Urteil des BGH vom 31.03.2016

Leitsatzentscheidung zu Leistungserbringer, Schuldbeitritt, Öffentlich, Schule

ECLI:DE:BGH:2016:310316UIIIZR267.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 267/15
Verkündet am:
31. März 2016
K i e f e r
Justizangestellter
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
BGB §§ 414, 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2; SGB X § 45 Abs. 2, 4; SGB XII §§ 53 ff, 75 Abs. 1, 3
a) Der Schuldbeitritt des Sozialhilfeträgers zur Zahlungsverpflichtung des Hilfeempfängers aus
dessen zivilrechtlichem Vertrag mit dem Leistungserbringer (hier: Schulvertrag über die Betreu-
ung eines behinderten Kindes) erfolgt in der Regel durch einen privatrechtsgestaltenden Ver-
waltungsakt mit Drittwirkung (zugunsten des Leistungserbringers). Dadurch wird zwischen dem
Sozialhilfeträger und dem Leistungserbringer eine zivilrechtliche Rechtsbeziehung begründet.
b) Der Sozialhilfeträger ist an den im Bewilligungsbescheid im Grundverhältnis gegenüber dem
Hilfeempfänger erklärten Schuldbeitritt grundsätzlich gebunden. Diese Bindungswirkung be-
steht, solange und soweit der der Bewilligung zugrunde liegende (begünstigende) Verwaltungs-
akt nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf
andere Weise erledigt ist (§ 39 Abs. 2, §§ 44 ff SGB X).
c) Werden der Bewilligungsbescheid und der darin erklärte Schuldbeitritt nach Maßgabe der §§ 44
ff SGB X aufgehoben, entfällt im Verhältnis zum Leistungserbringer der Rechtsgrund für Zah-
lungen des Sozialhilfeträgers. Wird der Bewilligungsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit
zurückgenommen (§ 45 Abs. 2, 4 SGB X), sind bereits geleistete Zahlungen nach § 812 Abs. 1
Satz 2 Alt. 1 BGB auszugleichen (Bestätigung und Fortführung des Senatsurteils vom 7. Mai
2015 - III ZR 304/14, BGHZ 205, 260).
BGH, Urteil vom 31. März 2016 - III ZR 267/15 - OLG Oldenburg
LG Osnabrück
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 31. März 2016 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Herrmann und die Rich-
ter Wöstmann, Seiters, Dr. Remmert und Reiter
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 14. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 16. Juli 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist als Kommunalverband ein überörtlicher Sozialhilfeträger.
Er nimmt den Beklagten, der Träger einer Förderschule ist, auf Erstattung von
Kosten in Anspruch, die im Zusammenhang mit der teilstationären Betreuung
des mehrfach behinderten Kindes J. -P. P. entstanden sind (Eingliede-
rungshilfe für behinderte Menschen nach §§ 53 ff SGB XII).
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Nachdem das am 21. Februar 2002 geborene Kind (im Folgenden auch:
Hilfeempfänger) zunächst den heilpädagogischen Sonderkindergarten des Be-
klagten besucht und der Kläger insoweit die Kosten übernommen hatte, sollte
es nach dem Willen seiner Eltern mit Beginn der Schulpflicht in der angrenzen-
den, ebenfalls vom Beklagten getragenen S. -R. -Schule teilstationär
betreut werden. Den entsprechenden Antrag auf Kostenübernahme vom 3. Juni
2008 lehnte der Kläger mit Bescheid vom 18. Juli 2008 ab, da die Michaelis-
Schule in G. die für den Förderbedarf des Kindes zuständige Einrichtung
sei und durch Aufnahme in die S. -R. -Schule unverhältnismäßige
Mehrkosten im Rahmen der Sozialhilfe entstehen würden. Gleichwohl erklärte
sich der Kläger bereit, dem Kind den Besuch der S. -R. -Schule bis
Ende 2008 zu ermöglichen. Für die Zeit danach lehnte er die weitere Betreuung
des Kindes ohne gleichzeitige Klärung der Kostenfrage ab.
