Urteil des BGH vom 15.10.2015

Treu Und Glauben, Versicherungsnehmer, Vollzug, Lebensversicherung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I V Z R 1 7 3 / 1 4
vom
15. Oktober 2015
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf-Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller
am 15. Oktober 2015
beschlossen:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil der 5. Zivil-
kammer des Landgerichts Stuttgart vom 10. April 2014
wird gemäß § 552a Satz 1 ZPO auf seine Kosten zurück-
gewiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
3.228,62
€ festgesetzt.
Gründe:
Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerseite
(Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) war gemäß § 552a ZPO zu-
rückzuweisen, weil die Voraussetzungen für ihre Zulassung nich t vorlie-
gen und die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat. Der Senat hat die
Parteien mit Beschluss vom 19. August 2015 auf die beabsichtigte Zu-
rückweisung hingewiesen. Auf die dortigen Gründe wird ergänzend B e-
zug genommen.
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Der Schriftsatz des Klägervertreters vom 15. September 2015 gibt
keine Veranlassung, von der Zurückweisung der Revision abzusehen.
Soweit dort darauf hingewiesen wird, die Revision sei auf die E u-
roparechtswidrigkeit des Policenmodells insgesamt gestützt, begründet
dies im Streitfall nicht die Pflicht zu einer Vorlage an den Gerichtshof der
Europäischen Union, da es auf diese Frage hier nicht entscheidungse r-
heblich ankommt. Wie der Senat in seinem Hinweisbeschluss näher au s-
geführt hat, wäre es d. VN, der trotz Belehrung darüber , dass er den Ver-
trag nicht zustande kommen lassen musste, diesen bis zur Kündigung
über vier Jahre und neun Monate durchgeführt hat, wegen widersprüchl i-
chen Verhaltens verwehrt, sich bei unterstellter Gemeinschaftsrechtswi d-
rigkeit des Policenmodells auf eine Unwirksamkeit des Vertrages zu be-
rufen. Die Frage einer möglichen Vorlage an den Gerichtshof der Eur o-
päischen Union in einem Fall, in dem kein widersprüchliches Verhalten
der Versicherungsnehmer festgestellt werden kann, stellt sich im Strei t-
fall nicht. Entgegen der Ansicht der Revision sind die Maßstäbe für die
Berücksichtigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben in der
Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auch geklärt
(siehe im Einzelnen Senatsurteil vom 16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ
202, 102 Rn. 41 f.; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 4. März 2015
- 1 BvR 3280/14, juris Rn. 31 ff. m.w.N.) und die Annahme rechtsmiss-
bräuchlichen Verhaltens steht in Fällen wie dem vorliegenden in Einklang
mit dieser Rechtsprechung (vgl. Senatsurteil aaO; vgl. auch BVerfG
aaO).
Soweit die Revision geltend macht, es sei unionsrechtlich ung e-
klärt, ob verbraucherschützende Widerspruchsrechte durch nationale
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Vorschriften zum Rechtsmissbrauch beschränkt werden dürften, berührt
dies zwar das Gebot der praktischen Wirksamkeit. Der Anwendung des
Grundsatzes von Treu und Glauben und des Verbots widersprüchlicher
Rechtsausübung steht dies aber nicht entgegen, weil die Ausübung di e-
ser Rechte in das nationale Zivilrecht eingebettet bleibt und die nation a-
len Gerichte ein missbräuchliches Verhalten auch nach der Rechtspr e-
chung des Gerichtshofs der Europäischen Union berücksichtigen dürfen
(BVerfG aaO Rn. 32 m.w.N.).
Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben beeinträc h-
tigt auch angesichts der besonderen Umstände des Streitfalles die prak-
tische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts und den Sinn und Zweck
des Widerspruchsrechts nicht. Die Erwägungen der Zweiten und Dritten
Richtlinie Lebensversicherung, eine genaue Belehrung der Versich e-
rungsnehmer über ihr Rücktrittsrecht vor Abschluss des Vertrages s i-
cherzustellen, werden auch hier nicht berührt, denn entscheidend ist im
Streitfall, dass d. VN, der dem geltenden nationalen Recht entsprechend
ordnungsgemäß über die Möglichkeit belehrt worden ist, den Vertrag oh-
ne Nachteile nicht zustande kommen zu lassen, diesen gleichwohl in
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Vollzug gesetzt und ihn über mehrere Jahre durchgeführt hat (vgl. e r-
gänzend Senatsurteil vom 10. Juni 2015 - IV ZR 105/13, VersR 2015,
876 Rn. 13 f.).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
AG Stuttgart, Entscheidung vom 30.08.2013 - 18 C 1267/13 -
LG Stuttgart, Entscheidung vom 10.04.2014 - 5 S 262/13 -