Urteil des BGH vom 22.09.2015

Treu Und Glauben, Versicherungsnehmer, Vollzug, Lebensversicherung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I V Z R 2 8 4 / 1 4
vom
22. September 2015
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf-Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller
am 22.September 2015
beschlossen:
Die Revision gegen das Urteil des 20. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Köln vom 11. Juli 2014 wird gemäß
§ 552a Satz 1 ZPO auf Kosten der Klägerseite zurück-
gewiesen.
Streitwert für das Revisionsverfahren: 4.824,38
€.
Gründe:
Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerseite
(Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) war gemäß § 552a ZPO zu-
rückzuweisen, weil die Voraussetzungen für ihre Zulassung nicht vorli e-
gen und die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat. Der Senat hat d ie
Parteien mit Beschluss vom 16. Juli 2015 auf die beabsichtigte Zurück-
weisung hingewiesen. Auf die dortigen Gründe wird ergänzend Bezug
genommen.
Der Schriftsatz des Klägervertreters vom 25. August 2015 gibt kei-
ne Veranlassung, von der Zurückweisung der Revision abzusehen.
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Soweit dort darauf hingewiesen wird, die Revision sei auf die Eu-
roparechtswidrigkeit des Policenmodells insgesamt gestützt, begründet
dies im Streitfall keine Pflicht zu einer Vorlage an den Gerichtshof der
Europäischen Union, da es auf diese Frage hier nicht entscheidungse r-
heblich ankommt. Wie der Senat in seinem Hinweisbeschluss näher au s-
geführt hat, wäre es dem Kläger, der trotz Belehrung darüber, dass er
den Vertrag nicht zustande kommen lassen musste, diesen über rund
fünf Jahre durchgeführt hat, wegen widersprüchlichen Verhaltens ve r-
wehrt, sich bei unterstellter Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Police n-
modells auf eine Unwirksamkeit des Vertrages zu berufen. Die Frage ei-
ner möglichen Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union in e i-
nem Fall, in dem kein widersprüchliches Verhalten der Versicherung s-
nehmer festgestellt werden kann, stellt sich im Streitfall nicht.
Entgegen der Ansicht der Revision sind die Maßstäb e für die Be-
rücksichtigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben auch in der
Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäisch en Union geklärt (siehe
im Einzelnen Senatsurteil vom 16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202,
102 Rn. 41 f.; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 4. März 2015
- 1 BvR 3280/14, juris Rn. 31 ff. m.w.N.) und die Annahme rechtsmiss-
bräuchlichen Verhaltens steht in Fällen wie dem vorliegenden in Einklang
mit dieser Rechtsprechung (vgl. Senatsurteil aaO; vgl. auch BVerfG
aaO).
Soweit die Revision geltend macht, es sei unionsrechtlich unge-
klärt, ob verbraucherschützende Widerspruchsrechte durch nationale
Vorschriften zum Rechtsmissbrauch beschränkt werden dürften, berührt
dies zwar das Gebot der praktischen Wirksamkeit. Der Anwendung des
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Grundsatzes von Treu und Glauben und des Verbots widersprüchlicher
Rechtsausübung steht dies aber nicht entgegen, weil die Ausübung di e-
ser Rechte in das nationale Zivilrecht eingebettet bleibt und die nationa-
len Gerichte ein missbräuchliches Verhalten auch nac h der Rechtspre-
chung des Gerichtshofs der Europäischen Union berücksichtigen dürfen
(BVerfG aaO Rn. 32 m.w.N.).
Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben beeinträc h-
tigt auch angesichts der besonderen Umstände des Streitfalles die pra k-
tische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts und den Sinn und Zweck
des Widerspruchsrechts nicht. Die Erwägungen der Zweiten und Dritten
Richtlinie Lebensversicherung, eine genaue Belehrung der Versich e-
rungsnehmer über ihr Rücktrittsrecht vor Abschluss des Vertrages s i-
cherzustellen, werden auch hier nicht berührt, denn entscheidend ist im
Streitfall, dass d. VN, der dem geltenden nationalen Recht entsprechend
ordnungsgemäß über die Möglichkeit belehrt worden ist, de n Vertrag oh-
ne Nachteile nicht zustande kommen zu lassen, diese gleichwohl in
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Vollzug gesetzt und sie über rund fünf Jahre durchgeführt hat (vgl. er-
gänzend Senatsurteil vom 10. Juni 2015 - IV ZR 105/13, VersR 2015,
876 Rn. 13 f. ).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 24.03.2014 - 26 O 438/13 -
OLG Köln, Entscheidung vom 11.07.2014 - 20 U 68/14 -