Urteil des BGH vom 11.02.2015

Leitsatzentscheidung zu Treu Und Glauben, Versicherer, Stille Reserven, Versicherungsnehmer, Beitragsrückerstattung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I V Z R 2 1 3 / 1 4
Verkündet am:
11. Februar 2015
Heinekamp
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
VVG § 153 Abs. 1-3; VAG § 56a, § 56b
1. Aus den vom Versicherer zu bildenden Rückstellungen für Beitragsrückerstattung
(§§ 56a, 56b VAG) sind sowohl die Beteiligung an dem Überschuss gemäß § 153
Abs. 2 VVG als auch die Bewertungsreserven gemäß § 153 Abs. 3 VVG zu bilden.
Hat der Versicherer die Bewertungsreserven nach einem verursachungsorientier-
ten Verfahren ermittelt, sind diese aus der Rückstellung für Beitragsrückerstattung
auszuzahlen.
2. § 315 BGB findet im Rahmen der Regelung der Überschussbeteiligung gemäß
§ 153 VVG keine Anwendung.
BGH, Urteil vom 11. Februar 2015 - IV ZR 213/14 - LG Kassel
AG Fritzlar
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf-Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller auf die
mündliche Verhandlung vom 11. Februar 2015
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil der
1. Zivilkammer des Landgerichts Kassel vom 8. Mai 2014
wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten eine höhere Beteiligung an
Überschüssen und Bewertungsreserven einer Lebensversicherung. Der
frühere Arbeitgeber des Klägers schloss für diesen bei der Rechtsvo r-
gängerin der Beklagten eine kapitalbildende Lebensversicherung ab.
Versicherungsbeginn war der 1. Dezember 1987, Ablauf der Versiche-
rung der 1. Dezember 2008. Dem Vertrag liegen "Allgemeine Bedingu n-
gen für die kapitalbildende Lebensversicherung" zugrunde. In § 16 heißt
es unter der Überschrift "Wie sind Sie an unseren Überschüssen bete i-
ligt?" unter anderem:
"… An dem erwirtschafteten Überschuß sind unsere Versi-
cherungsnehmer entsprechend unserem jeweiligen von der
Aufsichtsbehörde genehmigten Geschäftsplan beteiligt."
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Die Beklagte legte hierzu einen Auszug aus ihrem Geschäftsplan
betreffend die Beteiligung an Bewertungsreserven s owie einen Erläute-
rungsvermerk vor. Nach Ausscheiden des Klägers bei seinem Arbeitg e-
ber führte er die Versicherung selbst als Versicherungsnehmer fort. Mit
Schreiben vom 22. Oktober 2008 rechnete die Beklagte den Vertrag ab
und zahlte dem Kläger 28.025,81
€ aus, wovon auf das Garantiekapital
18.902
€ sowie auf die garantierte Überschussbeteiligung 9.123,81 €
entfallen. Ferner gab sie an, dass in der garantierten Überschussbeteil i-
gung ein Schlussüberschuss von 1.581,60
€ sowie die auf den Vertrag
entfallende
Bewertungsreserve
von
678,21
€ enthalten ist. Am
15. Januar 2009 erläuterte die Beklagte die Beteiligung an den Bewe r-
tungsreserven dahingehend, dass sich diese aus einem Sockelbetrag
von 656,88
€ sowie einem volatilen Anteil von 21,33 € zusammensetzt.
Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe ein Anspruch auf Zahlung
von 656,88
€ entsprechend dem im Schreiben der Beklagten vom 15. Ja-
nuar 2009 erwähnten Sockelbetrag für die Bewertungsreserve zu. Die
Beklagte habe diesen Anteil an der Bewertungsreserve unzu lässiger-
weise mit seinem Anspruch auf die Schlussüberschussbeteiligung ve r-
rechnet, obwohl ihm die Bewertungsreserve zusätzlich zu dem Schluss-
überschussanteil zustehe. Mit der Klage verlangt der Kläger Zahlung
dieser 656,88
€. Hilfsweise begehrt er im Wege der Stufenklage Feststel-
lung der Unbilligkeit der von der Beklagten vorgenommenen Berechnung
der Überschussbeteiligung, deren gerichtliche Neufestsetzung und s o-
dann Auszahlung des sich hieraus ergebenden Betrages, weiter hilfswe i-
se die Verurteilung der Beklagten, ihm Auskunft über die mathematische
Berechnung des Anteils der Beteiligung an Überschuss und Bewertung s-
reserven einschließlich ihrer Berechnungsgrundlage zu erteilen und an-
schließend Zahlung des sich aus dieser Auskunft ergebenden Betrages.
