Urteil des BGH vom 07.09.2016

Ex Nunc, Versicherer, Lebensversicherung, Prämie

ECLI:DE:BGH:2016:070916UIVZR174.14.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 174/14
Verkündet am:
7. September 2016
Schick
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitze nde
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf -Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftli-
chen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum
15. August 2016
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerseite wird das Teilurteil des
20. Zivilsenats
des
Oberlandesgerichts
Köln
vom
11. April 2014 aufgehoben und die Sache zur neuen Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurüc k-
verwiesen.
Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf
5.635,91
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) b e-
gehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rüc k-
zahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen L e-
bensversicherung.
Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit der Rechtsvorgän-
gerin des Versicherers mit Versicherungsbeginn zum 1. August 2000
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nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit
gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. D. VN
erhielt mit dem Versicherungsschein die Versicherungsbedingungen und
eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsge-
setzes (VAG). Mit Schreiben vom 14. September 2011 erklärte er den
Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. Mit Schreiben vom 28. September
2011 wiederholte er den Widerspruch und erklärte hilfsweise die Künd i-
gung des Vertrages. Der Versicherer akzeptierte die Kündigung und
zahlte den Rückkaufswert aus.
Mit der Klage verlangt d. VN - soweit für das Revisionsverfahren
von Interesse - Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge
nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts.
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen, weil er zum einen nicht ordnungsgemäß belehrt
worden sei und zum anderen § 5a VVG a.F. mit den Lebensversiche-
rungsrichtlinien der Europäischen Union nicht vereinbar sei.
Der Versicherer hat die Einrede der Verjährung erhoben.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht
die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision ve r-
folgt d. VN das Klagebegehren hinsichtlich des Bereicherungsanspruchs
weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Z u-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ung e-
rechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe d. VN zwar
nicht in drucktechnisch hervorgehobener Form über das Widerspruch s-
recht belehrt. Die Belehrung sei nur teilweise fettgedruckt ausgestaltet.
Gerade dieser Umstand könne d. VN dazu verleiten anzunehmen, dass
nur das Fettgedruckte wichtig sei, und den nicht fettgedruckten Text
nicht mehr zur Kenntnis zu nehmen. Bedenken bestünden auch hinsicht-
lich der Belehrung zum Fristbeginn. Der Vertrag sei aber gemäß § 5a
Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie rüc k-
wirkend endgültig wirksam geworden.
II. Die Revision ist begründet.
1. Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1
Alt. 1 BGB kann d. VN nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen
Begründung versagt werden.
a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag
schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolg e des
Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Wide r-
spruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
normierten Jahresfrist - rechtzeitig.
aa) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Festste l-
lungen des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. VN nicht or d-
nungsgemäß im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Wider-
spruchsrecht. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung genügt
die maßgebliche Belehrung in den "Allgemeinen Informationen" auf der
sechsten Seite des Versicherungsscheins nicht den formellen Anforde-
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rungen an eine ordnungsgemäße Belehrung, weil nur die Überschrift
"Widerspruchsrecht" und der erste Satz der Belehrung durch Fettdruck
hervorgehoben sind. Auch die folgenden Sätze 2 bis 4, die nicht durch
Fettdruck drucktechnisch deutlich gestaltet sind, enthalten aber notwen-
dige Informationen über die Widerspruchsfrist und dazu, dass die rech t-
zeitige Absendung des Widerspruchs genügt. Da diese Hinweise nicht in
Fettdruck gehalten sind, besteht im besonderen Maße die Gefahr, dass
sie überlesen werden, weil d. VN sein Augenmerk nur auf das Fettge-
druckte richtet.
Für einen solchen Fall einer nicht ordnungsmäßen Widerspruchs-
belehrung bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Wider-
spruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt. Das Wi-
derspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch
im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.
Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des G e-
richtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11,
BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die
Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert
werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten
Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon e r-
fasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen
zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht,
wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum W i-
derspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder
die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.
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bb) Die hilfsweise Kündigung des Versicherungsvertrages steht
dem Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO
Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits
vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl.
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarecht s-
widrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur ei-
ne Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
2. Ein Rückgewähranspruch war bei Erhebung der Klage im Okt o-
ber 2012 noch nicht verjährt. Zu diesem Zeitpunkt war die maßgebliche
regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB nicht abgelau-
fen. Diese konnte erst mit Schluss des Jahres 2011 beginnen, da d. VN
erst in diesem Jahr den Widerspruch erklärte. Der nach einem Wide r-
spruch gemäß § 5a VVG a.F. geltend gemachte Bereicherungsanspruch
entstand erst mit Ausübung des Widerspruchsrechts im Sinne von § 199
Abs. 1 Nr. 1 BGB; jedenfalls zu diesem Zeitpunkt hatte d. VN Kenntnis
von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des
Schuldners im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB (vgl. Senatsurteil vom
8. April 2015 - IV ZR 103/15, WM 2015, 865 Rn. 19 ff.).
3. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwic k-
lung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Vers i-
cherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes
kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemes sen werden;
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bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung z u-
kommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).
Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuver-
weisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu
geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46) und dabei
auch die Vorgaben der Senatsurteile vom 29. Juli 2015 (IV ZR 384/14,
VersR 2015, 1101 Rn. 35 ff.; IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 34 ff.)
sowie vom 11. November 2015 (IV ZR 513/14, VersR 2016, 33 Rn. 31 ff.)
zu beachten haben.
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 27.03.2013 - 26 O 374/12 -
OLG Köln, Entscheidung vom 11.04.2014 - 20 U 70/13 -
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