Urteil des BGH vom 09.12.2015

Treu Und Glauben, Versicherungsnehmer, Vollzug, Lebensversicherung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I V Z R 1 3 6 / 1 4
vom
9. Dezember 2015
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf -Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller
am 9. Dezember 2015
beschlossen:
Die Revision gegen das Urteil des 20. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Köln vom 21. März 2014 wird gemäß
§ 552a Satz 1 ZPO auf Kosten der Klägerseite zurück-
gewiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
8.397,33 € festgesetzt.
Gründe:
Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerseite
(Versicherungsnehmerin: im Folgenden d. VN) war gemäß § 552a ZPO
zurückzuweisen, weil die Voraussetzungen für ihre Zulassung ni cht vor-
liegen und die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat. Der Senat hat die
Parteien mit Beschluss vom 19. Oktober 2015 auf die beabsichtigte Z u-
rückweisung hingewiesen. Auf die dortigen Gründe wird ergänzend B e-
zug genommen.
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Der Schriftsatz des Klägervertreters vom 16. November 2015 gibt
keine Veranlassung, von der Zurückweisung der Revision abzusehen.
Soweit dort darauf hingewiesen wird, die Revision sei auf die E u-
roparechtswidrigkeit des Policenmodells insgesamt gestützt, begründet
dies im Streitfall nicht die Pflicht zu einer Vorlage an den Gerichtshof der
Europäischen Union, da es auf diese Frage hier nicht entscheidungse r-
heblich ankommt. Wie der Senat in seinem Hinweisbeschluss näher au s-
geführt hat, wäre es d. VN, die trotz Belehrung ihres Ehemannes dar-
über, dass er den Vertrag nicht zustande kommen lassen musste, diesen
bis zum Widerspruch rund sieben Jahre mit ihrem Ehemann durchgeführt
hat, wegen widersprüchlichen Verhaltens verwehrt, sich bei unterstellter
Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Policenmodells auf eine Unwirksam-
keit des Vertrages zu berufen. Die Frage einer möglichen Vorlage an den
Gerichtshof der Europäischen Union in einem Fall, in dem kein wide r-
sprüchliches Verhalten der Versicherungsnehmer festgestellt werden
kann, stellt sich im Streitfall nicht. Entgegen der Ansicht der Revision
sind die Maßstäbe für die Berücksichtigung der Gesichtspunkte von Treu
und Glauben in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen
Union auch geklärt (siehe im Einzelnen Senatsurteil vom 16. Juli 2014
- IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 41 f.; BVerfG, Nichtannahmebe-
schluss vom 4. März 2015 - 1 BvR 3280/14, juris Rn. 31 ff. m.w.N.) und
die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens steht in Fällen wie dem
vorliegenden in Einklang mit dieser Rechtsprechung (vgl. Senatsurteil
aaO; vgl. auch BVerfG aaO).
Soweit die Revision geltend macht, es sei unionsrechtlich ung e-
klärt, ob verbraucherschützende Widerspruchsrechte durch nationale
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Vorschriften zum Rechtsmissbrauch beschränkt werden dürften, be rührt
dies zwar das Gebot der praktischen Wirksamkeit. Der Anwendung des
Grundsatzes von Treu und Glauben und des Verbots widersprüchlicher
Rechtsausübung steht dies aber nicht entgegen, weil die Ausübung di e-
ser Rechte in das nationale Zivilrecht eingebett et bleibt und die nationa-
len Gerichte ein missbräuchliches Verhalten auch nach der Rechtspr e-
chung des Gerichtshofs der Europäischen Union berücksichtigen dürfen
(BVerfG aaO Rn. 32 m.w.N.).
Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben beeinträc h-
tigt auch angesichts der besonderen Umstände des Streitfalles die pra k-
tische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts und den Sinn und Zweck
des Widerspruchsrechts nicht. Die Erwägungen der Zweiten und Dritten
Richtlinie Lebensversicherung, eine genaue Belehrung d er Versiche-
rungsnehmer über ihr Rücktrittsrecht vor Abschluss des Vertrages s i-
cherzustellen, werden auch hier nicht berührt, denn entscheidend ist im
Streitfall, dass d. VN und ihr Ehemann trotz dem geltenden nationalen
Recht entsprechender ordnungsgemäßer Belehrung über die Möglichkeit,
den Vertrag ohne Nachteile nicht zustande kommen zu lassen, diesen
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gleichwohl in Vollzug gesetzt und ihn über mehrere Jahre durchgeführt
haben (vgl. ergänzend Senatsurteil vom 10. Juni 2015 - IV ZR 105/13,
VersR 2015, 876 Rn. 13 f.).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Bonn, Entscheidung vom 23.10.2013 - 9 O 231/13 -
OLG Köln, Entscheidung vom 21.03.2014 - 20 U 201/13 -