Urteil des BGH vom 16.09.2015

Treu Und Glauben, Rückzahlung, Versicherer, Versicherungsvertrag

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I V Z R 1 4 2 / 1 3
Verkündet am:
16. September 2015
Heinekamp
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
- 2 -
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf -Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftl i-
chen Verfahren, bei dem Schriftsätze bis zum 5. August 2015 eingereicht
werden konnten,
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts
München - 14. Zivilsenat - vom 14. März 2013 wird auf
Kosten der Klägerseite zurückgewiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
15.178,30
€ festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) be-
gehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rüc k-
zahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer fondsgebundenen Ren-
tenversicherung.
Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Vertragsbeginn zum
1. Dezember 2007 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG
in der bei Antragstellung gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.)
abgeschlossen. Nach den Feststellungen des Berufun gsgerichts erhielt
1
2
- 3 -
d. VN mit dem Versicherungsschein, der eine Belehrung über das Wider-
spruchsrecht in drucktechnisch deutlicher Form gemäß § 5a Abs. 2
Satz 1 VVG a.F. enthielt, die Versicherungsbedingungen und eine Ver-
braucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes
(VAG).
D. VN zahlte von Dezember 2007 bis April 2011 Prämien in Höhe
von insgesamt 12.900
€. Mit Schreiben vom 21. April 2011 erklärte d. VN
den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F., hilfsweise die Kün-
digung.
Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag ge-
leisteten Beiträge nebst Zinsen, insgesamt 15.178,30
€.
Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen, weil das Policenmodell mit den Lebensversich e-
rungsrichtlinien der Europäischen Union nicht vereinbar sei.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgerich t
die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision ve r-
folgt d. VN das Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
3
4
5
6
7
- 4 -
I. Das Berufungsgericht hat einen Prämienrückerstattungsanspruch
aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. D. VN habe die Prämien
mit Rechtsgrund geleistet. Der Versicherungsvertrag sei wirksam z u-
stande gekommen. Die Widerspruchsfrist von 30 Tagen habe mit Erhalt
des Versicherungsscheins und der damit verbundenen Versicherungsb e-
dingungen und der Verbraucherinformation am 15. Oktober 2007 begon-
nen. Die Widerspruchsbelehrung im Versicherungsschein sei drucktec h-
nisch deutlich gestaltet und auch inhaltlich nicht zu beanstanden. Die
Regelung des Policenmodells verstoße nicht gegen die Zweite und Dritte
Richtlinie Lebensversicherung.
II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
D. VN kann nicht gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB Rückzah-
lung der Prämien verlangen.
1. Die Voraussetzungen für ein Zustandekommen des Versiche-
rungsvertrages sind hier erfüllt. Nach den von der Revision nicht ange-
griffenen, für das Revisionsverfahren bindenden Feststellungen des B e-
rufungsgerichts erhielt d. VN mit dem Versicherungsschein die Versiche-
rungsbedingungen, eine Verbraucherinformation und eine ordnungsge-
mäße Widerspruchsbelehrung. Bis zum Ablauf der damit in Gang geset z-
ten 30-tägigen Widerspruchsfrist erklärte d. VN den Widerspruch nicht.
2. Ob solchermaßen nach dem Policenmodell geschlossene Vers i-
cherungsverträge wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des § 5a VVG
a.F. Wirksamkeitszweifeln unterliegen (vgl. dazu Senatsurteil vom
16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 16 ff.; BVerfG, Be-
schluss vom 2. Februar 2015 - 2 BvR 2437/14, VersR 2015, 693
8
9
10
11
12
- 5 -
Rn. 30 ff.), kann im Streitfall dahinstehen. Die von der Revision begehrte
Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union scheidet bereits
deshalb aus, weil es auf die Frage, ob das Policenmodell mit den g e-
nannten Richtlinien unvereinbar ist, hier nicht entscheidungserheb lich
ankommt. D. VN ist es auch im Falle einer unterstellten Gemeinschaft s-
rechtswidrigkeit des Policenmodells nach Treu und Glauben wegen w i-
dersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger Durc h-
führung des Vertrages auf dessen angebliche Unwi rksamkeit zu berufen
und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten. Die Treuwidrigkeit liegt
darin, dass d. VN nach ordnungsgemäßer Belehrung über die Möglic h-
keit, den Vertrag ohne Nachteile nicht zustande kommen zu lassen, di e-
sen jahrelang unter regelmäßiger Prämienzahlung durchführte und erst
dann von dem Versicherer, der auf den Bestand des Vertrages vertrauen
durfte, unter Berufung auf die behauptete Unwirksamkeit des Vertrages
Rückzahlung aller Prämien verlangte (vgl. im Einzelnen zu den Maßst ä-
ben Senatsurteil vom 16. Juli 2014 aaO Rn. 32-42; BVerfG, Beschluss
vom 2. Februar 2015 aaO Rn. 42 ff.). D. VN verhielt sich objektiv wider-
sprüchlich. Die zumindest vertraglich eingeräumte und bekannt gemac h-
te Widerspruchsfrist ließ er bei Vertragsschluss 2007 ung enutzt verstrei-
chen. D. VN zahlte rund dreieinhalb Jahre die Versicherungsprämien und
erklärte dann erst den Widerspruch. Die jahrelangen Prämienzahlungen
des bereits im Oktober 2007 über die Möglichkeit, den Vertrag nicht z u-
stande kommen zu lassen, belehrten VN haben bei der Beklagten ein
- 6 -
schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des Vertrages begründet. Di e-
se vertrauensbegründende Wirkung war für d. VN auch erkennbar.
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Memmingen, Entscheidung vom 03.08.2012 - 24 O 478/12 -
OLG München in Augsburg, Entscheidung vom 14.03.2013
- 14 U 3898/12 -