der Versicherungsnehmer
jede Auskunft erteilt, die zur Feststellung des Versicherungsfalles oder
des Umfanges der Leistungspflicht des Versicherers erforderlich ist
(Satz 1), und dass ihm insoweit Belege vorgelegt werden, als deren Be-
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schaffung dem Versicherungsnehmer billigerweise zugemutet werden
kann (Satz 2). § 22 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AVB gestaltet die gesetzliche
Regelung dahingehend aus, dass der Versicherer auf seine Kosten vom
Versicherungsnehmer notwendige Nachweise - auch über die wirtschaft-
lichen Verhältnisse und ihre Veränderungen - fordern kann, insbesonde-
re zusätzliche Auskünfte und Aufklärungen, auch die des Arbeitgebers
über den Beruf im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses.
§ 31 Abs. 1 VVG entspricht § 34 VVG a.F. (BT-Drucks. 16/3945
S. 70) und beruht auf dem Gedanken einer kooperativen Regulierung
des Versicherungsfalles auf der Basis eines strukturierten, von Treu und
Glauben beherrschten Informations- und Kommunikationsprozesses, der
die zwischen den Vertragsparteien bestehende Informationsasymmetrie
ausgleichen und dem Versicherer damit die Prüfung seiner eventuellen
Leistungspflicht ermöglichen soll (vgl. Brömmelmeyer in Bruck/Möller,
9. Aufl. § 31 VVG Rn. 2 m.w.N.). Die nach dem Gesetz zwar sanktionslo-
se, für den Versicherungsnehmer dennoch verbindliche Obliegenheit
nach § 31 Abs. 1 VVG setzt ein Verlangen des Versicherers voraus (vgl.
zur Erforderlichkeit einer Aufforderung des Versicherers im Fall der Au s-
kunftsobliegenheit des Versicherungsnehmers: Senatsurteil vom 16. No-
vember 2005 - IV ZR 307/04, VersR 2006, 258 Rn. 16 m.w.N.). Danach
muss der Versicherungsnehmer dem Versicherer, der sich ein klares Bild
von seiner Leistungspflicht machen will, erst auf entsprechende Auffor-
derung hin weitere Kenntnisse verschaffen und Beweise erbringen (Mö l-
ler in Bruck/Möller, 8. Aufl. § 34 VVG Anm. 3 f.).
Dabei kommt dem Versicherer grundsätzlich ein erheblicher Beur-
teilungsspielraum zu, welche Angaben er zur Ermittlung des Sachve r-
halts für erforderlich hält, um seine Entscheidung über die Leistung s-
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pflicht auf ausreichender und gesicherter Tatsachengrundlage treffen zu
können. Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob sich die geforderten
Angaben nach dem Ergebnis der Prüfung tatsächlich als wesentlich e r-
weisen, da die Frage der Erforderlichkeit ex ante zu beurteilen ist (zum
Vorstehenden: Senatsurteile vom 13. Juli 2016 - IV ZR 292/14, VersR
2016, 1173 Rn. 34; vom 22. Oktober 2014 - IV ZR 242/13, VersR 2015,
45 Rn. 18; vom 16. November 2005 - IV ZR 307/04, VersR 2006, 258
Rn. 14; jeweils m.w.N.).
(2) Umstritten ist aber, ob der Versicherer auch nach Umständen
fragen und die Vorlage von Belegen verlangen darf, die es ihm erlauben,
die Verletzung von vorvertraglichen Anzeigeobliegenheiten durch den
Versicherungsnehmer zu beurteilen, insbesondere wie das Tatbe-
standsmerkmal des § 31 Abs. 1 Satz 1 VVG "zur Feststellung des Versi-
cherungsfalles oder des Umfanges der Leistungspflicht des Versicherers
erforderlich" auszulegen ist.