Auf Antrag des Kindes verpflichtete das Sozialgericht den Kläger mit Be-
schluss vom 24. November 2008 im Wege einstweiliger Anordnung, ab dem
1. Januar 2009 vorläufig die Kosten des Besuchs der S. -R. -Schule
als Leistung der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen bis zu einer
rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu übernehmen. Daraufhin
bewilligte der Kläger mit Bescheid vom 7. Mai 2009 Sozialhilfe für das Kind und
übernahm vorläufig "entsprechend dem Beschluss des Sozialgerichts" für den
Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. Mai 2009 die Kosten der teilstationären
Betreuung. Darüber hinaus wurden die Kosten "vorläufig für jeweils einen weite-
ren Monat bis zur weiteren Klärung" übernommen. Gleichzeitig wies der Kläger
darauf hin, "dass die Übernahme ab dem 01.01.2009 ausdrücklich unter dem
Vorbehalt der Rückforderung, vgl. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 945 ZPO,
steht", die Kosten der Betreuung direkt an die Einrichtung bezahlt würden und
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diese darüber informiert werde. Dementsprechend unterrichtete der Kläger den
Beklagten am selben Tag über den Inhalt des Bewilligungsbescheids.
Auf die Beschwerde des Klägers hob das Landessozialgericht durch Be-
schluss vom 17. Mai 2010 die einstweilige Anordnung des Sozialgerichts auf
und wies den Antrag des Kindes auf Erlass einer einstweiligen Anordnung un-
anfechtbar zurück. Der Kläger teilte dem Beklagten die Entscheidung des Lan-
dessozialgerichts mit und beendete die vorläufige Kostenzusage zum 31. Mai
2010.
Durch rechtskräftig gewordenes Urteil vom 18. Mai 2011 wies das Sozi-
algericht im Hauptsacheverfahren die Klage des Kindes auf Übernahme der
Kosten für den Besuch der S. -R. -Schule ab. In der Folgezeit nahm
der Kläger unter dem 16. Mai 2012 den Bescheid zur vorläufigen Kostenüber-
nahme vom 7. Mai 2009 zurück und ordnete gegenüber dem Kind die Erstat-
tung der Kosten für den Besuch der S. -R. -Schule in der Zeit vom
1. Januar 2009 bis zum 31. Mai 2010
in Höhe von 35.009,92 € an. Mit Bescheid
vom 18. Mai 2012 forderte er den Beklagten unter Berufung auf die Rechtsbe-
ziehungen im so genannten "sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis" ebenfalls zur
Rückzahlung der für den Schulbesuch aufgewendeten Kosten "nach allgemei-
nen Grundsätzen des Bereicherungsrechts" auf, da der Kläger rechtsgrundlos
geleistet habe. Am 1. Januar 2013 begannen die Eltern des Kindes mit der
Rückerstattung der gewährten Sozialhilfeleistungen (monatliche Raten von je-
weils 250 €) an den Kläger.
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Das Landgericht hat die auf Rückzahlung der an den Beklagten geleiste-
ten
35.009,92 € gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat
keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision ver-
folgt er seinen Rückerstattungsanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung
des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Beru-
fungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im We-
sentlichen ausgeführt:
Der Kläger habe gegenüber dem Beklagten keinen Anspruch auf Rück-
zahlung der geleisteten Sozialhilfe in Höhe von 35.009,92 €. Dieser Anspruch
finde auch im Bereicherungsrecht keine rechtliche Grundlage. Der in der Recht-
sprechung des Bundessozialgerichts entwickelte Grundsatz eines sozialhilfe-
rechtlichen Dreiecksverhältnisses zwischen Hilfeempfänger, Sozialleistungsträ-
ger und Leistungserbringer führe zu keiner abweichenden Beurteilung. Danach
seien grundlegend zu unterscheiden das privatrechtliche Verhältnis zwischen
dem Kind - gesetzlich vertreten durch seine Eltern - als Hilfeempfänger und
dem Beklagten als Leistungserbringer sowie das öffentlich-rechtliche Rechts-
verhältnis (Grundverhältnis) zwischen dem Kind als Hilfeempfänger und dem
Kläger als Sozialhilfeträger. Untrennbarer Bestandteil der Sachleistungsver-
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pflichtung des Sozialhilfeträgers sei die "Übernahme" der dem Leistungserbrin-
ger (Einrichtungen beziehungsweise Dienste im Sinne des § 75 Abs. 1 SGB XII)
zustehenden Vergütung. Damit sei eine kumulative Schuldübernahme durch
Verwaltungsakt mit Drittwirkung gemeint. Der Schuldbeitritt habe dann einen
unmittelbaren Zahlungsanspruch des Leistungserbringers gegen den Sozialhil-
feträger und einen Anspruch des Hilfeempfängers gegen den Sozialhilfeträger
auf Zahlung an den Leistungserbringer zur Folge. Auf diese Weise trete der
Sozialhilfeträger als Gesamtschuldner in Höhe der bewilligten Leistungen an die
Seite des Sozialhilfeempfängers.
