Urteil des BGH vom 07.05.2015

Leitsatzentscheidung zu Leistungserbringer, Öffentlich, Einfache Anfrage, Schuldbeitritt

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 304/14
Verkündet am:
7. Mai 2015
P e l l o w s k i
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
BGB §§ 286 ff, 414; SGB XII §§ 61, 65, 75 Abs. 3
a) Indem der Sozialhilfeträger der Zahlungsverpflichtung des Hilfeempfängers ge-
genüber dem Leistungserbringer (hier: ambulanter Pflegedienst) durch Kosten-
übernahmebescheid beitritt, wandelt sich die zivilrechtliche Schuld aus dem
zwischen dem Hilfeempfänger und dem Leistungserbringer geschlossenen
Dienstleistungsvertrag nicht in eine öffentlich-rechtliche um (im Anschluss an
BSGE 102, 1). Der Schuldbeitritt teilt seinem Wesen nach die Rechtsnatur der
Forderung, zu der er erklärt wird (im Anschluss an Senatsurteile vom 22. Juni
1978 - III ZR 109/76, BGHZ 72, 56 und vom 6. November 2008 - III ZR 279/07,
BGHZ 178, 243).
b) Entsprechend der zivilrechtlichen Natur des Anspruchs, zu dem der Schuldbei-
tritt erklärt wird, sind die §§ 286 ff BGB anwendbar, wenn der Sozialhilfeträger
die übernommene Zahlungsverpflichtung verspätet erfüllt.
BGH, Urteil vom 7. Mai 2015 - III ZR 304/14 - LG Berlin
AG Berlin-Köpenick
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 7. Mai 2015 durch den Vizepräsidenten Schlick und die Richter Seiters,
Tombrink, Dr. Remmert und Reiter
für Recht erkannt:
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil der Zivilkammer 49
des Landgerichts Berlin vom 17. September 2014 wird zurückge-
wiesen.
Die Kosten des Revisionsrechtszugs hat der Beklagte zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin nimmt das beklagte Land auf Zahlung von Verzugszinsen
sowie Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten im Zusammenhang mit
der Erbringung ambulanter Pflegeleistungen in Anspruch.
Die Klägerin betreibt einen ambulanten Pflegedienst und hatte mit den
Pflegebedürftigen G. D. , E. T. und G. E.
privatrechtliche Verträge über die Erbringung ambulanter Pflegeleistungen ge-
schlossen. Der Beklagte übernahm als Träger der Sozialhilfe jeweils durch
Bescheid gegenüber den Pflegebedürftigen die Kosten der erbrachten Pflege-
leistungen. Eine Kopie der Bescheide erhielt die Klägerin zur Kenntnisnahme.
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Mit Schreiben vom 24. Juni 2003 erklärte die Klägerin den Beitritt zu der
Vereinbarung nach § 93 Abs. 2 BSHG zwischen dem Beklagten und den Ver-
bänden der Träger von ambulanten Pflegeeinrichtungen vom 4. Oktober 1996
über die Erbringung von Leistungen der Haushilfe und der Hauspflege nach
§ 11 Abs. 3, §§ 68 ff, 70 BSHG. § 8 der Vereinbarung lautet wie folgt:
"Zahlungsverfahren
Die Abrechnung erfolgt kalendermonatlich. Die Rechnungen sind beim
zuständigen Bezirksamt innerhalb von zwei Monaten nach Leistungser-
bringung einzureichen.
Die Bezahlung von nicht zu beanstandenden Rechnungen soll innerhalb
von drei Wochen nach Eingang erfolgen …
Sollte in begründeten Fällen eine Zahlung innerhalb der genannten Fris-
ten nicht möglich sein, leistet das zuständige Bezirksamt eine Ab-
schlagszahlung von 80 %, bezogen auf den Betrag der Vormonatsrech-
nung.
Im Übrigen gelten die in der Rahmenvereinbarung nach § 75 Abs. 1 und
2 SGB XI getroffenen Regelungen."
Die Klägerin ist des weiteren Mitglied im Anbieterverband qualitätsorien-
tierter Gesundheitspflegeeinrichtungen e.V. (vormals Arbeitgeberverband im
Gesundheitswesen e.V.). Zwischen diesem, den Landesverbänden der Pflege-
kassen und dem Beklagten wurde am 15. November 2006 ein Rahmenvertrag
gemäß § 75 Abs. 1 und 2 SGB XI zur ambulanten pflegerischen Versorgung
abgeschlossen. Dieser Vertrag enthält in § 17 Regelungen zum Abrechnungs-
verfahren:
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"(7)
Die Abrechnung der Pflegeleistungen erfolgt kalendermonatlich.
