Urteil des BGH vom 08.04.2015

Leitsatzentscheidung zu Ablauf der Frist, Ex Nunc, Entstehung, Verjährungsfrist

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I V Z R 1 0 3 / 1 5
Verkündet am:
8. April 2015
Heinekamp
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
VVG a.F. § 5a, BGB § 199 Abs. 1, § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1
Der nach einem Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. geltend gemachte Bereiche-
rungsanspruch ist nicht schon mit jeder einzelnen Prämienzahlung, sondern erst mit
Ausübung des Widerspruchsrechts im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB entstan-
den.
BGH, Urteil vom 8. April 2015 - IV ZR 103/15 - LG Stuttgart
AG Stuttgart
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf-Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller auf die
mündliche Verhandlung vom 8. April 2015
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 5 . Zi-
vilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 18. April 2012
aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsve r-
fahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten Rückzahlung geleisteter
Versicherungsbeiträge einer Leibrentenversicherung.
Diese wurde aufgrund eines Antrags des Klägers mit Vertragsb e-
ginn zum 1. April 1998 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a
VVG in der bei Antragstellung gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG
a.F.) abgeschlossen. Mit dem Versicherungsschein erhielt der Kläger die
Versicherungsbedingungen und eine Verbraucherinformation gemäß
§ 10a VVG a.F. mit Belehrung über das Widerspruchsrecht. Von April
1998 bis Mai 2008 zahlte er monatlich Prämien in Höhe von insgesamt
9.356,18
€. Mit Schreiben vom 5. Juni 2008 erklärte er den "Widerspruch
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gemäß § 5a VVG/den Widerspruch nach § 8 VVG, vorsorglich die An-
fechtung nach § 119 BGB, hilfsweise die Kündigung". Die Beklagte be-
stätigte die Kündigung und zahlte dem Kläger einen Rückkaufswert von
9.331,60
€. Mit Schreiben vom 11. August 2009 wiederholte der Kläger
den Widerspruch.
Mit der im April 2011 erhobenen Klage verlangt der Kläger Rück-
zahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zi nsen abzüg-
lich des bereits gezahlten Rückkaufswerts, insgesamt 4.580,82
€.
Nach seiner Auffassung ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
zustande gekommen. Die Widerspruchsbelehrung in der Verbraucherin-
formation sei mangels drucktechnischer Hervorh ebung und zudem inhalt-
lich fehlerhaft. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschafts-
recht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe er den Wider-
spruch noch erklären können.
Die Beklagte hält den Widerspruch für verfristet und erhebt die
Einrede der Verjährung.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht die
hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt
der Kläger das Klagebegehren weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zu-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ung e-
rechtfertigter Bereicherung verneint. Selbst wenn mit der Übersendung
der Unterlagen die 14-tägige Widerspruchsfrist nach § 5a Abs. 1 Satz 1
VVG a.F. mangels ordnungsgemäßer Widerspruchsbelehrung nicht in
Lauf gesetzt worden wäre, sei der Vertrag jedenfalls gemäß § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. nach Ablauf eines Jahres nach der ersten Prämienza h-
lung wirksam geworden.
II. Die Revision ist begründet.
1. Ein - mit der Revision allein in der Hauptsache weiterverfolgter -
Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB
kann dem Kläger mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung
nicht versagt werden.
a) Nach dem für das Revisionsverfahren maßgeblichen Sachve r-
halt ist davon auszugehen, dass der von dem Kläger erklärte Wider-
spruch - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
normierten Jahresfrist - rechtzeitig war und infolgedessen der zwischen
den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande
gekommen ist.
