Urteil des BGH vom 23.09.2015

Wahrung der Frist, Ex Nunc, Versicherer, Lebensversicherung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I V Z R 2 2 7 / 1 4
Verkündet am:
23. September 2015
Schick
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf-Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftli-
chen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum
4. September 2015
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 20. Zi-
vilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 2. Mai 2014
aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsve r-
fahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis
19.000
€ festgesetzt.
Gründe:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) b e-
gehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rüc k-
zahlung geleisteter Versicherungsbeiträge zweier Lebensversicherun-
gen, und zwar einer Lebensversicherung auf zwei Leben und einer
fondsgebundenen Lebensversicherung.
Erstere wurde aufgrund Antrags d. VN mit Versicherungsbeginn
zum 1. Juli 1997 (Endziffer 93) und letztere aufgrund Antrags d. VN mit
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Versicherungsbeginn zum 1. September 1997 (Endziffer 38) nach den
Feststellungen des Berufungsgerichts nach dem so genannten Policen-
modell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden
§ 5a VVG a.F.) abgeschlossen.
D. VN zahlte in der Folge die Versicherungsprämien. Mit Schreiben
vom 29. Juni und 24. November 2005 kündigte er unter anderem diese
Verträge und der Versicherer zahlte den jeweiligen Rückkaufswert aus.
Mit Schreiben vom 14. Dezember 2009 erklärte d. VN den Widerspruch
nach § 5a VVG a.F. zu den beiden Verträgen.
Mit der Klage begehrt d. VN Rückzahlung aller auf die beiden Ver-
träge geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich bereits gezahlter
Rückkaufwerte.
Nach Auffassung d. VN sind die Versicherungsverträge nicht wir k-
sam zustande gekommen, weil d. VN zum einen nich t ordnungsgemäß
belehrt wurde und zum anderen das Policenmodell mit den Lebensvers i-
cherungsrichtlinien der Europäischen Union nicht vereinbar sei.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; die Berufung des Kl ä-
gers ist vom Oberlandesgericht zurückgewiesen worden. Hiergegen rich-
tet sich die Revision des Klägers.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Z u-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I. Dieses hat Prämienrückerstattungsansprüche aus ungerechtfer-
tigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe zwar nicht ordnungs-
gemäß über das Widerspruchsrecht belehrt. Die Verträge seien aber
gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der jeweils
ersten Prämie rückwirkend endgültig wirk sam geworden.
II. Die Revision ist begründet.
1. Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1
Alt. 1 BGB kann d. VN mit der vom Berufungsgericht gegebenen B egrün-
dung nicht versagt werden.
a) Die zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsverträ-
ge schaffen keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlungen. Sie sind in-
folge des jeweiligen Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekom -
men. Diese waren - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4
VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.
aa) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Festste l-
lungen des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. VN - auch un-
ter Berücksichtigung des Vorbringens der Revisionserwiderung - hin-
sichtlich des Vertrages mit der Endziffer 93 nicht ordnungsgemäß i.S.
von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Die Wi-
derspruchsbelehrung im maßgeblichen Policenbegleitschreiben genügt
diesen Anforderungen nicht, weil sie den Fristbeginn nur an den Erhalt
des Versicherungsscheins, nicht aber auch an den Erhalt der Allgemei-
nen Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformation knüpft
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(vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 1992 - I ZR 73/91, BGHZ 121, 52,
57 unter II 3; Senatsurteile vom 20. Mai 2015 - IV ZR 502/14, juris
Rn. 10 und vom 29. Juli 2015 - IV ZR 448/14, juris Rn. 25).
Zutreffend hat das Berufungsgericht weiter ausgeführt, dass die im
Versicherungsschein enthaltene Belehrung auch deshalb inhaltlich fe h-
lerhaft ist, weil sie keinen Hinweis darauf enthielt, dass der Widerspruch
in Schriftform zu erheben war. Die notwendige Belehrung über das g e-
setzliche Formerfordernis (vgl. Senatsurteil vom 28. Januar 2004 - IV ZR
58/03, VersR 2004, 497 unter 3 b) konnte d. VN nicht aus der Formuli e-
rung entnehmen, dass zur Wahrung der Frist die rechtzeitige Absendung
des Widerspruchs genüge. Selbst wenn ein verständiger Versicherung s-
nehmer nur verkörperte Erklärungen als der Absendung zugänglich a n-
sieht, so bleibt für ihn dennoch unklar, ob hierzu eine Verkörperung in
Textform ausreicht oder ob es nicht der traditionellen Schriftform bedarf
(vgl. Senatsurteile vom 29. Juli 2015 - IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104
Rn. 24 und IV ZR 112/14, juris Rn. 12).
Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe
die Übergabe der Verbraucherinformation hinsichtlich des Versich e-
rungsvertrages mit der Endziffer 38 bei Antragstellung nicht bewiesen,
ist - entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung - revisionsrechtlich
ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Bestätigung im Versicherungsan-
trag, belegt dies gerade nicht. Es ist revisionsrechtlich deshalb auch
nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht aus der unterbliebenen
Reaktion des Klägers auf die später im Versicherungsschein enthaltene
Information, ihm sei bei Antragstellung eine Verbraucherinformation aus-
gehändigt worden, keine Schlüsse gezogen hat. D. VN hat zu diesem
Vertrag unstreitig eine Widerspruchsbelehrung nicht erhalten, so dass
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keine ordnungsgemäße Belehrung i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG er-
folgt ist.
Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten
Prämie erlischt. Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf
der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärun g fort.
Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des G e-
richtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11,
BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die
Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert
werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten
Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon er-
fasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen
zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht,
wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum W i-
derspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder
die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.
bb) Die Kündigung der Versicherungsverträge steht den Wider-
sprüchen nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 36
m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits voll-
ständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl.
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
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b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarecht s-
widrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur e i-
ne Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwic k-
lung den jedenfalls bis zur Kündigung der Verträge genossenen Versi-
cherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes
kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden;
bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung z u-
kommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.; vgl. auch
Senatsurteile vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101
Rn. 35 ff. und IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 33 ff.).
Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuver -
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weisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu
geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Aachen, Entscheidung vom 09.12.2011 - 9 O 150/11 -
OLG Köln, Entscheidung vom 02.05.2014 - 20 U 15/12 -