Urteil des BGH vom 13.05.2015

Leitsatzentscheidung zu Internationales Privatrecht, Erbrecht, Qualifikation, Gesetzlicher Erbe

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I V Z B 3 0 / 1 4
vom
13. Mai 2015
in der Nachlasssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
BGB § 1371 Abs. 1; EGBGB Art. 15, Art. 25
Der pauschale Zugewinnausgleich nach § 1371 Abs. 1 BGB ist im Sinne der Artt. 15,
25 EGBGB rein güterrechtlich zu qualifizieren.
BGH, Beschluss vom 13. Mai 2015 - IV ZB 30/14 - OLG Frankfurt am Main
AG Frankfurt am Main
- 2 -
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
Richterin
Mayen,
die
Richterin
Harsdorf-Gebhardt,
die
Richter
Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller
am 13. Mai 2015
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 21. Zi-
vilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom
30. Juli 2014 wird auf Kosten des Beteiligten zu 1 zurüc k-
gewiesen.
Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren
wird auf 95.000
€ festgesetzt (vgl. § 40 Abs. 1 Satz 1
GNotKG).
Gründe:
I. Die Erblasserin war griechische Staatsangehörige und verstarb
am 18. Mai 2013 in Frankfurt am Main. Sie hinterließ keine letztwillige
Verfügung. Die Beteiligten, Sohn (Beteiligter zu 1) und Ehemann (Betei-
ligter zu 2) der Erblasserin, streiten um das Erbrecht des Beteiligten
zu 2.
Die Erblasserin und der Beteiligte zu 2, ebenfalls griechischer
Staatsangehöriger, hatten am 31. Juli 1983 in Griechenland die Ehe ge-
schlossen. Am 6. November 2003 kauften sie zwei Eigentumswohnungen
1
2
- 3 -
in H. . Die notarielle Kaufvertragsurkunde enthält zu Beginn die
Erklärung der Eheleute, dass sie für die güterrechtlichen Wirkungen ihrer
Ehe "mit sofortiger Wirkung den gesetzlichen Güterstand der Zugewin n-
gemeinschaft des deutschen Rechts" wählen.
Im Jahr 2007 stellte die Erblasserin beim Amtsgericht - Familien-
gericht - Scheidungsantrag, dem der Beteiligte zu 2 zustimmte. Später
beantragte der Beteiligte zu 2 selbst die Scheidung, während die Erblas-
serin gegenüber dem Familiengericht die Rücknahme ihres Antrags er-
klärte. Durch Zwischenurteil vom 4. Dezember 2009 stellte das Familie n-
gericht fest, dass für den güterrechtlichen Ausgleich unter den Eheleuten
deutsches Recht Anwendung finde. Das Scheidungsverfahren wurde bis
zum Tode der Erblasserin nicht abgeschlossen.
Am 17. Januar 2014 hat der Beteiligte zu 1 beim Nachlassgericht
die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der ihn als Miterben zu 3/4 und
den Beteiligten zu 2 als Miterben zu 1/4 des im Inland belegenen Nach-
lasses der Erblasserin nach griechischem Recht ausweist. Hiergegen hat
der Beteiligte zu 2 eingewandt, dass der Antrag die zu seinen Gunsten
zu berücksichtigende Erbteilerhöhung nach § 1371 Abs. 1 BGB außer
Acht lasse.
Das Nachlassgericht hat die für die Erteilung des begehrten Erb-
scheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Das Be-
schwerdegericht hat demgegenüber den Erbscheinsantrag zurückgewie-
sen. Hiergegen richtet sich die vom Oberlandesgericht zugelassene
Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1, mit der er seinen Erbscheinsan-
trag weiterverfolgt.
3
4
5
- 4 -
II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen E r-
folg.
