Urteil des BGH vom 08.09.2016

Leitsatzentscheidung zu Entstehung der Gesellschaft, Verteilung der Beweislast, Lex Causae, Lex Fori

ECLI:DE:BGH:2016:080916UIIIZR7.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 7/15
Verkündet am:
8. September 2016
P e l l o w s k i
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 293, § 563 Abs. 4
a) Für das Stiftungskollisionsrecht ist auf die Grundsätze des Internationalen
Gesellschaftsrechts zurückzugreifen.
b) Das Personalstatut der Stiftung ist auch für die Rechtsstellung als Destina-
tär und die daraus folgenden Ansprüche maßgeblich.
BGH, Urteil vom 8. September 2016 - III ZR 7/15 - OLG München
LG München I
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 8. September 2016 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Herrmann, die
Richter Dr. Remmert und Reiter sowie die Richterinnen Pohl und Dr. Arend
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 17. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts München vom 24. November 2014 aufge-
hoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Beru-
fungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin ist eine in Österreich eingetragene und dort ansässige Pri-
vatstiftung, deren Zweck neben der Sicherung des Stiftungsvermögens und der
Erhaltung und Pflege historischer Bauten die Unterstützung der jeweiligen Be-
günstigten aus den Erträgen des Stiftungsvermögens ist. Sie begehrt mit ihrer
Klage die Feststellung, dass die Beklagte nicht mehr Begünstigte sei und sie
keine Ansprüche auf Zahlung von Bezügen habe.
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Die Stifterin errichtete am 21. April 2005 vor einem Notar in E.
(Österreich) eine Stiftungszusatzurkunde, in welcher die Beklagte als Begüns-
tigte benannt wird.
Bis einschließlich April 2009 erhielt die Beklagte monatliche Zuwendun-
gen von der Klägerin. Danach erfolgten im März und im Mai 2010 nochmals
zwei Einmalzahlungen.
Die Klägerin ist der Ansicht, die ursprüngliche Begünstigtenstellung der
Beklagten sei entfallen. Dies ergebe sich daraus, dass sie in zwei weiteren Stif-
tungszusatzurkunden vom 8. November 2007 und vom 12. Juni 2012 - was in-
soweit unstreitig ist - nicht mehr als Begünstigte aufgeführt werde.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Kläge-
rin hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und fest-
gestellt, dass die Beklagte nicht Begünstigte der Klägerin sei und dass die Be-
klagte keine Ansprüche auf Zahlung gegen die Klägerin aus oder im Zusam-
menhang mit einer früheren oder derzeitigen Stellung als Begünstigte der Klä-
gerin habe. Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Be-
klagten, mit der sie die Wiederherstellung des erstinstanzlichen klageabweisen-
den Urteils verfolgt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung
des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Beru-
fungsgericht.
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I.
Das Oberlandesgericht hat ausgeführt, im Rahmen der erhobenen nega-
tiven Feststellungsklage müsse die Klägerin lediglich darlegen, dass sich die
Beklagte eines Anspruchs aufgrund eines bestimmten Lebenssachverhalts zu
Unrecht berühme. Dies habe sie getan. Daher obliege der Beklagten als An-
spruchstellerin einer materiellen Berechtigung der Beweis derjenigen Tatsa-
chen, aus denen sie ihren Anspruch herleite. Auch bei der leugnenden Feststel-
lungsklage sei Streitgegenstand der materielle Anspruch, um dessen Nichtbe-
stehen gestritten werde. Weder erstinstanzlich noch im Berufungsverfahren ha-
be die Beklagte substantiiert vorgebracht, dass sie noch Begünstigte der Kläge-
rin sei. Es bleibe letztlich unklar, ob die Beklagte eine Rechtsstellung als Be-
günstigte der Klägerin innehabe. Daher müsse der negativen Feststellungskla-
ge stattgegeben werden.
II.
Das Berufungsurteil hält der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.
1.
Das Berufungsgericht hat nicht feststellen können, ob die Beklagte noch
als Destinatärin der klagenden Stiftung benannt ist. Den sich hieran anschlie-
ßenden Erwägungen zur Darlegungs- und Beweislast hat es unzutreffend das
deutsche Recht zugrunde gelegt. Maßgeblich hierfür ist jedoch das österreichi-
sche Recht, dessen Ermittlung (§ 293 ZPO) das Berufungsgericht unterlassen
hat, wie die Revision mit Recht rügt.
