Urteil des BGH vom 17.12.2014

Leitsatzentscheidung zu Lebensversicherung, Befristung, Rücktritt, Ex Nunc, Prämie

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I V Z R 2 6 0 / 1 1
Verkündet am:
17. Dezember 2014
Heinekamp
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
VVG a. F. (Fassung vom 21. Juli 1994, gültig vom 29. Juli 1994 bis zum 7. Dezember
2004), § 8 Abs. 5 Satz 4; EWGRL 619/90 Art. 15 Abs. 1 Satz 1; EWGRL 96/92 Art.
31 Abs. 1
Die in § 8 Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 4 VVG a.F. getroffene Regelung, nach wel-
cher auch bei nicht ordnungsgemäßer Belehrung des Versicherungsnehmers über
sein jeweiliges Lösungsrecht dieses einen Monat nach Zahlung der ersten Prämie
erlischt, ist richtlinienkonform einschränkend dahin auszulegen, dass sie im Bereich
der Lebens- und Rentenversicherung und der Zusatzversicherung zur Lebensversi-
cherung nicht anwendbar ist, hingegen auf die übrigen von § 8 VVG a.F. erfassten
Versicherungsarten uneingeschränkt Anwendung findet (Fortführung von BGH, Urteil
vom 7. Mai 2014 - IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101).
BGH, Urteil vom 17. Dezember 2014 - IV ZR 260/11 - LG Braunschweig
AG Braunschweig
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richter
Wendt,
Felsch,
die
Richterin
Harsdorf-Gebhardt und den Richter Dr. Karczewski auf die mündliche
Verhandlung vom 3. Dezember 2014
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 7. Zivil-
kammer des Landgerichts Braunschweig vom 11. No-
vember 2011 aufgehoben und die Sache zur neuen Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurüc k-
verwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von dem beklagten Versicherer Rückzahlung
geleisteter Versicherungsbeiträge einer Rentenversicherung.
Diese wurde mit Vertragsbeginn zum 1. Dezember 2000 abge-
schlossen. Die Belehrung über das Recht zum Rücktritt bzw. Widerruf
befand sich am Ende des Antragsformulars innerhalb eines insgesamt im
Fettdruck gehaltenen, mit "Wichtige Hinweise" überschriebenen Textblo-
ckes zwischen Hinweisen zur Schweigepflichtentbindung und Datenver-
arbeitung und einem Verweis auf die auf der Folgeseite abgedruckten
Hinweise und Erklärungen zur Unfallversicherung.
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Im Oktober 2005 kündigte die Klägerin den Vertrag, und der Versi-
cherer zahlte den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom 3. Dezember
2009 erklärte sie schließlich den Widerspruch "gemäß § 5a VVG a.F."
Mit ihrer Klage verlangt sie die Rückzahlung aller auf den Vertrag
geleisteten Beiträge nebst 7% Zinsen als Ausgleich für aus den Prämien
gezogene Nutzungen. Abzüglich des bereits ausgezahlten Rückkaufs-
werts hat sie daraus einen Betrag von insgesamt 4.582,84
€ errechnet,
den die Beklagte in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
seit Vertragsbeginn zu verzinsen habe.
Nach ihrer Auffassung war die erteilte Belehrung drucktechnisch
nicht hinreichend hervorgehoben. Hinzu kämen inhaltliche Defizite. Dies
führe zu einem zeitlich unbeschränkten Widerspruchsrecht, da die ge-
setzlich vorgesehene zeitliche Begrenzung Unionsrecht widerspreche.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht die
hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt
die Klägerin das Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zu-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus § 812
BGB oder einem anderen Rechtsgrund verneint. Offen lassend, ob we-
gen Vertragsschlusses nach dem Antragsmodell die Voraussetzungen
des § 5a VVG a.F. vorliegen, geht das Berufungsgericht davon aus, die
Klägerin sei ordnungsgemäß belehrt worden und habe sowohl die Wider-
spruchsfrist des § 5a Abs. 1, 2 VVG a.F. als auch die Rücktrittsfrist des
§ 8 Abs. 5 VVG a.F., überdies die Fristen aus § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG
a.F. und § 8 Abs. 5 Satz 4 VVG a.F. versäumt.
II. Das Berufungsurteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Anders als das Berufungsgericht meint, folgt d er Anspruch auf
Prämienrückzahlung dem Grunde nach aus § 346 Abs. 1 BGB.
