Urteil des BGH vom 12.03.2015

Leitsatzentscheidung zu Enteignung, Juristische Person, Vorzeitige Besitzeinweisung, Standort der Anlage, Energieversorgung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 36/14
Verkündet am:
12. März 2015
K i e f e r
Justizangestellter
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Baulandsache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
GG Art. 14 Cb; EnWG § 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 3; BImSchG §§ 6, 13
a) Eine Enteignung ist nur für ein Vorhaben zulässig, für das die notwendigen
Gestattungen und Genehmigungen vorliegen oder bei dem es zumindest
keinem ernsthaften Zweifel unterliegen kann, dass etwaige erforderliche Ge-
nehmigungen erteilt werden. Ist eine erforderliche Genehmigung nach dem
Bundesimmissionsschutzgesetz für den Betrieb einer Windkraftanlage erteilt
aber angefochten worden, so kann einem Antrag für eine Enteignung nach §
45 Abs. 1 Nr. 2 EnWG, auch wenn die Genehmigung für sofort vollziehbar
erklärt worden ist, nur stattgegeben werden, wenn die Enteignungsbehörde
in eigenverantwortlicher Prüfung zu dem Ergebnis kommt, dass dem Vorha-
ben keine öffentlich-rechtlichen Hindernisse entgegenstehen.
b) Die Feststellung der Zulässigkeit der Enteignung durch die nach § 45 Abs. 2
Satz 3 EnWG zuständige Behörde unterliegt der (beschränkten) gerichtlichen
Kontrolle.
c) Zu den Anforderungen an die Feststellung der Zulässigkeit einer Enteignung
nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 EnWG.
BGH, Urteil vom 12. März 2015 - III ZR 36/14 - OLG Jena
LG Meiningen
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 12. März 2015 durch den Vizepräsidenten Schlick und die Richter
Wöstmann, Seiters, Dr. Remmert und Reiter
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beteiligten zu 1 wird das Urteil des Senats für
Baulandsachen des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom
30. Dezember 2013 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als
die Berufung der Beteiligten zu 1 zurückgewiesen worden ist.
Das Berufungsurteil wird wie folgt neu gefasst:
Auf die Berufung der Beteiligten zu 1 wird das Urteil der Kammer
für Baulandsachen des Landgerichts Meiningen vom 7. März 2012
abgeändert. Der Enteignungsbeschluss des Thüringer Landesver-
waltungsamts vom 30. Juni 2011, Az. 140-1254-16-28/07 SÖM,
wird aufgehoben und der Antrag der Beteiligten zu 2 auf Enteig-
nung vom 13. April 2007 zurückgewiesen.
Die Revision der Beteiligten zu 2 gegen das Urteil des Senats für
Baulandsachen des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom
30. Dezember 2013 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligte zu 2 hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen
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Tatbestand
Die Beteiligte zu 1 wendet sich gegen eine zugunsten der Beteiligten
zu 2 ausgesprochene Enteignung.
Die Beteiligte zu 2 plante auf Grundstücken der Beteiligten zu 1, einer
kommunalen Gebietskörperschaft, einen Windpark, der inzwischen auch errich-
tet wurde. Der Windpark liegt in einem im regionalen Raumordnungsplan Mit-
telthüringen (Stand 1999) ausgewiesenen Vorbehaltsgebiet zur Nutzung der
Windenergie. Der Windpark besteht aus acht Windkraftanlagen des Typs
Vestas V 90 mit einer Höhe von 150 m und einer Leistung von jeweils 2,0 MW.
Er dient der Einspeisung von Windenergie in das Versorgungsnetz der T.
Energie AG.
Das Thüringer Landesverwaltungsamt genehmigte am 15. Mai 2006 den
Windpark immissionsschutzrechtlich und ordnete mit Bescheid vom 14. No-
vember 2006 die sofortige Vollziehbarkeit der Genehmigung an. Die Beteiligte
zu 1 hat Klage gegen die Genehmigung beim Verwaltungsgericht Weimar ein-
gereicht und die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfech-
tungsklage beantragt. Das Begehren auf Gewährung vorläufigen verwaltungs-
gerichtlichen Rechtsschutzes blieb in beiden Instanzen erfolglos. Die Entschei-
dung über die Hauptsache steht noch aus. Das Verwaltungsgericht Weimar hat
das Verfahren über die Anfechtung der immissionsschutzrechtlichen Genehmi-
gung bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Baulandverfahrens
über die Enteignung ausgesetzt.
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Für die Realisierung des Windparks war es erforderlich, eine Zuwegung
zu den einzelnen Windenergieanlagen anzulegen und Kabeltrassen zu errich-
ten. Ausgehend vom "O. Weg" waren die meisten der acht Stand-
orte zwar über unbefestigte Feldwege zu erreichen. Der während der Bauphase
erforderliche Schwerlastverkehr war hierüber jedoch nicht möglich. Vielmehr
mussten die vorhandenen Wege verbreitert und gefestigt werden. Betroffen wa-
ren von der Trassierung insgesamt zwölf Grundstücke, die im Eigentum der
Beteiligten zu 1 stehen. Ein Teil der Grundstücke ist an die Beteiligte zu 3 ver-
pachtet und wird von den Beteiligten zu 4 und 5 bewirtschaftet.
Nachdem die Beteiligte zu 2 mit der Beteiligten zu 1 keine Einigung über
die Nutzung der zwölf Grundstücke erzielen konnte, beantragte die Beteiligte
zu 2 unter dem 13. April 2007 bei der zuständigen Enteignungsbehörde, dem
Thüringer Landesverwaltungsamt (Beteiligter zu 6), die vorzeitige Besitzeinwei-
sung und zugleich auch die Enteignung in Form von Dienstbarkeiten zu ihren
Gunsten betreffend die Zuwegung und die Kabeltrasse auf den Grundstücken.