1. Das Beschwerdegericht, dessen Beschluss unter anderem in
ZEV 2015, 158 veröffentlicht ist, hat ausgeführt, dass die Beteiligten Mit-
erben nach der Erblasserin zu je 1/2-Anteil geworden seien. Dem Betei-
ligten zu 2 komme als Witwer in Anwendung griechischen Erbrechts ein
Erbteil von 1/4 zu. Dem stehe das im Todeszeitpunkt anhängige Schei-
dungsverfahren nicht entgegen, da die entsprechenden Ausschlusstat-
bestände griechischen Rechts nicht erfüllt seien. Zudem sei zugunsten
des Beteiligten zu 2 eine Erbteilerhöhung um 1/4 gemäß § 1371 Abs. 1
BGB, der aufgrund der wirksamen Wahl des deutschen Güterrechts
durch die Eheleute einschlägig sei, vorzunehmen. Dieser pauschalierte
Zugewinnausgleich sei trotz Zusammentreffens von deutsche m Güter-
rechtsstatut und ausländischem Erbstatut möglich, da das griechische
Recht, das schon keine güterrechtlichen Ansprüche im Todesf all vorse-
he, mit der gesetzlichen Erbquote keinen güterrechtlichen Ausgleich b e-
wirken wolle. Angesichts der dem deutschen Recht entsprechenden ge-
setzlichen Erbquote des überlebenden Ehegatten nach griechischem
Recht stelle sich die Frage der Erforderlichkeit einer Anpassung der
Erbquoten nicht.
2. Das hält der rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand. Dem
Beteiligten zu 1 ist der von ihm begehrte Erbschein nicht zu erteilen.
a) Soweit der Beteiligte zu 1 rügt, das Beschwerdegericht sei se i-
ner Pflicht zur Ermittlung der Erbausschlussgründe nach griechischem
Recht nicht hinreichend nachgekommen, kann dahinstehen, ob das z u-
trifft.
6
7
8
9
- 5 -
Richtig ist allerdings, dass aufgrund der Verweisung des Art. 25
Abs. 1 EGBGB, die das griechische Kollisionsrecht gem äß Art. 28 des
Zivilgesetzbuches (ZGB) annimmt, für die Rechtsnachfolge nach der Er b-
lasserin griechisches Recht maßgeblich ist. Zutreffend ist auch, dass der
Tatrichter den Inhalt des zur Anwendung berufenen ausländischen
Rechts von Amts wegen zu ermitteln hat (vgl. BGH, Beschluss vom
30. April 2013 - VII ZB 22/12, WM 2013, 1225 Rn. 39; Keidel/Sternal,
FamFG 18. Aufl. § 26 Rn. 26; Prütting in Prütting/Helms, FamFG 3. Aufl.
§ 26 Rn. 18).
Ob dem Beschwerdegericht - wie der Beteiligte zu 1 geltend macht
und was auch Gegenstand einer Überprüfung im Rahmen der Rechtsb e-
schwerde nach dem FamFG sein kann (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli
2013 - V ZB 197/12, BGHZ 198, 14 Rn. 24) - insoweit Verfahrensfehler
unterlaufen sind, kann hier aber offen bleiben, weil ein eventueller Ver-
fahrensfehler jedenfalls nicht entscheidungserheblich wäre. Dem Er b-
scheinsantrag des Beteiligten zu 1 könnte auch in diesem Fall keine Fol-
ge gegeben werden. Selbst wenn das Beschwerdegericht bei der von der
Rechtsbeschwerde vermissten weiteren Ermittlung der Erbausschluss-
gründe nach griechischem Recht zu dem Ergebnis gelangt wäre, dass es
an der Erbberechtigung des Beteiligten zu 2 zur Gänze fehlte, hätte die
Beschwerde des Beteiligten zu 1 keinen Erfolg, da sie auf die Erteilung
eines Erbscheins gerichtet ist, der ein Erbrecht des Beteiligten zu 2 von
einem Viertel bezeugen soll (zur Bindung an den Erbscheinsantrag vgl.