Der Sozialhilfeträger könne zwar für die Dauer des sozialhilferechtlichen
Dreiecksverhältnisses wegen einer "schlichten Zuvielzahlung" mit der von ihm
gegenüber dem Leistungserbringer geschuldeten zivilrechtlichen Zahlungsver-
pflichtung aufrechnen. Denn dabei bewege er sich in demselben rechtlichen
Rahmen, wie er auch für den Hilfeempfänger als Vertragspartner des Leis-
tungserbringers gelte. Diesen Rahmen verlasse der Sozialhilfeträger jedoch,
soweit er Änderungen des Leistungsanspruchs auf Grund des öffentlich-
rechtlichen Grundverhältnisses geltend mache. Dann habe eine Rückabwick-
lung ausschließlich im Grundverhältnis nach §§ 45, 48 SGB X zu erfolgen. Wei-
tergehende Rechte auf Rückzahlung stünden dem Sozialhilfeträger nach Been-
digung des sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses nicht zu. Da der Leis-
tungserbringer nicht gleichzeitig dem öffentlich-rechtlich ausgestalteten Grund-
verhältnis zwischen dem Hilfeempfänger und dem Sozialleistungsträger beitre-
te, könne er für überzahlte Sozialhilfe nicht unter dem Gesichtspunkt des öffent-
lich-rechtlichen Erstattungsanspruchs oder des privatrechtlichen Bereicherungs-
rechts in Anspruch genommen werden.
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Für dieses Ergebnis spreche auch eine Gesamtbetrachtung des sozialhil-
ferechtlichen Dreiecksverhältnisses in all seinen Auswirkungen. Könnte sich der
Sozialhilfeträger im Falle einer Änderung des Leistungsanspruchs im Grund-
verhältnis beim Leistungserbringer nach Bereicherungsrecht schadlos halten,
würden die sonst vom Sozialhilfeträger im Fall einer Rückforderung gegenüber
dem Sozialhilfeempfänger zu beachtenden Regeln über die Rücknahme bezie-
hungsweise den Widerruf von begünstigenden Verwaltungsakten nach §§ 44 ff
SGB X unterlaufen (insbesondere § 45 Abs. 2, 4 SGB X). Es komme hinzu,
dass die Bejahung eines Rückforderungsanspruchs des Sozialhilfeträgers ge-
genüber dem Leistungserbringer in den Fällen einer Überzahlung der Eingliede-
rungshilfe im Grundverhältnis stets dazu führen würde, dass der Leistungser-
bringer ohne Planungssicherheit im Rahmen einer Kalkulation der dienstver-
traglichen Entgelte Vereinbarungen (nach § 75 Abs. 3 SGB XII) mit dem Sozi-
alleistungsträger schließen müsste, ohne zu wissen, ob er das vereinbarte Ent-
gelt trotz erbrachter Leistung später wieder zurückzahlen müsse. Soweit das
Grundverhältnis zwischen dem Hilfeempfänger und dem Sozialhilfeträger - wie
vorliegend - durch eine einstweilige Anordnung des Sozialgerichts inhaltlich be-
stimmt werde, stehe dem Leistungserbringer die Entscheidung zur Aufnahme
des Hilfeempfängers in seiner Einrichtung nicht frei.
II.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Kläger gegen
den Beklagten ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung nach § 812
Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB zu. Er kann nach Rücknahme des Bewilligungsbe-
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scheids vom 7. Mai 2009 mit Wirkung für die Vergangenheit die in dem Zeit-
raum vom 1. Januar 2009 bis zum 31. Mai 2010 rechtsgrundlos geleisteten
Zahlungen zurückverlangen. Dabei sind jedoch vom Hilfeempfänger bereits er-
stattete Beträge gemäß § 422 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 362 Abs. 1 BGB zu be-
rücksichtigen, da dieser neben dem Beklagten als Gesamtschuldner haftet.
