Urteil des BGH vom 25.09.2014

Leitsatzentscheidung zu Allgemeine Versicherungsbedingungen, Vergütung, Versicherungsnehmer, Treu Und Glauben, Arglistige Täuschung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 440/13
Verkündet am:
25. September 2014
K i e f e r
Justizangestellter
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 346, 357; VVG § 5a (F: 2. Dezember 2004)
Zum wirksamen Zustandekommen des vermittelten Versicherungsvertrags als
Voraussetzung für den Wertersatzanspruch des Versicherungsvertreters, wenn
der Kunde die mit ihm geschlossene Vergütungsvereinbarung widerrufen hat
(Bestätigung und Fortführung der Senatsurteile vom 12. Dezember 2013 - III ZR
124/13, BGHZ 199, 216 und vom 5. Juni 2014 - III ZR 557/13, VersR 2014,
877).
BGH, Urteil vom 25. September 2014 - III ZR 440/13 - LG Düsseldorf
AG Düsseldorf
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 25. September 2014 durch den Vizepräsidenten Schlick und die Richter
Wöstmann, Hucke, Seiters und Tombrink
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 23. Zivilkammer
des Landgerichts Düsseldorf vom 4. September 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung restlicher Vergütung für die
Vermittlung einer fondsgebundenen Lebensversicherung bei der A.
Lebensversicherung S.A. in Anspruch.
Bei der vermittelten Versicherung handelte es sich um eine sogenannte
Nettopolice, bei der die zu zahlenden Versicherungsprämien keinen Provisions-
anteil für die Vermittlung des Vertrags enthielten. Stattdessen schlossen die
Parteien am 24. Juli 2007 eine vorformulierte "Vergütungsvereinbarung", wo-
nach sich die Beklagte verpflichtete, an die Klägerin eine (Vermittlungs-)Ver-
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gütung in Höhe von 2.049,60
€ in 60 Monatsraten zu je 34,16 € - bei einem an-
gegebenen Barzahlungspreis von 1.892,19
€ und einem effektiven Jahreszins
von 3,36 % - zu entrichten. In Nummer 1 der Vergütungsvereinbarung wird da-
rauf hingewiesen, dass die Klägerin "als Versicherungsvertreter von Lebensver-
sicherungen im Auftrag der A. Lebensversicherung S.A. tätig" sei und in
dieser Eigenschaft dem Kunden die angebotene Lebensversicherung mit wähl-
baren Zusatzversicherungen vermittele. In Nummer 2 der Vereinbarung wird mit
Fettdruck hervorgehoben, dass der Versicherungsvermittler vom Kunden für die
Vermittlung und für seine Beratungs- und sonstigen Leistungen im Zusammen-
hang mit dem Abschluss des Versicherungsvertrags eine einmalige Vergütung
erhalte, der Versicherungstarif keine Abschlusskosten enthalte und der Versi-
cherungsvermittler deshalb von der Versicherungsgesellschaft für seine Tätig-
keit keine Provision oder sonstige Vergütung bekomme. In Nummer 4 und 5
wird mit Fettdruck darauf hingewiesen, dass der Vergütungsanspruch des Ver-
sicherungsvermittlers mit Zustandekommen des Versicherungsvertrags entste-
he und der Kunde wegen der rechtlichen Unabhängigkeit der Vergütungsver-
einbarung vom Versicherungsvertrag auch bei vorzeitiger Beendigung des Ver-
sicherungsvertrags zur Zahlung der Vergütung verpflichtet sei. Am Ende enthält
das verwendete Formular folgende Widerrufsbelehrung:
Widerrufsrecht
Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen
ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail)
widerrufen. Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Beleh-
rung. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige Ab-
sendung des Widerrufs. Der Widerruf ist zu richten an: …
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Widerrufsfolgen
Im Falle eines wirksamen Widerrufs sind die beiderseits empfan-
genen Leistungen zurückzugewähren und ggf. gezogene Nutzun-
gen (z.B. Zinsen) herauszugeben."