Die Rechnungen sind bei der Pflegekasse oder einer von ihr be-
nannten Abrechnungsstelle in der Regel innerhalb von zwei Mona-
ten nach Leistungserbringung einzureichen. Die Bezahlung der
ordnungsgemäß erstellten Rechnungen erfolgt spätestens inner-
halb von 14 Tagen nach Eingang bei der Pflegekasse oder der
von der Pflegekasse benannten Abrechnungsstelle …
(8)
Näheres zur Abrechnung und Zahlungsweise, insbesondere Zeit-
punkt der Rechnungsstellung, Abweichung bei Schlussrechnun-
gen, Zahlung von Abschlägen und Verfahren bei Überschreitung
der vereinbarten Fristen vereinbaren ggf. die Partner dieses Rah-
menvertrages. Es bleibt den Pflegekassen und Pflegediensten
vorbehalten, spezifische Regelungen zur Abrechnung und Zah-
lungsweise nach rechtzeitiger Rücksprache miteinander zu ver-
einbaren."
Die gegenüber den Hilfeempfängern erbrachten Pflegeleistungen stellte
die Klägerin wie folgt in Rechnung:
E. :
Rechnung vom 9. September 2012 in Höhe von 325,38 €
T. :
Rechnung vom 4. November 2012 in Höhe von 81,
48 €
D. :
Zwei Rechnungen vom 6. November 2012 in Höhe von 39,57 €
beziehungsweise 283,47 €.
Da der Beklagte ohne Angabe von Gründen keine Zahlungen leistete,
forderte ihn die Klägerin mit Mahnschreiben vom 30. Oktober 2012 (E. ) und
28. Dezember 2012 (D. , T. ) auf, den jeweiligen Rechnungsbe-
trag unverzüglich zu überweisen. Nachdem auch weitere Mahnungen erfolglos
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blieben, verlangte die Klägerin mit gesonderten Anwaltsschreiben vom 27. Feb-
ruar 2013 Zahlung bis zum 9. März 2013. Zugleich machte sie Verzugszinsen
sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten geltend.
Am 25. März 2013 beglich der Beklagte die offenen Rechnungsbeträge
(ohne Verzugszinsen und Rechtsanwaltskosten).
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Zahlung von Verzugszinsen
aus den jeweiligen Rechnungsbeträgen für den Zeitraum ab 30 Tagen nach
Rechnungszugang bis zum 25. März 2013 in Höhe von insgesamt 13,46 € so-
wie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von insgesamt
213,49
€ nebst Prozesszinsen.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die zugelassene Beru-
fung hat das Landgericht der Klage in vollem Umfang stattgegeben.
Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Be-
klagte die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten hat keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im We-
sentlichen ausgeführt:
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Da der Beklagte die unstreitigen Rechnungen erst am 25. März 2013 und
damit nach Ablauf der in den Verbandsverträgen bestimmten Fristen beglichen
habe, stünden der Klägerin die geltend gemachten Verzugszinsen gemäß § 286
Abs. 2, 3, § 288 BGB zu. Die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs seien
anwendbar. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (grundlegend
BSGE 102, 1) bewirke die Übernahme der Pflegekosten durch Bescheid des
Sozialhilfeträgers als Verwaltungsakt mit Drittwirkung eine Schuldübernahme in
Form eines Schuldbeitritts. Der Sozialhilfeträger trete auf diese Weise als Ge-
samtschuldner in Höhe der bewilligten Leistungen an die Seite des Sozialhilfe-
empfängers. Durch den Schuldbeitritt mutiere die Schuld, zu der beigetreten
werde und die aus dem privatrechtlichen Pflegevertrag resultiere, nicht zu einer
öffentlich-rechtlichen. Vielmehr teile der Anspruch des Leistungserbringers ge-
gen den Sozialhilfeträger die zivilrechtliche Rechtsnatur der Forderung.