1. Entgegen der Revisionserwiderung ist der Rechtsstreit nicht b e-
reits zur Beantwortung der Frage an das Berufungsgericht zurückzuver-
weisen, ob der Versicherungsnehmerin das Widerspruchsrecht nach § 5a
Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. - und damit eine Rückabwicklung nach §§ 812 ff.
BGB - oder das Rücktrittsrecht aus § 8 Abs. 5 VVG (in der vom 29. Juli
1994 bis 7. Dezember 2004 geltenden Fassung vom 21. Juli 1994 - im
Folgenden: a.F.) - und damit eine Rückabwicklung nach den §§ 346 ff.
BGB (K. Johannsen in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungs-
rechts-Handbuch 2. Aufl. § 8 Rn. 56) - offen steht. Das Berufungsgericht
hat festgestellt, dass der Vertragsschluss nach dem Antragsmodell e r-
folgte, was dem bisherigen Vortrag der Beklagten entsprach und von der
Klägerin im Revisionsverfahren hingenommen wird. § 8 Abs. 6 VVG a.F.
stellt für solche Fälle das Verhältnis zwischen § 5a Abs. 1 VVG a.F. und
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§ 8 Abs. 4 und 5 VVG a.F. klar. Danach findet hier § 8 Abs. 5 VVG a.F.
Anwendung, weil ein Vertragsschluss nach dem so genannten Policen-
modell nicht erfolgt und damit das Widerspruchsrecht aus § 5 a Abs. 1
Satz 1 VVG a. F. nicht eröffnet ist.
2. Infolge der Ausübung des Rücktrittsrechts aus § 8 Abs. 5 VVG
a.F. durch die Klägerin sind nach § 346 Abs. 1 BGB die empfangenen
Leistungen dem Grunde nach zurück zu gewähren und die gezogenen
Nutzungen herauszugeben.
a) Die mit Schreiben vom 3. Dezember 2009 abgegebene Erklä-
rung der Klägerin ist ungeachtet ihrer Bezeichnung als Widerspruch
"gemäß § 5a VVG a.F." als Rücktrittserklärung nach § 8 Abs. 5 VVG a.F.
auszulegen. Entscheidend ist, dass darin der unbedingte Wille zum Aus-
druck kommt, sich rückwirkend vom Vertrag lösen und die Rückzahlung
sämtlicher Prämien geltend machen zu wollen. Die Auslegung dieser
Erklärung kann der Senat selbst vornehmen, da die Aufklärung weiterer
relevanter Umstände nicht zu erwarten ist (vgl. BGH, Urteil vom
12. Dezember 1997 - V ZR 250/96, NJW 1998, 1219 unter II 3 m.w.N.;
MünchKomm-ZPO/Krüger, 4. Aufl. § 546 Rn. 10).
b) Der Rücktritt ist rechtzeitig erklärt, obwohl zum Zeitpunkt der
Erklärung die in § 8 Abs. 5 Satz 4 VVG a.F. normierte Monatsfrist abge-
laufen war.
aa) Nach dem durch Bezugnahme auf die Vertragsunterlagen fes t-
gestellten Sachverhalt, der weitere Fest stellungen nicht erwarten lässt,
wurde die Klägerin nicht ordnungsgemäß i.S. von § 8 Abs. 5 Satz 3 VVG
a.F. belehrt. Soweit das Berufungsgericht von einer "ordnungsgemäßen
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Belehrung" ausgeht, verhält es sich nur zum Zugang, nicht aber zur
Form derselben.
Die im Antragsformular enthaltene Belehrung war nicht ausre i-
chend drucktechnisch hervorgehoben und konnte deshalb die Rücktritts-
frist des § 8 Abs. 5 Satz 1 VVG a.F. nicht wirksam in Lauf setzen (vgl.
§ 8 Abs. 5 Satz 3 VVG a.F.). Zwar war eine drucktechnische Hervorhe-
bung der Belehrung vom Wortlaut des § 8 Abs. 5 VVG a.F. (wie auch des
§ 8 Abs. 4 VVG in der vom 1. Januar 1991 bis zum 28. Juli 1994 gültigen
Fassung) nicht ausdrücklich vorausgesetzt. Der Senat hat aber bereits
zu § 8 Abs. 4 VVG a.F. klargestellt, dass die Belehrung zur Erreichung
ihres gesetzlichen Zweckes inhaltlich möglichst umfassend, unmissve r-
ständlich und aus Sicht der Verbraucher eindeutig sein muss. Das erfor-
dert eine Form der Belehrung, die dem Aufklärungsziel Rechnung trägt
und darauf angelegt ist, den Angesprochenen aufmerksam zu machen
und das maßgebliche Wissen zu vermitteln (Senatsurteil vom 16. Okto-
ber 2013 - IV ZR 52/12, VersR 2013, 1513 Rn. 14 m.w.N.).
