Urteil des BGH vom 10.10.2012

Leitsatzentscheidung zu Anspruch auf Bewilligung, Bedürftige Partei, Nummer, Zivilprozessordnung, Bewilligungsverfahren

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IV ZB 16/12
vom
10. Oktober 2012
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 124 Nr. 2 Alt. 1
Die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung wegen absichtlich oder aus
grober Nachlässigkeit gemachter falscher Angaben nach § 124 Nr. 2 Alt. 1
ZPO setzt nicht voraus, dass die falschen Angaben des Antragstellers zu e i-
ner objektiv unrichtigen Bewilligung geführt haben, diese mithin auf den
Falschangaben beruht.
BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2012 - IV ZB 16/12 - OLG Karlsruhe
LG Konstanz
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzen-
de Richterin Mayen, die Richter Wendt, Felsch, die Richterin
Harsdorf-Gebhardt und den Richter Dr. Karczewski
am 10. Oktober 2012
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 9. Zivil-
senats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 18. April
2012 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Gründe:
Der Beklagte wendet sich mit der Rechtsbeschwerde gegen die
Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 124 Nr. 2
Alt. 1 ZPO.
I. Von der Klägerin auf Rückzahlung eines Darlehens in An spruch
genommen, beantragte er mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtig-
ten vom 15. Juni 2010 beim Landgericht ratenfreie Prozesskostenhilfe. In
der beigefügten Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse war angegeben, er suche nach Arbeit und verfüge weder
über eigenes Einkommen noch über Vermögen. Auf Nachfrage des G e-
richts ließ er in zwei weiteren Schriftsätzen seines Prozessbevollmäch-
tigten ergänzend vortragen, er habe kein "relevantes" Bankguthaben,
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wohne bei der Mutter seines Sohnes, welche ihm den Mietanteil stunde
und ihn durch Naturalleistungen unterstütze; einen PKW habe er nicht,
könne jedoch ein von dritter Seite leihweise zur Verfügung gestelltes
Fahrzeug nutzen, wodurch weitere Schulden entstünden. Er biete sich
als Security-Kraft und für Bauarbeiten an, habe aber noch keine Aufträge
erhalten und sei mittellos.
Mit Beschluss vom 9. November 2010 bewilligte ihm das Landge-
richt ratenfreie Prozesskostenhilfe. Am selben Tage wurde der Rechts-
streit durch Vergleich beendet.
Im Juni 2011 regte die Klägerin beim Landgericht an, die Prozess-
kostenhilfe wieder zu entziehen, denn der Beklagte habe schon während
des Rechtsstreits einen PKW Audi A6 gefahren und dafür monatliche
Kosten von rund 800
€ bestritten. Dazu erklärte der Beklagte auf Anfrage
des Gerichts, der PKW sei das ehemalige Firmenfahrzeug einer GmbH,
deren Mitgesellschafter er gewesen sei; seine Geschäftsanteile habe er
inzwischen veräußert. Den Fahrzeugunterhalt nebst Leasingvertrag habe
er dabei übernehmen müssen, die Kosten würden ihm von Dritten ausge-
legt. Urkunden, welche der Beklagte sodann auf richterliche Anordnung
vorlegte, ist weiter zu entnehmen, dass er unter Niederlegung seines
Amtes als Geschäftsführer mit notariellem Anteilskauf- und Abtretungs-
vertrag vom 23. Juni 2010 seinen Geschäftsanteil an der GmbH im
Nennwert von 13.000
€ und eine Darlehensforderung gegen die GmbH in
Höhe von 26.429,04
€ zum Preise von insgesamt 3.000 € an Mitgesell-
schafter verkauft bzw. abgetreten hatte.
Mit Beschluss des Rechtspflegers vom 17. November 2011 hat das
Landgericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufgehoben. Die da-
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gegen erhobene sofortige Beschwerde hat das Oberlandesgericht z u-
rückgewiesen. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbe-
schwerde verfolgt der Beklagte sein Rechtsschutzbegehren weiter.