Versicherungsbeginn sollte der 1. September 2007 sein. Für die Monate
September 2007 bis Februar 2008 zahlte die Beklagte insgesamt sechs Raten
zu je
50 €, davon jeweils 34,16 € für die Klägerin. Ab März 2008 stellte sie die
Zahlungen ein. Wegen der Nichtzahlung der Versicherungsprämien trotz Mah-
nung erklärte die A. Lebensversicherung S.A. mit Schreiben vom
16. Mai 2008 unter Errechnung eines Rückkauf
swerts von 36,47 € die "Stornie-
rung" des Versicherungsvertrags. Nach Gesamtfälligstellung berechnete die
Klägerin der Beklagten eine restliche Vergütungsforderung von insgesamt
1.703,23
€, die sie mit der vorliegenden Klage nebst Zinsen und Kosten geltend
macht. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 14. April 2011 die Vergütungsver-
einbarung wegen arglistiger Täuschung angefochten und den Widerruf ihrer
hierauf gerichteten Willenserklärung erklärt.
Die Beklagte hat sich gegen das gültige Zustandekommen der Vergü-
tungsvereinbarung gewandt und insbesondere geltend gemacht, die Vergü-
tungsvereinbarung sei gemäß § 307 BGB unwirksam. Zudem habe sie die Ver-
einbarung wirksam widerrufen. Eine Versicherungspolice und weitere Versiche-
rungsunterlagen habe sie nicht erhalten. Auf einen Wertersatzanspruch könne
sich die Klägerin nicht mit Erfolg stützen, weil ihr mangels ordnungsgemäßer
Leistung kein Wertersatz zustehe. Im Übrigen sei die Klägerin ihr, der Beklag-
ten, wegen Beratungsfehlern zum Schadensersatz verpflichtet.
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Das Amtsgericht hat der Klage vollumfänglich stattgegeben. Die hierge-
gen eingelegte Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer vom
Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabwei-
sungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen
Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat der Klägerin den geltend gemachten Zah-
lungsanspruch zuerkannt und zur Begründung seiner Entscheidung im Wesent-
lichen ausgeführt: Die Vergütungsvereinbarung vom 24. Juli 2007 sei wirksam.
Dem stehe insbesondere nicht § 307 BGB entgegen, weil der Versicherungs-
vertreter ebenso wie der Versicherungsmakler eine selbständige Vergütungsab-
rede mit dem Versicherungsnehmer treffen dürfe; der Versicherungsnehmer
werde hierdurch nicht unangemessen benachteiligt. Eine arglistige Täuschung
von Seiten der Klägerin habe die Beklagte nicht zu beweisen vermocht. Ob die
Beklagte ihre auf den Abschluss der Vergütungsvereinbarung gerichtete Wil-
lenserklärung wirksam widerrufen habe, könne offen bleiben. Denn auch wenn
dies der Fall sei, stünde der Klägerin gegen die Beklagte gemäß § 357 Abs. 1
Satz 1, § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB ein Wertersatzanspruch in gleicher Höhe
zu. Die Höhe des Wertersatzes richte sich nach dem objektiven Wert der Un-
ternehmerleistung, wobei auf die übliche beziehungsweise angemessene Ver-
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gütung abzustellen sei. Die Klägerin habe unter Vorlage eines Sachverständi-
gengutachtens dargelegt, dass die vereinbarte Vergütung marktüblich und an-
gemessen sei. Die Beklagte habe hierauf nur entgegnet, dass die Klägerin im
Rahmen der Vermittlung keine Beratungsleistung erbracht habe, was jedoch
irrelevant sei. Zum objektiven Wert der Vermittlung habe sich die Beklagte nicht
geäußert, so dass das Vorbringen der Klägerin als zugestanden zugrunde zu
legen sei.
II.
Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punk-
ten stand.
1.