Konkret ging es darum, das zum großen Teil bereits vorhandene Wegenetz auf
eine Breite von 5 m auszubauen und in dieser Form während der Bauphase,
danach aber auch dauerhaft, als Zuwegung zu den einzelnen Windkraftanlagen
zu nutzen sowie 1,20 kv-Mittelspannungserdkabel mit einer Erdabdeckung von
mindestens 1 m von den Anlagen zum eigenen Umspannwerk S. zu ver-
legen und nachfolgend zur dauerhaften Energiedurchleitung und Datenübertra-
gung zu betreiben. Das Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Technologie und
Arbeit stellte als zuständige Energieaufsichtsbehörde am 18. Juni 2007 die Zu-
lässigkeit der Enteignung fest.
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In der Folge wies der Beteiligte zu 6 die Beteiligte zu 2 mit Beschluss
vom 1. August 2007 mit Wirkung vom 21. August 2007 für die Baumaßnahmen
Zuwegung und Kabeltrasse vorzeitig in den Besitz der Grundstücke ein. Zu-
gleich wurde die sofortige Vollziehung der Besitzeinweisung angeordnet.
Hiergegen beantragte die Beteiligte zu 1 die gerichtliche Entscheidung
über den Besitzeinweisungsbeschluss und begehrte zugleich die Wiederherstel-
lung der aufschiebenden Wirkung des Antrags. Das Landgericht lehnte das vor-
läufige Rechtsschutzbegehren ab. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 hob
der Baulandsenat des Thüringer Oberlandesgerichts mit Beschluss vom
27. November 2007 den Beschluss des Landgerichts auf und stellte die auf-
schiebende Wirkung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung gegen den Be-
sitzeinweisungsbeschluss wieder her. Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung
gegen den Besitzeinweisungsbeschluss des Beteiligten zu 6 wies das Landge-
richt zurück. Auf die Berufung des Beteiligten zu 1 hob das Oberlandesgericht
mit Urteil vom 3. März 2010 den Besitzeinweisungsbeschluss auf, weil die Vo-
raussetzungen für eine vorzeitige Besitzeinweisung nicht vorlägen. Im Nach-
gang zu diesem Urteil ergänzte das zuständige Ministerium unter dem
23. September 2010 auf Bitten des Beteiligten zu 6 seine Ausführungen im
Schreiben vom 18. Juni 2007; es hielt an seiner rechtlichen Würdigung fest,
dass die Enteignung zulässig sei.
Am 30. Juni 2011 hat der Beteiligte zu 6 den streitgegenständlichen Ent-
eignungsbeschluss erlassen. Unter Nummer 1 ist bestimmt, dass in dem Zeit-
punkt, der in der Ausführungsanordnung zu dem Enteignungsbeschluss be-
stimmt werden würde, auf Teilflächen der Grundstücke der Beteiligten zu 1 eine
beschränkte persönliche Dienstbarkeit folgenden Inhalts zugunsten der Beteilig-
ten zu 2 bestellt wird:
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"Die W. O.
GmbH & Co. KG … ist berechtigt, das
Grundstück zum Anlegen eines ca. 5 m breiten, befestigten Weg-
es zu begehen und zu befahren sowie das Grundstück auf diesem
Weg zu begehen und zu befahren. Die Ausübung der Rechte aus
der Dienstbarkeit kann Dritten überlassen werden."
Unter Nummer 2 ist bestimmt, dass eine weitere beschränkt persönliche
Dienstbarkeit folgenden Inhalts zugunsten der Beteiligten zu 1 bestellt wird:
"Die W. O.
GmbH & Co. KG … ist berechtigt, auf
dem Grundstück Kabeltrassen zur Energiedurchleitung und Da-
tenübertragung zu errichten, zu betreiben und zu erneuern, wobei
die Kabel in einer Tiefe von ca. 1 m verlegt werden und ein
Schutzstreifen von 1 m rechts und links des Kabels freizuhalten
ist. Die B. P.
GmbH … ist ferner berechtigt, das
Grundstück zur Errichtung und Wartung der Kabeltrasse zu bege-
hen und zu befahren. Der Grundstückseigentümer verpflichtet
sich, alle Maßnahmen zu unterlassen, die den Bestand oder den
Betrieb der installierten Energieleitungen gefährden oder beein-
trächtigen können (z.B. Bebauung oder Bepflanzung mit Bäumen).
Die Ausübung der Rechte aus der Dienstbarkeit kann Dritten über-
lassen werden."
Für den durch die Enteignung eingetretenen Rechtsverlust ist eine Ent-
schädigung in Höhe von 10.812,80
€ festgesetzt worden. Gegen diesen Enteig-
nungsbeschluss hat die Beteiligte zu 1 Antrag auf gerichtliche Entscheidung
gestellt. Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen.
Auf die Berufung der Beteiligten zu 1 hat das Berufungsgericht den Ent-
eignungsbeschluss betreffend die Bestellung einer beschränkt persönlichen
Wege-Dienstbarkeit (Nummer 1 des Enteignungsbeschlusses) aufgehoben, den
unter Nummer 3 festgesetzten Entschädigungsbetrag auf 454,30
€ reduziert
und im Übrigen die Berufung zurückgewiesen.
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Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Betei-
ligte zu 1 ihren Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die in Nummer 2
des Enteignungsbeschlusses angeordnete Dienstbarkeitsbestellung bezüglich
der Kabeltrassen weiter. Die Beteiligte zu 2 wendet sich gegen die teilweise
Aufhebung des Enteignungsbeschlusses durch das Berufungsgericht.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beteiligten zu 1 hat Erfolg, die der Beteiligten zu 2 ist
zurückzuweisen.
I.