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a) Kommt, wie hier, bei der Beurteilung eines Sachverhalts die Anwen-
dung ausländischen Rechts in Betracht, ist das deutsche internationale Privat-
recht von Amts wegen anzuwenden. Seine Regelungen, auch soweit sie nicht
kodifiziert worden sind, beanspruchen allgemeine Verbindlichkeit, ohne dass es
darauf ankommt, ob sich eine der Parteien auf die Anwendung ausländischen
Rechts beruft (st. Rechtsprechung; z.B. Senat, Urteil vom 20. März 1980 - III ZR
151/79, BGHZ 77, 32, 38; BGH, Urteile vom 7. April 1993 - XII ZR 266/91, NJW
1993, 2305, 2306 und vom 21. September 1995 - VII ZR 248/94, NJW 1996,
54 f jew. mwN).
Das deutsche Stiftungskollisionsrecht ist gesetzlich nicht geregelt. Es
fehlt in dieser Hinsicht sowohl an völkerrechtlichen Vorgaben als auch an auto-
nomen Regelungen des nationalen Rechts. Für dieses Rechtsgebiet ist deshalb
auf die Grundsätze des Internationalen Gesellschaftsrechts zurückzugreifen
(MüKoBGB/Kindler, IntGesR, 6. Aufl., Rn. 315; Leible in FS Werner, S. 256,
257 f mwN).
b) Dies führt vorliegend zur Anwendbarkeit des österreichischen Rechts.
aa) Das Personalstatut von Gesellschaften richtet sich nach der soge-
nannten Gründungstheorie, wenn die Auslandsgesellschaft in einem Mitglied-
staat der Europäischen Union, des EWR oder in einem mit diesen aufgrund ei-
nes Staatsvertrags in Bezug auf die Niederlassungsfreiheit gleichgestellten
Staat gegründet worden ist (BGH, Urteile vom 27. Oktober 2008 - II ZR 158/06,
BGHZ 178, 192 Rn. 19 und vom 11. Januar 2011 - II ZR 157/09, NJW 2011,
844 Rn. 16 jew. mwN). Nur für Gesellschaften, die in einem Drittstaat gegründet
worden sind, hält die Rechtsprechung an der sogenannten Sitztheorie fest,
nach der für das Personalstatut das Recht des Sitzstaats maßgeblich ist (BGH,
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Urteil vom 27. Oktober 2008 aaO mwN). Bei Übertragung dieser Grundsätze
auf das Personalstatut von Stiftungen ist hiernach das österreichische Recht
maßgeblich, da die Klägerin in Österreich gegründet wurde. Soweit in der Lite-
ratur ohne die vorstehende Differenzierung nach der Herkunft der ausländi-
schen Stiftung allein die Sitztheorie für maßgeblich erklärt wird (z.B. MüKoBGB/
Kindler aaO, Rn. 676 mwN) und damit gemeint sein sollte, dass diese auch für
Stiftungen aus einem EU-, EWR- oder gleichgestellten Staat gelten solle, führt
dies zu keinem anderen Ergebnis, da die Klägerin im österreichischen E.
ihren Verwaltungssitz unterhält.
bb) Der Anspruch, dessen sich die Beklagte berühmt, wird vom sachli-
chen Anwendungsbereich des Personalstatuts der klagenden Stiftung umfasst.
Im Internationalen Gesellschaftsrecht unterliegen nicht nur die Entstehung der
Gesellschaft, ihre Rechtsfähigkeit, ihre organschaftliche Verfassung und ihre
sonstigen inneren Verhältnisse dem Personalstatut. Vielmehr bestimmen sich
hiernach unter anderem auch die Rechtsstellung als Gesellschafter sowie die
aus dieser Stellung folgenden Rechte und ihre Ausgestaltung (MüKoBGB/
Kindler aaO Rn. 588; Staudinger/Großfeld, IntGesR [1998], Rn. 340), wie etwa
die Auskunfts- und Rechenschaftsansprüche (Bamberger/Roth/Mäsch, EGBGB,
3. Aufl., Art. 12 Anh II Rn. 73) und Ausschüttungssperren (BGH, Urteile vom
25. Juni 2001 - II ZR 38/99, BGHZ 148, 167, 168 und vom 11. Januar 2011
aaO), mithin auch die Ausschüttungsansprüche. Die Übertragung dieser Grund-
sätze auf das Stiftungsrecht bedeutet, dass auch für die Rechtsstellung als
Destinatär und die daraus folgenden Ansprüche, Zuwendungen aus dem Stif-
tungsvermögen zu erhalten, das Personalstatut der Stiftung maßgeblich ist.