II. Das nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im
Übrigen zulässige Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts sind die Vorausset-
zungen für eine Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilli gung nach
§ 124 Nr. 2 Alt. 1 ZPO erfüllt, weil der Beklagte im Bewilligungsverfahren
absichtlich falsche Angaben über seine persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse gemacht habe. Er habe sowohl seinen vorgenannten
GmbH-Geschäftsanteil als auch die Darlehensforderung gegen die
GmbH und seine Gesellschafterstellung verschwiegen, aufgrund der er
zur Nutzung des Firmenwagens Audi A6 3.0 TDI DPF quattro berechtigt
gewesen sei. Die darin liegende Verletzung der Pflicht, wahre und vol l-
ständige Angaben zu machen (§ 117 Abs. 2 ZPO), entfalle nicht durch
den zwischen Beantragung und Bewilligung der Prozesskostenhilfe e r-
folgten Verkauf seiner Gesellschaftsbeteiligung, die behauptete Verwen-
dung des Verkaufserlöses zur Schuldentilgung und die weiteren vorg e-
nannten Verfügungen vom Juni 2010. Die diesbezüglichen Informationen
habe der Beklagte nicht freiwillig, sondern erst auf gerichtliche Nachfr a-
ge gegeben und selbst dabei noch versucht, den Sachverhalt mit der
Angabe zu verschleiern, das Geld für die Fahrzeugkosten werde ihm
"von dritter Seite zur Verfügung gestellt". Das lasse auf den für eine ab-
sichtliche Falschangabe i.S. von § 124 Nr. 2 Alt. 1 ZPO erforderlichen
Vorsatz schließen.
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Dass nicht der Beklagte selbst, sondern sein Prozessbevollmäc h-
tigter die maßgeblichen Erklärungen gegenüber dem Gericht abgegeben
habe, sei wegen § 85 Abs. 2 ZPO unerheblich.
Es komme nicht darauf an, ob dem Beklagten auch bei wahren und
vollständigen Angaben ratenfreie Prozesskostenhilfe hätte bewilligt we r-
den müssen. Zwar sei § 124 Nr. 2 ZPO nach weit verbreiteter Ansicht in
Rechtsprechung und Literatur eine Kostenvorschrift ohne Strafzweck, die
die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung nur gestatte, wenn sie
auf den falschen Angaben des Antragstellers beruhe. Zutreffend sei je-
doch die Gegenansicht, nach der § 124 Nr. 2 Alt. 1 ZPO Sanktionscha-
rakter habe und die Aufhebung der Bewilligung bereits allein als Folge
absichtlicher oder grob fahrlässiger falscher Angaben des Antrag stellers
ermögliche. Sonderfällen könne im Rahmen des von § 124 Nr. 2 ZPO er-
öffneten Ermessens ausreichend Rechnung getragen werden.
Hier sei dieses Ermessen dahingehend auszuüben, dass die g e-
samte Prozesskostenhilfebewilligung aufzuheben sei. Ein weniger gr a-
vierender Verstoß gegen die Pflicht zu wahrheitsgemäßen und vollstä n-
digen Angaben liege auch unter Zugrundelegung des neueren Vorbrin-
gens des Beklagten nicht vor. Insbesondere genügten seine Angaben
und die eingereichten Belege noch immer nicht, um Zweifel an seiner
Bedürftigkeit auszuräumen. Sollstände auf seinem Konto seien mehrfach
durch Bareinzahlungen unbekannter Herkunft im Gesamtwert von
1.450
€ ausgeglichen worden, was die Vermutung nahelege, er verfüge
über Einkünfte, die er nicht über sein Konto abwickle.
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
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a) Die Feststellung des Beschwerdegerichts, der Beklagte habe
absichtlich falsche Angaben i.S. des § 124 Nr. 2 Alt. 1 ZPO gemacht und
seine Darstellung sei darauf gerichtet gewesen, Fragen nach seiner G e-
sellschafterstellung und daraus resultierenden Einkünften und Veräuß e-
rungserlösen zu vermeiden, ist frei von Rechtsfehlern. Soweit der Be-
klagte darauf verweist, er sei im - seiner Auffassung nach - allein maß-
geblichen Zeitpunkt der Bewilligungsentscheidung, d.h. am 9. November
2010, nicht mehr GmbH-Geschäftsführer und Gesellschafter gewesen, so
dass seine ursprünglichen Angaben am Ende nicht mehr falsch gewesen
seien, hat das Beschwerdegericht dies mit aus Rechtsgründen nicht zu
beanstandender Begründung für nicht durchgreifend erachtet. Dass die
Angaben des Beklagten unvollständig waren, räumt die Rechtsbe-
schwerde ein. Demgegenüber erscheint der Befund, dass der Beklagte
im November 2010 nicht mehr als Geschäftsführer oder Gesellschafter
mit der GmbH verbunden war, lediglich als Momentaufnahme, anhand
derer sich seine wirtschaftliche Situation nicht ansatzweise überprüfen
ließ. Weder im Zeitpunkt der Bewilligungsreife (vgl. dazu OVG Hamburg
NVwZ-RR 2011, 661) noch bei seiner Bewilligungsentscheidung war das
Landgericht durch die Angaben des Beklagten über dessen wirtschaftl i-
che Verhältnisse und insbesondere deren Entwicklung ausreichend un-
terrichtet.
b) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, setzt § 124 Nr. 2 Alt. 1
ZPO nicht voraus, dass die falschen Angaben des Antragstellers zu einer
objektiv unrichtigen Prozesskostenhilfebewilligung geführt haben, die
Bewilligung mithin auf den Falschangaben beruht.
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Die Frage ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.
aa) Einer weit verbreiteten Auffassung zufolge dienen die in § 124
ZPO unter den Nummern 1 bis 3 aufgeführten Tatbestände sämtlich al-
lein dem Zweck, dem von einer Prozesskostenhilfebewilligung Begünsti g-
ten sachlich nicht gerechtfertigte Vorteile wieder zu entziehen und so e i-
ne objektiv zutreffende Entscheidung über die Bewilligung von Prozes s-
kostenhilfe herbeizuführen. Auch § 124 Nr. 2 ZPO sei mithin eine rein
kostenrechtliche Bestimmung ohne Sanktionscharakter. Sie habe als u n-
geschriebenes Tatbestandsmerkmal zur Voraussetzung, dass die Bewi l-
ligung auf den Falschangaben des Antragstellers beruhe, mithin objekt iv
falsch sei (vgl. OLG Bamberg FamRZ 1987, 1170 f.; OLG Brandenburg
Rpfleger 2001, 503 f.; OLGR 2005, 930 f.; OLG Düsseldorf JurBüro
1986, 296 f.; MDR 1991, 791; OLG Koblenz OLGR 2005, 887 f.; OLG
Köln FamRZ 1998, 1523; Stein/Jonas/Bork, ZPO 22. Aufl. § 124 Rn. 13;
Musielak/Fischer, ZPO 8. Aufl. § 124 Rn. 5; Zöller/Geimer, ZPO 29. Aufl.
§ 124 Rn. 5; Baumbach/Hartmann, ZPO 70. Aufl. § 124 Rn. 37; BeckOK-
ZPO/Kratz, Stand 15. Juli 2012 § 124 Rn. 19, 19.1; MünchKomm-ZPO/
Motzer, 3. Aufl. § 124 Rn. 3 und 11; HK-ZPO/Pukall, 2. Aufl. § 124 Rn. 3;
Thomas/Putzo/Reichold, ZPO 32. Aufl. § 124 Rn. 3). Befürworter dieser
Auffassung verweisen darauf, dass dem Verständnis des § 124 Nr. 2
ZPO als Sanktionsvorschrift das aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete Gebot
der weitgehenden Angleichung der Situation Bemittelter und Unbemittel-
ter bei der Verwirklichung von Rechtsschutz entgegenstehe. Ein objektiv
gegebener Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe sei bei e i-
nem verfassungskonformen Verständnis des § 124 Nr. 2 ZPO höher zu
bewerten als eine Oberflächlichkeit oder Unaufrichtigkeit des Antragste l-
lers (OLG Brandenburg Rpfleger 2001, 503, 504; ähnlich BeckOK-
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ZPO/Kratz, Stand 15. Juli 2012 § 124 Rn. 19.1). Ergänzend wird ange-
nommen, das Zivil(prozess)recht sei kein geeigneter Ort, Sanktionen
zwischen der Partei und dem Staat festzusetzen (Kratz aaO).
bb) Die Gegenmeinung (OLG Bamberg FamRZ 1989, 1204; OLG
Brandenburg NJ 2007, 25; OLG Braunschweig OLGR 2005, 373, 374 f.;
OLG Hamm Rpfleger 1986, 238; OLG Köln FamRZ 1987, 1169; 1988,
740; Wieczorek/Schütze, ZPO 3. Aufl. § 124 Rn. 9), der sich das Be-
schwerdegericht angeschlossen hat, verweist demgegenüber vorwiegend
auf Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte des § 124 ZPO.
