Urteil des BGH vom 01.04.2015

Leitsatzentscheidung zu Nichteinhaltung der Frist, Versicherungsnehmer, Versicherer, Allgemeine Versicherungsbedingungen, Leistungsfähigkeit

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I V Z R 1 0 4 / 1 3
Verkündet am:
1. April 2015
Schick
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
AVB Unfallversicherung (hier Nr. 2.1.1.1, 2.1.2.2.1, 2.1.2.2.2 AUB 2000)
1. Findet das Schultergelenk in den Bestimmungen der Gliedertaxe über Verlust oder
völlige Funktionsbeeinträchtigung eines Arms keine Erwähnung, ist der Invalidi-
tätsgrad bei einer Gebrauchsminderung der Schulter nicht nach der Gliedertaxe
sondern den Regeln zur Invaliditätsbestimmung für andere Körperteile zu ermitteln
(Abgrenzung zu Senatsurteilen vom 24. Mai 2006 - IV ZR 203/03, r+s 2006, 387
Rn. 19 ff. und vom 14. Dezember 2011 - IV ZR 34/11, r+s 2012, 143 Rn. 12 - "Arm
im Schultergelenk").
2. Die fristgebundene ärztliche Invaliditätsfeststellung muss die Schädigung sowie
den Bereich, auf den sich diese auswirkt, ferner die Ursachen, auf denen der
Dauerschaden beruht, so umreißen, dass der Versicherer bei seiner Leistungsprü-
fung vor der späteren Geltendmachung völlig anderer Gebrechen oder Invalidi-
tätsursachen geschützt wird und stattdessen den medizinischen Bereich erkennen
kann, auf den sich die Prüfung seiner Leistungsverpflichtung erstrecken muss
(Fortführung des Senatsurteils vom 7. März 2007 - IV ZR 137/06, VersR 2007,
1114 Rn. 10 ff.).
BGH, Urteil vom 1. April 2015 - IV ZR 104/13 - OLG Koblenz
LG Bad Kreuznach
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin Mayen, den Richter Felsch, die Richterin Harsdorf -Gebhardt,
die Richter Dr. Karczewski und Dr. Schoppmeyer auf die mündliche Ver-
handlung vom 1. April 2015
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 10. Z i-
vilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 22. Fe b-
ruar 2013 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als
die Klage auf weitere Invaliditätsleistungen in Höhe von
37.94
0 € nebst Zinsen infolge des Unfalles vom 8. Ok-
tober 2005 abgewiesen und die dagegen gerichtete Be-
rufung des Klägers zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen
Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zu-
rückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger fordert - soweit im Revisionsverfahren noch von Inte-
resse - weitere Invaliditätsleistungen in Höhe von 37.94
0 € aus einer bei
der Beklagten gehaltenen Unfallversicherung, der Allgemeine Unfallve r-
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sicherungsbedingungen der Beklagten (AUB 2000) zugrunde liegen.
Vereinbart ist
unter anderem eine Invaliditätsgrundsumme von 150.000 €
und für den Fall einer Invalidität durch Unf all eine nach deren Grad aus
der Grundsumme errechnete Kapitalzahlung nebst Zuschlag ("Treuebo-
nus") von 10%.
Unter "2.1 Invaliditätsleistung" heißt es in den Bedingungen unter
anderem:
"2.1.1 Voraussetzungen für die Leistung
2.1.1.1 Die versicherte Person ist durch den Unfall auf
Dauer in ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähi g-
keit beeinträchtigt (Invalidität). Die Invalidität ist
- innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten und
- innerhalb von fünfzehn Monaten nach dem Unfall von ei-
nem Arzt schriftlich festgestellt und von Ihnen bei uns ge l-
tend gemacht worden.