Die der Klägerin gegebene Belehrung genügt diesen Anforderun-
gen nicht. Sie ist inmitten eines Textblockes abgedruckt, der weitere In-
formationen, unter anderem über die Ermächtigung zur Entb indung von
der Schweigepflicht, zur Datenverarbeitung und zum Widerspruch in der
Unfallversicherung, enthält. Innerhalb dieses Textblockes ist der Hinweis
auf das Rücktrittsrecht in keiner Weise drucktechnisch hervorgehoben.
Der gesamte Textblock ist vielmehr fettgedruckt. Weder der Fettdruck
noch die Stellung der Belehrung im Antragsformular reichen daher aus,
um eine Kenntnisnahme des Versicherungsnehmers hiervon zu gewäh r-
leisten (vgl. Senatsurteil vom 16. Oktober 2013 - IV ZR 52/12 aaO
Rn. 15).
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Schon wegen dieses Formmangels der Belehrung konnte die
Rücktrittsfrist nach § 8 Abs. 5 Satz 3 VVG a.F. nicht zu laufen beginnen.
Darauf, ob - wie die Revision rügt - die Belehrung darüber hinaus auch
an inhaltlichen Defiziten litt, kommt es insoweit nicht me hr an.
bb) Der Wirksamkeit der Rücktrittserklärung steht auch nicht der
Ablauf der für einen solchen Fall bestimmten Frist aus § 8 Abs. 5 Satz 4
VVG a.F. entgegen, nach welcher das Rücktrittsrecht bei unterbliebener
Belehrung jedenfalls einen Monat nach Zahlung der ersten Prämie er-
lischt. Diese Befristung ist unwirksam. Das Rücktrittsrecht der Klägerin
bestand mithin noch im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung fort.
Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 8 VVG a.F.
entsprechend den im Senatsurteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11, BGHZ
201, 101) dargelegten Grundsätzen.
(1) In dieser Entscheidung hat der Senat die Jahresfrist des § 5a
Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. im Rahmen einer gespaltenen Auslegung (vgl.
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 28) richtlinienkonform teleologisch
dergestalt reduziert, dass sie im Anwendungsbereich der Richtlinie
90/619/EWG (Zweite Richtlinie Lebensversicherung, ABl. L 330 S. 50)
und der Richtlinie 92/96/EWG (Dritte Richtlinie Lebensversicherung,
ABl. L 360 S. 1) keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens -
und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensve r-
sicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht unbefristet fortbesteht,
wenn der Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß über sein Recht
zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation
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oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat (im Einzelnen da-
zu Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 22-34).
(2) Für das Rücktrittsrecht aus § 8 Abs. 5 VVG a.F. kann nichts
anderes gelten. Es macht keinen Unterschied, dass die Anwendung des
§ 8 Abs. 5 VVG a.F. einen Vertragsschluss nach dem Antragsmodell,
d.h. eine Übergabe der Versicherungsbedingungen und der Verbraucher-
informationen bereits bei Antragstellung voraussetzt. Entscheidend ist al-
lein, dass die Befristung des Rücktrittsrechts bei Fehlen einer ordnungs-
gemäßen Belehrung über das Recht zum Rücktritt im Ergebnis zu einer
vertraglichen Bindung führen könnte, ohne dass dem Versicherungs-
nehmer die Rücktrittsmöglichkeit ordnungsgemäß zur Kenntnis gebracht
wäre. Diese Gefahr wird durch die Frist des § 8 Abs. 5 VVG a.F. gege n-
über der vom Senat (aaO) beanstandeten Frist in § 5a Abs. 2 Satz 4
VVG a.F. noch dadurch verschärft, dass das Rücktrittsrecht aus § 8 Abs.
5 VVG a.F. nicht erst ein Jahr, sondern bereits einen Monat nach Zah-
lung der ersten Prämie erlöschen sollte. Für die von der Beklagten ange-
regte Vorlage an den Europäischen Gerichtshof bestand kein Anlass, die
Frage ist durch dessen Urteil vom 19. Dezember 2013 (EuGH, VersR
2014, 225) hinreichend geklärt.
