Urteil des BGH vom 16.09.2015

Ex Nunc, Versicherer, Lebensversicherung, Absendung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I V Z R 2 3 3 / 1 4
Verkündet am:
16. September 2015
Heinekamp
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf -Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftli-
chen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum
24. August 2015
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil des
20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 2. Mai
2014 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisions-
verfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
8.191,50
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) be-
gehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rüc k-
zahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen Le-
bensversicherung.
Diese wurde aufgrund Antrags d. VN mit Versicherungsbeginn zum
1. Februar 2003 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in
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der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abge-
schlossen.
D. VN trat seine Ansprüche aus dem Versicherungsantrag an die
proConcept AG ab. Diese erklärte mit Schreiben vom Mai 2009 unter an-
derem den Widerspruch nach § 5a VVG a.F., hilfsweise die Kündigung.
Der Versicherer wertete das Schreiben als Kündigung und zahlte an die
proConcept AG den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom September
2010 erklärte d. VN u.a. den Widerspruch nach § 5a VVG a.F.
Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag ge-
leisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rück-
kaufswerts, insgesamt 8.191,50
€.
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen, weil er zum einen nicht ordnungsgemäß belehrt
wurde und zum anderen das Policenmodell mit den Lebensversich e-
rungsrichtlinien der Europäischen Union nicht vereinbar s ei.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht
die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision ve r-
folgt d. VN das Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurt eils und zur Zu-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht .
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I. Dieses hat die Aktivlegitimation des Klägers nach Rückabtretung
der Ansprüche an ihn bejaht, hat aber einen Prämienrückerstattungsan-
spruch aus ungerechtfertigter Bereicherung vernein t. Der Versicherer
habe im Policenbegleitschreiben zwar nicht ordnungsgemäß über das
Widerspruchsrecht belehrt, weil die fristauslösenden Unterlagen nicht
vollständig bezeichnet seien und auch der Hinweis auf die einzuhaltende
Textform fehle. Der Vertrag sei aber gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie rückwirkend endgültig wirksam
geworden.
II. Die Revision ist begründet.
1. Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1
Alt. 1 BGB kann d. VN mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begrün-
dung nicht versagt werden.
a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag
schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des
Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Wider-
spruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
normierten Jahresfrist - rechtzeitig.
aa) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Festste l-
lungen des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. VN - auch un-
ter Berücksichtigung des Vorbringens der Revisionserwiderung - nicht
ordnungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Wide r-
spruchsrecht. Die Widerspruchsbelehrung im maßgeblichen Policenb e-
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gleitschreiben genügt diesen Anforderungen nicht, weil sie den Fristbe-
ginn nur an den Erhalt des Versicherungsscheins, nicht aber auch an
den Erhalt der Allgemeinen Versicherungsbedingungen und der Verbra u-
cherinformation knüpft (vgl. Senatsurteil vom 29. Juli 2015 - IV ZR
448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 25; BGH, Urteil vom 17. Dezember 1992
- I ZR 73/91, BGHZ 121, 52, 57 unter II 3).
Zutreffend hat das Berufungsgericht weiter ausgeführt, dass die im
Versicherungsschein enthaltene Belehrung auch deshalb inhaltlich fe h-
lerhaft ist, weil sie keinen Hinweis darau f enthält, dass der Widerspruch
in Textform zu erheben war. Die notwendige Belehrung über das geset z-
liche Formerfordernis (vgl. Senatsurteil vom 28. Januar 2004 - IV ZR
58/03, VersR 2004, 497 unter 3 b) erfolgte entgegen der Auffassung der
Revisionserwiderung nicht dadurch, dass d. VN mitgeteilt wurde, zur
Fristwahrung genüge die rechtzeitige "Absendung" der Widerspruchser-
klärung an den Versicherer. Selbst wenn ein verständiger Versich e-
rungsnehmer nur verkörperte Erklärungen als der Absendung zugänglich
ansieht, so bleibt für ihn dennoch unklar, ob hierzu eine Verkörperung in
Textform ausreicht oder ob es nicht der traditionellen Schriftform bedarf
(Senatsurteil vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101
Rn. 26).
Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten
Prämie erlischt. Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf
der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.
Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des G e-
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richtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11,
BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die
Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert
werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten
Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon e r-
fasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen
zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht,
wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum W i-
derspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinf ormation oder
die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.
bb) Die hilfsweise Kündigung des Versicherungsvertrages steht
dem Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO
Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nac h beiderseits
vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl.
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarecht s-
widrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur e i-
ne Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwic k-
lung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Vers i-
cherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes
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kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden;
bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung z u-
kommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.; vgl. auch
Senatsurteil vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101
Rn. 35 ff.).
Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuve r-
weisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu
geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Aachen, Entscheidung vom 22.02.2013 - 9 O 488/11 -
OLG Köln, Entscheidung vom 02.05.2014 - 20 U 56/13 -
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