Zu Recht hat das Berufungsgericht die Unwirksamkeit der Vergütungs-
vereinbarung gemäß § 307 Abs. 1 und 2 BGB verneint. Die hiergegen gerichte-
ten Angriffe der Revision sind unbegründet.
a) Ob es sich bei der Vergütungsregelung um eine gemäß § 307 Abs. 3
Satz 1 BGB der Kontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB entzogene (reine)
Preisvereinbarung handelt, kann dahinstehen. Jedenfalls ist eine gegen die
Gebote von Treu und Glauben verstoßende Benachteiligung des Kunden zu
verneinen.
b) Wie der erkennende Senat im Anschluss an den I. Zivilsenat (Urteil
vom 6. November 2013 - I ZR 104/12, VersR 2014, 64) inzwischen mehrfach
ausgesprochen hat (Urteile vom 12. Dezember 2013 - III ZR 124/13, BGHZ
199, 216 und vom 5. Juni 2014 - III ZR 557/13, VersR 2014, 877), kann ein
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Versicherungsvertreter ebenso wie ein Versicherungsmakler mit seinem Kun-
den wirksam vereinbaren, dass für die Vermittlung eines Lebensversicherungs-
vertrags mit Nettopolice (ratenweise) eine Vergütung zu zahlen ist und der
Kunde auch bei einer Kündigung des Versicherungsvertrags zur Fortzahlung
der vereinbarten Vergütung verpflichtet bleibt. Einer solchen Vereinbarung ste-
hen weder zwingende Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes noch
§ 305c Abs. 1, § 307 BGB entgegen (Senatsurteile vom 12. Dezember 2013
aaO S. 219 ff Rn. 9 ff mwN und vom 5. Juni 2014 aaO S. 878 Rn. 11 ff). Dieser
Rechtsprechung ist der IV. Zivilsenat nicht entgegengetreten (Urteil vom
12. März 2014 - IV ZR 295/13, VersR 2014, 567, 570 Rn. 33, zur Veröffent-
lichung in BGHZ vorgesehen; s. insoweit auch Reiff, VersR 2014, 571, 574).
aa) Auch wenn der Versicherungsvertreter anders als der Versiche-
rungsmakler typischerweise im Lager des Versicherers steht, dessen Interes-
sen er bei seiner Vermittlungstätigkeit im Auge zu behalten hat (vgl. § 86 Abs. 1
Halbsatz 2 i.V.m. § 92 Abs. 2 HGB), ist zu berücksichtigen, dass durch das
- vorliegend anwendbare - Gesetz zur Neuregelung des Versicherungsvermitt-
lerrechts vom 19. Dezember 2006 (BGBl. I S. 3232) dem Versicherungsvermitt-
ler allgemein (also sowohl dem Versicherungsmakler als auch dem Versiche-
rungsvertreter, vgl. § 42a Abs. 1 VVG aF; jetzt § 59 Abs. 1 VVG) umfassende
Beratungs- und Dokumentationspflichten gegenüber dem Versicherungsnehmer
auferlegt worden sind (§§ 42c, 42d VVG aF; jetzt §§ 61, 62 VVG). Diese Pflich-
ten (auch) des Versicherungsvertreters sind derart zentral, dass er bei Verlet-
zung dieser Pflichten dem Versicherungsnehmer gegenüber persönlich zum
Schadensersatz verpflichtet ist (§ 42e VVG aF; jetzt § 63 VVG). Angesichts die-
ser Normenlage wäre es wenig verständlich, wenn man es dem Versicherungs-
vertreter verwehren wollte, Beratungstätigkeiten - die in erheblichem Umfang
schon gesetzlich vorgegeben sind - zum Gegenstand vertraglicher Entgeltver-
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einbarungen mit dem Versicherungsnehmer zu machen. Denn die vertraglich
nochmals bekräftigten Beratungspflichten des Versicherungsvertreters unter-
scheiden sich - soweit sie die Frage betreffen, ob die (wahrheitsgemäß darge-
stellten) Eigenschaften des angebotenen Produkts den Bedürfnissen und Inte-
ressen des Versicherungsnehmers entsprechen - in ihrem Umfang und in ihrer
Intensität nicht von den Pflichten des Versicherungsmaklers (BGH, Urteil vom 6.