Das Berufungsgericht hat, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeu-
tung, ausgeführt: Als Rechtsgrundlage kämen für die beiden im Enteignungsbe-
schluss angeordneten Enteignungsmaßnahmen nur § 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3
EnWG i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Nr. 3, 4, § 7 Abs. 1 des Thüringer
Enteignungsgesetzes in Betracht. An der formellen Rechtmäßigkeit des Enteig-
nungsbeschlusses bestünden keine Zweifel. Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 EnWG
müsse bei sonstigen Vorhaben zum Zwecke der Energieversorgung zunächst
die nach Landesrecht zuständige Behörde die Zulässigkeit der Enteignung fest-
stellen. Diese Feststellung auf der ersten Stufe, dass das Wohl der Allgemein-
heit den Entzug oder die Beschränkung von Grundeigentum oder von Rechten
hieran für das Vorhaben generell rechtfertige, habe das zuständige Wirtschafts-
ministerium mit Bescheiden vom 18. Juni 2007 und 23. September 2010 zu-
gunsten der Beteiligten zu 2 getroffen.
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Die Enteignung in Bezug auf das als beschränkt persönliche Dienstbar-
keit ausgestaltete Geh- und Fahrrecht (Zuwegung) sei materiell rechtswidrig. Es
könne sich allenfalls um ein sonstiges Vorhaben zum Zwecke der Energiever-
sorgung im Sinne des § 45 Abs. 1 Nr. 2 EnWG handeln. Diese Vorschrift erfas-
se diese Enteignungsmaßnahme nicht, so dass sie ohne Grundlage erfolgt sei.
Die Zuwegung könne nur dann ein sonstiges Vorhaben zum Zwecke der Ener-
gieversorgung sein, wenn die Erzeugungsanlage selbst, deren Erschließung sie
diene, hierunter falle. Anders als das Stromleitungsnetz habe das Wegenetz
nämlich keine eigenständige energieversorgungsrechtliche Bedeutung. Ener-
gieerzeugungsanlagen selbst unterfielen nicht dem Anwendungsbereich des
§ 45 Abs. 1 Nr. 2 EnWG; gegen deren Einbeziehung spreche vor allen Dingen,
dass der Enteignung für Erzeugungsanlagen selbst nach dem mit der Energie-
wirtschaftsreform des Jahres 1998 durchgesetzten Wettbewerbsmodell auf dem
Erzeugermarkt die verfassungsrechtliche Rechtfertigung fehle. Die im Wettbe-
werb stehenden Energieerzeuger unterlägen anders als der gemeinwohlgebun-
dene Netzbetreiber keiner Gemeinwohlbindung mehr und könnten beziehungs-
weise dürften daher nicht von einer Enteignung profitieren. Weiterhin spreche
dagegen auch, dass Windkraftanlagen einer immissionsschutzrechtlichen Ge-
nehmigung bedürften, die nur erteilt werden dürfe, wenn unter anderem die
ausreichende wegemäßige Erschließung dieser Anlagen gesichert sei. Ließe
man zugunsten von Windkraftanlagen zur Stromerzeugung jedoch eine Enteig-
nung zu, um überhaupt erst eine gesicherte Erschließung zu schaffen, bedeute
dies zwangsläufig, dass erst das Enteignungsverfahren die Genehmigungsfä-
higkeit des Vorhabens herbeiführen würde und könnte.
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Demgegenüber finde die Enteignungsmaßnahme "Kabeltrassendienst-
barkeit" ihre Rechtfertigung in § 45 Abs. 1 Nr. 2 EnWG. Gegen die Enteignung
sei im Ergebnis aufgrund der ergänzenden Bedarfsfeststellung des Wirt-
schaftsministeriums vom 23. September 2010, die im Enteignungsverfahren
inzident zu überprüfen sei, nichts zu erinnern. Diese Bedarfsfeststellung genüge
den Anforderungen. Die Bedarfsfeststellung sei ausreichend, weil sie nicht nur
an die allgemein bekannte Endlichkeit fossiler Rohstoffe anknüpfe, sondern auf
den Versorgungsraum Thüringen bezogen - was eine hinreichende räumliche
Eingrenzung darstelle - konkrete Zahlen benenne, die - weil unstreitig - als Tat-
sachengrundlage für das Einschätzungsermessen feststünden. Mit einem
Stromverbrauch für ganz Thüringen von 11,6 Terrawattstunden im Jahr 2006,
der nur mit 4,5 Terrawattstunden im Land selbst produziert werden könne, sei
die in Bezug genommene Importabhängigkeit des Freistaats in der Stromver-
sorgung der Bevölkerung plausibel dargelegt. Berücksichtige man diese Im-
portnotwendigkeit auch und gerade vor dem weiter dargelegten Hintergrund,
dass der Stromverbrauch im Freistaat stetig steige, sei die auf Thüringen bezo-
.
Versorgungssicherheit angehe, so habe der W. O. nach den
Feststellungen des Wirtschaftsministeriums das Potential einer jährlichen Leis-
tung von 35,2 MW-Stunden und sei damit in der Lage, 9.000 Haushalte im Um-
kreis der Stadt W. unmittelbar und dezentral zu versorgen. Hiermit
werde das Übertragungsrisiko des ansonsten erforderlichen Stromimports re-
duziert und damit die Versorgungssicherheit erhöht und somit letztlich das
Stromausfallrisiko reduziert. Dass sich das Wirtschaftsministerium in Anbetracht
der Endlichkeit fossiler Brennstoffe und der im Einzelnen näher dargelegten
Vorzüge der "sauberen" und "billigen" Windenergie für diese und gegen andere
technisch denkbare Alternativen der Bedarfsdeckung entschieden habe, sei im
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Rahmen des Einschätzungsermessens nicht zu beanstanden und hinzuneh-
men. Die Enteignungsmaßnahme sei auch verhältnismäßig im engeren Sinne.