2.1.2 Art und Höhe der Leistung
2.1.2.2.1 Bei Verlust oder völliger Funktionsunfähigkeit der
nachstehend genannten Körperteile und Sinnesorgane ge l-
ten ausschließlich, soweit nicht etwas anderes vereinbart
ist, die folgenden Invaliditätsgrade (Gliedertaxe):
Arm
70%
Arm bis oberhalb des Ellenbogengelenks
65%
Arm unterhalb des Ellenbogengelenks
60%
Hand
55%
Daumen
20%
Zeigefinger
10%
anderer Finger
5%
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2.1.2.2.2 Für andere Körperteile und Sinnesorgane bemisst
sich der Invaliditätsgrad danach, inwieweit die normale kö r-
perliche oder geistige Leistungsfähigkeit insgesamt beei n-
trächtigt ist. Dabei sind ausschließlich medizinische G e-
sichtspunkte zu berücksichtigen.
2.1.2.2.3 Waren betroffene Körperteile oder Sinnesorgane
oder deren Funktionen bereits vor dem Unfall dauernd b e-
einträchtigt, wird der Invaliditätsgrad um die Vorinvalidität
gemindert. Diese ist nach Ziffer 2.1.2.2.1 und Ziffer
2.1.2.2.2 zu bemessen."
Am 8. Oktober 2005 schlug der Kläger bei einem Sturz mit der li n-
ken Schulter auf und zog sich dabei nach den Feststellungen des Beru-
fungsgerichts eine Schulterprellung sowie eine Sprengung des linken
Schultereckgelenks, der Verbindung des Schlüsselbeins mit dem Schul-
terblatt, mit positivem Klaviertastenphänomen (im Schweregrad Tossy II)
zu. Innerhalb eines Jahres nach dem Sturz traten dauerhafte Beeinträc h-
tigungen im Bereich der linken Schulter ein, deren Umfang zwischen den
Parteien streitig ist. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2006 attestierte der
den Kläger behandelnde Arzt als Dauerschaden eine "Gebrauchsminde-
rung der li. Schulter".
Bereits am 24. August 1999 war der Kläger auf seinen linken Arm
gestürzt. Die Beklagte hatte seinerzeit unter Heranziehung der Glieder-
taxe eine Invaliditätsleistung auf der Grundlage einer Invalidität von 1/7
Armwert erbracht. Für die vorgenannten Folgen des Unfalls vom 8. Okt o-
ber 2005 lehnte sie Invaliditätsleistungen ab, weil eine dauerhafte Sch ä-
digung nicht objektivierbar sei.
Der Kläger hat geltend gemacht, der Grad seiner Invalidität betra-
ge mindestens 3/7 des Armwerts; er habe bei dem Unfall vom 8. Oktober
2005 auch eine Verletzung des linken Schlüsselbeins und insbesondere
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des Sternoklavikulargelenks, der Verbindung des Schlüsselbeins mit
dem Brustbein, erlitten, die fehlverheilt sei und zur Funktionsbeeinträc h-
tigung der Schulter beitrage. Die Beklagte schulde eine Invaliditätslei s-
tung von 45.000 € (30% von 150.000 €) zuzüglich des Treuebonus von
10%, mithin
49.500 €.
Das Landgericht hat den Invaliditätsgrad des Klägers nach Einh o-
lung zweier medizinischer Gutachten mit 1/10 Armwert (das entspricht
einer Gesamtinvalidität von 7%) bestimmt, dem Kläger danach
10.500 €
(7% von 150.000 €) zuzüglich 10% Treuebonus, zusammen 11.550 €,
zugesprochen und bezüglich des Unfalls vom 8. Oktober 2005 die we i-
tergehende Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die dagegen
gerichtete Berufung des Klägers, der im Berufungsverfahren unter and e-
rem geltend gemacht hatte, seine Schulterverletzung sei nicht nach der
vereinbarten Gliedertaxe, sondern nach Nr. 2.1.2.2.2 AUB 2000 zu beur-
teilen, zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein u r-
sprüngliches Klagebegehren weiter und fordert 37.940
€ als Differenz
zwischen seiner ursprünglichen Klagforderung und der vom Landgericht
zugesprochenen Summe.