November 2013 aaO S. 66 Rn. 21; Senatsurteile vom 12. Dezember 2013 aaO
S. 221 Rn. 14 und vom 5. Juni 2014 aaO Rn. 12).
bb) Die streitgegenständliche Vergütungsvereinbarung steht nicht in
Widerspruch zu einem gesetzlichen Leitbild. Die Vorschriften des § 87a Abs. 2
und des § 92 Abs. 4 HGB haben lediglich den Risikoausgleich zwischen dem
Handels- beziehungsweise Versicherungsvertreter und dem Unternehmer im
Auge und betreffen nicht das Rechtsverhältnis zwischen dem Versicherungs-
nehmer und dem Versicherungsvermittler (Senatsurteile vom 12. Dezember
2013 aaO S. 222 Rn. 15 und vom 5. Juni 2014 aaO Rn. 13).
cc) Schutzwürdige Interessen des Versicherungsnehmers, die so ge-
wichtig wären, dass selbständigen Vergütungsvereinbarungen mit dem Versi-
cherungsvertreter die Wirksamkeit versagt werden müsste, sind nicht ersicht-
lich. Insbesondere gleicht sich unter wirtschaftlicher Betrachtungsweise der
Umstand, dass sich der Versicherungsnehmer einem Provisionsanspruch des
Versicherungsvertreters ausgesetzt sieht, bei regulärem Versicherungsverlauf
dadurch aus, dass die vermittelte "provisionsbereinigte" Nettopolice-Lebensver-
sicherung als solche preisgünstiger ist als eine herkömmliche Bruttopolice-Le-
bensversicherung. Da der Vermittler bei der vorgenommenen Trennung zwi-
schen Vermittlungs- und Versicherungsgeschäft nach ordnungsgemäßer Bera-
tung bereits mit Zustandekommen des Versicherungsvertrags seine Pflichten
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vollständig erfüllt hat, ist es nur folgerichtig, dass eine spätere Kündigung des
Versicherungsvertrags auf die Höhe seiner Vergütung keinen Einfluss hat. An-
Kündigung des Versicherungsvertrags bei einer Nettopolice deutlich schlechter
stellen kann als bei einer (dem Schicksalsteilungsgrundsatz unterliegenden)
Bruttopolice. Auf den Umstand, dass der Kunde bei der Nettopolice auch dann
zur Zahlung der (vollen) Vergütung verpflichtet bleibt, wenn der vermittelte Ver-
sicherungsvertrag nach kurzer Zeit beendet wird, muss der Versicherungsver-
treter im Rahmen seiner Beratung deshalb deutlich hinweisen. Denn er kann
bei seinen Kunden nicht als allgemein bekannt voraussetzen, dass die bei wirt-
schaftlicher Betrachtungsweise scheinbar "aufkommensneutrale" - weil auf den
ersten Blick lediglich die Art und Weise des Aufbringens der Kosten des Ver-
triebs der Versicherungsprodukte modifizierende - gesonderte Vergütungsver-
einbarung sich im Falle einer vorzeitigen Kündigung derart nachteilig auswirken
kann (Senatsurteile vom 12. Dezember 2013 aaO S. 222 f Rn. 16 und vom
5. Juni 2014 aaO Rn. 14).
2.
Der Wirksamkeit einer die Provisionspflicht des Versicherungsnehmers
gegenüber einem Versicherungsvertreter begründenden Vereinbarung stehen
auch keine zwingenden, zur Nichtigkeit nach § 134 BGB führenden Vorschriften
des Versicherungsvertragsgesetzes entgegen (Senatsurteile vom 12. Dezem-
ber 2013 aaO S. 223 f Rn. 17 und vom 5. Juni 2014 aaO Rn. 15 f).
3.
Trotz (anfänglicher) Wirksamkeit der Vergütungsvereinbarungen kann
die Klägerin von der Beklagten die vertraglich vereinbarte Vergütung als solche
jedoch nicht beanspruchen, weil die Beklagte ihre auf den Abschluss der Vergü-
tungsvereinbarung gerichtete Willenserklärung wirksam widerrufen hat.