Keidel/Zimmermann, FamFG 18. Aufl. § 352 Rn. 133). Seinen ursprüng-
lich auf Erteilung eines ihn als Alleinerben ausweisenden Erbscheins hat
der Beteiligte zu 1 nach der Einziehung dieses Erbscheins durch das
Nachlassgericht gerade nicht weiter verfolgt.
10
11
- 6 -
b) Geht man - zugunsten der Rechtsbeschwerde - von einer Erbbe-
rechtigung des Beteiligten zu 2 nach griechischem Recht aus, so findet
auch die gesetzliche Erbteilerhöhung gemäß § 1371 Abs. 1 BGB statt.
Das Beschwerdegericht ist rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt,
dass die Erblasserin und der Beteiligte zu 2 für die güterrechtlichen Wir-
kungen ihrer Ehe unbeschränkt (hierzu aa)) und wirksam (hierzu bb)) das
deutsche Recht gewählt haben. Die Maßgeblichkeit deutschen Rechts
als Güterstatut führt zur Anwendbarkeit von § 1371 Abs. 1 BGB (hierzu
cc)), dessen tatbestandliche Voraussetzungen nach den rechtsfehlerfrei
getroffenen Feststellungen des Beschwerdegerichts hier erfüllt sind
(hierzu dd)).
aa) Soweit die Rechtsbeschwerde beanstandet, dass das Be-
schwerdegericht die im notariellen Kaufvertrag vom 6. November 2003
enthaltene Güterrechtswahl als umfassende Rechtswahl ausgelegt hat,
ist damit kein beachtlicher Rechtsfehler dargetan.
Die tatrichterliche Auslegung einer Individualvereinbarung ist vom
Rechtsbeschwerdegericht nur darauf hin zu überprüfen, ob Verstöße g e-
gen gesetzliche Auslegungsregeln, Verfahrensvorschrift en, anerkannte
Denkgesetze oder Erfahrungssätze vorliegen und sich der Tatrichter mit
dem Verfahrensstoff umfassend und widerspruchsfrei auseinanderg e-
setzt hat (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 2013 - XII ZB
434/12, NJW 2014, 294 Rn. 19; Urteil vom 13. Januar 2011 - III ZR
87/10, BGHZ 188, 71 Rn. 14). Solche Rechtsfehler sind nicht ersichtlich
und werden auch von der Rechtsbeschwerde nicht aufgezeigt.
12
13
14
- 7 -
Bei der Rüge, dass die Rechtswahl nach Sinn und Zweck des B e-
urkundungsvorgangs als lediglich auf das unbewegliche Vermögen be-
schränkt anzusehen sei, handelt es sich um die bloße Mitteilung des e i-
genen Auslegungsergebnisses des Beteiligten zu 1, ohne dass sich da r-
aus ein Rechtsverstoß des Beschwerdegerichts ablesen ließe.
bb) Ebenso bestehen keine Bedenken dagegen, dass das Be-
schwerdegericht die getroffene Rechtswahl als wirksam angesehen hat.
Die Ausführungen der Rechtsbeschwerde zu den Grenzen der
Rechtskraftwirkungen des in der Verbundsache Zugewinn ergangenen
Zwischenurteils des Familiengerichts gehen ins Leere, da sich das Be-
schwerdegericht an dessen Ergebnis nicht gebunden gesehen, sondern
lediglich "zur Vermeidung von Wiederholungen" auf dessen Begründung
Bezug genommen hat.