Gegen die behauptete Zielsetzung, lediglich eine objektiv zutreffende
Bewilligungsentscheidung herbeizuführen, und die Verneinung jeglichen
Sanktionscharakters der Vorschrift spreche bereits, dass § 124 ZPO le-
diglich von einer "Aufhebung", nicht aber einer "Änderung" oder "Anpas-
sung" der Bewilligungsentscheidung spreche. Nach dem Gesetzeswort-
laut könne die Bewilligungsentscheidung aufgehoben werden , "wenn"
- und nicht nur "soweit" - die Tatbestände der Nummern 1 bis 4 erfüllt
seien (OLG Köln FamRZ 1987, 1169; OLG Braunschweig OLGR 2005,
373, 374). Im Übrigen habe der Gesetzgeber die Fälle absichtlicher und
grob fahrlässiger Falschangaben des Antragstellers in den Nummern 1
und 2 des § 124 ZPO getrennt vom Fall des bloßen Fehlens der Bewill i-
gungsvoraussetzungen (Nr. 3) geregelt. Daraus sei zu schließen, dass
das Gesetz diesen unterschiedlichen Tatbeständen auch unterschiedl i-
che Bedeutung für eine Aufhebung der Bewilligung beimesse. Da sämtli-
che Fälle des § 124 ZPO eine Ermessensentscheidung eröffneten, müs-
se in diese auch der unterschiedliche Unwertgehalt der einzelnen Tatbe-
standsvarianten einfließen, woraus sich ergebe, dass die Vorschrift nicht
allein auf einen objektiven kostenrechtlichen Ausgleich ziele, sondern
Strafcharakter habe (OLG Köln FamRZ 1988, 740). Dafür spreche auch
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die Entstehungsgeschichte des Gesetzes. In der amtlichen Begründung
des Regierungsentwurfs zum Gesetz vom 13. Juni 1980 (BGBl. I, 677),
mit welchem das frühere Armenrecht durch das Institut der Prozessko s-
tenhilfe abgelöst wurde, heißt es zur Begründung des § 122 ZPO-E, der
später als § 124 in die Zivilprozessordnung aufgenommen worden ist :
"Ob das Gericht bei Vorliegen der Voraussetzungen des
Absatzes 1 die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufhebt,
steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Bei weniger
gravierenden Verstößen gegen die Verpflichtung, zutref-
fende Angaben über die maßgebenden Verhältnisse zu
machen …, kann eine rückwirkende Änderung der Bestim-
mungen über die Zahlungsverpflichtungen der Partei … die
angemessenere
Reaktion
des
Gerichts
sein."
(BT-
Drucks. 8/3068 S. 31).
Hieraus wird gefolgert, § 124 Nr. 1 und 2 ZPO ermögliche in
schwerer wiegenden Fällen von Falschangaben die Aufhebung der Pr o-
zesskostenhilfebewilligung, ohne dass es auf Weiteres ankäme (OLG
Köln FamRZ 1987, 1169, 1170).
cc) Eine vermittelnde Meinung nimmt das Oberlandesgericht Zwei-
brücken ein (OLGR 2007, 958-960): Für einen Strafcharakter der Tatbe-
stände in § 124 Nr. 1 und 2 ZPO spreche, dass eine nachträgliche An-
passung der Prozesskostenhilfebewilligung an die objektive Sach - und
Rechtslage - wenngleich auf vier Jahre befristet - bereits in § 124 Nr. 3
ZPO geregelt sei, so dass die Aufstellung zweier weiterer Tatbestände
(in den Nr. 1 und 2) mit gleicher Rechtsfolge, jedoch zusätzlichen qualif i-
zierten Schuldvoraussetzungen keinen Sinn ergebe. Kennzeichnend für
die in § 124 Nr. 2 ZPO geregelten Sachverhalte sei allerdings, dass dem
Gericht keine ausreichende Grundlage für die Feststellung gewährt we r-
de, der Antragsteller sei bedürftig. Das Gericht müsse deshalb im Rah-
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men der ihm eröffneten Ermessensentscheidung prüfen, ob sich die wirt-
schaftlichen und persönlichen Verhältnisse trotz der mittels Falschang a-
ben heraufbeschworenen Unsicherheit noch ausreichend sicher feststel-
len ließen. Die Darlegungslast hierfür liege beim Antragsteller. Ergebe
diese Prüfung hinreichend sicher, dass der Antragsteller bedürftig sei,
könne ihm die Prozesskostenhilfe belassen werden, anderenfalls sei die
Aufhebung der Bewilligung keine Strafe, sondern lediglich beweisrechtli-
che Folge der vom Antragsteller geschaffenen Unsicherheit.
