Urteil des BGH vom 19.10.2015

Treu Und Glauben, Ablauf der Frist, Versicherungsvertrag, Versicherer

ECLI:DE:BGH:2015:191015BIVZR21.14.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I V Z R 2 1 / 1 4
vom
19. Oktober 2015
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf -Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller
am 19. Oktober 2015
beschlossen:
Der Senat beabsichtigt, die Revision der Klägerin gegen
das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts
Köln vom 17. Dezember 2013 gemäß § 552a Satz 1 ZPO
zurückzuweisen.
Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen
eines Monats
Stellung zu nehmen.
Gründe:
I. Die Klägerseite (Versicherungsnehmerin: im Folgenden d. VN)
begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer)
Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen
Lebensversicherung. Diese wurde aufgrund eines Antrags des Ehe-
manns d. VN mit Versicherungsbeginn zum 1. Dezember 1998 nach dem
so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen
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Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Nach Fälligkeit
der Erstprämie wurde der Vertrag zum 1. Januar 1999 auf die Klägerin
als Versicherungsnehmerin umgeschrieben. Die Versicherungsprämien
wurden regelmäßig gezahlt. Mit Schreiben vom August 2010 kündigte d.
VN den Versicherungsvertrag und der Versicherer zahlte den Rück-
kaufswert aus. Mit Schreiben vom März 2013 erklärte sie den Wider-
spruch nach § 5a VVG. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts
erhielt d. VN mit dem Versicherungsschein die Versicherungsbedingu n-
gen, eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsauf-
sichtsgesetzes (VAG) und eine schriftliche Belehrung über das Wider-
spruchsrecht gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F.
Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag ge-
leisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rück-
kaufswerts.
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemein-
schaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Wi-
derspruch noch erklärt werden können.
II. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesge-
richt die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Das Berufungs-
gericht hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter
Bereicherung verneint. D. VN habe die Prämien mit Rechtsgrund geleis-
tet. Sie und ihr Ehemann seien ordnungsgemäß über das Widerspruchs-
recht nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. belehrt worden und der Versi-
cherungsvertrag sei wirksam zustande gekommen. Die Regelung de s
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Policenmodells verstoße nicht gegen die Zweite und Dritte Richtlinie L e-
bensversicherung.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt
d. VN das Klagebegehren hinsichtlich des Bereicherungsanspruchs wei-
ter.
III. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision i.S. von
§ 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor, und das Rechtsmittel hat auch keine
Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).
1. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, da es mei n-
te, es sei eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung, ob das Policenmo-
dell als solches europarechtskonform ist. Diese Frage stellt sich hier je-
doch nicht.
a) Nach den für das Revisionsverfahren bindenden Feststellungen
des Berufungsgerichts erhielt d. VN mit dem Versicherungsschein die
Versicherungsbedingungen, eine Verbraucherinformation und eine so-
wohl formell als auch inhaltlich ordnungsgemäße Widerspruchsbeleh-
rung.
b) Ob solchermaßen nach dem Policenmodell geschlossene Vers i-
cherungsverträge wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des § 5a VVG
a.F. Wirksamkeitszweifeln unterliegen (vgl. dazu Senatsurteil vom
16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 16 ff.; BVerfG VersR
2015, 693 Rn. 30 ff.), kann im Streitfall dahinstehen. Die von der Revisi-
on begehrte Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union schei-
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det bereits deshalb aus, weil es auf die Frage, ob das Policenmodell mit
den genannten Richtlinien unvereinbar ist, hier nicht entscheidungse r-
heblich ankommt. D. VN ist es auch im Falle einer unterstellten Gemein-
schaftsrechtswidrigkeit des Policenmodells nach Treu und Glauben we-
gen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger
Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu
berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten (vgl. im Einz el-
nen zu den Maßstäben Senatsurteil vom 16. Juli 2014 aaO Rn. 32-42;
BVerfG aaO Rn. 42 ff.). D. VN verhielt sich objektiv widersprüchlich. Die
zumindest vertraglich eingeräumte und bekannt gemachte Widerspruch s-
frist ließ der Ehemann d. VN bei Vertragsschluss 1998 ungenutzt ver-
streichen. D. VN zahlte mehr als 11 Jahre die Versicherungsprämien und
ließ nach der Kündigung nochmals mehr als zwei Jahre bis zur Erklärung
des Widerspruchs nach § 5a VVG a.F. vergehen. Die jahrelangen Prä-
mienzahlungen der bereits bei Vertragsschluss über die Möglichkeit, den
Vertrag nicht zustande kommen zu lassen, belehrten VN und ihres Ehe-
manns haben bei der Beklagten ein schutzwürdiges Vertrauen in den
Bestand des Vertrages begründet. Diese vertrauensbegründende Wi r-
kung war für d. VN auch erkennbar.
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2. Aus den dargelegten Gründen hält das Berufungsurteil jede n-
falls im Ergebnis rechtlicher Prüfung stand.
Mayen
Harsdorf-Gebhardt
Dr. Karczewski
Lehmann
Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Bonn, Entscheidung vom 26.07.2013 - 9 O 143/13 -
OLG Köln, Entscheidung vom 17.12.2013 - 20 U 133/13 -
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