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Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit seiner
Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist unbegründet.
I. Das Berufungsgericht, dessen Urteil in VersR 2014, 1240 veröf-
fentlicht ist, hat ausgeführt, dem Kläger stehe kein Anspruch auf Zahlung
weiterer 656,88
€ zu. Der Anspruch auf Beteiligung an den Bewertungs-
reserven sei durch die Beklagte durch die Auszahlung der Beteiligung an
den stillen Reserven in Höhe von 678,21
€ in Form eines Sockelbetrages
in Höhe von 656,88
€ und eines volatilen Anteils von 21,33 € erfüllt wor-
den. Der Kläger habe nicht substantiiert behauptet, dass d ieser Betrag
nicht den gesetzlichen Anforderungen entspreche. Die Beklagte habe die
Bewertungsreserve auf der Grundlage eines verursachungsorientierten
Verfahrens ermittelt. Aus § 153 VVG folge nicht, dass der Kläger neben
der Beteiligung an den Bewertungsreserven einen zusätzlichen Anspruch
auf den bisher prognostizierten Schlussüberschuss habe. Bei dem strei t-
gegenständlichen Versicherungsvertrag sei die Verringerung der Übe r-
schüsse die Folge einer Umstellung der Praxis bei der Beteiligung der
Versicherungsnehmer an den Bewertungsreserven durch die Beklagte
zur Umsetzung der Novellierung des Versicherungsvertragsges etzes.
Realisiere die Beklagte weniger Reserven als bisher, etwa weil die Ver-
sicherungsnehmer nach § 153 Abs. 3 VVG nunmehr in anderer Weise an
diesen partizipieren, führe dies zu einer Verringerung der Überschüsse
und damit der Höhe der Schlussüberschussbeteiligung in derselben Wei-
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se wie wenn die Überschüsse aus anderen Gründen sinken. Damit ha n-
dele es sich nicht um ein "Herausrechnen" des Sockelbetrages aus dem
dadurch geringer ausfallenden Schlussüberschuss, sondern um eine
Veränderung der einzelnen Komponenten der Überschussbeteiligung in-
folge der Schwankung der jeweiligen Bemessungsgrundlagen. Je höher
die Bewertungsreserve sei, desto geringer sei der Überschuss und u m-
gekehrt. Es sei ferner nicht zu beanstanden, dass die Beklagte den S o-
ckelbetrag der Beteiligung an den Bewertungsreserven nach dem gle i-
chen Verfahren finanziere wie die Schlussüberschussanteile.
Der Kläger könne ferner nicht die begehrte Feststellung verlangen,
dass die Höhe der Überschussbeteiligung unbillig sei und stattdessen e i-
ne vom Gericht zu ermittelnde billige und angemessene Höhe gelten so l-
le. Die Parteien hätten nicht gemäß § 315 Abs. 1 BGB vereinbart, dass
die Beklagte die Leistung einseitig nach billigem Ermessen bestimmen
solle. Der Gesetzgeber habe ebenfalls keine Anwendung von § 315 BGB
vorgesehen. Schließlich stehe dem Kläger kein weiterer Anspruch auf
Auskunftserteilung gemäß § 242 BGB zu. Den bestehenden Anspruch
habe die Beklagte erfüllt, indem sie die Berechnung des Sockelbetrages
durch einen Auszug aus dem Geschäftsplan dargestellt und um eine Er-
läuterung ergänzt habe.
