Urteil des BGH vom 18.11.2015

Ablauf der Frist, Treu Und Glauben, Versicherer, Versicherungsvertrag

ECLI:DE:BGH:2015:181115BIVZR275.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IV ZR 275/15
vom
18. November 2015
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf -Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller
am 18. November 2015
beschlossen:
Der Senat beabsichtigt, die Revision des Klägers gegen
das Urteil des Landgerichts München I - 25. Zivilkam-
mer - vom 24. April 2015 gemäß § 552a Satz 1 ZPO zu-
rückzuweisen.
Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen
eines Monats
Stellung zu nehmen.
Gründe:
I. Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) be-
gehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rüc k-
zahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Lebensversicherung mit
Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Diese wurde aufgrund eines An-
trags d. VN mit Versicherungsbeginn zum 1. September 2003 nach dem
so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen
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Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. In der Folge
zahlte d. VN die Versicherungsprämien. Mit Schreiben vom August 2013
erklärte d. VN u.a. den Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F., hilfsweise die
Kündigung. Der Versicherer akzeptierte das Schreiben als Kündigung
und zahlte einen Rückkaufswert aus.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt d. VN mit
dem Versicherungsschein die Versicherungsbedingungen, eine Verbra u-
cherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG)
und eine schriftliche Belehrung über das Widerspruchsrecht gemäß § 5a
Abs. 2 Satz 1 VVG a.F.
Mit der Klage verlangt d. VN, soweit für die Revisionsinstanz noch
von Interesse, Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge
nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückk aufswerts.
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemein-
schaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der W i-
derspruch noch erklärt werden können.
II. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht die
hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Das Berufungsgericht
hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bere i-
cherung verneint. D. VN habe die Prämien mit Rechtsgrund geleistet. Er
sei ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht nach § 5a Abs. 2 Satz 1
VVG a.F. belehrt worden und der Versicherungsvertrag sei wirksam z u-
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stande gekommen. Die Regelung des Policenmodells verstoße nicht g e-
gen die Zweite und Dritte Richtlinie Lebensversicherung.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt
d. VN das Klagebegehren hinsichtlich des Bereicherungsanspruchs wei-
ter.
III. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision i.S. von
§ 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor, und das Rechtsmittel hat auch keine
Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).
1. Das Berufungsgericht hat die Revision mit Rücksicht auf die
Frage zugelassen, ob das Policenmodell als solches europarechtsko n-
form ist und ob hierzu eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Eu-
ropäischen Union eingeholt werden muss. Diese Frage stellt sich hier je-
doch nicht.
a) Nach den für das Revisionsverfahren bindenden Feststellungen
des Berufungsgerichts erhielt d. VN mit dem Versicherungsschein die
Versicherungsbedingungen, eine Verbraucherinformation und eine so-
wohl formell als auch inhaltlich ordnungsgemäße Widerspruchsbeleh-
rung. Bis zum Ablauf der damit in Gang gesetzten 14-tägigen Wider-
spruchsfrist erklärte er den Widerspruch nicht.
b) Ob solchermaßen nach dem Policenmodell geschlossene Versi-
cherungsverträge wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des § 5a VVG
a.F. Wirksamkeitszweifeln unterliegen (vgl. dazu Senatsurteil vom
16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 16 ff.; BVerfG, VersR
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2015, 693 Rn. 30 ff.), kann im Streitfall dahinstehen. Die von der Revisi-
on begehrte Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union sche i-
det bereits deshalb aus, weil es auf die Frage, ob das Policenmodell mit
den genannten Richtlinien unvereinbar ist, hier nic ht entscheidungser-
heblich ankommt. D. VN ist es auch im Falle einer unterstellten Gemein-
schaftsrechtswidrigkeit des Policenmodells nach Treu und Glauben w e-
gen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger
Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu
berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten (vgl. im Einze l-
nen zu den Maßstäben Senatsurteil vom 16. Juli 2014 aaO Rn. 32-42;
BVerfG aaO Rn. 42 ff.). D. VN verhielt sich objektiv widersprüchlich. Die
zumindest vertraglich eingeräumte und bekannt gemachte Widerspruch s-
frist ließ er bei Vertragsschluss 2003 ungenutzt verstreichen. Er zahlte in
der Folge 10 Jahre die Versicherungsprämien. Die jahrelangen Prämie n-
zahlungen des bereits 2003 über die Möglichkeit, den Vertrag nicht zu-
stande kommen zu lassen, belehrten VN haben bei der Beklagten ein
schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des Vertrages begründet. Di e-
se vertrauensbegründende Wirkung war für d. VN auch erkennbar.
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2. Aus den dargelegten Gründen hält das Berufungsurteil jeden-
falls im Ergebnis rechtlicher Prüfung stand.
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
AG München, Entscheidung vom 24.06.2014 - 261 C 30341/13 -
LG München I, Entscheidung vom 24.04.2015 - 25 S 15112/14 -
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