Die Verzugsvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs seien auch nicht
durch die Verbandsverträge abbedungen worden. Während in dem Vertrag vom
4. Oktober 1996 nicht einmal eine feste Zahlungsfrist vorgesehen sei, bestimme
die Rahmenvereinbarung vom 15. November 2006 lediglich eine bestimmte
Frist von 14 Tagen nach Rechnungseingang. Weitergehende vertragliche Re-
gelungen fehlten. Insbesondere seien die gesetzlichen Verzugsfolgen nicht
ausgeschlossen worden.
Entgegenstehende gesetzliche Regelungen seien ebenfalls nicht ersicht-
lich. Im Sozialrecht befassten sich nur wenige Vorschriften mit Fragen der Ver-
zinsung. Keine dieser Bestimmungen sei einschlägig. Sozialrechtliche Vor-
schriften seien auf die vorliegenden Pflegeverträge ohnehin nicht anwendbar,
da diese privatrechtlicher Natur seien.
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Der Klägerin stehe auch ein Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen
Anwaltskosten aus § 280 Abs. 1 BGB zu. Der Beklagte sei mit der Bezahlung
der Rechnungen in Verzug geraten. Die Einschaltung eines Rechtsanwalts sei
erforderlich und zweckmäßig gewesen. Der Anspruch bestehe auch in der gel-
tend gemachten Höhe. Es habe sich um verschiedene Angelegenheiten im Sin-
ne von § 15 RVG gehandelt. Die Klägerin habe daher zu jedem Pflegebedürfti-
gen separat abrechnen dürfen. Es habe auch die Regelgebühr von 1,3 nach
Nr. 2300 VV RVG angesetzt werden dürfen, da der zu beurteilende Sachverhalt
nicht einfach gewesen sei. Die geltend gemachten Prozesszinsen ergäben sich
aus § 291 BGB.
II.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung stand.
Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläge-
rin Verzugszinsen nach § 288 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB zu-
stehen und sie gemäß § 280 Abs. 1, 2, § 286 BGB die vorgerichtlichen Rechts-
anwaltskosten in der geltend gemachten Höhe verlangen kann.
1.
Die Verzugsvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs, insbesondere
§§ 286 ff BGB, gelten auch, soweit der Beklagte als Sozialhilfeträger der Zah-
lungsverpflichtung der Hilfeempfänger aus den privatrechtlichen Pflegeverträ-
gen durch Bewilligungsbescheide beigetreten ist (kumulative Schuldübernah-
me).
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a) Das Leistungserbringungsrecht der Sozialhilfe ist im Bereich der pfle-
gerischen Versorgung durch das so genannte sozialhilferechtliche Dreiecksver-
hältnis geprägt, das die wechselseitigen Rechtsbeziehungen zwischen dem
Träger der Sozialhilfe, dem Leistungsberechtigten (Hilfeempfänger) und dem
Leistungserbringer (Pflegedienst) sinnbildlich darstellt (grundlegend BSGE 102,
1 Rn. 15 ff).
aa) Zwischen dem bedürftigen Hilfeempfänger und dem Sozialhilfeträger
besteht ein öffentlich-rechtliches Leistungsverhältnis (Grundverhältnis), das sich
nach den Vorschriften des SGB XII beurteilt. Die Entscheidung über die Gewäh-
rung von Sozialhilfeleistungen ergeht durch Verwaltungsakt. Das Grundverhält-
nis ist Fundament und rechtlicher Maßstab für die übrigen Rechtsbeziehungen
(Ausstrahlungswirkung). Im Rahmen des Grundverhältnisses stehen dem Sozi-
alhilfeempfänger keine Primäransprüche auf Zahlung entstehender oder ent-
standener Kosten an sich selbst zu; er kann vom Sozialhilfeträger ausschließ-
lich die Übernahme dieser Kosten (Sachleistungsverschaffungspflicht) in Form
der Zahlung an den Leistungserbringer verlangen (Jaritz/Eicher, jurisPK-SGB
XII, 2. Aufl., § 75 SGB XII Rn. 32, 38; Eicher, SGb 2013, 127, 128).