Ein Anspruch auf mathematische Berechnung des Anteils der auf
den Kläger zum Zeitpunkt des Vertragsablaufs entfallenden Beteiligung
am Überschuss und den Bewertungsreserven bestehe unter Abwägung
mit dem berechtigten Geheimhaltungsinteresse der Beklagten nicht.
Schließlich benötige der Kläger die geforderte Auskunft nicht mehr, um
seinen Anspruch geltend machen zu können. Der Kläger habe den von
ihm verlangten Betrag, bei dem es sich um den Höchstbet rag handele,
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den er verlangen könne, auch ohne diese Auskunft bereits ermitteln kö n-
nen.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
1. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zahlung weiterer 656,88
nebst Zinsen zu.
a) Gemäß § 153 Abs. 1 VVG in der seit dem 1. Januar 2008 gel-
tenden Fassung steht dem Versicherungsnehmer eine Beteiligung an
dem Überschuss und an den Bewertungsreserven (Überschussbeteil i-
gung) zu, es sei denn, die Überschussbeteiligung ist - wie hier nicht -
durch ausdrückliche Vereinbarung ausgeschlossen. Nach § 153 Abs. 2
Satz 1 Halbsatz 1 VVG hat der Versicherer die Beteiligung an dem Übe r-
schuss nach einem verursachungsorientierten Verfahren durchzuführen.
Bezüglich der Bewertungsreserve bestimmt § 153 Abs. 3 Satz 1 VVG,
dass der Versicherer diese jährlich neu zu ermitteln und nach einem ve r-
ursachungsorientierten Verfahren rechnerisch zuzuordnen hat. Bei der
Beendigung des Vertrages wird der für diesen Zeitpunkt zu ermittelnde
Betrag zur Hälfte zugeteilt und an den Versicherungsne hmer ausgezahlt
(§ 153 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 VVG). § 153 VVG findet gemäß Art. 4
Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 EGVVG ab dem 1. Januar 2008 auch auf den
hier geschlossenen Altvertrag Anwendung. Zwar gelten nach Art. 4
Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 EGVVG vereinbarte Verteilungsgrundsätze als
angemessen. Diese Regelung hat für Bewertungsreserven indessen ke i-
ne Bedeutung, weil bei Altverträgen keine Vereinbarungen über deren
Verteilung getroffen wurden (vgl. Langheid in Römer/Langheid, VVG
4. Aufl. § 153 Rn. 44).
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b) Unter einem verursachungsorientierten Verfahren gemäß § 153
Abs. 2 und 3 VVG ist zu verstehen, dass der Versicherer die Versiche r-
tengemeinschaft
in
Abrechnungsverbände
einteilen
kann
(vgl.
BT-Drucks. 16/3945 S. 96; MünchKomm-VVG/Heiss, § 153 Rn. 42;
Langheid in Römer/Langheid aaO Rn. 27; Krause in Looschelders/Pohl-
mann, VVG 2. Aufl. § 153 Rn. 37). Ein solches verursachungsorientiertes
Verfahren hat die Beklagte angewendet, wie sich aus dem für die Über-
schussbeteiligung nach § 16 AVB maßgeblichen Geschäftsplan ergibt.
Aus diesem sowie den ergänzenden Erläuterungen der Beklagten lässt
sich entnehmen, dass die Beklagte zunächst nach Sicherstellung ihrer
Solvabilität eine Zuordnung der Bewertungsreserven auf den anspruch s-
berechtigten Bestand der Versicherungsnehmer vornimmt. Dem schließt
sich eine Zuordnung auf die einzelnen anspruchsberechtigten Verträge
an. Der Anteil des einzelnen Vertrages an den Bewertungsreserven wird
mithin in der Weise ermittelt, dass die Verteilung der gesamten anzuse t-
zenden Bewertungsreserven im Verhältnis des Deckungskapitals des
einzelnen Vertrages bei Vertragsablauf zur Summe des Deckungskap i-
tals aller anspruchsberechtigten Verträge erfolgt. Dieser Betrag wird von
der Beklagten nicht in einem Einmalbetrag errechnet, sondern teil t sich
in einen Sockelbetrag und einen volatilen Anteil auf. Der Sockelbetrag,
der Schwankungen am Kapitalmarkt ausgleichen soll, ist dem Versiche-
rungsnehmer garantiert. Er wird in jedem Fall ausgezahlt, es sei denn,
dass sich nach den allgemeinen Grundsätzen ein höherer Betrag ergibt.