Entscheidungsgründe:
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit
es die Folgen des Unfalls vom 8. Oktober 2005 betrifft, und zur Zurück-
verweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I. Dieses hat den Invaliditätsgrad mit Hilfe des Armwerts der Glie-
dertaxe bestimmt. Das Schultergelenk habe keinen funktionellen Selbs t-
zweck, sondern diene anatomisch allein dem funktionsgerechten Ei nsatz
des Armes. Beim Kläger bestehe die Einschränkung der körperlichen
Leistungsfähigkeit in einer funktionellen Beeinträchtigung des linken A r-
mes, so dass für die Invaliditätsbestimmung zwingend die Gliedertaxe
gelte. Ohne Bedeutung sei, dass die Beeinträchtigung auf einen Seh-
nenschaden im Schultereckgelenk zurückzuführen sei. Nach der Rech t-
sprechung des Bundesgerichtshofs sei bei Gelenkversteifungen stets der
Invaliditätsgrad für den Verlust oder die Funktionsunfähigkeit der en t-
sprechenden Gliedmaße "im Gelenk" anzunehmen. Das sachverständig
beratene Landgericht habe den Invaliditätsgrad unter Berücksichtigung
der erlittenen Verletzung des Schultereckgelenks zutreffend bestimmt.
Der Sachverständige Prof. Dr. T. habe überzeugend dargelegt, dass
die Gebrauchsminderung des linken Arms mit insgesamt 5/20 Armwert
zu bewerten sei, dabei sei einerseits die Verletzung des Schultereckge-
lenks zu berücksichtigen, die der Sachverständige mit 2/20 Armwert b e-
wertet habe, andererseits die vom Sachverständigen mit 1 /7 Armwert
bewertete Vorinvalidität. Letztere müsse nach Nr. 2.1.2.2.3 AUB 2000 in
Abzug gebracht werden.
Den Nachweis dafür, dass bei dem Unfall vom 8. Oktober 2005
auch das linke Sternoklavikulargelenk verletzt worden sei, habe der Klä-
ger bisher nicht erbracht. Eine weitere Sachaufklärung dazu erübrige
sich, weil es für diese behauptete Verletzung an einer ärztlichen Fes t-
stellung binnen 15 Monaten nach dem Unfall fehle (Nr. 2.1.1.1 AUB
2000). Die vom Kläger vorgelegte fristgerechte Feststellung einer dauer-
haften Gebrauchsminderung der linken Schulter besage nichts über eine
Verletzung des Sternoklavikulargelenks. Eine solche Verletzung und ihre
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fehlerhafte Verheilung seien als invaliditätsbegründender Dauerschaden
somit nicht fristgerecht ärztlich festgestellt.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Rechtsfehlerhaft ist bereits die Bestimmung des Invaliditätsgra-
des anhand der Gliedertaxe der Nr. 2.1.2.2.1 AUB 2000.
Deren Auslegung ergibt, dass die Verletzung des Schultereck ge-
lenks vom Armwert nicht erfasst wird, so dass der Grad der Invalidität
des Klägers nach Nr. 2.1.2.2.2 AUB 2000 zu bestimmen ist.
a) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger
Rechtsprechung des Senats so auszulegen, wie ein durchschnittlicher
Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer
Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusamme n-
hangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichke i-
ten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrec htliche Spezial-
kenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an (Senatsurteil vom
23. Juni 1993 - IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83, 85 und ständig). Die All-
gemeinen Versicherungsbedingungen sind aus sich heraus zu interpre-
tieren. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit
dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der
Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versich e-
rungsnehmer erkennbar sind (Senatsurteil vom 25. Juli 2012 - IV ZR
201/10, VersR 2012, 1149 Rn. 21 m.w.N.).
