Urteil des BGH vom 28.10.2015

Ablauf der Frist, Wahrung der Frist, Ex Nunc, Versicherer

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I V Z R 1 6 4 / 1 5
Verkündet am:
28. Oktober 2015
Heinekamp
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf-Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftli-
chen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum
12. Oktober 2015
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil des
11. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesge-
richts vom 4. März 2015 aufgehoben und die Sache zur
neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
4.333,27 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) be-
gehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rück-
zahlung geleisteter Versicherungsbeiträge eine r fondsgebundenen Le-
bensversicherung.
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Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsbe-
ginn zum 1. August 2002 nach dem so genannten Policenmodell des
§ 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG
a.F.) abgeschlossen. Mit Schreiben vom 20. April 2010 erklärte d. VN
den Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F., hilfsweise die Kündigung. Der
Versicherer akzeptierte das Schreiben als Kündigung und zahlte den
Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom 1. Juli 2011 erklärte d. VN erneut
den Widerspruch nach § 5a VVG a.F.
Mit der Klage verlangt d. VN - soweit für die Revisionsinstanz noch
von Bedeutung - Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge
nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts.
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen, weil er nicht ordnungsgemäß belehrt wurde. Auch
nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden -
§ 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden
können.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht
die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision ver-
folgt d. VN das Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Z u-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus unge-
rechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe in drucktech-
nisch hervorgehobener Form über das Widerspruchsrecht belehrt und die
Widerspruchsbelehrung sei auch inhaltlich nicht zu beanstanden .
II. Die Revision ist begründet.
1. Der Anspruch auf Prämienrückzahlung folgt dem Grunde nach
aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB.
a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherun gsvertrag
schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des
Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Wide r-
spruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
normierten Jahresfrist - rechtzeitig.
aa) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts belehrte der Ver-
sicherer d. VN nicht ordnungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG
a.F. über das Widerspruchsrecht. Die Widerspruchsbelehrung auf Seite 3
der maßgeblichen Verbraucherinformation genügt diesen An forderungen
nicht, weil sie den Fristbeginn nur an den Erhalt des Versicherung s-
scheins und der Verbraucherinformation knüpft, nicht aber auch an den
Erhalt der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (vgl. BGH, Urteil vom
17. Dezember 1992 - I ZR 73/91, BGHZ 121, 52, 57 unter II 3; Senatsur-
teil vom 20. Mai 2015 - IV ZR 502/14, juris Rn. 10).
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Die Revision rügt außerdem zu Recht, dass die Belehrung entge-
gen der Annahme des Berufungsgerichts auch deshalb inhaltlich nicht
ordnungsgemäß ist, weil sie keinen Hinweis darauf enthielt, dass der W i-
derspruch in Textform zu erheben war. Die notwendige Belehrung über
das gesetzliche Formerfordernis (vgl. Senatsurteil vom 28. Januar 2004
- IV ZR 58/03, VersR 2004, 497 unter 3 b) konnte d. VN nicht aus der
Formulierung entnehmen, dass zur Wahrung der Frist die rechtzeitige
Absendung des Widerspruchs genüge. Selbst wenn ein verständiger
Versicherungsnehmer nur verkörperte Erklärungen als der Absendung
zugänglich ansieht, so bleibt für ihn dennoch unklar, ob hierzu eine V er-
körperung in Textform ausreicht oder ob es nicht der traditionellen
Schriftform bedarf (vgl. Senatsurteile vom 29. Juli 2015 - IV ZR 448/14,
VersR 2015, 1104 und IV ZR 112/14, juris Rn. 12). Entgegen der Ansicht
des Berufungsgerichts erschließt sich einem Versicherungsnehmer aus
der Formulierung insbesondere nicht, dass der Versicherer Wide r-
spruchserklärungen in jedweder gegenständlich verkörperter Form a k-
zeptieren werde.
Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten
Prämie erlischt. Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf
der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.
Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Ge-
richtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11,
BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die
Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduzier t
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werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten
Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon e r-
fasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen
zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht,
wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Wi-
derspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder
die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.
bb) Die hilfsweise Kündigung des Versicherungsvertrages steht
dem späteren Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai
2014 aaO Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach
beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in
Betracht (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarecht s-
widrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur e i-
ne Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwick-
lung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versi-
cherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes
kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden;
bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung z u-
kommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.; vgl. auch
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Senatsurteile vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101 und
IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104).
Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuve r-
weisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu
geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).
Mayen Harsdorf-Gebhradt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Frankfurt (Oder), Entscheidung vom 01.07.2013 - 13 O 148/12 -
OLG Brandenburg, Entscheidung vom 04.03.2015 - 11 U 119/13 -
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