Auf dieser Grundlage hat die Beklagte dem Kläger in ihrem Abrec h-
nungsschreiben vom 22. Oktober 2008 eine Bewertungsreserve von
678,21
€ zugeteilt, die ausweislich ihres Erläuterungsschreibens vom
15. Januar 2009 aus dem Sockelbetrag von 656,88
€ sowie einem volati-
len Anteil von 21,33
€ besteht.
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c) Der Kläger behauptet - jedenfalls seit dem Berufungsverfahren -
auch nicht mehr, dass diese Berechnung der Bewertungsreserve n unzu-
treffend ist. So heißt es in der Berufungsbegründung ausdrücklich, er
nehme an, dass sein Anteil an den Bewertungsreserven in Höhe von
678,21
€ möglicherweise richtig von der Beklagten ermittelt worden sei.
In der Sache geht es dem Kläger nicht um eine Neuberechnung der B e-
wertungsreserven, sondern er wendet sich gegen die nach seiner Auf-
fassung unzulässige Verrechnung der Bewertungsreserve n mit dem
Schlussüberschussanteil.
Insoweit unterscheidet der Kläger indessen nicht hinreichend zwi-
schen der Berechnung und der Zuteilung der Bewertungsreserve eine r-
seits sowie deren Auszahlung andererseits. Bewertungsreserven, auch
"stille Reserven" genannt, sind zunächst rein rechnerische Posten, die
sich aus der Differenz zwischen dem Buchwert und dem Zeitwert von
Kapitalanlagen ergeben (vgl. Langheid in Römer/Langheid, VVG 4. Aufl.
§ 153 Rn. 37). Diese Bewertungsreserven können vom Versicherer durch
Veräußerung der entsprechenden Wirtschaftsgüter realisiert werden. Die
Beklagte hat hierzu vorgetragen, sie habe die Überschussbeteiligung bis
zum 31. Dezember 2007 in der Weise vorgenommen, dass sie die B e-
wertungsreserven realisiert und die so erzeugten Gewinne an die Versi-
cherungsnehmer mit der Schlussüberschusszahlung geleistet habe. L e-
diglich eine gesonderte Ausweisung sei wegen Fehlens einer entspr e-
chenden gesetzlichen Vorschrift nicht erfolgt. Seit dem 1. Januar 2008
würden Bewertungsreserven nicht mehr realisiert, um sie mit dem
Schlussüberschuss an die Versicherungsnehmer auszuzahlen.
Die Beklagte ist im Rahmen von § 153 Abs. 3 VVG bei unterlasse-
ner Realisierung der stillen Reserven zunächst gehalten, deren Höhe
rechnerisch zu ermitteln, wie dies hier ihrem vorgelegten Auszug aus
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dem Geschäftsplan entspricht. Ist dieser Betrag berechnet, so hat die
Beklagte ihn an ihre Versicherungsnehmer auszuzahlen, wobei dies
rechnerisch gesondert von der Überschussbeteiligung im Übrigen zu er-
folgen hat (§ 153 Abs. 2 und 3 VVG). Die Ermittlung der Bewertungsre-
serve richtet sich hierbei nach §§ 54 ff. der Verordnung über die Rech-
nungslegung
von
Versicherungsunternehmen
(RechVersV ;
vgl.
BT-Drucks. 16/3945 S. 96).