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a) Auf das streitgegenständliche Schuldverhältnis sind gemäß Art. 229
§ 22 Abs. 2 EGBGB das Bürgerliche Gesetzbuch und die BGB-Informations-
pflichten-Verordnung in der bis zum 11. Juni 2010 geltenden Fassung anzu-
wenden, weil der fragliche Vertrag im Jahr 2007 geschlossen worden ist und es
sich nicht um ein unbefristetes Schuldverhältnis im Sinne des Art. 229 § 22
Abs. 3 EGBGB handelt.
b) Der Beklagten stand das ausgeübte Widerrufsrecht nach § 355 Abs. 1
BGB aF zu. Da die Vergütung für die Vermittlung der fraglichen Versicherung in
Teilzahlungen zu erbringen war, handelte es sich um ein Teilzahlungsgeschäft
im Sinne von § 499 Abs. 2 BGB aF. Gemäß § 501 Satz 1 i.V.m. § 495 Abs. 1
und § 355 Abs. 1 Satz 2 BGB aF konnte die Beklagte ihre auf Abschluss der
Vergütungsvereinbarung gerichtete Willenserklärung deshalb innerhalb von
zwei Wochen widerrufen. Diese Frist war zum Zeitpunkt ihrer Widerrufserklä-
rung nicht abgelaufen. Denn der in dem verwendeten Formular enthaltene Hin-
weis, die Frist für den Widerruf beginne "frühestens mit Erhalt dieser Beleh-
rung", genügte nicht den Anforderungen nach § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB aF und
darüber hinaus entsprach das verwendete Formular nicht in jeder Hinsicht dem
Muster der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV, so dass die Widerrufsfrist
nicht in Gang gesetzt worden war (vgl. dazu im Einzelnen die wortgleiche Wi-
derrufsbelehrungen betreffenden Senatsurteile vom 1. März 2012 - III ZR 83/11,
NZG 2012, 427, 428 f Rn. 14 ff; vom 19. Juli 2012 - III ZR 252/11, BGHZ 194,
150, 154 ff Rn. 12 ff; vom 18. Oktober 2012 - III ZR 106/11, NJW 2012, 3718,
3719 Rn. 22; vom 17. Januar 2013 - III ZR 145/12, NJW-RR 2013, 885, 886
Rn. 9 ff; vom 12. Dezember 2013 aaO S. 224 f Rn. 19 f und vom 5. Juni 2014
aaO S. 878 f Rn. 19).
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4.
Zwar kommt, wie das Berufungsgericht zutreffend erwogen hat, statt des
vertraglichen Vergütungsanspruchs ein Wertersatzanspruch der Klägerin nach
§ 357 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB in einer die von ihr
bisher vereinnahmten Beträge übersteigenden Höhe in Betracht. Jedoch kann
die Klägerin Wertersatz nur dann verlangen, wenn durch ihre Vermittlung der in
Aussicht genommene Versicherungsvertrag zustande gekommen ist (vgl. Se-
natsurteil vom 12. Dezember 2013 aaO S. 225 f Rn. 23 f).
a) Die Revision weist diesbezüglich darauf hin, dass die Beklagte den
Erhalt jedweder Versicherungsunterlagen (Versicherungsschein, Allgemeine
Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformation nach § 10a VAG in der
hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über
Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistungen vom 2. Dezember 2004, BGBl. I
S. 3102) bestritten habe. Hierzu hat das Berufungsgericht keine Feststellungen
getroffen, so dass revisionsrechtlich davon auszugehen ist, dass die Beklagte
die Versicherungsunterlagen nicht erhalten hat. Danach ist die Ansicht des
Amtsgerichts, auf diesen Punkt komme es im Hinblick auf die Regelung in § 3
der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) nicht an, weil die Beklagte
die ersten Beiträge gezahlt habe, von Rechtsfehlern beeinflusst.