Der Einwand, dass die notarielle Beurkundung der Rechtswahl
gemeinsam mit einem Vertrag zwischen den Eheleuten und einer dritten
Person nicht der mit den Art. 15 Abs. 3, Art. 14 Abs. 4 Satz 1 EGBGB
bezweckten Schutzfunktion gerecht werde, verfängt ebenso nicht. Der
Gesetzgeber sah das besondere Formerfordernis aus Gründen der
Rechtsklarheit und im Hinblick auf die unerlässliche Beratung der Eh e-
leute vor (so die Regierungsbegründung zu Art. 14 Abs. 5 EGBGB-E,
BT-Drucks. 10/504 S. 57). Dass die Aufnahme der Rechtswahl in eine
Kaufvertragsurkunde die Rechtsklarheit gefährden würde, ist nicht er-
kennbar. Auch gilt die Belehrungspflicht des Notars nach § 17 Abs. 1
Satz 1 BeurkG unabhängig davon, ob er die Rechtswahl isoliert oder
gemeinsam mit anderen Erklärungen der Eheleute oder auch eines Dri t-
15
16
17
18
- 8 -
ten beurkundet. Der durch die besondere Formvorschrift vermittelte
Schutz der Eheleute erfuhr allein dadurch, dass der Verkäufer der Eigen-
tumswohnungen aufgrund der gemeinsamen Beurkundungsverhand lung
von der Güterrechtswahl der Eheleute erfuhr, keine Einschränkung.
cc) Ist deutsches Recht danach Güterstatut, so ist der Anwen-
dungsbereich von § 1371 Abs. 1 BGB unabhängig vom einschlägigen
Erbstatut eröffnet.
(1) Die Anwendbarkeit der Vorschrift hängt in Sachverhalten mit
Auslandberührung von ihrer kollisionsrechtlichen Qualifikation ab, die
seit jeher umstritten ist. Während sich früher noch einige Stimmen in der
Literatur für eine rein erbrechtliche Einordnung aussprachen (vgl. statt
aller: Staudinger/Firsching, 12. Aufl. Vorb. zu Art. 24-26 EGBGB Rn. 227
m.w.N.), entspricht es inzwischen einhelliger Auffassung, dass die Norm
zumindest auch güterrechtlich zu qualifizieren ist. Die Meinungen gehen
indes darüber auseinander, ob und gegebenenfalls unter welchen V o-
raussetzungen der pauschalierte Zugewinnausgleich du rch Erbteilerhö-
hung stattzufinden hat, wenn aufgrund kollisionsrechtlichen Auseinander-
fallens von Güter- und Erbstatut neben deutschem Güterrecht ausländi-
sches Erbrecht zur Anwendung berufen ist.
Nach einer Meinung ist § 1371 Abs. 1 BGB rein güterrech tlich zu
qualifizieren, so dass dessen Anwendungsbereich bei Maßgeblichkeit
deutschen Rechts als Güterstatut unabhängig vom einschlägigen Erbsta-
tut eröffnet ist (OLG Hamm IPRax 1994, 49, 53; OLG München ZEV
2012, 591, 593; Erman/Hohloch, 14. Aufl. Art. 15 EGBGB Rn. 37; Soer-
gel/Schurig, 12. Aufl. Art. 15 EGBGB Rn. 40; Staudinger/Dörner, (2007)
Art. 25 EGBGB Rn. 34 ff.; Staudinger/Mankowski, (2010) Art. 15 EGBGB
19
20
21
- 9 -
Rn. 346-348; W. Kössinger in Nieder/Kössinger, Handbuch der Test a-
mentsgestaltung 4. Aufl. § 5 Rn. 17; Dörner, IPRax 2014, 323, 325; Loo-
schelders, IPRax 2009, 505, 509; Mankowski, ZEV 2014, 121 , 122-124).
Nach der Gegenansicht kann der erbrechtliche Zugewinnausgleich
keiner Normengruppe eindeutig zugeordnet werden, weshalb er sowohl
güter- als auch erbrechtlich zu qualifizieren sei und damit nur zum Zuge
komme, wenn deutsches Recht Güter- und Erbstatut sei (OLG Köln ZEV
2012, 205, 206; MünchKomm-BGB/Birk, 5. Aufl. Art. 25 EGBGB Rn. 158;
Lange/Kuchinke, Erbrecht 5. Aufl. S. 50 Fn. 72).