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b) Ein um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer entnimmt
dem Leistungsversprechen aus Nr. 2.1 AUB 2000 und der in
Nr. 2.1.2.2.1 AUB 2000 getroffenen Regelung über die Gliedertaxe zu-
nächst, dass der Versicherer ihm eine Invaliditätsleistung verspricht für
den Fall, dass ein Unfall zu einer dauernden Beeinträchtigung seiner
körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit (Invalidität) führt. Grun d-
lage für die Berechnung der Leistung bilden die Versicherungssumme
und der Grad der unfallbedingten Invalidität. Wie sich die Höhe der Lei s-
tungen
im
Einzelnen
bemisst,
kann
der
Versiche rungsnehmer
Nr. 2.1.2.2.1 AUB 2000 für die dort genannten Körperteile und Sinneso r-
gane entnehmen. Die Gliedertaxe bestimmt nach einem abstrakten und
generellen Maßstab feste Invaliditätsgrade bei Verlust oder diesem
gleichgestellter Funktionsunfähigkeit der mit ihr benannten Glieder. Gle i-
ches gilt bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit eines durch die Gliedert a-
xe abgegrenzten Teilbereichs eines Gliedes. Dem gemäß beschreibt die
Regelung abgegrenzte Teilbereiche eines Armes und Beines und ordnet
jedem Teilbereich einen festen Invaliditätsgrad zu, der mit Rumpfnähe
des Teilgliedes steigt. Die Gliedertaxe stellt damit für den Verlust und für
die Funktionsunfähigkeit der in ihr genannten Gliedmaßen oder deren
Teilbereiche durchgängig allein auf den Sitz der unfallbedingten Schäd i-
gung ab (vgl. zu diesem Verständnis der Gliedertaxe in den AUB 88: S e-
natsurteil vom 14. Dezember 2011 - IV ZR 34/11, r+s 2012, 143 Rn. 10
m.w.N.).
Der Systematik der Gliedertaxe kann der Versicherungsnehmer
ferner entnehmen, dass für die Bereiche der mit dem Arm und dem Bein
zusammenhängenden Körperteile abgestufte Invaliditätsgrade festg e-
setzt werden, die beim Arm mit der Bewertung de r Invalidität eines Fin-
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gers mit 5% beginnen und des (gesamten) Armes mit 70% enden. Hie r-
mit trägt die Gliedertaxe dem Umstand Rechnung, dass Gliedverluste
- entsprechendes gilt für völlige oder teilweise Gebrauchsunfähigkeit -
mit zunehmender Rumpfnähe der Stelle, an der das Körperglied verloren
gegangen (oder die Gebrauchsbeeinträchtigungen auslösende Ursache
zu lokalisieren) ist, zu wachsender Einschränkung der generellen Lei s-
tungsfähigkeit von Menschen führen (Senatsurteil vom 14. Dezember
2011 aaO Rn. 11 m.w.N.).
Nimmt der Versicherungsnehmer - ausgehend von dieser Systema-
tik - den Wortlaut der in Nr. 2.1.2.2.1 AUB 2000 für Verlust oder Funkt i-
onsunfähigkeit eines Armes getroffenen Regelung in den Blick, weist ihn
- anders als bei der in früheren Bedingungen gebräuchlichen Formulie-
rung "
Verlust oder Funktionsunfähigkeit … eines Armes im Schulterge-
lenk" (vgl. zu § 7 I (2) a AUB 88: Senatsurteil vom 14. Dezember 2011
aaO Rn. 12; zu § 7 I (2) a AUB 94: Senatsurteil vom 24. Mai 2006, IV ZR
203/03, r+s 2006, 387 Rn. 19 ff.) - nichts darauf hin, dass der gesamte
Schultergürtel zum Arm zählen und eine dort eintretende Gesundheit s-
beeinträchtigung bei der Bestimmung des Invaliditätsgrades als bedin-
gungsgemäße Funktionsstörung des Armes gelten soll. Vielmehr wir d der
durchschnittliche Versicherungsnehmer der von 5% bis 70% reichenden
Staffelung entnehmen, dass zum Arm nur dessen in der Gliedertaxe im
Einzelnen benannte Teile, nämlich die Finger, die Hand, der Arm unte r-
halb und bis oberhalb des Ellenbogens, schließlich der restliche Arm
zählen sollen. Teile der Schulterpartie, mögen sie auch funktionell dazu
bestimmt sein, die zwischen Arm und Rumpf auftretenden Kräfte aufz u-
nehmen und somit die Funktionsfähigkeit des Armes zu gewährleisten,
wird er nicht als vom Bedingungswortlaut erfasst ansehen.