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aa) Das Berufungsgericht hat ebenso wie das Amtsgericht keine
Feststellungen dazu getroffen, ob die in der dem Kläger mit dem Versi-
cherungsschein übersandten Verbraucherinformation enthaltene Wider-
spruchsbelehrung gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. in drucktechnisch
deutlicher Form hervorgehoben war.
bb) Wenn die Widerspruchsbelehrung - was für das Revisionsver-
fahren zu unterstellen ist - nicht ordnungsgemäß war, bestand das W i-
derspruchsrecht nach Ablauf der Jahresfrist des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG
a.F. und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.
Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Ge-
richtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11,
BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die
Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert
werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten
Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon e r-
fasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen
zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht,
wenn der Versicherungsnehmer - wie hier zu unterstellen - nicht ord-
nungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist
und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbe dingun-
gen nicht erhalten hat.
b) Die hilfsweise Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem
Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO
Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits
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vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl.
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
c) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarecht s-
widrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur e i-
ne Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
2. Der Rückgewähranspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB
war bei Erhebung der Klage im April 2011 nicht verjährt. Zu diesem Zeit-
punkt war die maßgebliche (Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB) regel-
mäßige dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB nicht abgelaufen.
Die Regelverjährung beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB grundsätz-
lich mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist
und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und
der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrläs-
sigkeit erlangen müsste. Hier begann die Verjährung erst Ende 2008 .
a) Der auf Rückgewähr der Prämien gerichtete Bereicherungsa n-
spruch entstand erst mit dem Widerspruch, den der Kläger mit Schreiben
vom 5. Juni 2008 erklärte. Die Widerspruchserklärung ist entscheidend
für die Entstehung des Bereicherungsanspruchs im Sinne des § 199
Abs. 1 Nr. 1 BGB.
aa) In Rechtsprechung und Literatur ist streitig, ob der nach einem
Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. geltend gemachte bereicherungs-
rechtliche Anspruch bereits mit jeder einzelnen Zahlung entstanden ist
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(so LG Wiesbaden, Urteil vom 23. Dezember 2014 - 7 S 14/14, nicht ver-
öffentlicht, S. 5 f.; LG Heidelberg, Urteile vom 25. September 2014 - 1 S
15/13, juris Rn. 43; 1 S 8/14, juris Rn. 44; LG Aurich, Urteil vom 5. Juni
2014 - 2 O 1164/12, nicht veröffentlicht, unter III 3; Armbrüster, NJW
2014, 497, 498 und VersR 2012, 513, 522; Heyers, NJW 2014, 2619,
2622; Jacob, jurisPR-VersR 8/2014 Anm. 2 unter D) oder erst mit der
Ausübung des Widerspruchsrechts (so OLG Stuttgart, Urteil vom 23. Ok-
tober 2014 - 7 U 54/14, juris Rn. 125; OLG Düsseldorf, Hinweisbeschluss
vom 12. September 2014 - I-4 U 116/13, nicht veröffentlicht, unter I 1;
OLG Köln, Urteil vom 5. September 2014 - 20 U 88/14, juris Rn. 38; LG
Frankfurt (Oder), Urteil vom 1. Dezember 2014 - 16 S 240/12, nicht ver-
öffentlicht, unter II 3; LG Kiel r+s 2014, 446 Rn. 41; Koch, LMK 2014,
359159 unter 2; Reiff, r+s 2015, 105, 114).
bb) Der Senat teilt die letztgenannte Auffassung (vgl. Senatsurteil
vom 24. April 2013 - IV ZR 23/12, VersR 2013, 899 Rn. 16).