Im Übrigen sei es nicht Aufgabe der Baulandgerichte, im Baulandverfah-
ren die der Fachgerichtsbarkeit, nämlich den Verwaltungsgerichten, vorbehalte-
ne umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle der einschlägigen Fachgenehmigun-
gen - hier der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung des Thüringer Lan-
desverwaltungsamts vom 15. Mai 2006 - vorwegzunehmen. Der Prüfungsum-
fang der Baulandgerichte sei deshalb jedenfalls dann, wenn wie hier eine ange-
fochtene Fachgenehmigung vorliege, deren verwaltungsgerichtliche Überprü-
fung noch ausstehe, auf die enteignungsrechtliche Rechtsproblematik der
Fachgenehmigung, wie sie aus dem Parteivortrag des Baulandprozesses folge,
beschränkt.
II.
Revision der Beteiligten zu 1
Die Revision der Beteiligten zu 1 hat Erfolg.
Das Berufungsgericht hat die Rechtmäßigkeit der Enteignung nach den
§ 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 3, Abs. 3 EnWG, § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1
Nr. 1, §§ 4, 7 Abs. 1 Satz 2 des Thüringer Enteignungsgesetzes (ThürEG) in
Bezug auf die Bestellung einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit zur Er-
richtung und dauerhaften Nutzung der unterirdischen Kabeltrassen auf den
Grundstücken der Beteiligten zu 1 zu Unrecht bejaht.
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Die Voraussetzungen für eine Enteignung nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 EnWG
liegen nicht vor.
1. Ohne Erfolg bleiben jedoch die Angriffe der Revision gegen die Auf-
fassung des Berufungsgerichts, dass § 45 Abs. 1 Nr. 2 EnWG grundsätzlich für
die hier angesprochene Enteignungsmaßnahme als Grundlage in Betracht zu
ziehen ist. Nach dieser Regelung ist die Entziehung oder die Beschränkung von
Grundeigentum oder die Beschränkung von Rechten am Grundeigentum im
Wege der Enteignung zulässig, soweit sie zur Durchführung eines sonstigen
Vorhabens zum Zwecke der Energieversorgung erforderlich ist. § 45 Abs. 1
Nr. 2 EnWG erfasst in Abgrenzung zu § 45 Abs. 1 Nr. 1 EnWG alle Vorhaben,
mit denen typische elektrizitäts- beziehungsweise gaswirtschaftliche Funktionen
unmittelbar oder mittelbar gemeinnützig erfüllt werden sollen (Salje, Energie-
wirtschaftsgesetz, 2006, § 45 Rn. 36). Neben den Leitungssystemen einschließ-
lich ihrer Trägereinrichtung, die aufgrund der Leitungs- und Größenwerte nicht
unter § 43 EnWG fallen, sind hiervon auch Anlagen umfasst, die für die Funkti-
onsfähigkeit des Leitungsnetzes benötigt werden, wie Gasspeicher, Maststand-
plätze, Umspannwerke und Transformatorenhäuser (Pilow in Berliner Kommen-
tar zum Energierecht, 3. Aufl., § 45 Rn. 12; Theobald in Danner/Theobald,
Energierecht, 81. Ergänzungslieferung [2014] § 45 Rn. 29).
Soweit die Beteiligte zu 1 geltend macht, mit § 45 Abs. 1 Nr. 2 EnWG
seien lediglich Einrichtungen angesprochen, die mit planfestgestellten oder
plangenehmigten Anlagen im Zusammenhang stehen, für welche also eine ent-
eignungsrechtliche Vorwirkung eines Planfeststellungsbeschlusses oder einer
Plangenehmigung bestehe, die Einrichtung aber selbst von der Konzentrati-
onswirkung der Planfeststellung nicht erfasst werde, greift dies nicht durch. Ins-
besondere die historische Auslegung der Norm spricht gegen die Auffassung
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der Beteiligten zu 1. Sowohl die Enteignungsregelung im Gesetz zur Förderung
der Energiewirtschaft vom 13. Dezember 1935 (RGBl. I S. 1451) in § 11 EnWG
1935 als auch die durch das Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschafts-
rechts vom 24. April 1998 (BGBl. I S. 730) neu gefasste Folgebestimmung in
§ 12 EnWG 1998 ermöglichten die Entziehung oder die Beschränkung von
Grundeigentum oder von Rechten am Grundeigentum im Wege der Enteig-
nung, soweit sie für Vorhaben zum Zwecke der Energieversorgung erforderlich
waren. Eine aus der Planfeststellung erwachsende enteignungsrechtliche Vor-
wirkung wurde nicht vorausgesetzt. Die Unterscheidung in der Enteignungsre-
gelung zwischen festgestellten und genehmigten Vorhaben und sonstigen Vor-
haben wurde erst durch das Gesetz vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1950) in § 12
Abs. 1 Nr. 1 und 2 EnWG 2001 eingeführt. Sie erfolgte lediglich zur Ergänzung
der zugleich mit diesem Gesetz eingeführten Bestimmung des § 11a EnWG
2001, die erstmals für bestimmte Leitungsvorhaben ein bundeseinheitliches
Zulassungsverfahren anordnete. Eine Beschränkung der Möglichkeit, fremdes
Grundeigentum zur Sicherstellung der Versorgung mit Elektrizität und Gas zu
enteignen, war mit dem neu eingeführten Planfeststellungs- und Plangenehmi-
gungsverfahren nicht verbunden. Enteignungen sollten sowohl für Vorhaben, für
die nach § 11a EnWG 2001 ein Plan festgestellt oder genehmigt war, als auch
für sonstige Vorhaben im Interesse einer möglichst sicheren, preisgünstigen
und umweltverträglichen Energieversorgung zulässig sein (Begründung des
Gesetzentwurfs der Bundesregierung BT-Drucks. 14/4599 S. 162). An diesem
Regelungskonzept hat sich durch das Zweite Gesetz zur Neuregelung des
Energiewirtschaftsrechts vom 7. Juli 2005 (BGBl. I S. 1970), durch das die Ent-
eignungsvorschrift des § 12 EnWG 2001 lediglich in § 45 EnWG 2005 über-
nommen wurde, nichts geändert (BT-Drucks. 15/3917 S. 67).
