Urteil des BGH vom 22.03.2016

Treu Und Glauben, Versicherungsnehmer, Lebensversicherung, Rechtsmissbrauch

ECLI:DE:BGH:2016:220316BIVZR161.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IV ZR 161/15
vom
22. März 2016
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf -Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller
am 22. März 2016
beschlossen:
Die Revision gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 11. Februar
2015 wird gemäß § 552a Satz 1 ZPO auf Kosten der Klä-
gerseite zurückgewiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis
10.000
€ festgesetzt.
Gründe:
Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerseite
(Versicherungsnehmerin: im Folgenden d. VN) war gemäß § 552a ZPO
zurückzuweisen, weil die Voraussetzungen für ihre Zulassung nicht vor-
liegen und die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat. Der Senat hat die
Parteien mit Beschluss vom 27. Januar 2016 auf die beabsichtigte Zu-
rückweisung hingewiesen. Auf die dortigen Gründe wird ergänzend B e-
zug genommen.
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Der Schriftsatz des Klägervertreters vom 19. Februar 2016 gibt
keine Veranlassung, von der Zurückweisung der Revision abzusehen.
Soweit dort darauf hingewiesen wird, die Revision sei auf die E u-
roparechtswidrigkeit des Policenmodells insgesamt gestützt, begründ et
dies im Streitfall nicht die Pflicht zu einer Vorlage an den Gerichtshof der
Europäischen Union, da es auf diese Frage hier nicht entscheidungse r-
heblich ankommt. Wie der Senat in seinem Hinweisbeschluss näher au s-
geführt hat, wäre es d. VN, die trotz Belehrung darüber, dass sie den
Vertrag nicht zustande kommen lassen musste, diesen bis zum Wide r-
spruch acht Jahre durchgeführt hat, wegen widersprüchlichen Verhaltens
verwehrt, sich bei unterstellter Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Pol i-
cenmodells auf eine Unwirksamkeit des Vertrages zu berufen. Die Frage
einer möglichen Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union in
einem Fall, in dem kein widersprüchliches Verhalten der Versicherung s-
nehmer festgestellt werden kann, stellt sich im Streitfall nicht. En tgegen
der Ansicht der Revision sind die Maßstäbe für die Berücksichtigung der
Gesichtspunkte von Treu und Glauben in der Rechtsprechung des G e-
richtshofs der Europäischen Union auch geklärt (siehe im Einzelnen S e-
natsurteil vom 16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 41 f.;
BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 4. März 2015 - 1 BvR 3280/14, ju-
ris Rn. 31 ff. m.w.N.) und die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verha l-
tens steht in Fällen wie dem vorliegenden in Einklang mit dieser Rech t-
sprechung (vgl. Senatsurteil aaO; vgl. auch BVerfG aaO).
Soweit die Revision geltend macht, es sei unionsrechtlich ung e-
klärt, ob verbraucherschützende Widerspruchsrechte durch nationale
Vorschriften zum Rechtsmissbrauch beschränkt werden dürften, berührt
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dies zwar das Gebot der praktischen Wirksamkeit. Der Anwendung des
Grundsatzes von Treu und Glauben und des Verbots widersprüchlicher
Rechtsausübung steht dies aber nicht entgegen, weil die Ausübung di e-
ser Rechte in das nationale Zivilrecht eingebettet bleibt und die nation a-
len Gerichte ein missbräuchliches Verhalten auch nach der Rechtspr e-
chung des Gerichtshofs der Europäischen Union berücksichtigen dürfen
(BVerfG aaO Rn. 32 m.w.N.).
Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben beeinträc h-
tigt auch angesichts der besonderen Umstände des Streitfalles die prak-
tische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts und den Sinn und Zweck
des Widerspruchsrechts nicht. Die Erwägungen der Zweiten und Dritten
Richtlinie Lebensversicherung, eine genaue Belehrung der Versich e-
rungsnehmer über ihr Rücktrittsrecht vor Abschluss des Vertrages si-
cherzustellen, werden auch hier nicht berührt, denn entscheidend ist im
Streitfall, dass d. VN trotz dem geltenden nationalen Recht entspreche n-
der ordnungsgemäßer Belehrung über die Möglichkeit, den Vertrag ohne
Nachteile nicht zustande kommen zu lassen, diesen gleichwohl in Voll -
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zug gesetzt und ihn über viele Jahre durchgeführt hat (vgl. ergänzend
Senatsurteil vom 10. Juni 2015 - IV ZR 105/13, VersR 2015, 876
Rn. 13 f.).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Wiesbaden, Entscheidung vom 20.03.2014 - 5 O 156/13 -
OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 11.02.2015 - 7 U 49/14 -