(3) Anders als die Beklagte - zuletzt mit Schriftsatz vom 12. De-
zember 2014 - geltend gemacht hat, ergeben sich gegen eine Übertra-
gung der vorgenannten Grundsätze auf die Regelung des § 8 Abs. 5
Satz 4 VVG keine durchgreifenden Bedenken daraus, dass die richtl i-
nienkonforme Auslegung hier zum Wegfall dieser Befristung und damit
zur vollständigen Aufhebung der in § 8 Abs. 5 Satz 4 VVG a.F. getroff e-
nen Regelung führt. Diese war lediglich ein für Lebensversicherungsver-
träge geltender Teil einer für alle Versicherungsverträge angeordneten
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Befristung des Rechts des Versicherungsnehmers, sich von der vertra g-
lichen Bindung zu lösen.
§ 8 VVG a.F. erfasste alle nicht im Policenmodell geschlossenen
Versicherungsverträge und regelte die insoweit bestehenden Lösungs-
rechte des Versicherungsnehmers - das Recht zum Rücktritt von Le-
bensversicherungsverträgen (§ 8 Abs. 5 VVG a.F.) und das Recht zum
Widerruf sonstiger Versicherungsverträge (§ 8 Abs. 4 VVG a.F.). Für alle
diese Verträge sah § 8 VVG a.F. vor, dass das jeweilige Lösungsrecht
eines nicht ordnungsgemäß darüber belehrten Versicherungsnehmers
einen Monat nach Zahlung der ersten Prämie erlöschen sollte. Einer so l-
chen Frist stehen indes die vorgenannten Lebensversicherungsrichtlinien
bei Versicherungsverträgen entgegen, die dem Anwendungsbereich die-
ser Richtlinien unterfallen. Eine richtlinienkonforme teleologische Redu k-
tion ist hier insoweit möglich, als die Monatsfrist für den Rücktritt von
Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Le-
bensversicherung nicht angewendet wird , jedoch bei sämtlichen anderen
Versicherungsverträgen weiter gilt.
An einer solchen gespaltenen Auslegung ist der Senat nicht
dadurch gehindert, dass § 8 Abs. 5 VVG a.F. bei isolierter Betrachtung
nur für im Antragsmodell geschlossene Lebensversicherungsverträ ge
galt. Die Vorschrift ist vielmehr im Zusammenhang mit § 8 Abs. 4 VVG
a.F. zu sehen.
Die frühere Fassung des § 8 Abs. 4 VVG vom 17. Dezember 1990
(gültig vom 1. Januar 1991 bis 28. Juli 1994) erfasste alle Versiche-
rungsverträge und enthielt noch keine von der Erteilung der Belehrung
unabhängige Befristung des Widerrufsrechts. Durch Art. 15 Abs. 1 der
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Zweiten Richtlinie Lebensversicherung, der für die Lebensversiche rung
ein zwischen 14 und 30 Tagen zu bemessendes Rücktrittsrecht vorsah ,
wurde der Gesetzgeber zu einer Neuregelung veranlasst, die in Anse-
hung des Rechts des Versicherungsnehmers, sich vom Vertrag zu lösen,
zwischen Lebensversicherungsverträgen und sonstigen Versicherungen
unterschied. Da der Gesetzgeber eine kumulative Begründung von W i-
derrufs- und Rücktrittsrecht in der Lebensversicherung sachlich weder
für geboten noch vertretbar hielt, nahm er die Lebensversicherung aus
dem Anwendungsbereich des Widerrufsrechts heraus und sah in § 8
Abs. 5 VVG a.F. zur Umsetzung der Vorgabe aus Art. 15 Abs. 1 der
Zweiten Lebensversicherungsrichtlinie (BT -Drucks. 12/6959 S. 101) ein
Rücktrittsrecht vor. Mit dem Dritten Durchführungsgesetz/EWG zum
VAG, das vor allem auch der Umsetzung der Dritten Lebensversiche-
rungsrichtlinie diente (BT-Drucks. 12/6959 S. 1), wurden wortgleich die
beiden Ausschlussfristen in § 8 Abs. 4 Satz 4 und § 8 Abs. 5 Satz 4 VVG
eingeführt (BT-Drucks. 12/6959 S. 34 f.). Sie bilden hinsichtlich der von
der Erteilung einer Belehrung unabhängigen Ausschlussfrist eine für alle
Versicherungsverträge einheitliche Regelung. Wie die Gesetzesbegrün-
dung (BT-Drucks. 12/6959 S. 101) hervorhebt, wurden "aus Gründen
praktischer Vernunft … zur Vermeidung von Missverständnissen und zur
Vermeidung von Rechtsunsicherheit bei den Versicherungs nehmern für
das Widerrufs- und das Rücktrittsrecht gleiche Fristen vorgesehen". Mit-
hin beabsichtigte der Gesetzgeber eine einheitliche, von der Erteilung
einer Belehrung unabhängige Befristung des Lösungsrechts, die für alle
im Antragsmodell geschlossenen Versicherungsverträge gelten sollte.
