Urteil des BGH vom 16.03.2016

Ablauf der Frist, Ex Nunc, Versicherer, Lebensversicherung

ECLI:DE:BGH:2016:160316UIVZR222.14.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 222/14
Verkündet am:
16. März 2016
Schick
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf-Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftli-
chen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum
1. März 2016
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil des
20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 2. Mai
2014 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revision s-
verfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
11.016,24
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmerin: im Folgenden d. VN) be-
gehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rück-
zahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen Le-
bensversicherung.
Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsbe-
ginn zum 1. September 2000 nach dem so genannten Policenmodell des
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§ 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG
a.F.) abgeschlossen. D. VN zahlte in der Folge die Versicherungsprä-
mien. Mit Schreiben vom 28. Mai 2010 erklärte d. VN den Widerspruch
gemäß § 5a VVG a.F., hilfsweise die Kündigung des Vertrages. Der Ve r-
sicherer akzeptierte die Kündigung und zahlte den Rückkaufswert abzüg-
lich eines gewährten Policendarlehens aus. Mit Schreiben vom 4. Okto-
ber 2010 wiederholte d. VN den Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F.
Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller geleisteten Beiträ-
ge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts.
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen, weil sie nicht ordnungsgemäß belehrt wurde. Auch
nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden -
§ 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden
können.
Der Versicherer hat u.a. die Einrede der Verjährung erhoben.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht
die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision ver-
folgt d. VN das Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Z u-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus unge-
rechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe zwar nicht
ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt, weil der Hinweis
auf die einzuhaltende Schriftform fehle. Der Vertrag sei aber gemäß § 5a
Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie rüc k-
wirkend endgültig wirksam geworden.
II. Die Revision ist begründet.
1. Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung nach § 812 Abs. 1 Satz 1
Alt. 1 BGB kann d. VN mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begrü n-
dung nicht versagt werden.
a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsv ertrag
schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des
Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Wider-
spruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
normierten Jahresfrist - rechtzeitig.
aa) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Festste l-
lungen des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. VN nicht ord-
nungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Wider-
spruchsrecht. Die Widerspruchsbelehrung in dem maßgeblichen Versi-
cherungsschein genügt diesen Anforderungen nicht, weil der Hinweis auf
die einzuhaltende Form fehlt. Die notwendige Belehrung über das ge-
setzliche Formerfordernis (vgl. Senatsurteil vom 28. Januar 2004 - IV ZR
58/03, VersR 2004, 497 unter 3b) erfolgte entgegen der Auffassung der
Revisionserwiderung nicht dadurch, dass d. VN mitgeteilt wurde, zur
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Fristwahrung genüge die rechtzeitige "Absendung" der Widerspruchse r-
klärung (Senatsurteil vom 17. Juni 2015 - IV ZR 426/13, juris Rn. 13).
Selbst wenn ein verständiger Versicherungsnehmer nur verkörperte Er-
klärungen als der Absendung zugänglich ansieht, so bleibt für ihn de n-
noch unklar, ob hierzu eine Verkörperung in Textform ausreicht oder ob
es nicht der traditionellen Schriftform bedarf (Senatsurteil vom 29. Juli
2015 - IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 24).
Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten
Prämie erlischt. Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf
der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.
Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Ge-
richtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11,
BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die
Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduzier t
werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und d er Dritten
Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon e r-
fasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen
zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht,
wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Wi-
derspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder
die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.
bb) Die hilfsweise Kündigung des Versicherungsvertrages steht
dem Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO
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Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits
vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl.
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechts-
widrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur e i-
ne Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
2. Ein Rückgewähranspruch war bei Erhebung der Klage im Januar
2011 noch nicht verjährt. Zu diesem Zeitpunkt war die maßgebliche re-
gelmäßige dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB nicht abgelaufen.
Diese konnte erst mit Schluss des Jahres 2010 beginnen, da d. VN erst
in diesem Jahr den Widerspruch erklärte. Der nach einem Widerspruch
gemäß § 5a VVG a.F. geltend gemachte Bereicherungsanspruch en t-
stand erst mit Ausübung des Widerspruchsrechts im Sinne des § 199
Abs. 1 Nr. 1 BGB; jedenfalls zu diesem Zeitpunkt hatte d. VN Kenntnis
von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des
Schuldners im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB (vgl. Senatsurteil vom
8. April 2015 - IV ZR 103/15, VersR 2015, 700 Rn. 19 ff.).
3. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwick-
lung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossene n Versi-
cherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes
kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden;
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bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung z u-
kommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).
Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuve r-
weisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu
geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46) und dabei
auch die Vorgaben der Senatsurteile vom 29. Juli 2015 (IV ZR 384/14,
VersR 2015, 1101 Rn. 36 ff.; IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 34 ff .)
sowie vom 11. November 2015 (IV ZR 513/14, VersR 2015, 33 Rn. 31 ff.)
zu beachten haben.
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 05.03.2012 - 26 O 32/11 -
OLG Köln, Entscheidung vom 02.05.2014 - 20 U 67/12 -
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