1.
Die Rechtsbeziehung zwischen dem Kläger als Sozialhilfeträger und dem
Beklagten als Leistungserbringer im Rahmen des Schulverhältnisses ist zivil-
rechtlich zu beurteilen. Ohne Rechtsgrund erbrachte Zahlungen des Sozialhilfe-
trägers sind nach Maßgabe der §§ 812 ff BGB auszugleichen.
a) Das Leistungserbringungsrecht der Sozialhilfe ist im Bereich der so-
zialen Dienste und Einrichtungen (§ 75 Abs. 1 SGB XII) durch das so genannte
sozialhilferechtliche Dreiecksverhältnis geprägt, das die wechselseitigen und
unterschiedlichen Rechtsbeziehungen zwischen dem Träger der Sozialhilfe,
dem Leistungsberechtigten (Hilfeempfänger) und dem Leistungserbringer
(Dienst, Einrichtung) beschreibt (grundlegend BSGE 102, 1 Rn. 15 ff). Die Be-
sonderheit und zugleich Schwierigkeit bei der Beurteilung von Ansprüchen der
im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis verbundenen Beteiligten besteht
darin, dass die im Leistungsdreieck zusammengefassten Beziehungen unter-
schiedlicher Rechtsnatur sind.
aa) Zwischen dem bedürftigen Hilfeempfänger und dem Sozialhilfeträger
besteht ein öffentlich-rechtliches Leistungsverhältnis (Grundverhältnis), das sich
nach den Vorschriften des SGB XII beurteilt (hier: Eingliederungshilfe für behin-
derte Menschen nach §§ 53 ff SGB XII). Die Entscheidung über die Gewährung
von Sozialhilfeleistungen ergeht durch Verwaltungsakt. Das Grundverhältnis ist
Fundament und rechtlicher Maßstab für die übrigen Rechtsbeziehungen des
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sozialhilferechtlichen Dreiecks. Diese dienen der Erfüllung der Ansprüche im
Grundverhältnis. Das Grundverhältnis an sich und die dieses Verhältnis prä-
genden Vorschriften sind daher bei der Auslegung der übrigen Vertragsbezie-
hungen zu berücksichtigen (Ausstrahlungswirkung des Grundverhältnisses). Im
Rahmen des Grundverhältnisses stehen dem Sozialhilfeempfänger keine Pri-
märansprüche auf Zahlung entstehender oder entstandener Kosten an sich
selbst zu; er kann vom Sozialhilfeträger ausschließlich die Übernahme dieser
Kosten in Form der Zahlung an den Leistungserbringer verlangen (Anspruch
auf Sachleistungsverschaffung; Senatsurteil vom 7. Mai 2015 - III ZR 304/14,
BGHZ 205, 260 Rn. 21; Jaritz/Eicher, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl., § 75 SGB XII
Rn. 32, 38; Eicher, SGb 2013, 127, 128). Das gesetzliche Regelungskonzept
geht somit davon aus, dass der Sozialhilfeträger die ihm (im Rahmen seiner
Sachleistungsverschaffungspflicht/Gewährleistungsverantwortung) obliegende
Leistung nicht als Geldleistung an den jeweiligen Hilfeempfänger erbringt, um
diesem die Zahlung des vertraglichen Entgelts aus dem Vertrag über die Er-
bringung von Pflegeleistungen zu ermöglichen, sondern dass die Zahlung direkt
an den Dienst erfolgt, der die Pflege leistet (BSG, NVwZ-RR 2015, 501 Rn. 14;
vgl. auch BSGE aaO Rn. 19 f).