bb) Der Kostenübernahmeanspruch des Leistungsempfängers gegen-
über dem Sozialhilfeträger setzt voraus, dass zwischen dem bedürftigen Hilfe-
empfänger und dem Leistungserbringer ein zivilrechtlicher Vertrag geschlossen
wird, auf Grund dessen ein Anspruch auf Erbringung von Betreuungs-, Hilfe-
und Förderleistungen sowie gegebenenfalls Unterkunft und Verpflegung besteht
(privatrechtliches Erfüllungsverhältnis). Im Gegenzug ist der bedürftige Hilfe-
empfänger zur Zahlung des vertraglich vereinbarten Entgelts verpflichtet. Die
gegenüber dem Leistungserbringer bestehende Zahlungsverpflichtung des Hil-
feempfängers ist der Bedarf, den der Sozialhilfeträger im Grundverhältnis
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- durch Vergütungsübernahme - decken muss (Jaritz/Eicher aaO § 75 SGB XII
Rn. 34; Eicher aaO).
cc) Grundlage der Rechtsbeziehung zwischen dem Leistungserbringer
und dem Sozialhilfeträger (öffentlich-rechtliches Sachleistungsverschaffungs-
verhältnis) sind zum einen (öffentlich-rechtliche) Vereinbarungen nach § 93
Abs. 2 BSHG beziehungsweise § 75 Abs. 3 SGB XII, die auf örtlicher Ebene
zwischen dem zuständigen Sozialhilfeträger und dem Leistungserbringer ge-
schlossen werden, und zum anderen Rahmenverträge auf Landesebene (vgl.
Jaritz/Eicher aaO § 75 SGB XII Rn. 36; Eicher aaO). Da der Sozialhilfeträger
die Leistungen grundsätzlich nicht selbst erbringt, hat er durch Verträge mit den
Leistungserbringern eine Sachleistung durch diese sicherzustellen. Dadurch
wird dem Hilfeempfänger die Sozialleistung verschafft (BSGE 102, 1 Rn. 17).
Zugleich modifizieren die Vereinbarungen das Grundverhältnis und beeinflus-
sen ("überlagern") das Erfüllungsverhältnis (Jaritz/Eicher aaO § 75 SGB XII
Rn. 34, 40).
b) Nach § 93 Abs. 2 BSHG beziehungsweise § 75 Abs. 3 SGB XII ist die
"Übernahme" der dem Leistungserbringer zustehenden Vergütung untrennbarer
Bestandteil der Sachleistungsverschaffungspflicht des Trägers der Sozialhilfe.
Rechtlich geschieht dies - bei fortbestehender Verpflichtung des Hilfeempfän-
gers aus dem im Erfüllungsverhältnis geschlossenen privatrechtlichen Vertrag -
in Form eines Schuldbeitritts des Sozialhilfeträgers (kumulative Schuldüber-
nahme) durch Verwaltungsakt mit Drittwirkung (BSGE 102, 1 Rn. 22 ff; BSG,
Beschluss vom 18. März 2014 - B 8 SF 2/13 R, BeckRS 2014, 68095 Rn. 7;
siehe auch Bayerisches LSG, Beschluss vom 26. November 2012 - L 18 SO
173/12 B, BeckRS 2013, 68424 = juris Rn. 15 ff). Der Schuldbeitritt hat dann
zum einen einen unmittelbaren Zahlungsanspruch des Leistungserbringers ge-
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gen den Sozialhilfeträger, zum anderen einen Anspruch des Hilfeempfängers
gegen den Sozialhilfeträger auf Zahlung an den Leistungserbringer zur Folge.
