Urteil des BGH vom 12.03.2015

Leitsatzentscheidung zu Gesetzlicher Vertreter, Zustellung, Wirkung Ex Nunc, Stationäre Behandlung, Verjährungsfrist

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 207/14
Verkündet am:
12. März 2015
B o t t
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
ZPO §§ 167, 170 Abs. 1 Satz 2, § 189
a) Die Unwirksamkeit der Zustellung an eine prozessunfähige Person (§ 170
Abs. 1 Satz 2 ZPO) kann gemäß § 189 ZPO dadurch geheilt werden, dass
das zuzustellende Schriftstück dem gesetzlichen Vertreter der prozessunfä-
higen Person tatsächlich zugeht.
b) § 167 ZPO erfasst auch die erst durch eine - insgesamt noch "demnächst"
erfolgende - Heilung wirksam gewordene Zustellung.
BGH, Urteil vom 12. März 2015 - III ZR 207/14 - OLG Oldenburg
LG Osnabrück
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 12. März 2015 durch den Vizepräsidenten Schlick und die Richter
Dr. Herrmann, Seiters, Dr. Remmert und Reiter
für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen den Beschluss des 5. Zivilse-
nats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 11. Juni 2014 wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsrechtszugs hat die Beklagte zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin ist Trägerin des S. Hospitals in L. . Sie ver-
langt - soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse - von der Beklagten
gemäß Rechnung vom 13. September 2005 die Zahlung von Entgelt für eine
stationäre Behandlung in der Zeit vom 14. Juli bis 2. September 2005 in Höhe
von 32.846,81 €.
Am 15. Juli 2005 wurde die Beklagte wegen einer perforierten Diverkulitis
im Krankenhaus der Klägerin operiert. Am 17. Juli 2005 erlitt die Beklagte einen
Herz-Kreislauf-Stillstand. Sie konnte zwar reanimiert werden, allerdings verblieb
ein hypoxischer Hirnschaden im Sinne eines apallischen Syndroms mit der Fol-
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ge, dass die Beklagte seitdem im Wachkoma liegt und keine Kommunikation
aufnehmen kann. Mit Beschluss des Amtsgerichts L. vom 9. August
2005 wurde der Ehemann der Beklagten zu deren Betreuer bestellt.
Auf ihren am 22. Dezember 2008 bei dem Amtsgericht U. - Zentra-
les Mahngericht - eingegangenen Antrag hat die Klägerin am 23. Dezember
2008 einen Mahnbescheid gegen die Beklagte erwirkt. Der Mahnbescheid und
seine Zustellung richteten sich an die Beklagte persönlich. Er wurde am 30. De-
zember 2008 von dem Zusteller in den Briefkasten eingeworfen, der zu der von
dem Ehemann und früher - vor ihrer Aufnahme in ein Pflegeheim im September
2005 - auch von der Beklagten genutzten Wohnung gehört. Der Ehemann und
Betreuer der Beklagten fand den Mahnbescheid am 3. oder 4. Januar 2009 in
der Post vor. Er öffnete den Umschlag und legte sodann Widerspruch gegen
den Mahnbescheid ein.
Die Beklagte hat sich auf die Einrede der Verjährung berufen und hierzu
ausgeführt, dass die am 31. Dezember 2008 endende Verjährungsfrist nicht
gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB, § 167 ZPO durch Zustellung des Mahnbe-
scheids gehemmt worden sei, weil diese Zustellung gemäß § 170 Abs. 1 Satz 2
ZPO unwirksam sei und dieser Mangel nicht gemäß § 189 ZPO geheilt werden
könne. Die Klägerin meint hingegen, der Zustellungsmangel sei durch den tat-
sächlichen Zugang des Mahnbescheids beim Betreuer der Beklagten geheilt
worden mit der Folge, dass die Verjährungsfrist rechtzeitig vor ihrem Ablauf ge-
hemmt worden sei.