- 13 -
Im Gegensatz zur Auffassung der Beteiligten zu 1 kann § 45 Abs. 1 Nr. 2
EnWG auch nicht generell die Eignung abgesprochen werden, als Rechts-
grundlage für die Enteignung zugunsten eines privaten Energieversorgungsun-
ternehmens zu dienen. Solches wird diskutiert im Hinblick auf eine Enteignung
zur Errichtung von Energieerzeugungsanlagen (Hermes in Britz/Hellermann/
Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, 3. Aufl., § 45 Rn. 25; ders. in Schneider/
Theobald, Recht der Energiewirtschaft, 4. Aufl., § 10 Rn. 43). Bei der Revision
der Beteiligten zu 1 geht es jedoch bei der Grunddienstbarkeit für die Kabelt-
rasse um den Anschluss der Energieversorgungsanlage, hier der Windkraftan-
lage, an das Netz. Dass eine solche Enteignung in den verfassungsrechtlich
gezogenen Grenzen grundsätzlich möglich ist - und zwar auch dann, wenn die
betreffenden Leitungen ausschließlich dazu dienen, den von einem Energieer-
zeuger gewonnenen Strom in das allgemeine Netz einzuleiten - wird im Schrift-
tum nicht in Abrede gestellt (Hermes aaO § 45 Rn. 19 sowie § 10 Rn. 32).
Das Bundesverfassungsgericht hat schon mehrfach die überragende
Bedeutung der Sicherung der Energieversorgung für das Gemeinwohl betont.
Es hat dabei die Sicherung der Energieversorgung durch geeignete Maßnah-
men als öffentliche Aufgabe von größter Bedeutung bezeichnet und die Ener-
gieversorgung zum Bereich der Daseinsvorsorge gerechnet, deren Leistung der
Bürger zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz unumgänglich bedarf.
Die ständige Verfügbarkeit ausreichender Energiemengen ist zudem eine ent-
scheidende Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit der gesamten Wirtschaft
(vgl. BVerfGE 134, 242 Rn. 286 mwN).
2.
Es lässt sich allerdings zum derzeitigen Zeitpunkt nicht feststellen, dass
die Enteignung dem Wohl der Allgemeinheit dient.
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a) § 45 Abs. 1 EnWG ist im Lichte der Ausstrahlungswirkung des Art. 14
GG auszulegen, da er in den Schutzbereich des durch Art. 14 GG geschützten
Eigentumsrechts eingreift. Zwar kann die Beteiligte zu 1 als juristische Person
des öffentlichen Rechts grundsätzlich nicht den Grundrechtsschutz aus Art. 14
GG beanspruchen (BVerfGE 98, 17, 47). Der fehlende Eigentumsschutz des
Verfassungsrechts hindert den einfachen Gesetzgeber aber nicht, juristische
Personen des öffentlichen Rechts einfachrechtlich die gleichen Eigentumsrech-
te einzuräumen (vgl. BVerfGE aaO; Maunz/Dürig/Papier, GG, 71. Ergänzungs-
lieferung [2014] Art. 14 Rn. 212). Da § 45 Abs. 1 EnWG nicht zwischen der
Enteignung privater und inländischer juristischer Personen des öffentlichen
Rechts unterscheidet, sind die Eingriffsvoraussetzungen gleich, womit die in-
ländische juristische Person des öffentlichen Rechts von den Ausstrahlungswir-
kungen des Art. 14 GG auf die einfachrechtliche Norm (mittelbar) profitiert.
b) Eine Enteignung dient nur dann dem Wohl der Allgemeinheit und ist
auch nur dann gesetzmäßig, wenn das Vorhaben, das verwirklicht werden soll,
mit dem geltenden Recht vereinbar ist (vgl. BVerfG, NVwZ 2008, 775 Rn. 10;
BVerwGE 77, 86, 91). Dies bedingt, dass eine Enteignung nur für ein Vorhaben
zulässig ist, für das die notwendigen Gestattungen und Genehmigungen vorlie-
gen oder bei dem es zumindest keinem ernsthaften Zweifel unterliegen kann,
dass etwaige erforderliche Genehmigungen erteilt werden.
Die Errichtung und der Betrieb der acht Windkraftanlagen, deren Anbin-
dung an das allgemeine Stromnetz der alleinige Zweck der Kabeltrassen ist,
bedürfen einer Genehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz. Ohne
eine solche Genehmigung ist nicht nur die Errichtung der Windkraftanlagen
rechtswidrig; auch die Verlegung der Kabeltrasse kann in einem solchen Falle
nicht mehr dem Wohl der Allgemeinheit dienen, da ihr einziger Zweck darin be-
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steht, die Anlagen an das allgemeine Stromnetz anzubinden. Diese Genehmi-
gung ist vorliegend erteilt worden; sie hat aber bisher noch keine Bestandskraft
erlangt, weil das hierauf bezogene verwaltungsgerichtliche Verfahren ausge-
setzt ist.