Zwischen diesen beiden Positionen haben sich darüber hinaus
zwei äquivalenzorientierte Lösungsansätze herausgebildet: Der eine, den
das Beschwerdegericht zugrunde legt, sieht ausgehend vom rein güter-
rechtlichen Ansatz den Anwendungsbereich des § 1371 Abs. 1 BGB als
eröffnet an, wenn das neben dem Güterstatut berufene Erbstatut dem
deutschen Erbrecht insoweit entspricht, als die gesetzliche Erbquote des
überlebenden Ehegatten nicht zugleich einen güterrechtlichen Ausgleich
beinhaltet (OLG Frankfurt FamRZ 2015, 144, 145 (21. Zivilsenat); OLG
Schleswig ZEV 2014, 93, 95; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. März
2015 - I-3 Wx 196/14, juris; MünchKomm-BGB/Siehr, 6. Aufl. Art. 15 EG-
BGB Rn. 107; MünchKomm-BGB/Dutta, 6. Aufl. Art. 25 EGBGB Rn. 157;
Palandt/Thorn, 74. Aufl. Art. 15 EGBGB Rn. 26; Kropholler, Internationa-
les Privatrecht 6. Aufl. S. 353). Der andere mildert die strenge Begren-
zung des pauschalierten Zugewinnausgleichs durch die Doppelqualifika-
tion dadurch ab, dass er ihn auch bei ausländischem Erbstatut als eröff-
net ansieht, wenn das einschlägige Erbrecht äquivalent zum deutschen
Recht eine dem § 1371 Abs. 1 BGB entsprechende Vorschrift kennt
(OLG Düsseldorf MittRhNotK 1988, 68, 69 (aufgegeben durch OLG Düs-
22
23
- 10 -
seldorf, Beschluss vom 10. März 2015 aaO, OLG Frankfurt ZEV 2010,
253, 253 f. (20. Zivilsenat); OLG Stuttgart ZEV 2005, 443, 444).
(2) § 1371 Abs. 1 BGB ist i.S. der Art. 15, 25 EGBGB rein güter-
rechtlich zu qualifizieren.
(a) Zweck der Vorschrift ist es, den Güterstand als Sonderordnung
des Vermögens der Eheleute während und aufgrund ihrer Ehe abzu-
wickeln, nicht aber den Längstlebenden kraft seiner nahen Verbunden-
heit mit dem Verstorbenen an dessen Vermögen zu beteiligen (vgl. K e-
gel/Schurig, Internationales Privatrecht 9. Aufl. S. 853 f.). Der Gesetzge-
ber hatte bei Einführung des gesetzlichen Güterstandes der Zugewin n-
gemeinschaft erkannt, dass der Ausgleich des Zugewinns durch Gewä h-
rung einer Ausgleichsforderung auf die Schwierigkeit stößt, exakte Fes t-
stellungen über Bestand und Wert des Anfangs- sowie des Endvermö-
gens zu treffen, und diese Schwierigkeit besonders groß ist, wenn ein
Ehegatte verstorben ist, da die Erben über den Bestand des Anfangs -
und Endvermögens des Erblassers gemeinhin nicht Bescheid wissen und
der Eintritt des Güterstandes in diesen Fällen nicht selten längere Zeit
zurückliegt (vgl. Massfeller/Reinicke, Das Gleichberechtigungsgesetz
1958 § 1371 BGB unter 1). Die damit einhergehenden Probleme sollten
durch die Pauschalierung des § 1371 Abs. 1 BGB vermieden werden,
von welcher der Gesetzgeber annahm, dass sie tendenziell der güter-
rechtlichen Lage entspricht (Muscheler, Erbrecht I 2010 Rn. 1423).
Rechtstechnisch wählte er hierzu den Weg der Erhöhung des gesetzli-
chen Erbteils, die zu einer Erweiterung der unmittelbaren Beteiligung des
Längstlebenden am Vermögen des Erstversterbenden führt, jedoch
nichts an ihrer Einordnung als "besondere Art des Zugewinnausgleichs"
(Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht ,
24
25
- 11 -
BT-Drucks. 2/3409, S. 16 f., 20, sowie des Unterausschusses "Familien-
rechtsgesetz" BAnz. Nr. 154 vom 10. August 1956 S. 11, 13) ändert, die
der Gesetzgeber durch die Wahl des Worts "verwirklicht" zum Ausdruck
gebracht hat (Massfeller/Reinicke aaO unter 2).