Älterer obergerichtlicher Rechtsprechung und einem Teil des
Schrifttums zufolge soll eine eng am Wortlaut orientierte Auslegung ge-
boten sein, nach der die Aufklärungsobliegenheit über die Abwicklung
des konkreten Versicherungsfalles nicht hinausgeht und sich damit nicht
auf Umstände erstreckt, die ausschließlich Anfechtungs - und Rücktritts-
gründe zu begründen vermögen (noch zu § 34 VVG a.F.: OLG Hamm
VersR 1978, 1060, 1061; OLG Köln r+s 1993, 72, 74; Möl ler in Bruck/
Möller, 8. Aufl. § 34 VVG Anm. 12; zu § 31 VVG n.F.: MünchKomm-VVG/
Wandt, 2. Aufl. § 31 Rn. 39; Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG 5. Aufl.
§ 31 VVG Rn. 10; ders. in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versiche-
rungsrechts-Handbuch 3. Aufl. § 46 Rn. 210; Egger, VersR 2015, 1209,
1210; ders., VersR 2014, 1304, 1306; ders., VersR 2012, 810, 812).
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Gegenstimmen in der Literatur sehen demgegenüber - wie die
herrschende Meinung zu § 14 Abs. 1 VVG - auch die Aufklärung solcher
Umstände als erforderlich im Sinne des § 31 Abs. 1 VVG an, die dazu
dienen, eine Anzeigeobliegenheitsverletzung oder arglistige Täuschung
des Versicherungsnehmers bei Vertragsschluss aufzudecken (HK-VVG/
Muschner, 3. Aufl. § 31 VVG Rn. 5; Reichel in Beckmann/Matusche -
Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl. § 21 Rn. 32; Marlow/
Spuhl, Das Neue VVG kompakt 4. Aufl. Rn. 1460; Britz, VersR 2015,
410, 411; Fricke, VersR 2009, 297, 300; Neuhaus/Kloth, N JOZ 2009,
1370, 1394).
(3) Die letztgenannte Ansicht überzeugt. Für sie streiten im W e-
sentlichen die gleichen Argumente, die schon für die weite Auslegung
des nahezu wortgleichen § 14 Abs. 1 VVG ausschlaggebend sind (siehe
hierzu die Ausführungen unter 1 b):
Der Wortlaut des § 31 Abs. 1 Satz 1 VVG kann dahin verstanden
werden, dass die Prüfung der Vertragswirksamkeit mitumfasst werden
soll. Dafür sprechen - ähnlich wie bei § 14 Abs. 1 VVG - Sinn und Zweck
der Vorschrift: Zielt § 14 Abs. 1 VVG darauf ab, dem Versicherer die er-
forderliche Zeit zur Prüfung zu verschaffen, ob und in welcher Höhe er
zur Leistung verpflichtet ist (hierzu 1 b bb), soll § 31 Abs. 1 VVG ihn da-
zu befähigen, die hierzu erforderliche Tatsachengrundlage zu ermitteln.
Beide Regelungen bezwecken damit im Kern, dem Versicherer eine
sachgerechte Prüfung seiner Leistungspflicht zu ermöglichen (vgl. Se-
natsurteil vom 22. Oktober 2014 - IV ZR 242/13, VersR 2015, 45 Rn. 19
zu § 34 VVG a.F.). Hierzu zählt die Prüfung der Vertragswirksam keit. In-
soweit ist auch hier ohne Belang, ob es bei der Prüfung des Versicherers
um tatsächliche Umstände geht, welche seine Leistungspflicht unmitte l-
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bar entfallen lassen, oder solche, die ihm lediglich ein Gestaltungsrecht
verschaffen, mit dessen Hilfe er den Vertrag nachträglich zu Fall bringen
kann.
(4) Das Bestehen der entsprechenden Obliegenheit ist entgegen
der Auffassung der Revision nicht davon abhängig, dass dem Versiche-
rer Anhaltspunkte für eine vorvertragliche Anzeigeobliegenheitsverle t-
zung des Versicherungsnehmers vorliegen. Zwar findet die Obliegenheit
- wie die Wirksamkeit von § 22 Abs. 2 Satz 2 der AVB - ihre Grenze im
Recht des Versicherungsnehmers auf informationelle Selbstbestimmung.
