Urteil des BGH vom 24.02.2016

Ablauf der Frist, Ex Nunc, Versicherer, Versicherungsvertrag

ECLI:DE:BGH:2016:240216UIVZR225.14.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 225/14
Verkündet am:
24. Februar 2016
Heinekamp
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf-Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller auf die
mündliche Verhandlung vom 24. Februar 2016
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil des
20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 2. Mai
2014 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revision s-
verfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
47.222,47
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) be-
gehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rück-
zahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen Le-
bensversicherung.
Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsbe-
ginn zum 1. Juni 2003 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a
VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.)
abgeschlossen. D. VN zahlte in der Folge die Versicherungsprämien. Mit
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Schreiben vom 18. August 2011 kündigte er den Versicherungsvertrag
und der Versicherer zahlte den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom
23. Dezember 2011 erklärte d. VN den Widerspruch gemäß § 5a VVG
a.F.
Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller geleisteten Beiträ-
ge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts.
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen, weil er nicht ordnungsgemäß belehrt wurde. Auch
nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden -
§ 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden
können.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht
die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision ver-
folgt d. VN das Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Z u-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus unge-
rechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe zwar nicht
ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt, weil die fristauslö-
senden Unterlagen nicht vollständig bezeichnet seien . Der Vertrag sei
aber gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der ers-
ten Prämie rückwirkend endgültig wirksam geworden.
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II. Die Revision ist begründet.
1. Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1
Alt. 1 BGB kann d. VN nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen
Begründung versagt werden.
a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertr ag
schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des
Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Wide r-
spruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
normierten Jahresfrist - rechtzeitig.
aa) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Festste l-
lungen des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. VN nicht ord-
nungsgemäß im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Wider-
spruchsrecht. Die Widerspruchsbelehrung in dem maßgeblichen Versi-
cherungsschein ist fehlerhaft, weil sie die fristauslösenden Unterlagen
nicht zutreffend benennt. Nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. setzt der
Beginn der Widerspruchsfrist die Überlassung des Versicherungs-
scheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformation
nach § 10a VAG voraus. In der hier erteilten Widerspruchsbelehrung
werden hingegen einzelne Unterlagen herausgegriffen, die zu der Ve r-
braucherinformation gehören; damit wird - wie das Berufungsgericht zu
Recht feststellt - für d. VN nicht klar, dass die nach § 10a VAG a.F. ge-
setzlich vorgeschriebene Verbraucherinformation, die d. VN zur Auslö-
sung des Laufs der Widerspruchsfrist zu erteilen ist, die Überlassung
weiterer Unterlagen als der in der Widerspruchsbelehrung genannten v o-
raussetzt. Es fehlt danach in der Widerspruchsbelehrung eine zutreffen-
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de Benennung der nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. fristauslösenden
Unterlagen.
Anders als die Revisionserwiderung meint, ist es ohne Belang, ob
d. VN mit dem Versicherungsschein auch die weiteren erforderlichen U n-
terlagen zugingen. Dieser Umstand ändert nichts an der inhaltlichen Fe h-
lerhaftigkeit der Belehrung, sondern betrifft allein die Auswirkung derse l-
ben auf den konkreten Fall. Für die Frage der Ordnungsgemäßheit der
Belehrung kommt es auf derartige Kausalitätsfragen nicht an (vgl. Se-
natsurteil vom 29. Juli 2015 - IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 25
m.w.N.).
Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten
Prämie erlischt. Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf
der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.
Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Ge-
richtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11,
BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die
Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduzier t
werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten
Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon e r-
fasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen
zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht,
wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Wi-
derspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder
die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.
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bb) Die Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem späteren
Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO
Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits
vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl.
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
cc) Ob - wie die Revisionserwiderung meint - der Verwirkungsein-
wand möglich ist, wenn eine Widerspruchsbelehrung nur marginale Fe h-
ler aufweist, braucht hier nicht entschieden zu werden. Der genannte B e-
lehrungsmangel ist nicht belanglos, sondern betrifft einen wesentlichen
Punkt für die Ausübung des Widerspruchsrechts, nämlich den Beginn der
Widerspruchsfrist (vgl. Senatsurteil vom 29. Juli 2015 - IV ZR 448/14,
VersR 2015, 1104 Rn. 29, 30).
b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarecht s-
widrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur ei-
ne Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwick-
lung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versi-
cherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes
kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bem essen werden;
bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung z u-
kommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.; vgl. auch
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Senatsurteile vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101 und
IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104).
Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuve r-
weisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu
geben haben (vgl. Senatsurteile vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46 und vom
11. November 2015 - IV ZR 513/14, VersR 2016, 33 Rn. 41 ff.). Gegebe-
nenfalls wird es sich auch mit dem vom Versicherer angesprochenen
Einwand der Treuwidrigkeit befassen müssen, dass der Versicherungs-
vertrag als Sicherungsmittel für den Erhalt eines Darlehens verwendet
worden war.
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 26.09.2012 - 26 O 147/12 -
OLG Köln, Entscheidung vom 02.05.2014 - 20 U 214/12 -
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