bb) Der Kostenübernahmeanspruch des Leistungsempfängers gegen-
über dem Sozialhilfeträger setzt voraus, dass zwischen Ersterem und dem Leis-
tungserbringer ein zivilrechtlicher Vertrag geschlossen wird, auf Grund dessen
ein Anspruch auf Erbringung von Betreuungs-, Hilfe- und Förderleistungen so-
wie gegebenenfalls Unterkunft und Verpflegung besteht (privatrechtliches Erfül-
lungsverhältnis als zivilrechtliche Seite des sozialhilferechtlichen Dreiecks; hier:
Schulvertrag mit dem Beklagten als Träger der S. -R. -Schule). Im
Gegenzug ist der bedürftige Hilfeempfänger zur Zahlung des vertraglich verein-
barten Entgelts verpflichtet. Die gegenüber dem Leistungserbringer bestehende
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Zahlungsverpflichtung des Hilfeempfängers ist der Bedarf, den der Sozialhilfe-
träger im Grundverhältnis - durch Vergütungsübernahme - decken muss (Se-
natsurteil vom 7. Mai 2015 aaO Rn. 22; Jaritz/Eicher aaO Rn. 34; Eicher aaO).
cc) Die Rechtsbeziehungen zwischen den Leistungserbringern und den
Sozialhilfeträgern werden in ihrem Rahmen durch die öffentlich-rechtlich zu
qualifizierenden Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII (öffentlich-
rechtliches Sachleistungsverschaffungsverhältnis; Senatsurteil vom 7. Mai 2015
aaO Rn. 23; Jaritz/Eicher aaO Rn. 36; Eicher aaO) bestimmt. Da der Sozialhil-
feträger die Leistungen grundsätzlich nicht selbst erbringt, hat er durch Verträge
mit den Leistungserbringern eine Sachleistung durch diese sicherzustellen.
Dadurch wird den Hilfeempfängern die Sozialleistung verschafft (Senat aaO;
BSGE 102, 1 Rn. 17). Zugleich modifizieren die Vereinbarungen das Grundver-
hältnis und beeinflussen ("überlagern") das Erfüllungsverhältnis (Senatsurteil
vom 7. Mai 2015 aaO Rn. 23, 26; Jaritz/Eicher aaO Rn. 36, 40). Das zwischen
Sozialhilfeträger und Leistungserbringer bestehende Sachleistungsverschaf-
fungsverhältnis verbindet somit das öffentlich-rechtliche Grundverhältnis und
das privatrechtliche Erfüllungsverhältnis zu einer dreiseitigen Rechtsbeziehung.
b) Nach dem Gesetzeskonzept ist die "Übernahme" der dem Leistungs-
erbringer zustehenden Vergütung (vgl. § 75 Abs. 3 SGB XII) untrennbarer er-
gänzender Bestandteil der Sachleistungsverschaffungspflicht des Trägers der
Sozialhilfe.
aa) Rechtlich geschieht dies - bei unverändert fortbestehender Verpflich-
tung des Hilfeempfängers aus dem im Erfüllungsverhältnis geschlossenen pri-
vatrechtlichen Vertrag - in Form eines Schuldbeitritts des Sozialhilfeträgers
(kumulative Schuldübernahme). Der Sozialhilfeträger tritt der Zahlungsverpflich-
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tung des bedürftigen Hilfeempfängers aus dessen zivilrechtlichem Vertrag mit
dem Leistungserbringer und somit einer privatrechtlichen Schuld gegenüber
dem Leistungserbringer bei. Dabei wird der Schuldbeitritt in dem im öffentlich-
rechtlichen Grundverhältnis ergehenden Bewilligungsbescheid über die Sozial-
hilfeleistung erklärt. Dementsprechend handelt es sich bei dem Bewilligungsbe-
scheid um einen Verwaltungsakt mit Drittwirkung (zugunsten des Leistungser-
bringers) nach § 31 SGB X (Senatsurteil vom 7. Mai 2015 aaO Rn. 24; s. auch
BSGE 102, 1 Rn. 22 ff; BSG, BeckRS 2014, 68095 Rn. 7 und NVwZ 2015, 501
Rn. 14; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18. Februar 2011 - L 1 SO 33/09,
BeckRS 2011, 69866 = juris Rn. 26; Bayerisches LSG, Beschluss vom 26. No-
vember 2012 - L 18 SO 173/12 B, BeckRS 2013, 68424 = juris Rn. 15 ff;
Jaritz/Eicher aaO Rn. 42, 46).