Der Sozialhilfeträger tritt auf diese Weise als Gesamtschuldner im Sinne der
§§ 421 ff BGB in Höhe der bewilligten Leistung, wie sie in dem gegenüber dem
Hilfsbedürftigen ergehenden Kostenübernahmebescheid ausgewiesen ist, an
die Seite des Sozialhilfeempfängers (BSGE aaO Rn. 25). Dadurch, dass der
Sozialhilfeträger mit dem Kostenübernahmebescheid der Schuld des Hilfeemp-
fängers beitritt und der Leistungserbringer auf Grund dieses Schuldbeitritts di-
rekt einen Zahlungsanspruch gegen den Sozialhilfeträger hat, wandelt sich die
zivilrechtliche Schuld aus dem im Erfüllungsverhältnis zwischen dem Hilfeemp-
fänger und dem Leistungserbringer geschlossenen (Dienst-)Vertrag nicht in ei-
ne öffentlich-rechtliche um. Denn ein Schuldbeitritt teilt seinem Wesen nach die
Rechtsnatur der Forderung des Gläubigers, zu der er erklärt wird (Senatsurteile
vom 22. Juni 1978 - III ZR 109/76, BGHZ 72, 56, 58 ff und vom 6. November
2008 - III ZR 279/07, BGHZ 178, 243 Rn. 14; BGH, Urteil vom 16. Oktober 2008
- XI ZR 132/06, BGHZ 174, 39 Rn. 23; Senatsbeschlüsse vom 17. September
2008 - III ZB 19/08, WM 2008, 2153 Rn. 16 und III ZB 50/08, BeckRS 2008,
21300 Rn. 16). Der Sozialhilfeträger wird durch den Schuldbeitritt Gesamt-
schuldner einer zivilrechtlichen Forderung, deren Gläubiger der Leistungser-
bringer ist und die gegebenenfalls im Zivilrechtsweg geltend zu machen ist. Die
Schuld, der beigetreten wird, kann rechtlich für den Beitretenden nicht zu einer
öffentlich-rechtlichen mutieren, während sie bei dem bisherigen Alleinschuldner
eine privatrechtliche bleibt (BSG, Beschluss vom 18. März 2014 aaO Rn. 8;
Bayerisches LSG aaO Rn. 18).
Materiell-rechtlich gelten die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetz-
buchs daher auch insoweit, als der Sozialhilfeträger der aus dem Erfüllungsver-
hältnis resultierenden Vergütungspflicht des Hilfeempfängers beigetreten ist.
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Dies gilt insbesondere für die Vorschriften des allgemeinen Leistungsstörungs-
rechts (§§ 280 ff BGB). Es liegen Einzelverpflichtungen vor, die bei Begründung
der Gesamtschuld durch Verwaltungsakt mit Drittwirkung inhaltsgleich sind und
nach dem maßgeblichen Beitrittszeitpunkt nach allgemeinen Gesamtschuld-
grundsätzen eine selbständige und durchaus unterschiedliche Entwicklung
nehmen können, wenn nicht ein Fall der Wirkungserstreckung nach §§ 424 ff
BGB vorliegt (MüKoBGB/Bydlinski, 6. Aufl., Vor § 424 Rn. 17; Palandt/Grüne-
berg, BGB, 74. Aufl., Überblick vor § 414 Rn. 7).
Bei der Beurteilung der zivilrechtlichen Verpflichtung des Sozialhilfeträ-
gers muss allerdings stets in den Blick genommen werden, dass die zwischen
dem Leistungserbringer und dem Sozialhilfeträger im Leistungsverschaffungs-
verhältnis bestehenden (Rahmen-)Vereinbarungen die zivilrechtlichen Pflichten
in dem Sinne "sozialrechtlich überlagern" können, dass sie diese modifizieren
(BSG, Beschluss vom 18. März 2014 aaO Rn. 9; Jaritz/Eicher aaO § 75 SGB
XII Rn. 34, 51 ff).
c) Aus den dargestellten wechselseitigen Rechtsbeziehungen in dem
sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis folgt für den vorliegenden Fall, dass
der Beklagte mit den gegenüber den Pflegebedürftigen D. , E. und
T. ergangenen Kostenübernahmebescheiden in dem dort ausgewiesenen
Umfang der Zahlungsverpflichtung des Hilfeempfängers aus den mit der Kläge-
rin abgeschlossenen Pflegeverträgen jeweils beigetreten ist. Dabei handelt es
sich um eine zivilrechtliche Schuld, die durch den Beitritt des Beklagten nicht in
eine öffentlich-rechtliche umgewandelt worden ist. Auf Grund dieses Beitritts hat
die Klägerin unmittelbar einen den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts unter-
liegenden Zahlungsanspruch gegen den Beklagten als Gesamtschuldner er-
worben. Aus der zivilrechtlichen Natur des Anspruchs resultiert auch die An-
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wendbarkeit der §§ 280 ff BGB für den Fall, dass der Beklagte die übernomme-
ne Zahlungsverpflichtung nicht oder verspätet erfüllt.
d) Aus den im Leistungsverschaffungsverhältnis zwischen den Parteien
bestehenden öffentlich-rechtlichen Verträgen ergibt sich nichts Abweichendes.