b) Nach dem für den hier maßgeblichen Zeitraum anwendbaren § 5a
VVG in der Fassung des Gesetzes vom 2. Dezember 2004 kam ein Lebensver-
sicherungsvertrag in dem Fall, dass der Versicherer dem Versicherungsnehmer
bei Antragstellung die Versicherungsbedingungen nicht übergeben oder eine
Verbraucherinformation nach § 10a VAG aF unterlassen hat, erst dann wirksam
zustande, wenn dem Versicherungsnehmer die Versicherungspolice, die Allge-
meinen Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformation nach § 10a
VAG aF zugegangen waren und der Versicherungsnehmer nicht binnen einer
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nachfolgenden Frist von 30 Tagen widersprach (vgl. BGH, Urteile vom 7. Mai
2014 - IV ZR 76/11, VersR 2014, 817, 818 Rn. 15 und vom 16. Juli 2014
- IV ZR 73/13, WM 2014, 1575, 1576 Rn. 14, jeweils mwN).
c) Demzufolge wäre der von der Klägerin vermittelte Versicherungsver-
trag mit der A. Lebensversicherung S.A. nicht wirksam geschlos-
sen worden, wenn die Beklagte die Versicherungsunterlagen nicht erhalten hät-
te. Die Widerspruchsfrist wäre dann nicht in Gang gesetzt worden. Zwar be-
stimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG aF, dass das Widerspruchsrecht des Versiche-
rungsnehmers ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlosch. Diese Rege-
lung war auf Lebensversicherungsverträge jedoch nicht anwendbar (BGH, Urteil
vom 7. Mai 2014 aaO S. 820 Rn. 27). Darüber hinaus kommt § 5a Abs. 2 Satz 4
VVG aF hier auch deshalb nicht zum Zuge, weil der Versicherungsvertrag be-
reits im Mai 2008 durch den Versicherer "storniert" wurde, bei Ablauf der Jah-
resfrist somit nicht mehr (auch nicht schwebend unwirksam) bestand und daher
auch nicht durch das Unterbleiben eines Widerspruchs wirksam werden konnte.
d) Demgegenüber kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg auf die Rege-
lung in Nummer 4 der Vergütungsvereinbarung berufen. Hiernach kommt der
Versicherungsvertrag zustande, "wenn die Versicherungsgesellschaft die An-
nahme des Versicherungsantrags durch schriftliche Annahmeerklärung oder
Zusendung des Versicherungsscheines oder durch Entgegennahme des ersten
Versicherungsbeitrages (siehe §
3 Allgemeine Versicherungsbedingungen …)
erklärt oder der erste Beitrag auf Veranlassung der A. Lebensver-
sicherung S.A. eingezogen wurde und der Kunde sein gesetzliches Recht auf
Rücktritt von der Fondsgebundenen Lebens- und Rentenversicherung innerhalb
von 30 Tagen nach Annahme des Versicherungsvertrages durch die Versiche-
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rungsgesellschaft, wie im Antragsformular unter
‘Belehrung über das Recht zum
Rücktritt
‘ angegeben, nicht wahrnimmt".
Zweifelhaft ist bereits, ob diese Bestimmung über den Vergütungsan-
spruch als solchen hinaus auch für den Wertersatzanspruch nach § 357 Abs. 1
Satz 1 i.V.m. § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB Geltung beanspruchen kann. Die-
se Frage bedarf hier indes keiner abschließenden Klärung. Denn mit dem Hin-
weis auf das "gesetzliche Recht zum Rücktritt" wird der Sache nach auf die
damalige Vorschrift des § 5a VVG aF Bezug genommen. Auf diese Weise wird
gegenüber dem Versicherungsnehmer (Kunden) zum Ausdruck gebracht, dass
der Vergütungsanspruch vom rechtlich wirksamen Zustandekommen des Versi-
cherungsvertrags abhängig gemacht und diesbezüglich keine abweichende
Regelung getroffen werden soll. Dementsprechend bestimmt Nummer 5 der
Vergütungsvereinbarung, dass die Vergütung bei "Aufhebung des Versiche-
rungsvertrags infolge eines berechtigten Rücktritts oder einer berechtigten Aus-
übung des Widerrufsrechts nicht geschuldet" ist. Auf die Regelung im Versiche-
rungsantrag in Verbindung mit § 3 AVB, wonach die Entgegennahme des ers-
ten Versicherungsbeitrags für den Beginn der 30tägigen Widerrufsfrist genügen
soll, kann in diesem Zusammenhang nicht zurückgegriffen werden. Gemäß
§ 15a VVG aF darf sich der Versicherer nämlich auf eine von § 5a VVG aF ab-
weichende Vereinbarung nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers beru-
fen. Erweist sich die vereinbarte Regelung demnach aber als unwirksam, so
konnte sie auch nicht im Verweisungswege zum gültigen Bestandteil der Vergü-
tungsvereinbarung zwischen den Parteien gemacht werden; die Verweisung
ging insoweit gleichsam "ins Leere".