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c) Auch aus dem systematischen Zusammenhang, in den die T a-
xenregelung über den Arm gestellt ist, ergeben sich keine anderslaute n-
den Hinweise. Nichts deutet in den unter Nr. 2.1.2.2.1 und Nr. 2.1.2.2.2
AUB 2000 getroffenen Regelungen zur Bestimmung des Invaliditätsgra-
des darauf hin, dass auch die Schädigung von nicht in der Gliedertaxe
aufgeführten Körperpartien nach der Gliedertaxe eingestuft wer den soll,
sofern sich diese Schädigung lediglich auf den Gebrauch der in der Glie-
dertaxe aufgeführten Gliedmaßen auswirkt. Der durchschnittliche Versi-
cherungsnehmer erkennt vielmehr, dass die Gliedertaxe durchgängig auf
den Sitz der unfallbedingten Schädigung abstellt ( vgl. dazu Senatsurteil
vom 14. Dezember 2011 aaO Rn. 10 m.w.N.). Anders als die Beklagte
meint, gilt das nicht nur für die Einordnung einer Schädigung in die von
der Gliedertaxe angeführten Teilbereiche eines Armes oder Beines , son-
dern auch für die Abgrenzung zu nicht in der Gliedertaxe aufgeführten
Körperteilen.
d) Soweit sich das Berufungsgericht für seine anderslautende Au f-
fassung auf die Senatsrechtsprechung zu früheren Fassungen der AUB
stützt (vgl. Senatsurteile vom 9. Juli 2003 - IV ZR 74/02, r+s 2003, 427 =
VersR 2003, 1163 unter II 2 c (2) - "Hand im Handgelenk"; vom 24. Mai
2006 - IV ZR 203/03, r+s 2006, 387 Rn. 19 ff. und vom 14. Dezember
2011 aaO Rn. 12 - "Arm im Schultergelenk") und meint, der Senat habe
dabei letztlich für die Anwendung der Gliedertaxe auf eine Funktionsu n-
fähigkeit im jeweiligen Gelenk abgestellt, lässt sich dies auf den hier
vereinbarten Bedingungswortlaut nicht übertragen, weil in Nr. 2.1.2.2.1
AUB 2000 vom Schultergelenk im Zusammenhang mit dem Verlust oder
einer Funktionsbeeinträchtigung des Armes nicht mehr die Rede ist und
der Versicherungsnehmer mithin keinen Hinweis darauf erhält, dass das
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Schultergelenk oder gar der gesamte Schultergürtel der Gliedertaxe u n-
terfallen soll.
2. Zu Unrecht hat es das Berufungsgericht für entbehrlich erachtet,
weiteren Beweis darüber zu erheben, ob der Unfall des Klägers vom
8. Oktober 2005 zusätzlich zu einer - inzwischen fehlverheilten - Verlet-
zung des linken Sternoklavikulargelenks geführt hat; anders, als das Be-
rufungsgericht meint, wäre eine solche Verletzung von der binnen der
15-Monatsfrist der Nr. 2.1.1.1 AUB 2000 getroffenen ärztlichen Invalidi-
tätsfeststellung vom 13. Oktober 2006 erfasst.
a) Seine anderslautende Auffassung kann das Berufungsgericht
nicht auf die Senatsentscheidung vom 7. März 2007 (IV ZR 137/06,
VersR 2007, 1114 = r+s 2007, 255 Rn. 10 ff.) stützen.
Der Senat (aaO Rn. 10 ff.) hat dort ausgeführt, die 15-Monatsfrist
für die ärztliche Invaliditätsfeststellung diene dem berechtigten Interesse
des Versicherers an der baldigen Klärung seiner Einstandspflicht und
führe selbst dann zum Ausschluss von Spätschäden, wenn den Versich e-
rungsnehmer an der Nichteinhaltung der Frist kein Verschulden treffe.