Zwar ist entgegen der Auffassung der Revision der Beteiligten zu 1 der
(bestandskräftige) Abschluss des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungs-
verfahrens keine unabdingbare Voraussetzung für eine Enteignung. Dem Wort-
laut des § 45 Abs. 1 Nr. 2 EnWG lässt sich eine derartige Einschränkung nicht
entnehmen. Insoweit besteht ein Unterschied zu § 45 Abs. 1 Nr. 1 EnWG, wo-
nach ohne das Vorliegen einer Planfeststellung oder Plangenehmigung keine
Enteignung möglich ist, der sich dadurch erklären lässt, dass einer Planfeststel-
lung oder einer Plangenehmigung enteignungsrechtliche Vorwirkung zukommt,
die eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung trotz der Konzentrationswir-
kung gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2, § 13 BImSchG nicht hat. Dies bedeutet jedoch
nicht, dass die Frage der Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens bei der Prü-
fung der Voraussetzungen für eine Enteignung vernachlässigt werden darf. In-
soweit ist bei der Gesetzesauslegung die Ausstrahlungswirkung des Art. 14 GG
zu berücksichtigen. Dabei ist insbesondere in den Blick zu nehmen, dass eine
Enteignung zugunsten eines privaten Dritten nur dann erfolgen darf, wenn ge-
währleistet ist, dass der im Allgemeininteresse liegende Zweck der Maßnahme
erreicht und dauerhaft gesichert wird (vgl. BVerfGE 74, 264, 285 ff).
Diese Anforderungen können bei genehmigungsbedürftigen Vorhaben
grundsätzlich nur dann ohne Weiteres als erfüllt angesehen werden, wenn die
erforderlichen öffentlich-rechtlichen Genehmigungen bestandskräftig vorliegen.
Ist eine erforderliche Genehmigung noch nicht erteilt, so kann einem Enteig-
nungsantrag nur dann stattgegeben werden, wenn die Enteignungsbehörde in
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eigenverantwortlicher Prüfung zu dem Ergebnis kommt, dass dem Vorhaben
keine öffentlich-rechtlichen Hindernisse entgegenstehen (vgl. BayVGH, NVwZ
2003, 1534, 1537). Ist wie hier eine notwendige Genehmigung angefochten,
aber für sofort vollziehbar erklärt worden, so kann - sofern das Gesetz nichts
anderes vorschreibt, wie dies bei Planfeststellungsbeschlüssen vielfach der Fall
ist (vgl. nur § 26 ThürEG) - diese "bloß vorläufig" erteilte Genehmigung dem
insoweit (unbeschadet einer möglichen Rückenteignung) "endgültigen" Enteig-
nungsverfahren nicht unbesehen als von vorneherein verbindlich zugrunde ge-
legt werden. Vielmehr hat die Enteignungsbehörde auch in einem solchen Fall
eigenverantwortlich darüber zu befinden, ob die gegen die Genehmigung erho-
benen Einwände durchgreifen. Dabei versteht es sich, dass bei dieser Prüfung
den im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens gemachten Aus-
führungen der Verwaltungsgerichte zu den Erfolgsaussichten der anhängig ge-
machten Anfechtungsklage besonderes Gewicht zukommt. Haben die Verwal-
tungsgerichte einen Aspekt nicht erörtert - wie etwa vorliegend die vom Beru-
fungsgericht ausführlich diskutierte Frage der wegemäßigen Erschließung der
Windkraftanlagen (vgl. § 35 Abs. 1 BauGB), die (möglicherweise) ohne die be-
gehrte Wegedienstbarkeit nicht zu bewerkstelligen ist -, so ist es Aufgabe der
Enteignungsbehörde, dies im Enteignungsverfahren abzuklären.
Diesen Anforderungen genügt der im hiesigen Verfahren angefochtene
Enteignungsbeschluss nicht. Er hat sich mit der Feststellung begnügt, dass die
immissionsschutzrechtliche Genehmigung sofort vollziehbar ist. Auch das Beru-
fungsgericht hat sich einer eigenen Stellungnahme zur Frage der immissions-
schutzrechtlichen Genehmigungsfähigkeit des Windparks ausdrücklich enthal-
ten.
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3.
Darüber hinaus liegen die Voraussetzungen für die Enteignung aber
auch deshalb nicht vor, weil die Feststellungen des Thüringer Ministeriums für
Wirtschaft, Technologie und Arbeit zur Erforderlichkeit des Vorhabens und zur
Zulässigkeit der Enteignung nicht den gesetzlichen Anforderungen entspre-
chen.
a) Die Feststellung der Zulässigkeit der Enteignung durch das damalige
Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Technologie und Arbeit ist im gerichtlichen
Verfahren überprüfbar. Zu § 12 EnWG 1998 hat das Bundesverwaltungsgericht
ausgeführt, dass die Entscheidung über den energiewirtschaftlichen Bedarf kei-
ne enteignungsrechtliche Vorwirkung zu Lasten betroffener Grundeigentümer
auslöse. Sie ergehe unbeschadet der Rechte privater Dritter und sei ihnen ge-
genüber nicht unmittelbar rechtsverbindlich. Etwaige Mängel der Bedarfsfest-
stellung schlügen jedoch auf das nachfolgende Enteignungsverfahren durch.
Nach außen habe die Enteignungsbehörde für deren Rechtmäßigkeit einzu-
stehen. Übernehme die Enteignungsbehörde eine fehlerhafte Bedarfsfeststel-
lung, ohne erreicht zu haben, dass der Mangel behoben werde, so übertrage
sie den Fehler in die nach außen verbindliche abschließende Enteignungsent-
scheidung. Deren verwaltungsgerichtliche Überprüfung schließe die Frage nach
der Rechtmäßigkeit der Bedarfsfeststellung mit ein (vgl. BVerwGE 116, 365,
376). Diese Grundsätze gelten auch für die Entscheidung über die Zulässigkeit
der Enteignung nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 EnWGDas Berufungsgericht hat des-
halb rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Zulässigkeitsentscheidung über die
Enteignung nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 EnWG der gerichtlichen Kontrolle unterliegt.