(b) Die gegen die rein güterrechtliche Qualifikation vorgebrachte
Kritik überzeugt nicht.
Der Einwand, dass die Erhöhung einer ausländischen Erbquote e i-
ne verfälschte Anwendung des ausländischen Erbrechts darstelle und in
die Verbindlichkeit des Erbstatuts eingreife (OLG Köln ZEV 2012, 205,
206; OLG Stuttgart ZEV 2005, 443, 444), übersieht, dass die Nichtan-
wendung des § 1371 Abs. 1 BGB in diesen Fällen das deutsche Güte r-
recht unzulässig verkürzen und damit die gleichermaßen anzuerkenne n-
de Verbindlichkeit des Güterstatuts vernachlässigen würde.
Zu kurz greift auch der Gedanke, dass die pauschale Erbteilerh ö-
hung den Anteil der anderen kraft Gesetzes berufenen Erben ebenso
mindere wie etwaige Pflichtteilsansprüche (MünchKomm-BGB/Birk,
5. Aufl. Art. 25 EGBGB Rn. 158). Ungeachtet der Frage, ob diese
Rechtsfolgen nicht gerade im anwendbaren Güterstatut ihre Rechtfert i-
gung finden, berücksichtigen die Vertreter dieser Auffassung nicht, dass
der von ihnen befürwortete schuldrechtliche Zugewinnausgleich gemäß
den §§ 1373 ff. BGB das Erbrecht der gesetzlichen Erben so wie beste-
hende Pflichtteilsansprüche ebenfalls und mangels höhenmäßiger B e-
schränkung auf ein Viertel des Nachlasswerts unter Umständen nachhal-
tiger beeinträchtigen könnte als die pauschale Erbteilerhöhung (vgl. Dör-
ner, IPRax 2014, 323, 325).
26
27
28
- 12 -
Dass § 1371 Abs. 1 BGB tatsächlich keinen Zugewinn des versto r-
benen Ehegatten voraussetzt, ist lediglich Ergebnis der gesetzlichen Fik-
tion der Wertgleichheit von Erhöhungsviertel und Zugewinnanteil (vgl.
Soergel/Schurig, 12. Aufl. Art. 15 EGBGB Rn. 40), die ihre Gr undlage im
deutschen Güterrecht hat und damit an der güterrechtlichen Qualifikation
der Vorschrift nichts zu ändern vermag (a.A. Staudinger/Firsching,
12. Aufl. Vorb. zu Art. 24-26 EGBGB Rn. 227). Das Gleiche gilt für die
Überlegung, dass der Erhöhungstatbestand vom Bestehen eines gesetz-
lichen Erbteils des Längstlebenden abhänge und danach zwar nicht ehe-
vertraglich, aber erbrechtlich z.B. aufgrund letztwilliger Verfügung des
Erblassers oder als gesetzliche Folge des § 1933 BGB ausgeschlossen
sein könne (vgl. Staudinger/Firsching aaO). Dies folgt ausschließlich aus
dem Umstand, dass der Gesetzgeber zur Verwirklichung der Zugewin n-
ausgleichspauschale den Weg des Erbrechts bevorzugt hat, was deren
güterrechtliche Ausgleichsfunktion indessen nicht in Frage stellt.
(3) Die güterrechtliche Qualifikation ist durch keine äquivalenzor i-
entierte Betrachtung des einschlägigen Erbstatuts zu ergänzen.