§ 8 der Vereinbarung vom 4. Oktober 1996 und § 17 Abs. 7 des Rahmenver-
trags vom 15. November 2006 enthalten lediglich eine Bestimmung der Leis-
tungszeit im Sinne von § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Danach sind beanstandungs-
freie Rechnungen - wenn von der dem Schuldner günstigsten Regelung ausge-
gangen wird - spätestens innerhalb von drei Wochen nach Rechnungseingang
zu bezahlen. Die in der Vereinbarung vom 4. Oktober 1996 gebrauchte Wen-
dung "
Die Bezahlung … soll innerhalb von drei Wochen nach Eingang erfolgen"
stellt - wie der Gesamtzusammenhang der Vertragsklausel belegt - eine grund-
sätzlich verbindliche Bestimmung der Leistungszeit dar, von der nur bei konkre-
ten Beanstandungen oder in sonstigen "begründeten Fällen" abgewichen wer-
den darf. Im Übrigen haben die Vertragsparteien davon abgesehen, das "Ver-
fahren bei Überschreitung der vereinbarten Fristen" näher zu regeln, so dass im
Verzugsfall auf die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs zurückzugreifen
ist (siehe auch Jaritz/Eicher aaO § 75 SGB XII Rn. 46.2).
Der Einwand der Revision, der Anwendung der bürgerlich-rechtlichen
Verzugsvorschriften stehe entgegen, dass der Sozialhilfeträger mit dem
Schuldbeitritt die Handlungsebene des öffentlichen Rechts nicht habe verlassen
wollen mit der Folge, dass er keine Verzugszinsen nach dem Bürgerlichen Ge-
setzbuch schulde, verkennt die Rechtsbeziehungen, wie sie sich aus dem sozi-
alhilferechtlichen Dreiecksverhältnis ergeben. Danach kommt der Sozialhilfeträ-
ger seiner Sachleistungsverschaffungspflicht im Grund- und Leistungsverschaf-
fungsverhältnis in den Handlungsformen der öffentlichen Verwaltung (Verwal-
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tungsakt, öffentlich-rechtlicher Vertrag) nach. Daraus resultiert jedoch der Bei-
tritt zu einer im Erfüllungsverhältnis begründeten zivilrechtlichen Schuld. Dass
sich der Sozialhilfeträger von den Folgen einer von ihm zu vertretenden Leis-
tungsstörung (hier: verzögerte Zahlung) nicht "einseitig" freizeichnen kann, ver-
steht sich von selbst.
Die von der Revision aufgeworfene Frage, ob und inwieweit aus dem
Sozialrecht herrührende Anspruche möglicherweise zu verzinsen sind (zum
Beispiel nach § 44 Abs. 1 SGB I), stellt sich im Streitfall nicht. Denn der Vergü-
tungsanspruch der Klägerin hat - wie dargelegt - seine Grundlage in den zwi-
schen ihr und den Pflegebedürftigen bestehenden (privatrechtlichen) Vertrags-
verhältnissen und nicht in sozialrechtlichen Vorschriften.
e) Da der Beklagte die ordnungsgemäß eingereichten Rechnungen der
Klägerin vom 9. September 2012 sowie 4. und 6. November 2012 - ohne Anga-
be von Gründen - erst am 25. März 2013 bezahlt hat, schuldet er gemäß § 288
Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 286 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 BGB Verzugszinsen. Gegen
den von der Klägerin nach § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB errechneten Betrag von
insgesamt 13,46 € erhebt die Revision keine Einwände.
2.
Das angefochtene Urteil hält den Angriffen der Revision auch insoweit
stand, als das Berufungsgericht den Beklagten unter dem Gesichtspunkt des
Schuldnerverzugs (§ 280 Abs. 1, 2, § 286 BGB) zur Erstattung vorgerichtlicher
Rechtsanwaltskosten in Höhe von 21
3,49 € (nebst Prozesszinsen nach § 291
BGB) verurteilt hat.
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a) Entgegen der Meinung der Revision ist der Klägerin ein Verzugsscha-
den in Höhe der vorprozessual aufgewendeten Anwaltskosten entstanden.