Dieses Grundrecht begrenzt indes nur den Umfang der Ob liegenheit, oh-
ne an ihr Eingreifen erhöhte Anforderungen zu stellen.
(a) Die Obliegenheit des Versicherungsnehmers, bei der Beschaf-
fung seiner persönlichen Daten durch den Versicherer mitzuwirken, be-
rührt sein grundrechtlich geschütztes Interesse an informationellem
Selbstschutz. Denn das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ge-
währleistet die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die
Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen,
unabhängig davon, ob die Daten bei einem Dritten (vgl. BVerfG VersR
2006, 1669 Rn. 43; VersR 2013, 1425, 1427 [juris Rn. 22]) oder beim
Grundrechtsträger selbst (vgl. BVerfGE 65, 1, 45) erhoben werden.
Das bedeutet allerdings nicht, dass jede Verpflichtung des Versi-
cherungsnehmers zur Mitwirkung bei der Datenerhebung des Versiche-
rers sein allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzte. Vielmehr steht dem
Interesse des Versicherungsnehmers an informationeller Selbstbestim-
mung das ebenfalls erhebliche Offenbarungsinteresse des Versicherers
gegenüber, das in der Vertragsfreiheit wurzelt und damit durch Art. 12
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GG ebenfalls grundrechtlichen Schutz genießt (Senatsurteil vom 13. Juli
2016 - IV ZR 292/14, VersR 2016, 1173 Rn. 31; BVerfG VersR 2006,
1669 Rn. 50; VersR 2013, 1425, 1427 [juris Rn. 21]).
Beiden Grundrechten ist bei der Auslegung des § 31 Abs. 1 VVG
nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz Geltung zu verschaffen,
indem die kollidierenden Grundrechtspositionen so zu begrenzen sind,
dass sie für alle Beteiligten möglichst wirksam werden (vgl. Senatsurteil
vom 14. November 2007 - IV ZR 74/06, BGHZ 174, 127 Rn. 143; BGH,
Urteil vom 2. April 2015 - I ZR 59/13, BGHZ 205, 22 Rn. 43).
(b) Dabei ist einerseits dem berechtigten Interesse des Versiche-
rungsnehmers Geltung zu verschaffen, dass keine Daten erhoben wer-
den, die dem Versicherer über das erforderliche Maß hinaus in weitem
Umfang sensible Informationen über den Versicherungsnehmer gewä h-
ren (vgl. Senatsurteil vom 13. Juli 2016 - IV ZR 292/14, VersR 2016,
1173 Rn. 32; BVerfG VersR 2013, 1425, 1427 [juris Rn. 27]). Das wäre
- wie die Revision richtig erkennt - nicht gewährleistet, wenn der Versi-
cherungsnehmer seine Mitwirkung bei der Beschaffung entsprechender
Daten durch den Versicherer zwar faktisch verweigern könnte, dadurch
aber stets seine Mitwirkungsobliegenheit nach § 31 Abs. 1 VVG missach-
tete und die Fälligkeit seines Leistungsanspruchs nach § 14 Abs. 1 VVG
gefährdete. Denn damit wäre der Versicherer im Ergebnis bis zu einem
eventuellen Einlenken des Versicherungsnehmers faktisch leistungsfrei,
obgleich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Ve r-
sicherte einer Berufsunfähigkeitsversicherung nicht auf die Möglichkeit
verwiesen werden können, um des informationellen Selbstschutzes wi l-
len die Leistungsfreiheit des Versicherers hinzunehmen (BVerfG VersR
2006, 1669 Rn. 39; VersR 2013, 1425, 1427 [juris Rn. 25]).
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- 18 -
Auf der anderen Seite ist das anerkennenswerte Interesse des
Versicherers und auch der Gemeinschaft der Versicherten (vgl. OLG
Saarbrücken VersR 2009, 1478, 1481) zu wahren, zur Vermeidung unge-
rechtfertigter Versicherungsleistungen alle Tatsachen - auch Hilfstatsa-
chen - zu erfahren, die unmittelbar oder auch erst nach der Ausübung
von Gestaltungsrechten zu seiner Leistungsfreiheit führen können (vgl.
Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung 3. Aufl. P Rn. 32). Dabei ist zu
berücksichtigen, dass es im Zeitpunkt der Datenerhebung oft noch nicht
möglich ist, sicher zu beurteilen, auf welche Tatsachen es bei der Beu r-
teilung der Leistungspflicht am Ende ankommt (vgl. BVerfG VersR 2013,
1425, 1427 [juris Rn. 22]; HK-VVG/Muschner, 3. Aufl. § 213 Rn. 22;
Fricke, VersR 2009, 297, 300).
(c) Die Abwägung der vorstehenden Belange führt nicht dazu, die
den Versicherungsnehmer treffende Mitwirkungsobliegenheit auf Fälle zu
beschränken, in denen bereits eine konkrete Verdachtslage für eine An-
zeigeobliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers besteht (so
aber Büchner, Neue Entwicklungen und alte Probleme in der Berufsunf ä-
higkeitsversicherung nach der VVG-Reform 2015 S. 236; Marlow/Spuhl,
Das Neue VVG kompakt 4. Aufl. Rn. 1461; ähnlich: Egger, VersR 2012,
810, 813), welche - wie die Revision meint - sogar die subjektiven Vo-
raussetzungen der Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers
umfassen müsste. Denn der dem Versicherer zuzubilligende Beurtei-
lungsspielraum in der Frage, welche Angaben er zur Sachverhaltsermit t-
lung für erforderlich hält, wäre zu weitgehend eingeschränkt, müsste er
zur Rechtfertigung seiner Erhebungen zunächst jeweils im Einzelnen
darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass die Fallumstände den ko n-
kreten Verdacht einer Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliege n-
heit durch den Versicherungsnehmer begründeten.
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Vielmehr ist der Ausgleich der insoweit widerstreitenden Intere s-
sen dadurch herzustellen, dass der Versicherungsnehmer bei der Erhe-
bung von Daten durch den Versicherer grundsätzlich nur insoweit mitz u-
wirken hat, als diese zur Prüfung des Leistungsfalles relevant sind. Kann
der Umfang der Datenerhebung nicht von vornherein auf entsprechende
Informationen beschränkt werden, weil dem Versicherer noch unbekannt
ist, worauf er sein Augenmerk zu richten hat, so erstreckt sich die Oblie-
genheit des Versicherungsnehmers zunächst auf die Einholung solcher
weniger weitreichender und persönlichkeitsrelevanter Vorinformationen,
die dem Versicherer eine Konkretisierung ermöglichen , welche Informati-
onen im Weiteren tatsächlich für die Leistungsprüfung relevant sind (vgl.
BVerfG VersR 2013, 1425, 1428 [juris Rn. 29]).
Dies kann im Fall eines geringen Kenntnisstandes des Versiche-
rers eine gestufte, einem Dialog vergleichbare (vgl. dazu BVerfG aaO
1427 f. [juris Rn. 22, 28]) Datenerhebung erforderlich werden lassen, in
deren Rahmen zunächst Vorinformationen allgemeiner Art erhoben wer-
den, auf deren Grundlage der Versicherer sodann einzelne, spezifischere
Anfragen zu stellen vermag, deren Beantwortung unter Umständen wie-
derum zur Grundlage noch weiter ins Detail gehender Erkundigungen
werden kann.
Nach allem ist der Versicherungsnehmer aufgrund der ih n treffen-
den Aufklärungsobliegenheit weder gehalten, dem Versicherer bei der
Datenerhebung - selbst wenn sich diese auf eine oder wenige Au s-
kunftspersonen beschränken sollte - völlig freie Hand zu lassen, noch
muss er seinerseits vorformulierte Entwürfe des Versicherers für weit ge-
fasste Schweigepflichtentbindungserklärungen oder ähnliche Ermächti-
gungen des Versicherers in der Weise modifizieren, dass sie über das
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genannte Maß nicht hinausgehen (vgl. BVerfG aaO). Vielmehr werden
sich die Erhebungen des Versicherers zunächst auf solche Informationen
zu beschränken haben, die ihm einen Überblick über die zur Beurteilung
des Versicherungsfalles einschließlich des vorvertraglichen Anzeigever-
haltens des Versicherungsnehmers relevanten Umstände ermöglichen.