Diese ist dabei jedoch in der Weise beschränkt, als die Entscheidung
darüber, ob eine Maßnahme mehr schadet als nutzt oder ob das Vorhaben in
geeigneter Weise auch anders verwirklicht werden könnte, wertende Einschät-
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zungen, Prognosen und Abwägungen voraussetzt, die vom Gericht nicht durch
eigene zu ersetzen, sondern als rechtmäßig hinzunehmen sind, soweit sie me-
thodisch einwandfrei zustande gekommen und in der Sache vernünftig sind
(vgl. BVerwGE 72, 365, 367).
b) Die Feststellung der Erforderlichkeit der Enteignung durch das Thürin-
ger Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie, vorliegend sei der Zugriff
auf die im Eigentum der Beteiligten zu 1 stehenden Grundstücke zur Errichtung
der streitgegenständlichen Kabeltrasse energiewirtschaftlich notwendig, hält im
Gegensatz zur Auffassung des Berufungsgerichts der rechtlichen Nachprüfung
nicht stand.
aa) Die Erforderlichkeit nach § 45 Abs. 1 EnWG ist unter Berücksichti-
gung der Ausstrahlungswirkung des Art. 14 GG auszulegen. Eine Enteignung
nach Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG kommt nur in Betracht, wenn sie zur Erfüllung
der öffentlichen Aufgabe (hier: Versorgungszweck) unumgänglich erforderlich
ist (BVerfGE 38, 175, 180). Die Enteignung ist mithin ultima ratio. Sie ist etwa
dann nicht zulässig, wenn der Zweck auch durch einen die Ziele des Gesetzes
wahrenden (z.B. in Bezug auf Kostengünstigkeit oder Umweltschutz) rechtsge-
schäftlichen Erwerb erreicht werden kann (vgl. Theobald in Danner/Theobald,
Energierecht, 81. Ergänzungslieferung [2014], § 45 Rn. 32). Die bloße Sinnhaf-
tigkeit, Nützlichkeit oder Geeignetheit genügt nicht (Rosin in Büdenbender/
Heintschel v. Heinegg, Energierecht 1, Recht der Energieanlagen, 1999,
Rn. 1864). Die Erforderlichkeit ist dabei stets im alternativen Vergleich zu be-
gründen. Gibt es weniger einschneidende Maßnahmen, die das gleiche Ziel
erreichen, ist eine Enteignung nicht erforderlich (vgl. Salje, Energiewirtschafts-
gesetz, 2006, § 45 Rn. 43).
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Nach dem noch zu § 11 EnWG 1935/§ 12 EnWG 1998 ergangenen, den
Bau einer 110 kV-Stromfreileitung betreffenden Grundsatzurteil des Bundes-
verwaltungsgerichts vom 11. Juli 2002 (BVerwGE 116, 365) ist ein Leitungsvor-
haben energiewirtschaftlich erforderlich, wenn es eine vorhandene Versor-
gungslücke schließen soll oder wenn es der Versorgungssicherheit dient. Eine
Versorgungslücke besteht, wenn der Energiebedarf in einem Versorgungsraum
gegenwärtig oder in absehbarer Zeit nicht ausreichend gedeckt werden kann.
Besteht ein Energiebedarf, ist zu fragen, ob technische Alternativen der Be-
darfsdeckung bestehen, die das Leitungsvorhaben erübrigen. Die Versorgungs-
sicherheit ist zum Beispiel gefährdet, wenn der Ausfall einer Stromleitung (oder
eines Kraftwerks) im Versorgungsraum nicht sicher beherrscht werden kann.
Auch hier stellt sich die Frage, ob technische Alternativen zur Herstellung der
Versorgungssicherheit ein Leitungsvorhaben überflüssig machen. Kann ein
Energiebedarf im Wege der Durchleitung gedeckt werden, bedarf es (infolge
des durch § 6 EnWG 1998 eröffneten Wettbewerbs beim Netzzugang) nicht des
Neubaus einer Freileitung (vgl. BVerwG aaO S. 376 f). Es ist eine umfassende
Erforderlichkeitsprüfung unter Berücksichtigung der gesamten Versorgungssi-
tuation vorzunehmen. Deshalb sind sämtliche Versorgungsalternativen in diese
Prüfung mit einzubeziehen (Hermes in Schneider/Theobald aaO § 10 Rn. 54).
Allein der Gesichtspunkt der dezentralen Versorgung kann die Erforderlichkeit
einer Enteignung im Sinne des § 45 EnWG nicht rechtfertigen (vgl. Daiber, DÖV
1990, 961, 964). Die dezentrale Versorgung kann allerdings von Bedeutung
sein, wenn die Netzkapazitäten dadurch geschont werden und insbesondere
eine Importgefährdung damit vermieden werden kann.
Der Aspekt der Schließung einer Versorgungslücke beziehungsweise der
Schaffung von Versorgungssicherheit ist auch vorliegend von entscheidender
Bedeutung. Dabei ist zu beachten, dass es hier nicht etwa ausschließlich darum
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geht, die Einspeisung des von einem bestimmten (bestandskräftig genehmig-
ten) Kraftwerk erzeugten Stroms in das allgemeine Stromnetz sicherzustellen,
der Standort der Anlage also "vorgegeben" ist (vgl. zu einer solchen Konstella-
tion VG München, Beschluss vom 21. Februar 2008 - M 24 S 08.497, juris
Rn. 30 sowie BayVGH, Beschluss vom 3. März 2008 - 22 CS 08.537, juris
Rn. 3). Vielmehr ist, da es in dem vorliegenden Enteignungsverfahren neben
der Bestellung einer Kabeltrassen-Dienstbarkeit auch um die Belastung der im
Eigentum der Beteiligten zu 1 stehenden Grundstücke mit einer - der Erschlie-
ßung der Windkraftanlagen als solche dienenden - Wege-Dienstbarkeit geht,
bei der Prüfung der Enteignungsvoraussetzungen das "Gesamtvorhaben" in
den Blick zu nehmen.
bb) Diesen Anforderungen genügt die Zulassungsentscheidung des Thü-
ringer Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Technologie auch in der ergänzten
Fassung vom 23. September 2010 nicht. Mit ihr kann die Erforderlichkeit der
Enteignung und damit deren Zulässigkeit nicht begründet werden.