dd) Der Bundesgerichtshof hat lediglich vor Inkrafttreten der 2. Al-
ternative des § 124 Nr. 2 ZPO (vgl. KostÄndG 1986 BGBl. I 1986, 2326,
2338) ausgesprochen, dass der Antragsteller seinen Anspruch auf Pr o-
zesskostenhilfe im sachlich gerechtfertigten Umfang nicht dadurch ver-
wirke, dass er seine Offenbarungspflicht in Bezug auf eine Veränderung
seiner wirtschaftlichen Verhältnisse verletze (BGH, Be schluss vom
14. März 1984 - IVb ZB 114/83, FamRZ 1984, 677, 678 unter II 1 a). Im
Übrigen hat er die hier erörterte Frage bisher ausdrücklich offen gela s-
sen (BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2000 - X ZR 119/99, juris
Rn. 6).
ee) Die oben unter bb) vorgestellte Rechtsauffassung trifft zu.
Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte und Gesetzeszweck
des § 124 Nr. 2 Alt. 1 ZPO sprechen dafür, dass das Gericht die Pro-
zesskostenhilfebewilligung bei absichtlich oder aus grober Nachlässi g-
keit gemachten falschen Angaben des Antragstellers auch dann aufh e-
ben kann, wenn die Bewilligung nicht auf diesen Angaben beruht, sofern
die falschen Angaben jedenfalls generell geeignet erscheinen, die Ent-
scheidung über die Prozesskostenhilfe zu beeinflussen.
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(1) § 124 ZPO nennt unter den Nummern 1 bis 3 drei unterschie d-
liche Tatbestände, die die Ermessensentscheidung eröffnen, eine frühere
Prozesskostenhilfebewilligung mit Blick auf die Bewilligungsvorausset-
zungen, bzw. ihre Darlegung, aufzuheben. In den Nummern 1 und 2,
welche zum einen eine unrichtige Darstellung des Streitstandes, zum
anderen unrichtige Angaben zu den persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnissen des Antragstellers zum Gegenstand haben, ist nicht davon
die Rede, die Aufhebung der Bewilligung setze zusätzlich voraus, dass
letztere auf den falschen Angaben beruhe, mithin nicht der objekt iven
Sachlage entspreche. Dies wird ausdrücklich nur in Nummer 3 vorausge-
setzt und bildet dort den alleinigen Aufhebungsgrund. Wollte man a n-
nehmen, dieselbe Voraussetzung gelte - ungeschrieben - auch im Rah-
men der Nummern 1 und 2, beschränkte sich deren Regelungsgehalt da-
rauf, die Befristung der in Nummer 3 ohnehin eröffneten Aufhebungs-
möglichkeit in Fällen schuldhaft falscher Angaben entfallen zu lassen .