Eine hiervon zu trennende Frage ist, wie die a n den einzelnen
Versicherungsnehmer auszuzahlende Bewertungsreserve vom Versiche-
rer finanziert wird. Hierzu regelte der für dieses Vertragsverhältnis an-
wendbare § 56a Abs. 2 VAG in der bis zum 6. August 2014 geltenden
Fassung (vgl. jetzt § 56a Abs. 1 VAG n.F.), dass die für die Überschuss-
beteiligung der Versicherten bestimmten Beträge, soweit sie den Vers i-
cherten nicht unmittelbar zugeteilt wurden, in eine Rückstellung für Be i-
tragsrückerstattung einzustellen waren. Nach § 56a Abs. 3 Satz 1 VAG
(vgl. jetzt § 56b Abs. 1 Satz 1 VAG n.F.) durften die in der bis zum
8. April 2013 geltenden Fassung der Rückstellung für Beitragsrückerstat-
tung zugewiesenen Beträge nur für die Überschussbeteiligung der Vers i-
cherten einschließlich der durch § 153 VVG vorgeschriebenen Beteili-
gung an den Bewertungsreserven verwendet werden. Die Beteiligung an
dem Überschuss und an den Bewertungsreserven sind Bestandteil des
umfassenden Begriffs der Überschussbeteiligung i.S. von § 153 VVG und
werden daher in gleicher Weise finanziert. Da es sich um eine Finanzie-
rung der gesamten Überschussbeteiligung i.S. von § 153 Abs. 1 VVG
handelt, die sowohl die Beteiligung an dem Überschuss (im engeren Si n-
ne) als auch an den Bewertungsreserven umfasst, hat ein höherer Anteil
der Bewertungsreserven bei den Rückstellungen für Beitragsrückerstat-
tung zugleich ein Absinken des Schlussüberschusses zur Folge. Die Au f-
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fassung des Klägers läuft demgegenüber darauf hinaus, dass der Vers i-
cherer mit der Rückstellung für Beitragsrückerstattung ausschließlich
den Schlussüberschussanteil des Versicherungsnehmers finanziert und
auf diesen zusätzlich die Bewertungsreserve aufzuschlagen wäre. Dies
hätte bei stillen Reserven zur Folge, dass der Versicherer diese verwe r-
ten müsste, um den Anspruch des Versicherungsnehmers auf die Bewer-
tungsreserve bedienen zu können. Das ist nicht der Fall. Tatsächlich
kann der Versicherer die Bewertungsreserve aus den nach §§ 56a, b
VAG gebildeten Rückstellungen für Beitragsrückerstattung bedienen,
soweit dort genügend liquide Mittel vorhanden sind, was sich der Höhe
nach dann auf den verbleibenden Überschussanteil des Versicherungs-
nehmers auswirken kann. Erst wenn die Rückstellungen für Beitrag s-
rückerstattung nicht ausreichen, um den zuvor rechnerisch ermittelten
Anspruch des Versicherungsnehmers für die Bewertungsreserven zu er-
füllen, ist der Versicherer gehalten, stille Reserven aufzulösen, um hi e-
raus liquide Mittel zu erzielen.
d) Da der nach Berücksichtigung der Bewertungsreserven verble i-
bende Schlussüberschussanteil des Versicherungsnehmers nicht garan-
tiert ist, kann der Kläger auch nichts daraus herleiten, dass der Versiche-
rungsvertreter der Beklagten ihm mit Schreiben vom 3. September 2007
noch eine Schlussüberschussbeteiligung von 2.477,60
€ mitgeteilt hat,
während sich aus dem Abrechnungsschreiben der Beklagten vom
22. Oktober 2008 lediglich ein Schlussüberschuss von 1.581,60
€ (sowie
zusätzlich Bewertungsreserven von 678,21
€) ergibt. Der Kläger über-
sieht ferner, dass in dem Schreiben des Versicherungsvertreters zw i-
schen Überschussbeteiligung und Bewertungsreserven nicht differenziert
wird und letztere nicht einmal gesondert aufgeführt werden.