bb) Der Schuldbeitritt hat sowohl einen unmittelbaren Zahlungsanspruch
des Leistungserbringers gegen den Sozialhilfeträger als auch einen Anspruch
des Hilfeempfängers gegen den Sozialhilfeträger auf Zahlung an den Leis-
tungserbringer zur Folge. Der Sozialhilfeträger tritt auf diese Weise als Gesamt-
schuldner im Sinne der §§ 421 ff BGB in Höhe der bewilligten Leistung, wie sie
in dem gegenüber dem Hilfsbedürftigen ergehenden Kostenübernahmebe-
scheid ausgewiesen ist, an die Seite des Sozialhilfeempfängers (Senatsurteil
vom 7. Mai 2015 aaO). Dadurch, dass der Sozialhilfeträger mit dem Kosten-
übernahmebescheid der Schuld des Hilfeempfängers beitritt und der Leistungs-
erbringer auf Grund dieses Schuldbeitritts direkt einen Zahlungsanspruch ge-
gen den Sozialhilfeträger hat, wandelt sich die zivilrechtliche Schuld aus dem im
Erfüllungsverhältnis zwischen dem Hilfeempfänger und dem Leistungserbringer
geschlossenen (Dienst-)Vertrag nicht in eine öffentlich-rechtliche um. Denn ein
Schuldbeitritt teilt seinem Wesen nach die Rechtsnatur der Forderung des
Gläubigers, zu der er erklärt wird (Senatsurteile vom 6. November 2008 - III ZR
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279/07, BGHZ 178, 243 Rn. 14 und vom 7. Mai 2015 aaO; BGH, Urteil vom
16. Oktober 2007 - XI ZR 132/06, BGHZ 174, 39 Rn. 23; Senatsbeschlüsse
vom 17. September 2008 - III ZB 19/08, WM 2008, 2153 Rn. 15 und III ZB
50/08, BeckRS 2008, 21300 Rn. 16).
cc) Da der Sozialhilfeträger somit durch den Schuldbeitritt Gesamt-
schuldner einer zivilrechtlichen Forderung wird, ist die Entscheidung des Sozi-
alhilfeträgers im Grundverhältnis über die Schuldmitübernahme (Bewilligungs-
bescheid) als privatrechtsgestaltender Verwaltungsakt mit Drittwirkung zu quali-
fizieren (vgl. Jaritz/Eicher aaO Rn. 46 mwN), der zwischen dem Sozialhilfeträ-
ger und dem Leistungserbringer eine zivilrechtliche Rechtsbeziehung entstehen
lässt, so dass die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs gelten. Der
Schuldbeitritt des Sozialhilfeträgers begründet - wie Garantie oder Bürgschaft -
eine eigene Schuld und stellt diese neben die des Schuldners. Zahlt der Beitre-
tende an den Gläubiger, leistet er in der Regel auf diese Verpflichtung. Besteht
sie nicht, hat er einen Anspruch aus Leistungskondiktion gegen den Gläubiger
(vgl. Palandt/Sprau, BGB 75. Aufl., § 812 Rn. 83 zur Konstellation bei der Bürg-
schaft). Die Schuld des Beitretenden ist nicht akzessorisch zur Haupt-/Urschuld.
Nach Inhalt und Umfang bemisst sie sich lediglich in der Sekunde ihrer Begrün-
dung (hier: durch Verwaltungsakt mit Drittwirkung) nach der Haupt-/Urschuld.
Ab diesem Zeitpunkt liegen Einzelverpflichtungen vor, die nach allgemeinen
Gesamtschuldgrundsätzen eine selbständige und durchaus unterschiedliche
Entwicklung nehmen können, wenn nicht ein Fall der Wirkungserstreckung
nach §§ 424 ff BGB vorliegt (MüKoBGB/Bydlinski, 7. Aufl., Vor § 414 Rn. 17;
Palandt/Grüneberg, BGB, 75. Aufl., Überblick vor § 414 Rn. 7; Staudinger/
Rieble, BGB, Neubearbeitung 2012, § 414 Rn. 25).