(1) Entstanden ist ein Anspruch, sobald er im Wege der Klage ge l-
tend gemacht werden kann (BGH, Urteile vom 16. September 2010 - IX
ZR 121/09, WM 2010, 2081 Rn. 22 m.w.N.; Beschluss vom 19. Dezem-
ber 1990 - VIII ARZ 5/90, BGHZ 113, 188, 191; vom 17. Februar 1971
- VIII ZR 4/70, BGHZ 55, 340, 341 m.w.N.). Voraussetzung dafür ist
grundsätzlich die Fälligkeit des Anspruchs, die dem Gläubiger die Mö g-
lichkeit der Leistungsklage verschafft (BGH, Beschluss vom 19. Dezem-
ber 1990 aaO Rn. 191 f.; MünchKomm-BGB/Grothe, 6. Aufl. § 199 BGB
Rn. 4; Palandt/Ellenberger, BGB 74. Aufl. § 199 BGB Rn. 3; Staudin-
ger/Peters/Jacoby [2014], § 199 BGB Rn. 7). Der Bereicherungsan-
spruch wurde erst fällig, als der Kläger den Widerspruch erklärte und
damit dem bis dahin schwebend unwirksamen Versicherungsvertrag (vgl.
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hierzu Senatsurteile vom 16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102
Rn. 14; vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 15) endgültig die Wirksamkeit versag-
te.
(2) Auch wenn während der schwebenden Unwirksamkeit (noch)
kein Rechtsgrund für die Prämienzahlung des Versicherungsnehmers
bestand, wurde erst durch den Widerspruch der Schwebezustand bee n-
det und Klarheit geschaffen, dass dem Versicherer die geleisteten Pr ä-
mien nicht zustanden. Erst nach der Entscheidung des Versicherung s-
nehmers, den Widerspruch zu erklären, stand fest, dass der Vertrag, den
die Parteien bis dahin wie einen wirksamen Vertrag durchgeführt hatten,
endgültig unwirksam war (so auch OLG Stuttgart, Urteil vom 23. Oktober
2014 - 7 U 54/14, juris Rn. 125; OLG Köln, Urteil vom 5. September 2014
- 20 U 88/14, juris Rn. 38; Reiff r+s 2015, 105, 114). Dies gilt auch für
ein fortdauerndes Widerspruchsrecht, das demjenigen Versicherung s-
nehmer zusteht, der nicht oder nicht ordnungsgemäß belehrt wurde
und/oder die AVB und/oder die Verbraucherinformation nicht erhalten
hat. Auch wenn ihm nach Maßgabe des Senatsurteils vom 7. Mai 2014
(aaO) eine zeitlich unbegrenzte Widerspruchsmöglichkeit zustand, war
von ihm spätestens bei Rückforderung der Prämien eine Erklärung abz u-
geben, dass er den Vertrag nicht wirksam zustande kommen lassen wo ll-
te. Ausgehend davon ist der Widerspruch als Voraussetzung für die kl a-
geweise Geltendmachung des Bereicherungsanspruchs und damit für die
Entstehung des Anspruchs und den daran geknüpften Beginn der Verjä h-
rungsfrist anzusehen.
(3) Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass der Verjä h-
rungsbeginn in das Belieben des Versicherungsnehmers gestellt werde.
Insoweit ist die Beurteilung nicht anders als in dem Fall vorzunehmen, in
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dem die Entstehung des Anspruchs von einer Anfechtung, einem Rück-
tritt (vgl. hierzu Senatsurteil vom 17. Dezember 2014 - IV ZR 260/11, r+s
2015, 60 Rn. 34) oder einer Kündigung abhängt. Auch da beginnt die
Verjährung erst mit der wirksamen Erklärung.
b) Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der
Person des Schuldners - der Beklagten - im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2
BGB hatte der Kläger jedenfalls im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung,
so dass die Verjährung mit dem Schluss des Jahres 2008 begann. Vor
Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist Ende 2011 erhob der Kläger die
Klage im April 2011.
3. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlt en Prämien.
Vielmehr muss sich der Versicherungsnehmer bei der bereicherungs-
rechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Ve r-
trages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert
des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämie n-
kalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem
Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO
Rn. 45 m.w.N.).
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Da es auch hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur
neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurüc k-
zuverweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag
zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
AG Stuttgart, Entscheidung vom 01.07.2011 - 3 C 1079/11 -
LG Stuttgart, Entscheidung vom 18.04.2012 - 5 S 173/11 -
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