Rechtsverfolgungskosten sind gemäß § 280 Abs. 1, 2, § 286 BGB als adäquat
verursachte Verzugsfolge zu erstatten, wenn sie - nach Eintritt des Verzugs -
aus Sicht des Forderungsgläubigers zur Wahrnehmung und Durchsetzung sei-
ner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteile
vom 8. November 1994 - VI ZR 3/94, BGHZ 127, 348, 350 und vom 23. Oktober
2003 - IX ZR 249/02, NJW 2004, 444, 446; siehe auch Palandt/Grüneberg aaO
§ 286 Rn. 45). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Denn der Beklagte hat
auf die Mahnungen der Klägerin nicht reagiert. Die Beauftragung von Rechts-
anwältin W. mit der außergerichtlichen Geltendmachung der offenen Rech-
nungsbeträge erfolgte erst, nachdem die eigenen Bemühungen der Klägerin
ersichtlich fruchtlos geblieben waren. Dabei ist ohne Bedeutung, ob es sich bei
den geltend gemachten Forderungen um einfach gelagerte Fälle handelte. Zahlt
der Schuldner auf die erste Mahnung des Gläubigers nicht, kann dieser die wei-
tere Rechtsverfolgung auf Kosten des Schuldners einem Rechtsanwalt übertra-
gen (BGH, Urteil vom 8. November 1994 aaO S. 353).
b) Die von der Klägerin geltend gemachte Geschäftsgebühr nach
Nr. 2300 VV RVG ist entstanden.
Es kommt für das Entstehen der Gebühr darauf an, ob der Rechtsanwalt
zunächst mit der außergerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche beauftragt
und der Prozessauftrag allenfalls bedingt erteilt worden ist oder ob ein unbe-
dingter Klageauftrag vorliegt (OLG Hamm, NJW-RR 2006, 242 f; OLG Frankfurt
am Main, Urteil vom 20. Juli 2012 - 23 U 166/11, BeckRS 2013, 03573 = juris
Rn. 55). Hat der Rechtsanwalt bereits von Anfang an einen unbedingten Klage-
auftrag erhalten, fallen auch die Tätigkeiten vor Erhebung der Klage allein unter
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die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG (BGH, Urteil vom 14. Dezember
2011 - IV ZR 34/11, NJW-RR 2012, 486 Rn. 21; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe,
RVG, 21. Aufl., Vorb. 3 VV Rn. 14). Soweit die Revision im Streitfall einen un-
bedingten Klageauftrag annehmen will, übergeht sie den Hinweis von Rechts-
anwältin W. in den - im Berufungsurteil in Bezug genommenen - Mahn-
schreiben, sie werde ihrer Mandantschaft für den Fall, dass "wider Erwarten"
kein fristgemäßer Zahlungseingang zu verzeichnen sein sollte, "anraten, ihren
Anspruch gerichtlich durchzusetzen". Daraus ergibt sich ohne weiteres, dass
Rechtsanwältin W. zunächst nur mit der außergerichtlichen Geltendma-
chung der Forderungen beauftragt war und die Frage der Klageerhebung, auch
wenn Klageentwürfe eventuell bereits gefertigt gewesen sein sollten, noch der
Entscheidung des Auftraggebers vorbehalten war. Ein unbedingter Prozessauf-
trag war nach Sachlage auch noch nicht geboten, da der Versuch einer außer-
gerichtlichen Regulierung mit anwaltlicher Hilfe - Einwendungen gegen die
Rechnungen wurden von dem Beklagten nicht erhoben - Aussicht auf Erfolg
versprach und somit Grund zu der Annahme bestand, eine gerichtliche Ausei-
nandersetzung vermeiden zu können (vgl. OLG Frankfurt am Main aaO).
c) Zu Unrecht beruft sich die Revision darauf, dass die aus den Verträ-
gen mit den Pflegebedürftigen D. , E. und T. resultierenden
Vergütungsansprüche als eine einzige Angelegenheit im gebührenrechtlichen
Sinn (§ 15 RVG) zu behandeln und daher nicht drei gesonderte Geschäftsge-
bühren nach Nr. 2300 VV RVG entstanden seien, sondern allenfalls eine Ge-
schäftsgebühr aus der Summe der Rechnungsbeträge.
