Urteil des BGH vom 18.08.2016

Leitsatzentscheidung zu Entschädigung, Bindungswirkung, Widerruf, Reiter

ECLI:DE:BGH:2016:180816BIIIZR325.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
III ZR 325/15
vom
18. August 2016
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO §§ 2, 3, 304, 544; EGZPO § 26 Nr. 8 Satz 1
a) Der Kläger ist nicht beschwert, soweit in einem Grundurteil ein Amtshaftungs-
anspruch verneint und der Klageanspruch zugleich aus dem Gesichtspunkt
einer angemessenen Entschädigung wegen enteignungsgleichen Eingriffs für
gerechtfertigt erklärt wird, wenn beide Ansprüche im konkreten Fall wirtschaft-
lich identisch sind.
b) Ein Zwischenurteil über den Grund beschwert den Kläger in Höhe eines ab-
gewiesenen Bruchteils oder insoweit, als es hinsichtlich des nachfolgenden
Betragsverfahrens eine für ihn negative Bindungswirkung auslöst. Ob Letzte-
res vorliegt, ist durch Auslegung der Urteilsformel unter Heranziehung der
Entscheidungsgründe zu ermitteln. Ausführungen, die ausschließlich die Höhe
des Anspruchs betreffen, sind im Grundurteil unzulässig und binden für das
Betragsverfahren nicht (Anschluss an BGH, Urteil vom 20. Dezember 2005
- XI ZR 66/05, NJW-RR 2007, 138).
BGH, Beschluss vom 18. August 2016 - III ZR 325/15 - OLG München
LG München I
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. August 2016 durch den
Vorsitzenden Richter Dr. Herrmann und die Richter Tombrink, Dr. Remmert und
Reiter sowie die Richterin Pohl
beschlossen:
Der Wert der Beschwer, zugleich Streitwert für das Beschwerde-
verfahren, wird auf bis 500 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz beziehungswei-
se Entschädigung aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung beziehungsweise
wegen enteignungsgleichen Eingriffs im Zusammenhang mit dem Widerruf und
der Nichtverlängerung einer rundfunkrechtlichen Sendegenehmigung. Das
Landgericht hat mit Teil-Grund- und Teil-Endurteil den Klageanspruch dem
Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, soweit er auf Entschädigung wegen ent-
eignungsgleichen Eingriffs gerichtet ist und auf dem Widerruf der Genehmi-
gung, befristet bis zum 30. September 2010, beruht, und die weitergehende
Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegten Berufungen beider Parteien hat
das Oberlandesgericht mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Klagean-
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spruch dem Grunde nach gerechtfertigt ist, soweit die Klägerin unter dem Ge-
sichtspunkt des enteignungsgleichen Eingriffs Entschädigung für den rechtswid-
rigen Widerruf der Sendelizenz begehrt; für die Durchführung des Betragsver-
fahrens hat es den Rechtstreit an das Landgericht zurückverwiesen.
Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin.
II.
Der Wert der mit der beabsichtigten Revision geltend zu machenden Be-
schwer der Klägerin (§ 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO) ist gemäß §§ 2, 3 ZPO ebenso
wie der Gegenstandswert des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens - ledig-
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mit der niedrigsten Wertstufe (bis 500 €) zu bemessen.
a) Maßgeblich ist der vom Rechtsmittelkläger darzulegende und gegebe-
nenfalls glaubhaft zu machende Wert des Interesses an der erstrebten Abände-
rung des Urteils (vgl. dazu bspw. Senatsbeschluss vom 26. November 2009
- III ZR 116/09, NJW 2010, 681, 682 Rn. 1; BGH, Beschlüsse vom 15. Oktober
2008 - IV ZR 31/08, VersR 2009, 562 Rn. 5 und vom 27. August 2009 - VII ZR
161/08, ZfBR 2010, 64; vgl. auch BGH, Beschluss vom 23. Juli 2015 - XI ZR
263/14, NJW 2015, 2816, 2817 Rn. 10).
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b) Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde greift die Klägerin das Beru-
fungsurteil insoweit an, als es (bezüglich des Widerrufs der Fernsehgenehmi-
gung) einen Schadensersatzanspruch aus Amtshaftung (§ 839 BGB i.V.m.
Art. 34 GG) verneint hat. Sie rügt des Weiteren, dass sich aus dem Berufungs-
urteil hinsichtlich der Berücksichtigung der Nichtverlängerung der Sendeerlaub-
nis bei der Bemessung der angemessenen Entschädigung eine negative fakti-
sche Bindungswirkung für das Betragsverfahren vor dem Landgericht ergebe.
Für beide Punkte hat die Klägerin indessen eine Beschwer nicht dargelegt.
aa) Die Ablehnung eines Schadensersatzanspruchs aus Amtshaftung
beschwert die Klägerin nach Lage des Falles nicht.
Zwar bleibt die einem Betroffenen nach den Grundsätzen des enteig-
nungsgleichen Eingriffs zu gewährende angemessene Entschädigung regel-
mäßig hinter der Höhe eines Schadensersatzanspruchs zurück (s. etwa Senats-
beschluss vom 25. November 1991 - III ZR 13/91, BeckRS 1991, 31064294;
Krohn/Löwisch, Eigentumsgarantie, Enteignung, Entschädigung, 3. Aufl.,
Rn. 250). Dies ist jedoch nicht stets der Fall; beide Ansprüche - auf angemes-
sene Entschädigung und auf Schadensersatz - können auch wirtschaftlich iden-
tisch sein (s. z.B. Senatsbeschluss vom 26. November 2009 aaO Rn. 7; Krohn/
Löwisch aaO).