Einem Verständnis dieser Klausel dahin, dass das "Zustandekommen"
des Versicherungsvertrags in der Vergütungsvereinbarung für die Frage, wann
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die vereinbarte Provision verdient ist, konstitutiv unter Abweichung von für den
Versicherungsvertrag selbst geltenden zwingenden Vorschriften des Versiche-
rungsvertragsgesetzes definiert wird, steht schon die Unklarheitenregel des
§ 305c Abs. 2 BGB entgegen. Eine Klausel solchen Inhalts wäre darüber hinaus
wohl auch überraschend im Sinne des § 305c Abs. 1 BGB; sie dürfte zudem
(jedenfalls) eine unangemessene Benachteiligung des Kunden im Sinne des
§ 307 BGB darstellen.
e) Nach alledem besteht ein Wertersatzanspruch der Klägerin nur dann,
wenn der vermittelte Versicherungsvertrag unter Berücksichtigung von § 5a
VVG aF wirksam zustande gekommen ist. Die dafür zu beachtenden tatsächli-
chen Voraussetzungen hat die Klägerin darzulegen und im Bestreitensfalle
nachzuweisen (vgl. Prölss in Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 5a Rn. 54b). Die
hierzu erforderlichen - derzeit noch fehlenden - Feststellungen wird das Beru-
fungsgericht nachzuholen haben.
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Das Berufungsurteil ist sonach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die
Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zu-
rückzuverweisen, da die Sache noch nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563
Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 ZPO).
Das Berufungsgericht wird sich nach Klärung der Frage des wirksamen
Zustandekommens des vermittelten Versicherungsvertrags gegebenenfalls er-
neut mit der Höhe des Wertersatzanspruchs der Klägerin und der Erfüllung der
Beratungspflichten der Klägerin sowie eines hierdurch etwa begründeten Scha-
densersatzanspruchs der Beklagten zu befassen haben. Es wird in diesem Fall
Gelegenheit haben, sich mit den diesbezüglichen Rügen der Revision ausei-
nanderzusetzen.
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Der Senat weist insoweit auf Folgendes hin:
a) Maßgeblich für die Bemessung des Wertersatzes, den der Verbrau-
cher nach dem (wirksamen) Widerruf eines Teilzahlungsgeschäfts für bis dahin
erbrachte Leistungen des Unternehmers gewähren muss, ist der objektive Wert
der Leistungen, sofern dieser das vertragliche Entgelt nicht übersteigt. Hierbei
ist im Ausgangspunkt, wie bei Dienstleistungen allgemein, auf die übliche oder
(bei Fehlen einer solchen) auf die angemessene Vergütung abzustellen, die für
eine solche Leistung zu bezahlen ist, nicht dagegen auf den konkret-indivi-
duellen Wert des Erlangten für den Schuldner. Eine Kündigung des Versiche-
rungsvertrags hat dabei für sich genommen auf die Höhe des Wertersatzan-
spruchs keine Auswirkungen (s. Senatsurteile vom 12. Dezember 2013 aaO
S. 225 f Rn. 22 ff mwN und vom 5. Juni 2014 aaO S. 879 Rn. 21).
Soweit die Revision in Anknüpfung an den Vortrag der Beklagten in den
Vorinstanzen darauf abheben möchte, dass die Leistung der Klägerin mangels
erfolgter Beratungstätigkeit nichts oder deutlich weniger wert gewesen sei, be-
trifft dies nicht den objektiven Wert der Vermittlungsleistung, sondern den Ein-
wand der Schlechterfüllung. Ebenso wie beim Dienstvertrag (s. dazu BGH, Ur-
teil vom 15. Juli 2004 - IX ZR 256/03, NJW 2004, 2817 mwN; vgl. auch Senats-
urteil vom 12. Mai 2011 - III ZR 107/10, NJW-RR 2011, 1426, 1428 Rn. 28) wird
auch beim Schuldverhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Versiche-
rungsvertreter die geschuldete Vergütung durch eine Schlechtleistung des
Vermittlers nicht gekürzt. Der Versicherungsnehmer ist vielmehr darauf verwie-
sen, dem Vergütungsanspruch einen Schadensersatzanspruch entgegenzuhal-
ten (§§ 242, 387 ff BGB), wie dies die Beklagte hier auch getan hat. Dies gilt in
gleicher Weise für den Wertersatzanspruch.
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Dessen ungeachtet entspricht es der Rechtsprechung des Senats, dass
bei der gebotenen typisierten und objektivierten Betrachtungsweise der Wert
der von einem bloßen Versicherungsvertreter versprochenen beziehungsweise
zu erbringenden Beratungs- und Vermittlungsleistungen deutlich unter dem
Wert einer Versicherungsmaklerleistung liegt (s. Senatsurteile vom 12. Dezem-
ber 2013 aaO S. 226 f Rn. 29 und vom 5. Juni 2014 aaO S. 879 Rn. 26).
b) Der Versicherungsvertreter muss, wie der Senat nach Erlass des an-
gefochtenen Urteils entschieden hat, seinen Kunden im Rahmen der gemäß
§ 42c VVG aF (jetzt: § 61 VVG) geschuldeten Beratung auf die Auswirkungen
des Abschlusses einer Nettopolice und hierbei insbesondere deutlich auf den
Umstand hinweisen, dass der Kunde bei der Nettopolice auch dann zur Zahlung
der (vollen) Vergütung verpflichtet bleibt, wenn der vermittelte Versicherungs-
vertrag nach kurzer Zeit beendet wird (Senatsurteile vom 12. Dezember 2013
aaO S. 223 Rn. 16 und S. 226 Rn. 27 sowie vom 5. Juni 2014 aaO S. 878
Rn. 14 und S. 879 Rn. 24; vgl. auch LG Saarbrücken, VersR 2013, 759, 760 f).
Wie diese Aufklärung im Einzelnen zu geschehen hat, hängt von dem erkenn-
baren Aufklärungsbedürfnis des Kunden und den sonstigen Umständen des
Einzelfalls ab (Senatsurteil vom 5. Juni 2014 aaO S. 879 Rn. 24).
c) Im Ansatz zutreffend ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass
grundsätzlich der den Schadensersatz begehrende Kunde (Versicherungsneh-
mer) darlegen und beweisen muss, dass der Versicherungsvermittler seine Be-
ratungspflicht verletzt hat, wobei den Versicherungsvermittler allerdings eine
sekundäre Darlegungslast trifft (s. etwa OLG Saarbrücken, VersR 2011, 1441,
1442 und VersR 2010, 1181, 1182; LG Saarbrücken, VersR 2013, 759, 761).
Darüber hinaus können sich aus der Nichtbeachtung der Dokumentationspflicht
des Versicherungsvermittlers nach § 42c Abs. 1 Satz 2, § 42d VVG aF (jetzt:
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§ 61 Abs. 2 Satz 2, § 62 VVG) Beweiserleichterungen zugunsten des Versiche-
rungsnehmers bis hin zu einer Beweislastumkehr ergeben (vgl. OLG München,
VersR 2012, 1292, 1293; OLG Saarbrücken, VersR 2011, 1441, 1443 und
VersR 2010, 1181, 1182; LG Saarbrücken aaO; s. auch Gesetzentwurf der
Bundesregierung für ein Gesetz zur Neuregelung des Versicherungsvermittler-
rechts, BT-Drucks. 16/1935, S. 26).
Schlick
Wöstmann
Hucke
Seiters
Tombrink
Vorinstanzen:
AG Düsseldorf, Entscheidung vom 26.09.2012 - 35 C 2241/11 -
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 04.09.2013 - 23 S 384/12 -