(a) Die vermittelnde Ansicht, die eine Übereinstimmung des ein-
schlägigen Erbrechts mit dem deutschen insoweit fordert, als die gesetz-
liche Erbquote des überlebenden Ehegatten nicht zugleich einen güter-
rechtlichen Ausgleich enthalten dürfe, vermengt Fragen der Qualifikation
der ausländischen Nachlassbeteiligung sowie der international-privat-
rechtlichen Anpassung mit der Qualifikation des § 1371 Abs. 1 BGB so-
wie der Substitution seiner Tatbestandsmerkmale:
Soweit das als Erbstatut maßgebliche Recht eine Beteiligung des
längstlebenden Ehegatten am Nachlass des erstversterbenden - zumin-
29
30
31
32
- 13 -
dest auch - unter Abgeltung seiner güterrechtlichen Beteiligung vorsieht,
ist zunächst zu klären, ob diese Regelung nach der lex fori (vgl. Senat s-
beschluss vom 12. Juli 1965 - IV ZB 497/64, BGHZ 44, 121, 124) erb-
rechtlich zu qualifizieren ist.
Ist dies der Fall, so ist weiter zu fragen, ob das Tatbestandsmerk-
mal des "gesetzlichen Erbteils" durch diese Beteiligung ersetzt werden
kann. Die Möglichkeit der Substitution des deutschen Rechtsbegriffs
durch die ausländische Rechtserscheinung hängt davon ab, ob und i n-
wieweit eine Übereinstimmung in der Funktion der beiden besteht (BGH,
Beschluss vom 4. Oktober 1989 - IVb ZB 9/88, BGHZ 109, 1, 6). Hierzu
ist keine Normidentität erforderlich; vielmehr genügt eine Vergleichbar-
keit der wesentlichen, normprägenden Merkmale (vgl. Kropholler, Inter-
nationales Privatrecht 6. Aufl. S. 232; Mansel in Festschrift Kropholler,
2008 S. 353, 368). Für den Fall des § 1371 Abs. 1 BGB setzt dies vo-
raus, dass das ausländische Recht dem überlebenden Ehegatten einen
echten Anteil am Nachlass des Erblassers verschafft. Das bedeutet in-
des nicht, dass dieser keine Elemente eines güterrechtlichen Ausgleichs
enthalten dürfte, zumal jene im ersten Schritt nicht zur güterrechtlichen
Qualifikation der Beteiligung geführt haben.
Findet § 1371 Abs. 1 BGB nach dieser Maßgabe neben einer sol-
chen erbrechtlichen Beteiligung des überlebenden Ehegatten Anwen-
dung, so ist der damit einhergehenden Vervielfachung des güterrechtli-
chen Ausgleichs nicht auf der Qualifikationsebene zu begegnen; viel-
mehr ist der aufgrund des Zusammenspiels von Sachvorschriften ver-
schiedener Rechtsordnungen entstehende Widerspruch dadurch aufzulö-
sen, dass das Ergebnis der Normanwendung den Umständen des Einzel-
falls angepasst wird (sog. Anpassung oder Angleichung; vgl. Staudin-
33
34
- 14 -
ger/Dörner, (2007) Art. 25 EGBGB Rn. 745; Kropholler aaO S. 235; von
Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht 2. Aufl. § 7 Rn. 251).
(b) Die andere äquivalenzorientierte Meinung, die verlangt, dass
das einschlägige Erbstatut eine dem pauschalen Zugewinnausgleich ent-
sprechende Vorschrift kennen müsse, ist schon deshalb abzulehnen,
weil sie - ausgehend von der Theorie der Doppelqualifikation - der güter-
rechtlichen Qualifikation des § 1371 Abs. 1 BGB widerspricht (vgl. hierzu
bereits II. 2. b) cc) (2)).
dd) Danach ist § 1371 Abs. 1 BGB hier einschlägig.
Auf Grundlage der insoweit nicht angefochtenen Feststellungen
des Beschwerdegerichts ist der überlebende Ehegatte nach griechi-
schem Erbrecht neben Verwandten der ersten Ordnung, zu denen die
Kinder des Erblassers zählen, zu einem Viertel der Erbschaft als gesetz-
licher Erbe berufen.