So liegt es hier. Die Klägerin hat sowohl in erster Instanz (Klageschrift,
S. 5, 39) als auch in zweiter Instanz (Schriftsatz vom 24. Februar 2015, S. 16)
geltend gemacht, dass sich ihr auf Ersatz des Substanzwerts der Sendege-
nehmigung gerichtetes Zahlungsbegehren in jeweils voller Höhe sowohl aus
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einem Anspruch auf angemessene Entschädigung wegen enteignungsgleichen
Eingriffs als auch aus einem Schadensersatzanspruch wegen Amtshaftung
rechtfertige; beide Ansprüche seien "deckungsgleich" und führten zum selben
Ergebnis. Diese Ansicht ist, soweit es - wie hier - um den reinen "Substanzwert"
geht, zutreffend. Abweichendes führt die Beschwerdebegründung nicht aus.
Insbesondere lässt sie nicht erkennen, dass und in welchem Umfang vorliegend
eine wertmäßige Differenz zwischen den beiden Ansprüchen bestehen könnte.
Vor diesem Hintergrund ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich, inwie-
fern die Klägerin durch die Ablehnung des Amtshaftungsanspruchs unter
gleichzeitiger Zuerkennung des Entschädigungsanspruchs beschwert ist.
bb) Auch soweit die Klägerin in Bezug auf die Berücksichtigung der
Nichtverlängerung der Sendeerlaubnis bei der Bemessung der angemessenen
Entschädigung wegen enteignungsgleichen Eingriffs eine negative faktische
Bindungswirkung des Berufungsurteils für das Betragsverfahren vor dem Land-
gericht rügt, liegt keine Beschwer zugrunde.
Ein Zwischenurteil über den Grund (§ 304 ZPO) beschwert den Kläger in
Höhe eines abgewiesenen Bruchteils oder insoweit, als es hinsichtlich des
nachfolgenden Betragsverfahrens eine für ihn negative Bindungswirkung (§ 318
ZPO) auslöst (Senatsbeschluss vom 26. November 2009 aaO Rn. 6); ob Letzte-
res vorliegt, ist durch Auslegung der Urteilsformel unter Heranziehung der Ent-
scheidungsgründe zu ermitteln (s. Senatsurteil vom 17. Oktober 1985 - III ZR
105/84, juris Rn. 17; BGH, Urteile vom 20. Dezember 2005 - XI ZR 66/05,
NJW-RR 2007, 138, 139 Rn. 17; vom 14. Juli 2011 - VII ZR 142/09, NJW 2011,
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3242, 3243 Rn. 16 f und vom 20. Mai 2014 - VI ZR 187/13, NJW-RR 2014,
1118, 1119 f Rn. 17 f mwN). Ausführungen, die ausschließlich die Höhe des
Anspruchs betreffen, sind im Grundurteil unzulässig und binden für das Be-
tragsverfahren nicht (BGH, Urteil vom 20. Dezember 2005 aaO Rn. 18). Der
(etwaige) Anschein einer Bindungswirkung, der von einem in unzulässiger Wei-
se die Höhe des Schadens behandelnden Grundurteil ausgehen kann, rechtfer-
tigt die Zulässigkeit eines Rechtsmittels nicht; der Rechtsmittelkläger kann sei-
ne gegenteilige Auffassung im Betragsverfahren weiterverfolgen, so dass kein
Anlass besteht, ihm gegen das Grundurteil, das ihn tatsächlich nicht beschwert,
eine zusätzliche Anfechtungsmöglichkeit zu eröffnen (BGH, Urteil vom 20. De-
zember 2005 aaO Rn. 19).
Im vorliegenden Fall fehlt es sowohl an der Abweisung eines Bruchteils
des Klageanspruchs als auch an der gerügten negativen (faktischen) Bin-
dungswirkung. Das Berufungsgericht hat - trotz Andeutung sachlicher Zweifel -
unmissverständlich, eindeutig und in der Sache zutreffend zum Ausdruck ge-
bracht, dass es sich aus prozessualen Gründen daran gehindert sehe, für das
Betragsverfahren bindende Vorgaben zu machen, ob und in welchem Umfang
die Nichtverlängerung der Genehmigung über den zuletzt geltenden Zeitraum
(bis zum 30. September 2010) hinaus bei der Bemessung der angemessenen
Entschädigung für den rechtswidrigen Widerruf zu berücksichtigen sei. Dem-
entsprechend hat es die im Tenor des erstinstanzlichen Grundurteils enthaltene
Frist (bis zum 30. September 2010) ersatzlos wegfallen lassen. Abgesehen da-
von würden Ausführungen, die ausschließlich die Höhe des Anspruchs betref-
fen, für das Betragsverfahren keine Bindungswirkung entfalten.
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Eine Beschwer der Klägerin ergibt sich mithin nicht.
Herrmann
Tombrink
Remmert
Reiter
Pohl
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 26.02.2014 - 15 O 27992/12 -
OLG München, Entscheidung vom 24.09.2015 - 1 U 1041/14 -
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