Urteil des BGH vom 14.10.2015

Ex Nunc, Versicherer, Lebensversicherung, Rückzahlung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I V Z R 1 7 1 / 1 4
Verkündet am:
14. Oktober 2015
Heinekamp
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf-Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftli-
chen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum
25. September 2015
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil des
20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 11. Ap-
ril 2014 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revi-
sionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwie-
sen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
8.963,68
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) be-
gehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rüc k-
zahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen Le-
bensversicherung.
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Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsbe-
ginn zum 1. Oktober 1996 nach dem so genannten Policenmodell des
§ 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG
a.F.) abgeschlossen.
D. VN zahlte von Oktober 1996 bis Mai 2009 Prämien in Höhe von
insgesamt 7.771,76
€. Mit Schreiben vom 22. Mai 2009 ließ d. VN u.a.
den Widerspruch nach § 5a VVG a.F. und hilfsweise die Kündigung des
Vertrages erklären. Der Versicherer akzeptierte die Kündigung und zahl-
te den Rückkaufswert aus.
Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag
geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rüc k-
kaufswerts, insgesamt 8.963,68
€.
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen, weil d. VN nicht ordnungsgemäß über das Wider-
spruchsrecht belehrt wurde und das Policenmodell mit den Lebensversi-
cherungsrichtlinien der Europäischen Union nicht vereinbar sei.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht
die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiese n. Mit der Revision ver-
folgt d. VN das Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zu-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus unge-
rechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe zwar nicht
ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt. Der Vertrag sei
aber gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der ers-
ten Prämie endgültig wirksam geworden.
II. Die Revision ist begründet.
1. Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1
Alt. 1 BGB kann d. VN nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen
Begründung versagt werden.
a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherun gsvertrag
schafft nach dem für das Revisionsverfahren maßgeblichen Sachverhalt
keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des Wide r-
spruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Widerspruch war
- ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten
Jahresfrist - rechtzeitig.
aa) Zwar ist die Widerrufsbelehrung in der maßgeblichen Verbra u-
cherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG)
entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts und der Revis ion in formaler
Hinsicht nicht zu beanstanden. Sie ist drucktechnisch fett hervorgehoben
und befindet sich in der Verbraucherinformation an auffälliger Stelle d i-
rekt unter der Überschrift zu Beginn des Textes. Auch wenn sie innerhalb
der Verbraucherinformation nicht der einzig fett gedruckte Bestandteil ist,
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wird sie ein verständiger Versicherungsnehmer aufgrund ihrer hervorg e-
hobenen Lage und Gestaltung nicht überlesen.
bb) Das Berufungsgericht hat bisher jedoch nicht festgestellt, ob
d. VN die Verbraucherinformation überhaupt erhalten hat, sondern es hat
dahinstehen lassen, ob d. VN mit der Übersendung des Versicherungs-
scheins sämtliche notwendigen Vertragsunterlagen übersandt worden
sind. Für das Revisionsverfahren ist deshalb zu unterstellen, dass dies
nicht geschehen ist.
Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten
Prämie erlischt. Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf
der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.
Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des G e-
richtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11,
BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die
Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert
werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten
Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon e r-
fasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen
zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht,
wenn d. VN - wie hier für das Revisionsverfahren zu unterstellen - nicht
ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist
und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingu n-
gen nicht erhalten hat.
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cc) Die hilfsweise Kündigung des Versicherungsvertrages steht
dem Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO
Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits
vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl.
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechts-
widrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur e i-
ne Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwic k-
lung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versi-
cherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes
kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden;
bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung z u-
kommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.; vgl. auch
Senatsurteile vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101
Rn. 35 ff. und IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 33 ff.).
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Da es auch hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur
neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurüc k-
zuverweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag
zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Bonn, Entscheidung vom 17.02.2012 - 9 O 210/11 -
OLG Köln, Entscheidung vom 11.04.2014 - 20 U 57/12 -
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