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2. Unbegründet ist ferner der erste Hilfsantrag des Kläge rs, mit
dem er die Feststellung begehrt, dass die Höhe der Beteiligung an dem
Überschuss und an den Bewertungsreserven für den zwischen den Pa r-
teien geschlossenen Lebensversicherungsvertrag unbillig ist ; ferner die
Feststellung, dass stattdessen die vom Gericht zu ermittelnde billige und
angemessene Beteiligungshöhe gilt, woraus sich anschließend ein en t-
sprechender Zahlungsbetrag ergeben soll.
a) Zum Rechtszustand vor dem 1. Januar 2008 entsprach es ge-
festigter Rechtsprechung des Senats, dass der Versicherungsnehmer
keinen aus § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB herzuleitenden Anspruch auf Ermitt-
lung des Überschusses sowie des auszuzahlenden Gewinns einer L e-
bensversicherung hatte (Urteile vom 23. November 1994 - IV ZR 124/93,
BGHZ 128, 54, 57 f.; vom 7. November 2007 - IV ZR 116/04, VersR
2008, 338 Rn. 8). Im Schrifttum wird zum neuen Recht ab 1. Januar 2008
demgegenüber teilweise die Auffassung vertreten, der Versicherer b e-
stimme die Überschussbeteiligung und die Beteiligung an den Bewe r-
tungsreserven nach billigem Ermessen i.S. von § 315 BGB (vgl. Winter in
Bruck/Möller, VVG 9. Aufl. § 153 Rn. 208; PK-VersR/Ortmann, 2. Aufl.
§ 153 Rn. 32; MünchKomm-VVG/Heiss, § 153 Rn. 38). Eine derartige
Anwendung von § 315 BGB hätte zur Folge, dass den Versicherer die
Darlegungs- und Beweislast für die Billigkeit der getroffenen Bestimmung
träfe (vgl. BGH, Urteile vom 5. Februar 2003 - VIII ZR 111/02, BGHZ
154, 5, 8; vom 2. April 1964 - KZR 10/62, BGHZ 41, 271, 279; vom
30. Juni 1969 - VII ZR 170/67, NJW 1969, 1809 unter III 1).
b) Dem ist nicht zu folgen. § 315 BGB findet auch im Rahmen der
Regelung der Überschussbeteiligung gemäß § 153 VVG keine Anwen-
dung. Die Vorschrift setzt eine ausdrückliche oder konkludente rechtsge-
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schäftliche Vereinbarung voraus, dass eine Partei durch einseitige Wil-
lenserklärung den Inhalt einer Vertragsleistung - nach billigem Ermes-
sen - bestimmen kann (Senatsurteile vom 26. Juni 2013 - IV ZR 39/10,
VersR 2013, 1381 Rn. 27; vom 5. Dezember 2012 - IV ZR 110/10, VersR
2013, 219 Rn. 21). Ein rein faktisches Bestimmungsrecht reicht nicht
aus. Eine vertragliche Bestimmung der Leistung geht vor und schließt die
Anwendung des § 315 BGB aus, wenn die Vertragspartner objektive
Maßstäbe vereinbaren, die es ermöglichen, die vertraglichen Leistung s-
pflichten zu bestimmen. So liegt es hier. In § 16 der AVB wird bezüglich
der Beteiligung des Versicherungsnehmers am Überschuss auf den von
der Aufsichtsbehörde genehmigten Geschäftsplan der Beklagten verwi e-
sen. Aus diesem von der Beklagten auszugsweise vorgelegten G e-
schäftsplan einschließlich der Erläuterungen ergibt sich, wie die Bewe r-
tungsreserve abstrakt zu berechnen ist. Es handelt sich um eine detail-
lierte Beschreibung, die einer gerichtlichen Nachprüfung, gegebenenfalls
durch ein Sachverständigengutachten, unterliegt. Ein billiges Ermessen
ist der Beklagten nicht eingeräumt worden.
§ 315 BGB kann zwar auch dann Anwendung finden, wenn dies
ausdrücklich durch Gesetz bestimmt wird (vgl. MünchKomm -BGB/Wür-
dinger, 6. Aufl. § 315 Rn. 1). Auch dies ist hier aber nicht geschehen.