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c) Aus den zu dem sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis entwickelten
Grundsätzen folgt für den vorliegenden Fall, dass der Kläger durch den Leis-
tungsbescheid vom 7. Mai 2009 in dem dort ausgewiesenen Umfang der Zah-
lungsverpflichtung des hilfebedürftigen Kindes aus dem mit dem Beklagten ab-
geschlossenen Schulvertrag beigetreten ist. Auf Grund dieses Beitritts ist der
Beklagte als Leistungserbringer Gläubiger eines den Vorschriften des Bürgerli-
chen Rechts unterliegenden Zahlungsanspruchs gegen den Kläger als Ge-
samtschuldner geworden. Soweit das Berufungsgericht meint, der Bewilli-
gungsbescheid vollziehe nur die einstweilige Anordnung vom 24. November
2008 und weise keinen eigenständigen Regelungscharakter im Sinne des § 31
SGB X auf, werden sowohl die privatrechtsgestaltende Drittwirkung des Be-
scheids als auch der Umstand außer Acht gelassen, dass die zu erbringenden
Sozialhilfeleistungen durch den Bescheid näher konkretisiert wurden (vgl. Luthe
in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 31 Rn. 53).
2.
Durch die rückwirkende Aufhebung der Sozialhilfebewilligung mit Be-
scheid des Klägers vom 16. Mai 2012 ist der Rechtsgrund für die in dem Zeit-
raum vom 1. Januar 2009 bis zum 31. Mai 2010 an den Beklagten geleisteten
Zahlungen nachträglich weggefallen (§ 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB).
a) Der Sozialhilfeträger ist an den im Bewilligungsbescheid im Grundver-
hältnis erklärten Schuldbeitritt grundsätzlich gebunden. Diese Bindungswirkung
besteht entgegen der der Auffassung des Berufungsgerichts zugrunde liegen-
den Annahme, solange und soweit der der Bewilligung zugrunde liegende (be-
günstigende) Verwaltungsakt nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig
aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (§ 39
Abs. 2, §§ 44 ff SGB X). Die Wirksamkeit des Schuldbeitritts hängt somit vom
Schicksal des Bewilligungsbescheids ab. Um von seiner zivilrechtlichen Ver-
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pflichtung gegenüber dem Leistungserbringer frei zu werden, muss der Sozial-
hilfeträger den Bewilligungsbescheid insgesamt, das heißt auch den darin ent-
haltenen Schuldbeitritt, nach §§ 44 ff SGB XII aufheben (Jaritz/Eicher aaO
Rn. 49). Insoweit strahlt das öffentlich-rechtliche Grundverhältnis auf das privat-
rechtliche Erfüllungsverhältnis aus, da der Schuldbeitritt aufgrund der privat-
rechtsgestaltenden Wirkung des Bewilligungsbescheids erfolgte. Ohne eine
Entscheidung im Grundverhältnis nach §§ 44 ff SGB X bleibt der Schuldbeitritt
grundsätzlich bindend. Soweit der Bewilligungsbescheid nicht widerrufen oder
zurückgenommen ist, können Zahlungen des Sozialhilfeträgers an den Leis-
tungserbringer deshalb nicht nach Bereicherungsrecht mit der Begründung zu-
rückgefordert werden, die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung seien
nicht erfüllt. Werden hingegen der Bewilligungsbescheid und der darin erklärte
Schuldbeitritt nach Maßgabe der §§ 44 ff SGB X aufgehoben, entfällt im Ver-
hältnis zum Leistungserbringer der Rechtsgrund für die Zahlungen des Sozial-
hilfeträgers. Wird der Bewilligungsbescheid - ausnahmsweise - mit Wirkung für
die Vergangenheit zurückgenommen (§ 45 Abs. 2, 4 Satz 1 SGB X), sind be-
reits geleistete Zahlungen nach § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB auszugleichen.
b) Im vorliegenden Fall hat der Kläger die Sozialhilfebewilligung nebst
Schuldbeitritt mit gegenüber dem Hilfeempfänger und dem Beklagten be-
standskräftigem Bescheid vom 16. Mai 2012 (in Verbindung mit dem Bescheid
an den Beklagten vom 18. Mai 2012) gemäß 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3, Abs. 4
Satz 1 SGB X zurückgenommen. Dies erfolgte mit Wirkung für die Vergangen-
heit, wie sich insbesondere daraus ergibt, dass sowohl der Hilfeempfänger als
auch der Beklagte auf Erstattung der seit dem 1. Januar 2009 geleisteten Zah-
lungen in Anspruch genommen wurden.