Allerdings seien an die Feststellung der Invalidität keine hohen Anford e-
rungen zu stellen. Sie müsse sich nicht abschlie ßend zu einem bestimm-
ten Invaliditätsgrad äußern und brauche hinsichtlich der Feststellung der
Unfallbedingtheit eines bestimmten Dauerschadens noch nicht einmal
richtig zu sein. Es müssten sich aus ihr aber die ärztlicherseits für einen
Dauerschaden angenommene Ursache und die Art ihrer Auswirkungen
ergeben, denn die Invaliditätsbescheinigung solle dem Versicherer Gel e-
genheit geben, dem geltend gemachten Versicherungsfall nachzugehen
und seine Leistungspflicht auf Grundlage der ärztlichen Feststellung zu
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prüfen. Zugleich solle sie eine Ausgrenzung von Spätschäden ermögl i-
chen, die in der Regel nur schwer abklärbar und überschaubar seien und
die der Versicherer deshalb von der Deckung ausnehmen wolle. Deshalb
könnten nur die in der ärztlichen Invaliditätsfest stellung beschriebenen
unfallbedingten Dauerschäden Grundlage des Anspruchs auf Invalid i-
tätsentschädigung sein.
b) Das lässt sich auf den Streitfall nicht in der Weise übertragen,
dass die behauptete Verletzung des Sternoklavikulargelenks nicht von
der hier vorgelegten ärztlichen Invaliditätsfeststellung erfasst wäre. Die
ärztliche Bescheinigung über eine durch den Unfall verursachte dauer-
hafte "Gebrauchsminderung der li. Schulter" gab dem beklagten Versi-
cherer ausreichenden Anlass, zur Prüfung seiner Leistungspflicht alle
Körperteile im Bereich der linken Schulter in den Blick zu nehmen, die
Einfluss auf diese Gebrauchsminderung haben konnten. Das sind vor a l-
lem sämtliche zum linken Schultergürtel des Klägers gehörenden knö-
chernen Teile, mithin auch das Sternoklavikulargelenk, zumal bereits die
festgestellte Verletzung des Schultereckgelenks durch mechanische Ge-
walt es nicht fernliegend erscheinen ließ, dass die Unfallkräfte auch das
andere Ende des linken Schlüsselbeins in Mitleidenschaft gezogen ha-
ben konnten. Die vom Senat in seinem Urteil vom 7. März 2007 formu-
lierten Maßstäbe sind nicht dahin zu verstehen, dass bereits im Rahmen
der fristgemäßen ärztlichen Invaliditätsfeststellung eine möglichst präz i-
se Diagnose des Umfangs und der Ursachen eines Dauerschadens ge-
fordert wäre. Gemessen am Zweck der fristgebundenen ärztlichen Fes t-
stellung genügt es vielmehr, wenn diese Feststellung die Schädigung
sowie den Bereich, auf den sich diese auswirkt, ferner die Ursachen, auf
denen der Dauerschaden beruht, so umreißt, dass der Versicherer bei
seiner Leistungsprüfung den medizinischen Bereich erkennen kann, auf
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den sich die Prüfung seiner Leistungsverpflichtung erstrecken muss und
vor der späteren Geltendmachung völlig anderer Gebrechen oder Invali-
ditätsursachen geschützt wird.
Im Streitfall konnte der Versicherer der ärztlichen Feststellung en t-
nehmen, dass der Unfall, bei dem der Kläger mit der Schulter aufgeprallt
war, zu deren dauerhafter Gebrauchsminderung geführt hatte. Das
schließt alle Verletzungen und Schäden ein, die infolge des Aufpralls
mechanisch im Bereich der linken Schulter hervorgerufen worden waren.
Nicht erfasst wären hingegen Unfallschäden, die zwar aufgrund desse l-
ben Unfalls, aber entweder - wie etwa psychisch bedingte Einschränkun-
gen - mittels einer anderen Kausalkette entstünden oder sich an anderen
Körperstellen, beispielsweise der Wirbelsäule oder der Hüfte, auswir k-
ten.
