Urteil des BGH vom 25.02.2015

Ablauf der Frist, Ex Nunc, Lebensversicherung, Versicherungsvertrag, Versicherer

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I V Z R 1 7 1 / 1 2
Verkündet am:
25. Februar 2015
Schick
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richter
Felsch,
Lehmann,
die
Richterin
Dr. Brockmöller und den Richter Dr. Schoppmeyer im schriftlichen Ver-
fahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum 28. Januar
2015
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerseite gegen das Urteil des 8. Zi-
vilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 26. April
2012 wird zurückgewiesen, soweit der Anspruch nicht auf
den gemäß § 5a VVG a.F. erklärten Widerspruch ge-
stützt ist.
Im Übrigen sowie im Kostenpunkt wird das Berufungsur-
teil auf die Revision aufgehoben und die Sache zur neu-
en Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zu-
rückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
7.363,47
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer/in: im Folgenden d. VN)
begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer)
Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge eine r Lebensversiche-
rung.
Diese wurde mit Vertragsbeginn zum 1. November 2005 abge-
schlossen. Im Frühjahr 2011 kündigte d. VN den Vertrag und der Versi-
cherer zahlte den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom August 2011
erklärte d. VN den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. und
den Widerruf nach § 355 BGB.
Mit der Klage verlangt d. VN insbesondere Rückzahlung aller auf
den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits ge-
zahlten Rückkaufswerts.
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemein-
schaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Wi-
derspruch noch erklärt werden können.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht
die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision ver-
folgt d. VN das Klagebegehren weiter (in der Hauptsache 7.363,47
€).
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Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Z u-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus unge-
rechtfertigter Bereicherung verneint. D. VN habe die Prämien mit Rechts-
grund geleistet. Der Versicherungsvertrag sei wirksam zustande geko m-
men. Die Regelung des Policenmodells verstoße nicht gegen die Zweite
und Dritte Richtlinie Lebensversicherung. Jedenfalls sei d er Vertrag ge-
mäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der ersten Prä-
mie rückwirkend endgültig wirksam geworden. D. VN könne den Vertrag
auch nicht gemäß §§ 495, 355 BGB widerrufen.
II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung teilweise nicht stand.
1. Erfolglos ist die Revision allerdings hinsichtlich eines Rückge-
währanspruchs nach §§ 495, 355 BGB a.F.
Mit Urteil vom 6. Februar 2013 (IV ZR 230/12, BGHZ 196, 150) hat
der Senat entschieden, dass es sich bei einer vertraglich vereinbarten
unterjährigen Zahlungsweise der Versicherungsprämien nicht um eine
Kreditgewährung in Form eines entgeltlichen Zahlungsaufschubs nach
§ 1 Abs. 2 VerbrKrG, § 499 Abs. 1 BGB a.F. (nunmehr § 506 Abs. 1
BGB) handelt.
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Das Berufungsurteil steht in Einklang mit dem vorgenannten S e-
natsurteil, dessen Ausführungen hier entsprechend gelten. Gesicht s-
punkte, die eine abweichende Entscheidung rechtfertigen könnten, sind
nicht ersichtlich.
2. Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung kann d. VN nicht mit der
vom Berufungsgericht gegebenen Begründung versagt werden. Er folgt
vielmehr nach dem für die Revisionsinstanz zugrunde zu legenden Sac h-
verhalt dem Grunde nach aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB.
a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag
schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist nach dem re-
visionsrechtlich maßgeblichen Sachverhalt infolge des Widerspruchs d.
VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Widerspruch war - ungeach-
tet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahres-
frist - rechtzeitig.
aa) Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, ob d. VN die nach
§ 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. erforderlichen Unterlagen zugegangen sind,
und darauf abgestellt, dass das Widerspruchsrecht § 5a Abs. 2 Satz 4
VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erloschen sei. Wenn
d.VN - was für das Revisionsverfahren zu unterstellen ist - mit dem Ver-
sicherungsschein keine vollständigen Unterlagen erhalten hat, bestand
das Widerspruchsrecht nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zei t-
punkt der Widerspruchserklärung fort.
Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des G e-
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richtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11,
BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die
Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert
werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten
Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon er-
fasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen
zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht,
wenn d. VN nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch b e-
lehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versich e-
rungsbedingungen nicht (vollständig) erhalten hat.
bb) Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vol l-
ständiger Leistungserbringung kommt nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil
vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarecht s-
widrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur e i-
ne Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
3. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwick-
lung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Vers i-
cherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes
kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden;
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bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zu-
kommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).
Da es auch hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur
neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurüc k-
zuverweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag
zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).
Mayen Felsch Lehmann
Dr. Brockmöller Dr. Schoppmeyer
Vorinstanzen:
LG Lüneburg, Entscheidung vom 17.01.2012 - 5 O 250/11 -
OLG Celle, Entscheidung vom 26.04.2012 - 8 U 36/12 -
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