Urteil des BGH vom 27.04.2016

Ablauf der Frist, Ex Nunc, Versicherer, Versicherungsvertrag

ECLI:DE:BGH:2016:270416UIVZR200.14.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 200/14
Verkündet am:
27. April 2016
Heinekamp
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf-Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftli-
chen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum
8. April 2016
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil des
20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 2. Mai
2014 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revision s-
verfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
7.691,53
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) be-
gehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rück-
zahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen Le-
bensversicherung.
Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsbe-
ginn zum 1. August 2004 nach dem so genannten Policenmodell des
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§ 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG
a.F.) abgeschlossen. D. VN zahlte in der Folge die Versicherungsprä-
mien. Mit Schreiben vom 10. März 2006 kündigte er den Versicherungs-
vertrag und der Versicherer zahlte den Rückkaufswert abzüglich eines
d. VN gewährten Policendarlehens und rückständiger Beiträge aus. Mit
Schreiben vom 1. Juli 2011 erklärte d. VN den Widerspruch gemäß § 5a
VVG a.F.
Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller geleisteten Beiträ-
ge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts.
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen, weil er nicht ordnungsgemäß belehrt wurde. Auch
nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden -
§ 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden
können.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht
die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision ver-
folgt d. VN das Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Z u-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus unge-
rechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe zwar nicht
ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt, weil die fristauslö-
senden Unterlagen nicht vollständig bezeichnet seien. Der Vertrag sei
aber gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der er s-
ten Prämie rückwirkend endgültig wirksam geworden.
II. Die Revision ist begründet.
1. Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1
Alt. 1 BGB kann d. VN mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begrü n-
dung nicht versagt werden.
a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertr ag
schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des
Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Wider-
spruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
normierten Jahresfrist - rechtzeitig.
aa) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Festste l-
lungen des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. VN nicht ord-
nungsgemäß im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Wider-
spruchsrecht. Die Widerspruchsbelehrung in dem maßgeblichen Über-
sendungsschreiben ist fehlerhaft, weil sie die fristauslösenden Unterla-
gen nicht zutreffend benennt. Nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. setzt
der Beginn der Widerspruchsfrist die Überlassung des Versicherungs-
scheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformation
nach § 10a VAG voraus. Hier wird durch die Benennung nur des Erhalts
des Versicherungsscheins der unzutreffende Eindruck erweckt, der Frist-
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beginn werde nur daran geknüpft. Anders als die Revisionserwiderung
meint, ist es ohne Belang, ob dem Kläger mit dem Versicherungsschein
auch die weiteren erforderlichen Unterlagen zugingen. Dieser Umstand
ändert nichts an der inhaltlichen Fehlerhaftigkeit der Belehrung, sondern
betrifft allein die Auswirkung derselben auf den konkreten Fall. Für die
Frage der Ordnungsgemäßheit der Belehrung kommt es auf derartige
Kausalitätsfragen nicht an (vgl. Senatsurteil vom 29. Juli 2015 - IV ZR
448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 25).
Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten
Prämie erlischt. Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf
der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.
Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Ge-
richtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11,
BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die
Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduzier t
werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten
Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon e r-
fasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen
zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht,
wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Wi-
derspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder
die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.
bb) Die Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem späteren
Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO
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Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits
vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl.
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
cc) Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung ist die Aus-
übung des Widerspruchsrechts nicht ausnahmsweise deshalb treuwidrig,
weil d. VN hier ein so genanntes "Policendarlehen" des Versicherers in
Anspruch genommen hat. Dies folgt im Streitfall schon daraus, dass es
sich um eine Vorauszahlung auf die künftige Versicherungsleistung ha n-
delte, die der Versicherer entsprechend nach der Kündigung des Vers i-
cherungsvertrages mit dem Rückkaufswert verrechnet hat. Mit Rücksicht
darauf, dass d. VN nicht ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht
belehrt worden war, ließ die Inanspruchnahme dieser Vorauszahlung
keinen Schluss darauf zu, d. VN hätte auch bei Kenntnis des Wide r-
spruchsrechts an dem Versicherungsvertrag festgehalten und werde von
dem ihm zustehenden Widerspruchsrecht keinen Gebrauch machen.
b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarecht s-
widrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur e i-
ne Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwick-
lung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versi-
cherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes
kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden;
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bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zu-
kommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).
Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuve r-
weisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu
geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46) und dabei
auch die Vorgaben der Senatsurteile vom 29. Juli 2015 (IV ZR 384/14,
VersR 2015, 1101 Rn. 36 ff. und IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104
Rn. 34 ff.) sowie vom 11. November 2015 (IV ZR 513/14, VersR 2016, 33
Rn. 31 ff.) zu beachten haben.
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Aachen, Entscheidung vom 26.10.2012 - 9 O 518/11 -
OLG Köln, Entscheidung vom 02.05.2014 - 20 U 232/12 -
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