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Bestimmung des
Invaliditätsgrades nach den vorgenannten Maßstäben zu einem dem
Kläger günstigeren Ergebnis führt. Wird sein linker Schultergürtel nach
Nr. 2.1.2.2.2 AUB 2000 untersucht und dabei möglicherweise zusätzlich
eine unfallbedingte Verletzung des Sternoklavikulargelenks festgestellt,
deren Berücksichtigung das Berufungsgericht bisher abgelehnt hat, so ist
nicht auszuschließen, dass die Einstufung des Dauerschadens höher
ausfällt als bisher angenommen.
Es kommt hinzu, dass das Berufungsgericht einen Abzug wegen
Vorinvalidität mit der bisher gegebenen Begründung nicht hätte vorneh-
men dürfen. Nach Nr. 2.1.2.2.3 AUB 2000 wird der Invaliditätsgrad ge-
mindert, wenn "betroffene Körperteile oder Sinnesorgane oder deren
Funktionen bereits vor dem Unfall dauernd beeinträchtigt " waren. Die
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Vorschädigung des Klägers aus seinem früheren Unfall vom August 1999
betrifft nach der Behauptung der Beklagten den linken Arm mit 1/7 Arm-
wert infolge einer Teildurchtrennung der Trizepssehne im Bereich des
Oberarmes. Ordnet man nach richtiger Auslegung der Gliedertaxe die
nach dem Unfall vom 8. Oktober 2005 erlittene Dauerschädigung nicht
dem Arm, sondern dem linken Schultergürtel zu, bedarf es nach Nr.
2.1.2.2.3 AUB 2000 besonderer Darlegungen, dass die Vorschädigung
am Oberarm dem von der Invalidität "betroffenen Körperteil" im Sinne
der Klausel zuzuordnen ist.
III. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
Die Jahresfrist für den Eintritt der Invalidität nach Nr. 2.1.1.1 AUB
2000 soll den Versicherer davor schützen, für dauerhafte Spätfolgen e i-
nes Unfalls eintreten zu müssen, die sich erst später als ein Jahr nach
einem Unfall erstmals zeigen. Geschützt wird damit das Kalkulationsint e-
resse des Versicherers. Tritt ein Dauerschaden binnen der Jahresfrist
ein, besagt diese Frist aber nicht, dass bei der nachfolgenden Bemes-
sung des Invaliditätsgrades ausschließlich diejenigen Umstände heran-
gezogen werden dürften, die innerhalb der Jahresfrist erkennbar gewo r-
den sind. Vielmehr kann der Versicherungsnehmer im Rechtsstreit um
die Erstbemessung seiner Invalidität im Grundsatz alle bis zur letzten
mündlichen Verhandlung eingetretenen Umstände heranziehen (Senat s-
beschluss vom 22. April 2009 - IV ZR 328/07, r+s 2009, 293 = VersR
2009, 920 Rn. 19). Eine zeitliche Begrenzung für die Berücksichtigung
medizinischer Umstände bei der Erstfestsetzung ist auch nicht der in
Nr. 9.4 AUB 2000 gesetzten Dreijahresfrist für die Neubemessung der
Invalidität zu entnehmen. Zwar wird daraus ersichtlich, dass sich nach
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einer Erstfestsetzung des Invaliditätsgrades gesundheitliche Verände-
rungen auf die Leistungspflicht des Versicherers nur dann auswirken sol-
len, wenn sie spätestens binnen drei Jahren nach dem Unfall eingetreten
sind. Das gilt aber nur im Neufestsetzungsverfahren. Ist dieses mangels
Erstfestsetzung gar nicht eröffnet, ist für die nur im Neufestsetzungsver-
fahren vorgesehene Befristung kein Raum.
Mayen Felsch Harsdorf -Gebhardt
Dr. Karczewski Dr. Schoppmeyer
Vorinstanzen:
LG Bad Kreuznach, Entscheidung vom 23.03.2012 - 104 O 12/11 -
OLG Koblenz, Entscheidung vom 22.02.2013 - 10 U 441/12 -