Ob das griechische Recht dem überlebenden Ehegatten daneben
unter Umständen einen schuldrechtlichen Anspruch auf Zugewinnau s-
gleich zubilligt und das Beschwerdegericht das ausländische Sachre cht
insoweit - wie die Rechtsbeschwerde geltend macht - verfahrensfehler-
haft ermittelt hat, ist dagegen ohne Belang, da die entsprechenden No r-
men aufgrund ihrer ebenfalls güterrechtlichen Qualifikation nicht dem
griechischen Erbstatut unterfallen und daher entgegen der Auffassung
der Rechtsbeschwerde hier außer Betracht zu bleiben haben.
Daran ändert auch der Einwand des Beteiligten zu 1 nichts, ein
griechisches Gericht dürfe aufgrund des von ihm zu beachtenden Kollisi-
35
36
37
38
39
- 15 -
onsrechts die Rechtswahl der Eheleute nicht anerkennen, so dass der
Beteiligte zu 2 trotz der erfolgten Erbteilerhöhung dort noch Zugewin n-
ausgleichsansprüche nach griechischem Recht geltend machen könne.
Denn das darin zum Ausdruck kommende Phänomen des so genannten
"hinkenden Rechtsverhältnisses" geht hier nicht auf die Regelung des
§ 1371 Abs. 1 BGB, sondern die des Art. 15 Abs. 2 EGBGB zurück, der
Eheleuten eine privatautonome Bestimmung des für sie maßgeblichen
Güterstatuts ohne Rücksicht auf ihr Heimatrecht eröffnet. Es kann von
deutschen Gerichten ohne Missachtung der gesetzlich gewährleisteten
Wahlmöglichkeit nicht vermieden werden.
c) Das Ergebnis der kumulativen Anwendung griechischen Erb-
rechts und deutschen Güterrechts bedarf hier schließlich keiner Korrek-
tur im Wege der Anpassung. Dass der dem längstlebenden Ehegatten
nach griechischem Erbrecht zukommende Erbteil einen güterrechtlichen
Ausgleich mitbewirken soll, ist weder vom Beschwerdegericht festgestellt
noch von der Rechtsbeschwerde eingewandt worden.
Ein korrekturbedürftiger Wertungswiderspruch ergibt sich entgegen
der Auffassung der Rechtsbeschwerde auch nicht, wenn zugunsten des
Beteiligten zu 1 unterstellt wird, dass der Beteiligte zu 2 nach § 1933
BGB nicht erbberechtigt wäre, womit eine Erberhöhung gemäß § 1371
Abs. 1 BGB bei alleiniger Maßgeblichkeit deutschen Sachrechts genauso
ausgeschlossen wäre wie bei ausschließlicher Anwendung griechischen
Rechts. Scheidet nach einer der beteiligten Rechtsordnungen die Erbbe-
rechtigung des überlebenden Ehegatten gänzlich aus (hier nach Auffas-
sung der Rechtsbeschwerde nach deutschem Recht), so stellt sich dort
die Frage einer Erhöhung seiner Erbquote von vornherein nicht. Das be-
deutet allerdings nicht, dass eine entsprechend demselben Sachrecht
40
41
- 16 -
vorgenommene Modifikation der Erbbeteiligung nach einem anderen
Recht (hier nach griechischem Recht) einen Normwiderspruch zur Folge
hätte. Vielmehr stellt die Entscheidung über das "Ob" der Erbberechti-
gung nach einem Sachrecht (hier nach deutschem Recht) nicht die Höhe
und damit das "Wie" der Erbberechtigung nach einem anderen Sachrecht
(hier nach griechischem Recht) in Frage, auch wenn sich diese nach
dem Sachrecht richtet, das im konkreten Fall einen Erbausschluss vor-
sehen würde.
Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
AG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 02.05.2014 - 501 VI 4115/13 (2013) -
OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 30.07.2014 - 21 W 47/14 -