Urteil des BGH vom 14.10.2015

Ablauf der Frist, Ex Nunc, Versicherer, Form

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I V Z R 2 8 4 / 1 2
Verkündet am:
14. Oktober 2015
Schick
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf -Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftl i-
chen Verfahren, bei dem Schriftsätze bis zum 16. September 2015 ein-
gereicht werden konnten,
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil des
Landgerichts München I - 31. Zivilkammer - vom 9. Au-
gust 2012 aufgehoben und die Sache zur neuen Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurück-
verwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
307,04
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) b e-
gehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rüc k-
zahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen Ren-
tenversicherung.
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Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsb e-
ginn zum 1. März 2003 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a
VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.)
abgeschlossen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt
d. VN mit dem Versicherungsschein die Versicherungsbedingungen und
eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsge-
setzes (VAG), die eine Belehrung über das Widerspruchsrecht nach § 5a
VVG a.F. enthielt. Mit Schreiben vom 7. Februar 2008 erklärte d. VN
"den Widerspruch gemäß § 5a VVG/den Widerspruch nach § 8 VVG,
vorsorglich die Anfechtung nach § 119 BGB, hilfsweise die Kündigung".
Der Versicherer erkannte die Kündigung an und zahlte den Rückkauf s-
wert aus.
Mit der Klage verlangt d. VN - soweit für das Revisionsverfahren
noch von Bedeutung - Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Be i-
träge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts , ins-
gesamt 307,04
€.
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemein-
schaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der W i-
derspruch noch erklärt werden können.
Der Versicherer hat sich auf Entreicherung berufen und die Einr e-
de der Verjährung erhoben.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht die
hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt
d. VN das Klagebegehren weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Z u-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ung e-
rechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe d. VN im Ver-
sicherungsschein in drucktechnisch hervorgehobener Form über das W i-
derspruchsrecht belehrt. Zwar sei die Belehrung auf Seite 1 des Versi-
cherungsscheins unvollständig. Dort werde aber hinsichtlich der weiteren
Einzelheiten auf die Allgemeinen Informationen verwiesen. Hieraus sei
für d. VN erkennbar, dass diese Belehrung nicht vollständig sei. Unter
den Allgemeinen Informationen auf Seite 6 des Versicherungsscheins
finde sich sogleich am Anfang im ersten Abschnitt die Belehrung. Di ese
sei in Fettdruck und in größerer Schrift überschrieben mit "Verbraucher-
informationen, Widerspruchsrecht". Sodann erfolge - ebenfalls in Fett-
druck - die Belehrung. Dass dabei die dem ersten Satz nachfolgenden
Sätze nicht mehr in Fettdruck seien, führe nicht dazu, dass der gesamte
Absatz nicht mehr in drucktechnisch deutlicher Form ausgeführt sei.
II. Die Revision ist begründet.
1. Der Anspruch auf Prämienrückzahlung folgt dem Grunde nach
aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB.
a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag
schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des
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Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Wide r-
spruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
normierten Jahresfrist - rechtzeitig.
aa) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts belehrte der
Versicherer d. VN nicht ordnungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG
a.F. über das Widerspruchsrecht. Wie das Berufungsgericht ausgeführt
hat, ist die Belehrung auf Seite 1 des Versicherungsscheins unvollstä n-
dig, weil sie den Beginn der Widerspruchsfrist nur vom Erhalt des Vers i-
cherungsscheins abhängig macht. Sie ist zudem inhaltlich falsch, weil sie
darauf abstellt, dass d. VN mit den Versicherungsbedingung en und Ta-
rifbestimmungen nicht einverstanden ist. Die Belehrung auf Seite 6 des
Versicherungsscheins ist, wie die Revision zu Recht rügt, nicht in druck-
technisch deutlicher Form gestaltet. Nur der erste Satz, der auf das W i-
derspruchsrecht und den Zugang der für den Beginn der Widerspruchs-
frist maßgeblichen Unterlagen - des Versicherungsscheins, der Versiche-
rungsbedingungen und der Verbraucherinformation - hinweist, ist in Fett-
druck gehalten. Im Übrigen ist die Belehrung nicht durch Fettdruck oder
auf sonstige Weise hervorgehoben, so dass insbesondere der Hinweis
darauf, dass die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs genügt,
übersehen werden kann.
Für einen solchen Fall einer nicht ordnungsgemäßen Wider-
spruchsbelehrung bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass
das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt.
Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahre s-
frist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.
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Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des G e-
richtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11,
BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die
Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert
werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten
Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon e r-
fasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen
zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht,
wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum W i-
derspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder
die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.
bb) Die (hilfsweise) Kündigung des Versicherungsvertrages steht
dem Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO
Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits
vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl.
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarecht s-
widrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur e i-
ne Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
2. Aus der wirksamen Widerspruchserklärung folgende bereich e-
rungsrechtliche Ansprüche waren bei Erhebung der Klage im März 2011
noch nicht verjährt. Zu diesem Zeitpunkt war die maßgebliche regelm ä-
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ßige dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB nicht abgelaufen. Diese
konnte erst mit Schluss des Jahres 2008 beginnen, da d. VN erst in die-
sem Jahr den Widerspruch erklärte. Der nach einem Widerspruch gemäß
§ 5a VVG a.F. geltend gemachte Bereicherungsanspruch entstand erst
mit Ausübung des Widerspruchsrechts im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 1
BGB; jedenfalls zu diesem Zeitpunkt hatte der Versicherungsnehmer
Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person
des Schuldners im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB (vgl. Senatsurteil
vom 8. April 2015 - IV ZR 103/15, VersR 2015, 700 Rn. 19 ff.).
3. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwic k-
lung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Vers i-
cherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes
kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden;
bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung z u-
kommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).
Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuve r-
weisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag
- auch zur Frage der Entreicherung (vgl. hierzu Senatsurteile vom
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29. Juli 2015 - IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101 Rn. 41 ff.; IV ZR 448/14,
VersR 2015, 1104 Rn. 46 ff.) - zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom
7. Mai 2014 aaO Rn. 46).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
AG München, Entscheidung vom 15.07.2011 - 273 C 32402/10 -
LG München I, Entscheidung vom 09.08.2012 - 31 S 23891/11 -