Aus dem Wortlaut von § 153 VVG lässt sich die Einräumung eines billi-
gen Ermessens nicht entnehmen. Auch die Entstehungsgeschichte gibt
hierfür nichts her. Dort heißt es zu § 153 Abs. 2 und 3 VVG, für die rech-
nerische Zuordnung sei ein verursachungsorientiertes Verfahren anzu-
wenden (BT-Drucks. 16/3945 S. 96). Der Versicherer erfülle diese Ver-
pflichtung schon dann, wenn er ein Verteilungssystem entwickl e und wi-
derspruchsfrei praktiziere, das die Verträge unter dem Gesichtspunkt der
Überschussbeteiligung sachgerecht zu Gruppen zusammenfasse, den
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zur Verteilung bestimmten Betrag nach den Kriterien der Überschussve r-
ursachung einer Gruppe zuordne und dem einzelnen Vertrag dessen
rechnerischen Anteil an dem Betrag der Gruppe zuschreib e.
Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber dem Versicherer ein
billiges Ermessen i.S. von § 315 BGB einräumen wollte, ergeben sich
hieraus mithin nicht (gegen eine Anwendung von § 315 BGB auch Lang-
heid in Römer/Langheid, VVG 4. Aufl. § 153 Rn. 58; Krause in Looschel-
ders/Pohlmann, VVG 2. Aufl. § 153 Rn. 32; Brömmelmeyer in Beckmann/
Matusche-Beckmann,
Versicherungsrechts-Handbuch
2. Aufl.
§ 42
Rn. 299). Auch der Senat hat bereits in einem Rechtsstreit über die B e-
rechnung des Rückkaufswerts und die Verrechnung der Absch lusskosten
in einer kapitalbildenden Lebensversicherung entschieden, dass § 315
BGB in derartigen Fällen keine Anwendung findet (Urteil vom 26. Juni
2013 - IV ZR 39/10, VersR 2013, 1381 Rn. 27).
3. Unbegründet ist auch der zweite Hilfsantrag des Kläg ers, die
Beklagte zu verurteilen, ihm Auskunft zu erteilen über die mathematische
Berechnung des Anteils der auf ihn zum Zeitpunkt des Ablaufs des Le-
bensversicherungsvertrages zum 1. Dezember 2008 entfallenden Beteili-
gung am Überschuss und an den Bewertungsreserven einschließlich ih-
rer Berechnungsgrundlagen sowie anschließend de n sich aus der Aus-
kunft ergebenden Betrag auszuzahlen.
a) Ein Auskunftsanspruch des Versicherungsnehmers kann sich al-
lerdings dem Grunde nach aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glau-
ben nach § 242 BGB ergeben. Der Senat hat sich mit einem derartigen
Auskunftsanspruch im Rahmen der Lebensversicherung bei der Ermitt-
lung des Rückkaufswerts bereits befasst. Hiernach trifft den Schuldner
nach Treu und Glauben ausnahmsweise eine Auskunftspflicht, wenn der
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Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang seines
Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der
Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann (Senatsurteil
vom 26. Juni 2013 - IV ZR 39/10, VersR 2013, 1381 Rn. 24; Senatsbe-
schluss vom 7. Januar 2014 - IV ZR 216/13, VersR 2014, 822 Rn. 10).
So liegt es grundsätzlich auch bei § 153 VVG (vgl. LG Dortmund, Urteil
vom 27. Oktober 2011 - 2 O 479/09, juris Rn. 30; Winter in Bruck/Möller,
VVG 9. Aufl. § 153 Rn. 208; Langheid in Römer/Langheid, VVG 4. Aufl.
§ 153 Rn. 53-57; anders Grote in Marlow/Spuhl, Das Neue VVG kompakt
4. Aufl. Rn. 1008 f.). Umfang und Inhalt der zu erteilenden Auskunft rich-
ten sich danach, welche Informationen der Berechti gte benötigt, um sei-
nen Anspruch geltend machen zu können, soweit dem nicht Zumutba r-
keitsgesichtspunkte oder andere Grenzen entgegenstehen. Der Au s-
kunftsanspruch umfasst hierbei grundsätzlich nicht die Verpflichtung zur
Vorlage der fiktiven versicherungstechnischen Bilanzen oder anderer
Geschäftsunterlagen und auch kein Einsichtsrecht. Die Zubilligung des
Auskunftsanspruchs hat unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände
des Einzelfalles und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismä-
ßigkeit zu erfolgen. Dabei sind sowohl die Art und Schwere der Recht s-
verletzung als auch die beiderseitigen Interessen des Berechtigten und
des Verpflichteten angemessen zu berücksichtigen.