Ein solches Verständnis wird dem Aufbau der Vorschrift nicht g e-
recht. Ihm liegt stattdessen erkennbar zugrunde, dass derjenige Antrag-
steller, der im Bewilligungsverfahren schuldhaft falsche Angaben macht,
sich mithin subjektiv falsch verhält, hinsichtlich des Bestandes seiner
Bewilligung weniger schutzwürdig erscheint, als derjenige, dessen Bewil-
ligung sich lediglich als objektiv unzutreffend erweist. Dementsprech end
regeln die Tatbestände in § 124 Nr. 1 und 2 ZPO und in § 124 Nr. 3 ZPO
Aufhebungsgründe von unterschiedlichem Unwertgehalt, was in der zei t-
lichen Begrenzung der Aufhebung der Bewilligung nach Nummer 3 sei-
nen Ausdruck findet. Hätten alle Tatbestände eine objektive Unrichtigkeit
der ursprünglichen Bewilligung zur gemeinsamen Voraussetzung, wäre
zu erwarten gewesen, dass dies "vor die Klammer gezogen", d.h. den
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Nummern 1 bis 3 vorangestellt worden wäre. Im Übrigen hätten die quali-
fizierten subjektiven Voraussetzungen der Nummern 1 und 2 in diesem
Falle nur noch Bedeutung für die in Nummer 3 geregelte Befristung. Es
hätte dann kein Anlass bestanden, sie vor der Regelung der N ummer 3
als gesonderte Tatbestände zu formulieren, sondern genügt, es bei der
Regelung der Nummer 3 bewenden zu lassen und ihr einen letzten Halb-
satz hinzuzufügen, demzufolge die Befristung nicht gelte, wenn die Be-
willigung auf einer unrichtigen Darstellung des Streitstandes oder ab-
sichtlich oder aus grober Nachlässigkeit gemachten unrichtigen Angaben
des Antragstellers zu seinen persönlichen oder wirtschaftlichen Verhäl t-
nissen beruht.
(2) Das Argument, die Zivilprozessordnung sei nicht der Ort, San k-
tionen zwischen Staat und Bürger zu regeln, überzeugt ebenso wenig
wie das allgemeine, von seinen Befürwortern nicht näher begründete
Postulat, § 124 ZPO wohne als rein kostenrechtlicher Bestimmung kein
Sanktionscharakter inne. Dabei wird bereits verkannt, dass das Verfah-
ren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, wenngleich aus Grün-
den der Sachnähe in der Zivilprozessordnung geregelt, nicht Teil des
kontradiktorischen Rechtstreits, sondern ein eigenes , seinem Wesen
nach öffentlich-rechtliches Subventionsverfahren der Daseinsvorsorge
darstellt, bei dem die bedürftige Partei dem bewilligenden Staat als A n-
tragsteller gegenübertritt, während der Prozessgegner keine Parteirolle
einnimmt, sondern lediglich ein Anhörungsrecht hat (vgl. BGH, Beschluss
vom 15. November 1983 - VI ZR 100/83, BGHZ 89, 65 f.). Es ist deshalb
nicht möglich, aus dem allgemeinen Wesen des Zivilprozesses Rüc k-
schlüsse auf den Regelungsgehalt der allein das Verfahren zur Bewill i-
gung von Prozesskostenhilfe betreffenden Bestimmungen zu ziehen. Die
§§ 114 ff. ZPO regeln insoweit eigenständig die Voraussetzungen, unter
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denen eine Rechtsschutz suchende Partei staatliche Unterstützung b e-
anspruchen kann, umgekehrt aber in § 124 ZPO auch die Voraussetzun-
gen für die Rücknahme der Bewilligung. Dass es dem Gesetzgeber dabei
nicht möglich sein sollte, auch Verwirkungstatbestände für den Fall u n-
lauteren Verhaltens des Antragstellers zu schaffen, ist nicht ersichtlich.
Für einen Sanktionscharakter der in § 124 Nr. 1 und 2 ZPO getroffenen
Regelungen spricht insoweit gerade die alleinige Anknüpfung an ein Ver-
schulden des Antragstellers im Kontrast zu der verschuldensunabhäng i-
gen Korrektur der Bewilligung nach § 124 Nr. 3 ZPO.
(3) Dieses Verständnis stützt auch die amtliche Begründung des
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Zivilprozessordnung und an-
derer Gesetze vom 18. März 1985 (BT-Drucks. 10/3054). Danach wurde
mit dem Gesetz zur Änderung von Kostengesetzen vom 9. Dezember
1986 (KostÄndG 1986 BGBl. I 2326) § 124 Nr. 2 ZPO erklärtermaßen als
"erforderliche Sanktion bei einer Verletzung der Erklärungspflicht nach
§ 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO" (BT-Drucks. 10/3054 S. 22) um die zweite Al-
ternative erweitert. Auch der Aufhebungsgrund in § 124 Nr. 4 ZPO wird
als reine Sanktion für die Missachtung der richterlichen Zahlungsanor d-
nung verstanden (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2005 - VI ZB 72/03,
NJW-RR 2006, 197 unter II 2 b).