Eine Versorgungslücke besteht erst, wenn Energiebedarf in einem Ver-
sorgungsraum gegenwärtig und in absehbarer Zeit nicht ausreichend gedeckt
werden kann. Besteht ein solcher Bedarf, sind alle technischen Alternativen für
die Bedarfsdeckung in den Blick zu nehmen. Gegebenenfalls ist weiter zu fra-
gen, welche Importmöglichkeiten bestehen und welche Versorgungssicherheit
insoweit zu erwarten ist. Insoweit fehlen Ausführungen dazu, ob es im Lande
Thüringen weitere Gebiete gibt, in denen Windparks - oder auch andere Anla-
gen zur Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien (vgl. § 3 Abs. 1, 2 EEG) -
geschaffen werden können, für die eine Enteignung nicht erforderlich ist und die
ebenso geeignet sind, die in den ministeriellen Entscheidungen angesprochene
Stromlücke aufzufüllen. Die Darlegung, dass ein Großteil des in Thüringen ver-
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brauchten Stroms nicht im Land selbst gewonnen wird ("Erzeugungslücke"),
rechtfertigt nicht ohne Weiteres den Schluss auf das Bestehen einer Versor-
gungslücke, da der Strom möglicherweise genauso sicher und zuverlässig aus
anderen, außerhalb Thüringens stammenden Quellen bezogen werden kann.
Feststellungen dazu, dass ein Stromimport wegen der Leitungskapazitäten zu
Versorgungsengpässen führen könnte und deswegen eine dezentrale Strom-
versorgung von besonderer Bedeutung ist, und zwar insbesondere für das Ge-
meindegebiet der Beteiligten zu 1, werden in den ministeriellen Entscheidungen
nicht getroffen.
Der Umstand, dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien - auch und
vor allem der Windkraft - energiepolitische Priorität genießt und zwecks Einhal-
tung der gesetzlichen Zielvorgaben (vgl. § 1 Abs. 1 EnWG, § 1 Abs. 2 EEG)
beschleunigt erfolgen soll, rechtfertigt für sich genommen - also ohne den kon-
kreten Bezug zur Versorgungslage im betreffenden Gebiet und der Prüfung wei-
terer Versorgungsalternativen - nicht den Entzug von Grundeigentum für die
Errichtung und den Betrieb von Windkraftanlagen. Ebenso wenig vermag der
vom Ministerium betonte Aspekt, Erneuerbare Energien könnten allgemein we-
gen des sogenannten Merit-Order-Effekts den Strompreis reduzieren, eine Ent-
eignung gerade des Grundstücks der Beteiligten zu 1 für den hier vorgesehe-
nen Windpark zu rechtfertigen.
Insgesamt dringt daher die Beteiligte zu 1 mit ihrer Rüge durch, dass die
ministerielle Bedarfsfeststellung einen konkreten Bezug zum Enteignungsvor-
haben in weiten Teilen vermissen lasse.
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III.
Die Revision der Beteiligten zu 2 bleibt ohne Erfolg.
1.
Einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand hält jedoch die Auffassung des
Berufungsgerichts, die hier streitgegenständlichen Windenergieanlagen und
deren Zuwegung würden vom Anwendungsbereich des § 45 Abs. 1 Nr. 2
EnWG von vornherein nicht erfasst. Der Wortlaut des § 45 Abs. 1 Nr. 2 EnWG
ist weit gefasst und schließt ohne weiteres auch Energieerzeugungsanlagen mit
ein. Dabei ist insbesondere in den Blick zu nehmen, dass diese Formulierung
auf § 12 EnWG 1998 zurückzuführen ist, dem eine solche Beschränkung fremd
war. Eine Einschränkung des Anwendungsbereichs war - wie bereits erwähnt -
mit der Neuregelung in § 45 EnWG 2005 nicht beabsichtigt (vgl. BT-Drucks.
15/3917 S. 67). Eine Einschränkung des § 45 EnWG in der Weise, dass die
Voraussetzungen einer erforderlichen Genehmigung für das Enteignungsvor-
haben nicht in Zusammenschau mit einer geplanten Enteignung betrachtet
werden dürften, lässt sich ebenfalls dem Wortlaut und auch der Entstehungsge-
schichte der Norm nicht entnehmen.
2.
Wie bereits dargelegt scheitert die Enteignungsmaßnahme bezüg-
lich der Zuwegung aber daran, dass die Enteignungsvoraussetzungen hinsicht-
lich der erforderlichen bundesimmissionsschutzrechtlichen Genehmigung und
wegen Fehlens einer tragfähigen Zulässigkeitsentscheidung nicht vorliegen.
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- 23 -
IV.
Das Berufungsurteil ist auf die Revision der Beteiligten zu 1 teilweise
aufzuheben. Die Revision der Beteiligten zu 2 ist zurückzuweisen. Der Senat
kann in der Sache entscheiden, da diese entscheidungsreif ist (§§ 561, 562
Abs. 1, § 563 Abs. 3 ZPO).
Schlick
Wöstmann
Seiters
Remmert
Reiter
Vorinstanzen:
LG Meiningen, Entscheidung vom 07.03.2012 - BLK O 672/11 -
OLG Jena, Entscheidung vom 30.12.2013 - BI U 299/12 -
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