Dies kann etwa auf einer ersten Stufe der Erhebungen die Frage
betreffen, wann in dem für die Anzeigeobliegenheit maßgeblichen Zei t-
raum ärztliche Behandlungen oder Untersuchungen stattgefunden haben,
was beispielsweise durch eine Auskunft des Krankenversich erers beant-
wortet werden könnte, den der Versicherungsnehmer zunächst nur inso-
weit von seiner Schweigepflicht entbinden müsste. Besonders sensible
Gesundheitsdaten (etwa Diagnosen, Behandlungsweisen oder Veror d-
nungen betreffend) blieben von der Auskunftsob liegenheit des Versiche-
rungsnehmers so lange nicht umfasst, bis der Versicherer aufgrund se i-
ner Prüfung der Vorinformationen sein Auskunftsverlangen weiter ko n-
kretisiert. Erst dann wäre der Versicherungsnehmer gehalten, dieser
Konkretisierung entsprechende Schweigepflichtentbindungen zu erteilen.
Allerdings bleibt es ihm unbenommen, zur Beschleunigung der
Leistungsprüfung stattdessen sogleich umfassende Auskünfte zu erteilen
und auch eine unbeschränkte Schweigepflichtentbindung zu erklären.
Denn als Träger des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung steht
es ihm frei, Daten anderen gegenüber zu offenbaren (vgl. BVerfG VersR
2006, 1669 Rn. 34). Hierüber und über die andernfalls nach den vorg e-
nannten Maßstäben schrittweise zu erfüllende Obliegenheit, Schweige-
pflichtentbindungen zu erteilen, hat der Versicherer den Versicherung s-
nehmer eingangs seiner Erhebungen zu informieren.
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(5) Gegen die Annahme einer derart begrenzten Mitwirkungsoblie-
genheit des Versicherungsnehmers aus § 31 Abs. 1 VVG greifen die von
der Revision und Teilen der Literatur erhobenen Einwände nicht durch.
(a) Soweit der Senat im Urteil vom 28. Oktober 2009 (IV ZR
140/08, VersR 2010, 97 Rn. 23) das Interesse des Versicherungsneh-
mers als hoch eingestuft hat, Informationen über ihn betreffende Erkran-
kungen geheim zu halten und den Umgang damit zu kontrollieren, hat er
zugleich hervorgehoben, dass das Recht des Versicherungsnehmers auf
informationelle Selbstbestimmung im Verhältnis der Vertragspartner e i-
ner Berufsunfähigkeitsversicherung dadurch modifiziert ist, dass es dem
Versicherungsnehmer von Gesetzes wegen obliegt, dem Versicherer re-
levante Informationen über seinen Gesundheitszustand auch im Lei s-
tungsfall zugänglich zu machen, soweit dies zur Prüfung der Leis tungs-
pflicht erforderlich ist, um dem legitimen Interesse des Versicherers an
der Kenntnis und Verwendung dieser Informationen Rechnung zu tragen
(Senat aaO Rn. 24).
(b) Anderes ergibt sich auch nicht aus § 213 Abs. 1 VVG.