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Unter einer "Angelegenheit" im gebührenrechtlichen Sinn ist das gesam-
te Geschäft zu verstehen, das der Rechtsanwalt für den Auftraggeber besorgen
soll. Ihr Inhalt bestimmt den Rahmen, innerhalb dessen der Rechtsanwalt tätig
wird. Um dieselbe Angelegenheit annehmen zu können, müssen drei Voraus-
setzungen kumulativ erfüllt sein. Insbesondere muss - neben einem einheitli-
chen Auftrag und einem gleichen Tätigkeitsrahmen - zwischen den einzelnen
Gegenständen ein innerer objektiver Zusammenhang bestehen, das heißt es
muss sich um einen einheitlichen Lebensvorgang handeln (OLG Frankfurt am
Main, NJW-RR 2005, 67, 68; Gerold/Schmidt/Mayer aaO § 15 RVG Rn. 5 ff;
Schneider/Wolf/N. Schneider, RVG, 7. Aufl., § 15 Rn. 22 ff). Zumindest die
letztgenannte Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Der Beauf-
tragung von Rechtsanwältin W. lagen nicht nur drei getrennte Pflegeverträ-
ge, sondern auch drei unterschiedliche sozialhilferechtliche Verfahren zugrun-
de, die unabhängig voneinander beurteilt werden mussten. Hinsichtlich jedes
Hilfeempfängers mussten die Rechtsbeziehungen innerhalb des sozialhilfe-
rechtlichen Dreiecksverhältnisses gesondert überprüft werden. Dabei war auch
festzustellen, ob die abgerechneten Leistungen den Vorgaben aus dem Grund-
und Sachleistungsverhältnis entsprachen. Es lagen somit mehrere Angelegen-
heiten im Sinne von § 15 RVG vor.
d) Der Einwand der Revision, bei den anwaltlichen Mahnschreiben vom
27. Februar 2013 habe es sich lediglich um "Schreiben einfacher Art" im Sinne
von Nr. 2302 VV RVG in der bis zum 31. Juli 2013 geltenden Fassung (jetzt
Nr. 2301 VV RVG in der Fassung des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes
vom 23. Juli 2013, BGBl. I S. 2586) gehandelt, so dass nur eine Gebühr von 0,3
hätte angesetzt werden dürfen, trifft bereits im Ausgangspunkt nicht zu. Der
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niedrigere Gebührenrahmen kommt nur in Betracht, wenn der erteilte Auftrag
von vornherein keinen über Nr. 2302 VV RVG aF beziehungsweise Nr. 2301 VV
RVG nF hinausgehenden Inhalt hatte, sich also auf eine einfache Anfrage oder
eine einfache Mahnung oder Zahlungsaufforderung beschränkte (Gerold/
Schmidt/Mayer aaO VV 2301 Rn. 2; Hartmann, Kostengesetze, 45. Aufl., VV
RVG 2301 Rn. 2 f). Der Rechtsanwältin W. erteilte Auftrag war nicht auf ein
Schreiben einfacher Art beschränkt, sondern bezog sich auf die vollständige
außergerichtliche Geltendmachung der Forderungen der Klägerin und umfasste
- wie dargelegt - die eigenständige Überprüfung dreier voneinander unabhängi-
ger Sozialhilfeverfahren.
e) Die Revision vermag schließlich auch nicht mit der Rüge durchzudrin-
gen, das Berufungsgericht sei im Rahmen der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300
VV RVG zu Unrecht von einer Mittelgebühr in Höhe von 1,3 ausgegangen. Der
getätigte Aufwand rechtfertige nur den Mindestgebührensatz von 0,5.
Die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG beträgt 0,5 bis 2,5. Nach
der Anmerkung zu diesem Vergütungstatbestand kann eine Gebühr von mehr
als 1,3 nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig
war. Die Mindestgebühr von 0,5 kommt nur für denkbar einfachste außerge-
richtliche Anwaltstätigkeiten in Betracht (Gerold/Schmidt/Mayer aaO VV 2300
Rn. 27). Da Letzteres im Streitfall ersichtlich ausscheidet und die Tätigkeit von
Rechtsanwältin W. auch nicht deutlich über den Normalfall hinausging, hat
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das Berufungsgericht zu Recht die Regelgebühr von 1,3 der Honorarberech-
nung zugrunde gelegt.
Schlick
Seiters
Tombrink
Remmert
Reiter
Vorinstanzen:
AG Berlin-Köpenick, Entscheidung vom 26.03.2014 - 6 C 234/13 -
LG Berlin, Entscheidung vom 17.09.2014 - 49 S 21/14 -