Daran ändert nichts, dass aus redaktionellen Gründen hinsichtlich der
Befristung gleichlautende Bestimmungen als § 8 Abs. 4 Satz 4 und § 8
Abs. 5 Satz 4 VVG a.F. eingefügt wurden.
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Die zulässige richtlinienkonforme teleologische Reduktion führt im
Ergebnis zu einer gespaltenen Auslegung dieser umfassenden Befris-
tung dergestalt, dass sie nur insoweit korrigiert wird, als sie mit den A n-
forderungen der vorgenannten Richtlinien nicht übereinstimmt, und im
überschießenden - nicht europarechtlich determinierten - Teil unverän-
dert bleibt (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 28).
c) Die vorangegangene Kündigung des Versicherungsvertrages
steht dem späteren Rücktritt nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai
2014 aaO Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Rücktrittsrechts infolge
beiderseits vollständiger Leistungserbringung (vgl. dazu Senatsurteil
vom 16. Oktober 2013 - IV ZR 52/12, VersR 2013, 1513 Rn. 25 ff.)
kommt hier ebenfalls nicht in Betracht, da eine analoge Anwendung der
Regelungen aus § 7 Abs. 2 VerbrKrG, § 2 Abs. 1 Satz 4 HWiG nach Au-
ßerkrafttreten dieser Gesetze bereits zum Zeitpunkt der Abwicklung des
Vertrages im Jahre 2005 nicht mehr möglich ist (vgl. dazu Senatsurteil
vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
Auch der von der Beklagten erhobene Verwirkungseinwand greift
nicht (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 39).
3. Die Rücktrittsfolgen sind nicht auf eine Wirkung ab Zugang der
Rücktrittserklärung (ex nunc) zu beschränken, sondern nur eine Rück-
wirkung entspricht dem unionsrechtlichen Effektivitätsgebot (dazu im
Einzelnen Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
4. Ohne Erfolg hat sich die Beklagte in der mündlichen Verhand-
lung und mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2014 darauf berufen, der
Ausübung des Rücktrittsrechts stehe eine analoge Anwendung des
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§ 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB a.F. entgegen, der das Widerrufsrecht des Ver-
brauchers bei Fernabsatzverträgen für bestimmte Finanzdienstleistungen
ausschließt, zu denen nach Auffassung der Beklagten auch fondsgebu n-
dene Rentenversicherungen zählen.
Der früher in § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB a.F., nunmehr in § 312g
Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 BGB geregelte Ausschluss des Widerruf srechts (BT-
Drucks. 17/12637 S. 56) wurde eingefügt durch das Gesetz zur Änd e-
rung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistu n-
gen vom 2. Dezember 2004 und trat am 8. Dezember 2004 in Kraft. Da-
rin wurde die so genannte Richtlinie über den Fernabsatz von Finanz-
dienstleistungen (2002/65/EG, ABl. L 271, S. 16) umgesetzt.
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die Regelung auch für
das in § 8 Abs. 5 VVG a.F. geregelte Rücktrittsrecht und den hier in Re-
de stehenden Versicherungsvertrag Geltung beansprucht, denn eine
- auch analoge - Anwendung kommt unabhängig vom Vorliegen der wei-
teren Voraussetzungen des § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB a.F. im Streitfall
schon deshalb nicht in Betracht, weil der zeitliche Geltungsbereich der
Norm nicht eröffnet ist. Der Rentenversicherungsvertrag wurde bereits im
Jahre 2000 geschlossen. Nach Art. 229 § 11 Abs. 1 Satz 1 EGBGB findet
auf bis zum Ablauf des 7. Dezember 2004 entstandene Schuldverhältni s-
se das Bürgerliche Gesetzbuch in der bis zu diesem Tag geltenden Fas-
sung Anwendung.