Dessen Tatbestand ist von seinem Wortlaut her weiter als der des
§ 31 Abs. 1 VVG, weil er die Erhebung personenbezogener Daten für zu-
lässig erklärt, deren Kenntnis "für die Beurteilung des zu versichernden
Risikos oder der Leistungspflicht" erforderlich ist. Ferner wird der wir-
kungsvolle informationelle Selbstschutz, den die Regelung bezwecken
soll, durch die Begrenzung des Obliegenheitsumfangs (s. oben 2 a bb (4)
(c)) gewährleistet. Das gilt insbesondere auch für das achtens- und
schützenswerte Interesse redlicher Versicherungsnehmer an der G e-
heimhaltung sensibler Gesundheitsdaten. Der Einwand der Revision, die
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vom Versicherer erhobenen Daten könnten inhaltlich falsch sein und b e-
gründeten für den redlichen Versicherungsnehmer das Risiko, mit ta t-
sächlich nicht gegebenen Gestaltungsrechten konfron tiert und deshalb in
einen langwierigen Rechtsstreit verwickelt zu werden, greift nicht durch.
Die jeder Ermittlung anhaftende Möglichkeit eines falschen Ermittlung s-
ergebnisses kann die Zulässigkeit der Ermittlung als solche nicht infrage
stellen.
Dementsprechend geht auch die überwiegende Meinung in Recht-
sprechung und Literatur zu Recht davon aus, § 213 VVG stehe einer Da-
tenerhebung zum Zwecke der Überprüfung vorvertraglicher Anzeigeob-
liegenheitsverletzungen des Versicherungsnehmers nicht entgegen (OLG
Saarbrücken VersR 2013, 1157, 1161; Kalis in Bach/Moser, Private
Krankenversicherung 5. Aufl. § 213 VVG Rn. 46; HK -VVG/Muschner,
3. Aufl. § 213 VVG Rn. 22; Eichelberg in Looschelders/Pohlmann, VVG
3. Aufl. § 213 VVG Rn. 7; Wolf in Looschelders/Pohlmann, VVG 2. Aufl.
§ 213 VVG Rn. 8; Voit in Prölss/Martin, VVG 29. Aufl. § 213 Rn. 30;
Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG 5. Aufl. § 213 Rn. 13; Britz, Die Er-
hebung personenbezogener Gesundheitsdaten durch Versicherungsu n-
ternehmen bei Dritten gemäß § 213 VVG unter Berücksichtigung des
Gendiagnostikgesetzes, 2011 S. 135 f.; Reichel in Beckmann/Matusche-
Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl. § 21 Rn. 32; Neu-
haus, Berufsunfähigkeitsversicherung 3. Aufl. P Rn. 33; Britz, VersR
2015, 410, 412; Fricke, VersR 2009, 297, 299 f.; Höra, r+s 2008, 89, 93;
Rixecker, ZfS 2007, 556; jedenfalls soweit konkreter Anfangsverdacht
vorliegt: Höra in Bruck/Möller, 9. Aufl. § 213 VVG Rn. 36; Marlow/Spuhl,
Das Neue VVG kompakt 4. Aufl. Rn. 1460 f.; a.A. Egger, VersR 2012,
810, 813; ders., VersR 2014, 553, 554; ders., VersR 2014, 1304, 1306;
ders., VersR 2015, 1209, 1211).
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Zwar wird in der Literatur vereinzelt gefordert, zwischen der als
Versicherungsfall geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigung
und dem Informationsbegehren des Versicherers müsse eine kausale
Verbindung bestehen (Egger, VersR 2012, 810, 813; ders., VersR 2014,
1304, 1307; Neuhaus/Kloth, NJOZ 2009, 1370, 1375 f.). Dem kann aber
schon deshalb nicht gefolgt werden, weil eine solche Einschränkung der
Datenerhebung im Wortlaut des Gesetzes keine Stütze findet und jeden-
falls das Recht des Versicherers, den Versicherungs vertrag im Fall einer
arglistigen Täuschung des Versicherungsnehmers bei Vertragsschluss
nach § 123 BGB anzufechten, eine solche Kausalität nicht voraussetzt.