Ferner geben die Gesetzgebungsmaterialien zu § 124 Nr. 1 und 2
ZPO Hinweise darauf, dass die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewi l-
ligung nach der Vorstellung des Gesetzgebers auch allein als Folge fa l-
scher Angaben des Antragstellers möglich sein sollte. In der amtlichen
Begründung des Entwurfs eines Gesetzes über die Prozesskostenhilfe
vom 17. Juli 1979 heißt es zum dortigen § 122, aus dem später der § 124
ZPO hervorgegangen ist:
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"Absatz 1 erlaubt die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe
aufzuheben, wenn die Partei die Bewilligung durch bewußt
falsche Angaben über das Streitverhältnis oder über ihre
wirtschaftlichen Verhältnisse erschlichen hat, wenn sie grob
fahrlässig unrichtige Angaben über ihre wirtschaftlichen
Verhältnisse gemacht hat, wenn sie bewußt oder grob
fahrlässig ihrer Anzeigepflicht nach §
121 … nicht nachge-
kommen ist oder wenn sie mit den angeordneten Zahlungen
erheblich in Rückstand ist.
Nach Absatz 2 kann das Gericht die Bewilligung der
Prozeßkostenhilfe aufheben, wenn die persönlichen oder
wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von
Anfang an nicht vorlagen oder später entfallen sind. … In
diesen Fällen soll jedoch eine zeitliche Grenze für die
Aufhebung … bestehen." (BT-Drucks. 8/3068 S. 31).
Daraus wird ersichtlich, dass der Entwurf in zwei getrennten
Absätzen zwischen einer verschuldensabhängigen und einer lediglich auf
objektiven Gründen beruhenden Aufhebung der Bewilligung unterschied,
und der Gesetzgeber neben dem Erschleichen der Bewilligung auch grob
fahrlässig unrichtige Angaben des Antragstellers für die Aufhebung
ausreichen lassen wollte. Der Entwurf hat, wie das Beschwerdegericht
zutreffend dargelegt hat, im nachfolgenden Gesetzgebungsverfahren
zwar redaktionelle Änderungen erfahren (vgl. dazu BT-Drucks. 10/3054
S. 22), insbesondere ist davon abgesehen worden, die objektiven Aufhe -
bungsgründe in einem gesonderten Absatz 2 zu regeln; eine sachliche
Änderung ging damit indes nicht einher.
(4) Der Gesetzeszweck spricht ebenfalls dafür, § 124 Nr. 2 ZPO
als Verwirkungstatbestand anzusehen, bei dem es auf eine Kausalität
der falschen Angaben für die Bewilligung nicht ankommt.
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Im Prüfungsverfahren zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe, das
unter einem besonderen Beschleunigungsgebot steht (vgl. dazu Zöller/
Geimer, ZPO 29. Aufl. § 118 Rn. 13), ist der Antragsteller - wie sich
insbesondere aus § 117 Abs. 2 Satz 1 und § 118 Abs. 2 ZPO ergibt - bei
der Aufklärung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in
besonderem Maße zur Mitwirkung verpflichtet. Kommt er dieser Pflicht
nicht nach, kann das Gericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab -
lehnen. Zu eigenen Ermittlungen ist es dann in der Regel nicht verpflich-
tet. § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO enthält insoweit ebenfalls eine Sanktion für
unvollständige oder nicht rechtzeitige Angaben des Antragstellers (vgl.
dazu OLG Saarbrücken OLGR 2009, 336, 337), für die es nicht darauf
ankommt, ob der Antragsteller die Voraussetzungen für die Bewilligung
materiell erfüllt. Es wird vielmehr allein auf seine unzureichende
Mitwirkung im Bewilligungsverfahren abgestellt. Die genannten Rege-
lungen beruhen darauf, dass das Gericht im Bewilligungsverfahren,
welches sich im Interesse des Antragstellers an einer schnellen Ent -
scheidung mit einer Glaubhaftmachung der Bewilligungsvoraussetzungen
begnügt, in besonderem Maße auf ein redliches Verhalten des Antrag -
stellers angewiesen ist. Begründet der Antragsteller in vorw erfbarer
Weise Zweifel an seiner Redlichkeit, erscheint es angemessen, ihm die
nachgesuchte finanzielle Unterstützung zu versagen, weil ein summari -
sches Prüfungsverfahren dann nicht mehr möglich ist.