Der Senat hat in seiner neueren Rechtsprechung mehrfach Aus-
kunftsansprüche im Zusammenhang mit der Berechnung des Rück-
kaufswerts abgelehnt. Im Urteil vom 26. Juni 2013 hat er wesentlich da-
rauf abgestellt, dass der Kläger Auskunft in Form zahlreicher Einzela n-
gaben verlangte, die inhaltlich weitgehend auf eine vom Versicherer
nicht geschuldete Rechnungslegung nach § 259 Abs. 1 BGB hinauslie-
fen. Ferner hat er auf das berechtigte Geheimhaltungsinteresse des Ve r-
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sicherers verwiesen (IV ZR 39/10, VersR 2013, 1381 Rn. 26). Auch in
seinem Beschluss vom 7. Januar 2014 war entscheidend, dass ein Aus-
kunftsanspruch, der zwecks Berechnung des Rückkaufswerts unter a n-
derem die Überlassung des Algorithmus und der zugrunde liegenden
Einsatzwerte an einen zur Verschwiegenheit verpflichteten Dritten zum
Inhalt habe, nicht in Betracht komme (IV ZR 216/13, VersR 2014, 822
Rn. 19).
b) Ob und inwieweit dem Kläger auf dieser Grundlage und des I n-
halts seines Antrags ein Auskunftsanspruch gegen die Beklagte zu-
stehen oder ob diese sich - ganz oder teilweise - auf ein berechtigtes
Geheimhaltungsinteresse berufen könnte, kann offen bleiben. Auskunft
kann nur verlangt werden, wenn und soweit vom Bestehen eines Za h-
lungsanspruchs ausgegangen werden kann, zu dessen Durchsetzung die
Auskunft dienen soll (Senatsurteil vom 23. November 1994 - IV ZR
124/93, BGHZ 128, 54, 58). So hat der Senat in seinem Urteil vom
26. Juni 2013 für das Bestehen eines Auskunftsanspruchs gemäß § 242
BGB darauf abgestellt, es ergäben sich ausreichende Anhaltspunkte d a-
für, dass Nachzahlungsansprüche, die der Kläger mit Hilfe der Auskunft
geltend machen wolle, bestünden (IV ZR 39/10, VersR 2013, 1381
Rn. 24). Daran fehlt es hier, weil der Kläger die Berechnung der Höhe
der Bewertungsreserve durch die Beklagte als solche nicht angreift und
sich ausschließlich dagegen wendet, die Beklagte habe die Bewertungs-
reserve unzulässig mit seinem Schlussüberschussanteil verrechnet ,
weshalb ihm ein Anspruch auf Zahlung weiterer 656,88 € zustehe. Das
trifft indessen, wie oben im Einzelnen ausgeführt, nicht zu. Das Ber u-
fungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, es sei weder vorgetr a-
gen noch ersichtlich, dass die erfolgte Auszahlu ng nicht den Vorgaben
des von der Aufsichtsbehörde genehmigten Geschäftsplans der Beklag-
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ten entsprochen habe. Vielmehr handelt es sich nach den Feststellungen
des Berufungsgerichts insoweit sogar um den Höchstbetrag, den der
Kläger verlangen kann. Das greift die Revision nicht an. Jedenfalls in ei-
nem solchen Fall, in dem der Versicherungsnehmer lediglich zu Unrecht
die Verrechnung der ermittelten Bewertungsreserve mit dem Schlus s-
überschussanteil angreift, die Berechnung der Höhe der Bewertungsre-
serve im Übrigen indessen nicht in Abrede stellt, steht ihm kein weite r-
gehender Auskunftsanspruch gegen den Versicherer zu.
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
AG Fritzlar, Entscheidung vom 20.08.2013 - 8 C 236/12 -
LG Kassel, Entscheidung vom 08.05.2014 - 1 S 290/13 -