(c) Soweit die Revision darauf verweist, der Versicherer könne
dann, wenn ihm konkrete, greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen e i-
ner Anzeigeobliegenheitsverletzung vorlägen, ohnehin von "seinem
Recht Gebrauch machen und den Vertrag anfechten bzw. den Rücktritt
erklären", so dass er keiner weiteren Auskünfte mehr bedürfe, überzeu gt
dies bereits deshalb nicht, weil es den Interessen beider Parteien des
Versicherungsvertrages widerspräche, dem Versicherer eine fundierte
Überprüfung des Sachverhalts im Wege der Datenerhebung zu verwe h-
ren und ihn auf diese Weise zu einem Rücktritt oder einer Arglistanfech-
tung aufgrund eines bloßen Verdachts zu drängen .
(d) Ein die Datenerhebung rechtfertigendes schutzwürdiges Inte-
resse des Versicherers lässt sich auch nicht mit der Erwägung vernei-
nen, er könne durch Gestaltung der Antragsfragen und Umorganisation
seines Vertriebs bereits die vorvertragliche Beschaffung der für ihn ris i-
korelevanten Informationen mitgestalten. Eine Pflicht des Versicherers,
die Richtigkeit sämtlicher bei der Vertragsanbahnung erteilten Auskünfte
des Versicherungsnehmers - so sie nicht ersichtlich unklar oder unvoll-
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ständig sind (vgl. hierzu Senatsurteil vom 5. März 2008 - IV ZR 119/06,
VersR 2008, 668 Rn. 10 m.w.N.) - bereits vor Vertragsschluss zu über-
prüfen, sieht das Gesetz nicht vor.
(e) Der so verstandenen Mitwirkungsobliegenheit des Versiche-
rungsnehmers aus § 31 Abs. 1 VVG steht auch nicht der allgemeine pro-
zessuale Grundsatz entgegen, dass derjenige, der aus einer Rechtsnorm
für sich günstige Rechtsfolgen herleiten möchte, deren Voraussetzungen
darlegen und beweisen muss (a.A. Egger, VersR 2012, 810, 818 f.;
ders., VersR 2015, 1209, 1218). Diese Regel ist hier nicht einschlägig.
Denn im Unterschied zum Zivilprozess wird das außergerichtliche
Leistungsprüfungsverfahren des Versicherers vom Gedanken der koop e-
rativen Regulierung des Versicherungsfalles getragen (vgl. Brömmel-
meyer in Bruck/Möller, 9. Aufl. § 31 VVG Rn. 2 m.w.N.), der unter ande-
rem in der gesetzlichen Informationsobliegenheit des Versicherungs-
nehmers seine Ausprägung findet und seine Grundlage darin hat, dass
sich das Versicherungsverhältnis in besonderem Maß auf das wechse l-
seitige Vertrauen beider Vertragspartner gründet (vgl. Senatsurteil vom
13. März 2013 - IV ZR 110/11, VersR 2013, 609 Rn. 26).
(f) Schließlich greifen auch die in Teilen der Literatur erhobenen
Bedenken nicht durch, wonach es dem Versicherungsnehmer nicht zu-
zumuten sei, am Entzug seiner Ansprüche und Rechtsposition mitzuwir-
ken (so: Egger, VersR 2015, 1209, 1217). Der im Strafprozessrecht be-
deutsame Grundsatz, dass niemand sich selbst bezichtigen muss, kann
grundsätzlich nicht auf das Versicherungsvertragsrecht übertragen we r-
den (vgl. Looschelders in Looschelders/Pohlmann, VVG 2. Aufl. § 31
Rn. 15). Der Versicherungsnehmer hat auf entsprechendes Verlangen
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des Versicherers ihm bekannte Tatsachen selbst dann wahrheitsgemäß
und vollständig zu offenbaren, wenn das seinen eigenen Interessen wi-
derstreitet, weil diese Tatsachen es dem Versicherer erst ermöglichen,
seine Leistungspflicht sachgerecht zu prüfen und sich gegebenenfalls
auf Leistungsfreiheit zu berufen (Senatsurteile vom 13. Dezember 2006 -
IV ZR 252/05, VersR 2007, 389 Rn. 14; vom 16. November 2005 - IV ZR
307/04, VersR 2006, 258 Rn. 13 m.w.N.).