5. Die Abweisung der Klage erweist sich auch nicht deshalb als
richtig, weil die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung
durchgriffe. Wie das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend entschi e-
den hat, ist der Anspruch der Klägerin aus § 346 Abs. 1 BGB nicht ver-
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jährt. Auch wenn Gestaltungsrechte nicht verjähren, so kann ihre Au s-
übung Rückabwicklungsansprüche begründen, die der Verjährung unte r-
liegen (Palandt/Ellenberger, BGB 73. Aufl. § 194 Rn. 4). Der Rückge-
währanspruch entsteht mit dem wirksam erklärten Rücktritt (vgl. BGH,
Urteil vom 15. November 2006 - VIII ZR 3/06, BGHZ 170, 31 Rn. 37;
MünchKomm-BGB/Gaier, 6. Aufl. § 346 Rn. 32; Soergel/Lobinger, BGB
13. Aufl. § 346 Rn. 60; Staudinger/Kaiser, BGB Bearb. 2012 § 346
Rn. 305). Die Klägerin erklärte den Rücktritt - wie bereits dargelegt - mit
Schreiben vom 3. Dezember 2009. Die Verjährungsfrist des § 195 BGB
war daher bei Erhebung der Klage im Jahre 2010 in keinem Falle abge-
laufen.
III. Die Sache ist noch nicht entscheidungsreif, weil sich das Beru-
fungsgericht - aus seiner Sicht konsequent - bislang nicht mit der Höhe
der nach § 346 Abs. 1 BGB zurück zu gewährenden Leistungen und Nut-
zungszinsen befasst hat.
Insoweit wird es zu berücksichtigen haben, dass im Rahm en einer
- wie hier - gemeinschaftsrechtlich geforderten rechtsfortbildenden Au s-
legung einer nationalen Norm bei der Regelung der Rechtsfolgen nach
nationalem Recht ein vernünftiger Ausgleich und eine gerechte Ris i-
koverteilung zwischen den Beteiligten hergestellt werden darf. Dies hat
der Senat zu § 5a VVG a.F. entschieden (Senatsurteil vom 7. Mai 2014
- IV ZR 76/11 aaO Rn. 45). So ist es auch im Streitfall, in dem die Befris-
tung des Rechts des nicht ordnungsgemäß belehrten Versicherung s-
nehmers, sich vom Vertrag zu lösen, - ebenso wie es im Falle des § 5a
Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. war - im Anwendungsbereich der Zweiten und
Dritten Richtlinie Lebensversicherung mit Rücksicht auf die gebotene
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richtlinienkonforme teleologische Reduktion unanwendbar is t. Eine ein-
schränkungslose, allein unter dem national-rechtlichen Blickwinkel be-
trachtete, Ausgestaltung des Rücktrittsrechts auf der Rechtsfolgenseite
wäre auch hier nicht sachgerecht.
Daher ist auch insoweit als Folge der gebotenen gemeinschaft s-
konformen Auslegung einer Beachtung der beiderseitigen Interessen
Rechnung zu tragen. Ebenso wie in dem vom Senat am 7. Mai 2014 en t-
schiedenen Fall hat die Versicherungsnehmerin im Streitfall während der
Prämienzahlung Versicherungsschutz genossen, und es ist auch hier d a-
von auszugehen, dass dieser im Versicherungsfall in Anspruch geno m-
men worden wäre. Mit Blick darauf führte eine Verpflichtung des Vers i-
cherers zur Rückgewähr sämtlicher Prämien auch hier zu einem U n-
gleichgewicht innerhalb der Gemeinschaft der Versicherten. Vielmehr
muss sich die Klägerin bei entsprechendem Vortrag des beklagten Vers i-
cherers im Rahmen der Rückabwicklung nach § 346 BGB einen Werte r-
satz für den Versicherungsschutz anrechnen lassen, den sie jedenfalls
bis zur Kündigung des Vertrages genossen hat. § 346 Abs. 2 Satz 1
BGB, mit dem der Gesetzgeber eine Regelung geschaffen hat, nach we l-
cher für die Rückabwicklung nach Rücktritts- und nach Bereicherungs-
recht - soweit möglich - gleiche Prinzipien gelten sollten (BT-Drucks.
14/6040 S. 194 f.), lässt nach nationalem Recht einen solchen Werter-
satz zu. Dabei kann in Fällen der vorliegenden Art - wie der Senat zu
§ 5a VVG a.F. bereits entschieden hat - der Wert des Versicherungs-
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schutzes unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen we r-
den, wobei im Falle von Lebensversicherungen etwa dem Risikoanteil
Bedeutung zukommen kann (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45).
Mayen Wendt Felsch
Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Vorinstanzen:
AG Braunschweig, Entscheidung vom 16.03.2011 - 114 C 1621/10 -
LG Braunschweig, Entscheidung vom 11.11.2011 - 7 S 157/11 -