Zwar ist der Destinatär einer Stiftung mit Gesellschaftern einer Handelsgesell-
schaft nicht unmittelbar gleichzusetzen, da er nicht inkorporiertes Mitglied der
Stiftung ist, so dass zwischen den Beteiligten keine Binnenbeziehung mit einer
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gesellschaftsrechtsähnlichen Struktur besteht. Jedoch sind die Zwecke einer
Handelsgesellschaft und einer Stiftung in Bezug auf die Gesellschafter bezie-
hungsweise die Destinatäre so ähnlich, dass es geboten ist, in analoger An-
wendung der Grundsätze des Internationalen Gesellschaftsrechts auch das
Rechtsverhältnis zwischen Stiftung und (potentiellem) Destinatär dem Perso-
nalstatut der Stiftung zuzuordnen. Typischerweise ist eine Handelsgesellschaft
auf die Erwirtschaftung eines Gewinns gerichtet, der letztlich in Form von Aus-
schüttungen ihren Gesellschaftern zugutekommen soll. Sind - wie hier - Desti-
natäre bestimmt, ist es in vergleichbarer Weise Zweck einer Stiftung, ihr Ver-
mögen beziehungsweise die Erträge hieraus unmittelbar oder mittelbar den Be-
günstigten zuzuwenden. Deren Verhältnis zur Stiftung ist deshalb in dieser ent-
scheidenden Hinsicht mit der Rechtsbeziehung von Gesellschaftern zur Gesell-
schaft gleichartig.
Unterliegen somit die Rechtsstellung der Beklagten und ihre Berechti-
gung, Zuwendungen von der Klägerin zu erhalten, deren - österreichischem -
Personalstatut, ist die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für die hierfür
maßgeblichen Tatsachen ebenfalls nach österreichischem Recht zu beurteilen.
Die allgemeinen Beweislastregeln sind materiell-rechtlich zu qualifizieren und
daher der lex causae zu entnehmen. Dies beruht auf der engen Verflechtung
der Regelungen zur Verteilung der Beweislast mit den materiellen Rechten der
Parteien. Die Verweisung auf das ausländische materielle Recht enthält damit
notwendig auch eine Verweisung auf die dafür geltenden Beweislastregeln des
betreffenden Rechts (vgl. BGH, Urteile vom 8. November 1951 - IV ZR 10/51,
BGHZ 3, 342, 346 und vom 26. November 1964 - II ZR 55/63, BGHZ 42, 385,
388 f; Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, Rn. 371; Linke/Hau, Inter-
nationales Zivilverfahrensrecht, 5. Aufl., Rn. 344; Nagel/Gottwald, IZPR, 7.
Aufl., § 10 Rn. 67). Für Schuldverhältnisse ergibt sich dies bereits aus Art. 18
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Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 (Rom I) und Art. 22 Abs. 1 der Ver-
ordnung (EG) Nr. 864/2007 (Rom II).
Von der Frage der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast zu trennen
ist allerdings die subjektive Obliegenheit der Beweisführung. Diese ist ebenso
wie der Beweisantritt und die Fragen der Beweiswürdigung prozessualer Natur
und daher nach der lex fori zu beurteilen.
2.
Die Sache wird nach § 563 Abs. 4 ZPO zur neuen Verhandlung und Ent-
scheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Von der Ermittlung des
maßgeblichen österreichischen Rechts durch das Revisionsgericht (zu dieser
Möglichkeit BGH, Urteil vom 12. November 2003 - VIII ZR 268/02, NJW-RR
2004, 308, 310 mwN) sieht der Senat ab. Es ist nicht auszuschließen, dass
nach Maßgabe des anwendbaren österreichischen Rechts neue tatrichterliche
Feststellungen notwendig werden, so dass ohnehin eine Zurückverweisung in
Betracht kommt. Das Berufungsgericht wird im neuen Verfahren auch Gelegen-
heit haben, sich gegebenenfalls mit den weiteren Rügen der Revision zu befas-
sen, auf die einzugehen der Senat im vorliegenden Verfahrensstadium keine
Veranlassung hat. In diesem Zusammenhang merkt der Senat allerdings an,
dass es, selbst wenn die klagende Stiftung nach dem österreichischen Recht
für die streitentscheidenden Tatsachen nicht darlegungs- und beweisbelastet
sein sollte, zu ihren Lasten gehen könnte, wenn sie weiterhin die maßgeblichen
Urkunden nicht vollständig vorlegt (sekundäre Darlegungslast [vgl. z.B. Senat,
Urteil vom 19. Mai 2016 - III ZR 274/15, NJW-RR 2016, 842 Rn. 40 mwN] be-
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ziehungsweise eine etwaig im österreichischen Recht bestehende vergleichba-
re Rechtsfigur).
Herrmann
Remmert
Reiter
Pohl
Arend
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 26.03.2014 - 11 O 18033/11 -
OLG München, Entscheidung vom 24.11.2014 - 17 U 2123/14 -