b) Seiner nach all dem bestehenden Mitwirkungsobliegenheit hat
der Kläger nicht genügt, weil er sich weigerte, der Beklagten die Be-
schaffung der zur Prüfung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheitsverlet-
zungen erforderlichen Gesundheitsdaten zu ermöglichen. Dies war nicht
deshalb gerechtfertigt, weil die Beklagte mehr verlangt hätte, als dem
Kläger nach Maßgabe von § 22 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 der AVB i.V.m. § 31
Abs. 1 VVG tatsächlich oblag.
aa) Entgegen der Auffassung der Revision ist es im Streitfall aus-
nahmsweise ohne Belang, dass die Einholung aller bei den Krankenkas-
sen des Klägers gespeicherten Behandlungsdaten, die bis in den Juni
2002 zurückreichen, erheblichen Bedenken begegnet. Nachdem sich der
Kläger ernsthaft und endgültig geweigert hatte, bei jedweder Erhebung
von Gesundheitsdaten mitzuwirken, die nicht der Klärung des Versich e-
rungsfalles, sondern der Prüfung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheits-
verletzungen dient, erschien ein gesondertes, enger gefasstes Mitwir-
kungsverlangen der Beklagten, die in der vorgerichtlichen Korrespon-
denz mit dem Kläger die Bereitschaft gezeigt hatte, über den Umfang der
erforderlichen Schweigepflichtentbindung eine einvernehmliche Lösung
herbeizuführen, letztlich aussichtslos. Insofern kommt es hier aus-
nahmsweise auch nicht darauf an, dass die Beklagte den Kläger nicht
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auf die Möglichkeit der schrittweisen Schweigepflichtentbindung hinwies
(vgl. oben II 2 a bb (4) (c)), weil der Kläger durch sein Verhalten unzwe i-
felhaft zum Ausdruck brachte, dass er eine Datenerhebung zur Aufklä-
rung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheitsverletzungen grundsätzlich
zurückweise.
bb) Gleiches gilt in Bezug auf die Frage, ob die geforderte Mitwir-
kungshandlung dem Kläger im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 2 VVG nicht
zumutbar war, weil die Beklagte ihm kein Verfahren ermöglicht hat, in
dessen Rahmen er die begehrten Informationen selbst hätte beschaffen
und an die Beklagte weiterleiten können (vgl. hierzu: BVerfG VersR
2006, 1669 Rn. 60). Auch insoweit war eine Aufforderung zur wahlwei-
sen Mitwirkung des Klägers entbehrlich, weil er jegliche Datenerhebung
zum Zwecke der Prüfung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheitsverlet-
zungen ernsthaft und endgültig abgelehnt hatte.
c) Anderes ergibt sich schließlich weder aus den "Verhaltensregeln
für den Umgang mit personenbezogenen Daten durch die deutsche Ve r-
sicherungswirtschaft", die vom Gesamtverband der Deutschen Versiche-
rungswirtschaft e.V. (GDV) aufgestellt wurden, noch infolge einer von der
Beklagten während des Rechtsstreits in erster Instanz versandten "Kun-
deninformation zur Erhebung und Verwendung von Gesundheitsdaten
sowie zur Schweigepflichtentbindung".
Die Datenschutzregeln des GDV sind für den Streitfall bereits des-
halb ohne Belang, weil sie erst im Revisionsverfahren vorgelegt worden
sind und es daher an entsprechenden Feststellungen des Berufungsge-
richts zu ihrem Inhalt fehlt (§ 559 ZPO). Bei der von der Beklagten ver-
sandten Kundeninformation handelt es sich nach den revisionsrechtlich
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nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts um eine
allgemein gehaltene Information ohne Bezug zur konkreten Leistung s-
prüfung. Ein Verzicht der Beklagten auf die hier beabsichtigte Datene r-
hebung ergibt sich daraus nicht.
Mayen Felsch Harsdorf -Gebhardt
Lehmann Dr. Bußmann
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 12.06.2013 - 23 O 341/12 -
KG Berlin, Entscheidung vom 08.07.2014 - 6 U 134/13 -