(5) Wie das Beschwerdegericht zutreffend annimmt, ist eine ein-
schränkende Auslegung des § 124 Nr. 2 Alt. 1 ZPO auch aus Verfas-
sungsgründen nicht geboten. Zwar folgt aus dem Sozialstaatsprinzip
(Art. 20 Abs. 1 GG), dem Rechtsstaatsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG) und
dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) die Verpflichtung
des Staates, die Situation Bemittelter und Unbemittelter im Bereich des
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Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen, insbesondere letzteren den
Zugang zu den Gerichten nicht unverhältnismäßig zu erschweren (vgl.
BVerfG NJW 2009, 209 f. m.w.N.). Dem trägt die von der Zivilprozess-
ordnung eröffnete Möglichkeit, Prozesskostenhilfe zu erhalten, Rech -
nung. Die vorgenannten verfassungsrechtlichen Vorgaben besagen indes
nicht, dass dem um Prozesskostenhilfe Nachsuchenden nicht auferlegt
werden könnte, die persönlichen und wirtschaftlichen Bewilligungsvo -
raussetzungen in redlicher Weise darzulegen. Ebenso wenig verstößt es
gegen die vorgenannte staatliche Verpflichtung zur Angleichung, wenn
das Gesetz an ein schuldhaftes unredliches Verhalten des Antragstellers
die Verwirkung des Anspruchs auf Prozesskostenhilfe knüpft. Dem Be -
schwerdegericht ist darin zuzustimmen, dass § 124 Nr. 2 Alt. 1 ZPO der
Gefahr einer unverhältnismäßigen Erschwernis des Zugangs zu den Ge -
richten schon dadurch ausreichend begegnet, dass die Aufhebung der
Bewilligung lediglich bei einem qualifizierten Verschulden des Antrag-
stellers ermöglicht wird und zudem besonderen Härtefällen im Rahmen
der durch die Vorschrift eröffneten Ermessensentscheidung ausreichend
Rechnung getragen werden kann.
c) Das gemäß § 124 ZPO eröffnete Ermessen hat das Beschwer -
degericht ohne Rechtsfehler ausgeübt. Seine Feststellung, der Be-
schwerdeführer habe seine frühere Beteiligung an der GmbH und seine
Darlehensforderung gegen diese nicht von sich aus mitgeteilt und selbst
auf Nachfrage des Gerichts noch bewusst verschleiert, um weitere
Nachfragen zu vermeiden, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Rechtsbeschwerde rügt die Feststellung des Beschwerde-
gerichts, dem Konto des Beklagten seien Bareinzahlungen unbekannter
Herkunft in Höhe von insgesamt 1.450
€ zugeflossen, was die Vermu-
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tung eigener Einkünfte nahe lege. Dabei habe das Beschwerdegericht
übergangen, dass der Beklagte - unter anderem mittels einer schrift-
lichen Bestätigung der Mutter seines Sohnes - dargelegt habe, die Ein-
zahlungen stammten von dieser. Das verkennt aber, dass das Beschwer-
degericht die Glaubwürdigkeit des Beklagten infolge seiner vorsätzlichen
Falschangaben insgesamt in Zweifel gezogen und aus diesem Grunde
weder sein Vorbringen im Aufhebungs- und Beschwerdeverfahren noch
die dazu vorgelegten Nachweise als ausreichend angesehen hat, um
Zweifel an seiner Bedürftigkeit auszuräumen. Die Rechtsbeschwerde
versucht insoweit ohne Erfolg, diese Beweiswürdi gung durch eine eigene
Würdigung zu ersetzen.
Im Übrigen ist auch nichts dafür ersichtlich, dass hier lediglich ein
weniger gravierender Verstoß gegen die Verpflichtung, zutreffende A n-
gaben über die maßgeblichen Verhältnisse zu machen, vorliegt, bei dem
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lediglich eine rückwirkende Änderung der Bestimmungen über die Za h-
lungsverpflichtungen des Beklagten angemessen wäre (vgl. dazu BT -
Drucks. 8/3068 S. 31).
Mayen
Wendt
Felsch
Harsdorf-Gebhardt
Dr. Karczewski
Vorinstanzen:
LG Konstanz, Entscheidung vom 17.11.2011 - 5 O 120/10 T -
OLG Karlsruhe in Freiburg, Entscheidung vom 18.04.2012 - 9 W 72/11 -