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3.
Auf einen Wegfall der Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) kann der Be-
klagte sich nicht berufen (§ 820 Abs. 1 Satz 2 BGB). Er durfte nicht darauf ver-
trauen, dass die im vorläufigen Rechtsschutz erstinstanzlich ergangene Ent-
scheidung, auf der der Bewilligungsbescheid beruhte, im Rechtsmittelverfahren
und später im Hauptsacheverfahren bestätigt wird. Der Bescheid ist zudem un-
ter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Rückforderung ergangen (vgl. BSG, Urteil
vom 31. Oktober 1991 - 7 RAr 60/89, juris Rn. 29 f; KassKomm/Steinwedel,
SGB X, 88. EL Dezember 2015, § 50 Rn. 39; Keller in Meyer-Ladewig/Leitherer,
SGG, 11. Aufl., § 86b Rn. 22, 49). Es kommt hinzu, dass der Beklagte den
Schulvertrag in Kenntnis der ungesicherten Finanzierung und vor Erlass der
einstweiligen Anordnung vom 24. November 2008 abgeschlossen hat, also be-
wusst auf Planungssicherheit verzichtete.
4.
Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerich-
tig - die Frage, ob der Leistungserbringer und der Hilfeempfänger als Gesamt-
schuldner nach § 421 BGB haften, offen gelassen. Dies ist zu bejahen. Der An-
spruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gegen den Beklagten und der öf-
fentlich-rechtliche Erstattungsanspruch aus § 50 Abs. 1 beziehungsweise § 50
Abs. 2 i.V.m. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3, Abs. 4 SGB X gegen den Hilfeempfänger
stehen gleichstufig nebeneinander. Denn nach den Grundsätzen des sozialhil-
ferechtlichen Dreiecks hat der Kläger seine gegenüber dem Hilfeempfänger
bestehende Sachleistungsverschaffungspflicht dadurch erfüllt, dass er das aus
dem Schulvertrag geschuldete Entgelt an den Beklagten gezahlt hat. Der Hilfe-
empfänger hat wiederum eine diesen Zahlungen entsprechende Sachleistung
erhalten, ohne das hierfür vereinbarte Entgelt entrichten zu müssen. Die
Gleichstufigkeit der Rückerstattungsverpflichtungen ergibt sich daraus, dass der
Beklagte und der Hilfeempfänger in gleichem Umfang bereichert und beide zur
Rückzahlung verpflichtet sind, ohne dass einer der Schuldner nur subsidiär o-
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der vorläufig für die andere Verbindung einstehen muss. Insoweit wird ein in-
haltsgleiches Gläubigerinteresse befriedigt (vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember
2011 - VII ZR 7/11, NJW 2012, 1071 Rn. 18; Palandt/Grüneberg aaO § 421
Rn. 7 mwN). Unerheblich ist, dass der Beklagte zivilrechtlich haftet, während
sich die Haftung des Hilfeempfängers nach öffentlichem Recht richtet (vgl. Pa-
landt/Grüneberg aaO Rn. 10).
Die Erfüllung durch einen Gesamtschuldner wirkt gemäß § 422 Abs. 1
Satz 1 BGB auch für den anderen Gesamtschuldner. Die von den Eltern des
Hilfeempfängers seit dem 1. Januar 2013 erstatteten Beträge kommen deshalb
auch dem Beklagten zugute (§ 362 Abs. 1 BGB). Zur konkreten Höhe dieser
Zahlungen fehlen bislang nähere Feststellungen.
III.
Das angefochtene Urteil ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO)
und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsge-
richt zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563
Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 ZPO). Das Oberlandesgericht hat nunmehr insbeson-
dere die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zur Höhe der bislang ge-
leisteten Rückzahlungen nachzuholen und auf dieser Grundlage zu beurteilen,
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in welcher Höhe ein Rückzahlungsanspruch gegen den Beklagten noch be-
steht.
Herrmann
Wöstmann
Seiters
Remmert
Reiter
Vorinstanzen:
LG Osnabrück, Entscheidung vom 04.03.2015 - 10 O 1371/14 -
OLG Oldenburg, Entscheidung vom 16.07.2015 - 14 U 22/15 -