Das Landgericht hat antragsgemäß ein Versäumnisurteil gegen die Be-
klagte erlassen. Hiergegen hat die Beklagte rechtzeitig Einspruch eingelegt. Im
weiteren Prozessverlauf hat die Beklagte unter dem Vorwurf fehlerhafter ärztli-
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cher Behandlung Widerklage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld er-
hoben. Nach Beweisaufnahme hat das Landgericht das Versäumnisurteil
hinsichtlich der Forderung aus der Rechnung vom 13. September 2005 über
32.846,81
€ (nebst Zinsen) aufrechterhalten, das weitergehende Versäumnisur-
teil unter teilweiser Abweisung der Klage aufgehoben und die Widerklage ab-
gewiesen. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte mit dem Ziel der vollständigen
Klageabweisung - also beschränkt auf ihre Verurteilung zur Bezahlung der
Rechnung vom 13. September 2005 über 32.846,81 € nebst Zinsen - Berufung
eingelegt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1
ZPO durch Beschluss zurückgewiesen. Mit ihrer vom erkennenden Senat zuge-
lassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision bleibt in der Sache ohne Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat die Einrede der Verjährung für nicht durchgrei-
fend erachtet und hierzu ausgeführt:
Die Verjährung sei gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB durch Zustellung des
Mahnbescheids gehemmt worden. Zwar sei die Zustellung an die Beklagte per-
sönlich gemäß § 170 Abs. 1 Satz 2 ZPO unwirksam gewesen. Dieser Zustel-
lungsmangel sei jedoch dadurch geheilt worden, dass der Mahnbescheid dem
gesetzlichen Vertreter der Beklagten, ihrem Ehemann und Betreuer, am 3. oder
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4. Januar 2009 zugegangen sei (§ 189 ZPO). Gemäß § 167 ZPO wirke die Zu-
stellung auf den Zeitpunkt des Eingangs des Mahnantrags beim Amtsgericht
zurück.
§ 189 ZPO sei auch auf den Fall der Zustellung an eine prozessunfähige
Person anwendbar. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut von § 189 ZPO. Da-
nach bestehe die Möglichkeit einer Heilung auch für den Fall, dass das zuzu-
stellende Schriftstück der Person zugehe, "an die die Zustellung dem Gesetz
gemäß gerichtet werden konnte" (§ 189 Alt. 2 ZPO), die also nicht der Adressat
des Schriftstücks gewesen sei. Aus der Gesetzesbegründung ergebe sich kein
Anhalt dafür, dass § 189 ZPO im Fall des § 170 Abs. 1 Satz 2 ZPO keine An-
wendung finden solle. Vielmehr komme darin zum Ausdruck, dass § 189 ZPO
nicht restriktiv, sondern weit auszulegen sei. Dies stehe auch mit dem dem Zu-
stellungsreformgesetz zu Grunde liegenden Gedanken der Vereinfachung und
"Entförmlichung" des Zustellungsrechts im Einklang. Die Schutzinteressen der
prozessunfähigen Partei seien ausreichend gewahrt, wenn ihr gesetzlicher Ver-
treter das zuzustellende Schriftstück in Empfang und zur Kenntnis nehme; et-
waige Fristen begännen erst ab diesem Zeitpunkt zu laufen. Die Warnfunktion
der Zustellung sei nicht geringer, wenn der gesetzliche Vertreter einer prozess-
unfähigen Person ein Schriftstück entgegennehme, das nicht an ihn, sondern
an die prozessunfähige Person adressiert sei. Der gesetzliche Vertreter wisse
auch in diesem Fall, dass er für die von ihm vertretene Person handeln müsse;
er dürfe die Zustellung nicht für unwirksam und unbeachtlich halten.
§ 167 ZPO sei ebenfalls anwendbar. Diese Norm differenziere nicht zwi-
schen Zustellungen, die von vornherein ordnungsgemäß seien, und solchen,
die nachträglich geheilt würden. Durch die Heilung eines Zustellungsmangels
werde dieser ausgeräumt und die Wirkungen der Zustellung träten ein.
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II.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Das Beru-
fungsgericht hat eine Verjährung der Klageforderung zu Recht verneint. Die am
31. Dezember 2008 endende Verjährungsfrist (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB) ist
durch die auf den Eingang des Mahnantrags am 22. Dezember 2008 zurück
wirkende Zustellung des Mahnbescheids vom 23. Dezember 2008 rechtzeitig
gehemmt worden (§ 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB, §§ 167, 189 ZPO).
1.
Die Beklagte ist prozessunfähig (§ 52 ZPO, § 104 Nr. 2 BGB) mit der
Folge, dass die an sie gerichtete Zustellung des Mahnbescheids gemäß § 170
Abs. 1 Satz 2 ZPO unwirksam gewesen ist. Ob ein solcher Mangel gemäß
§ 189 ZPO dadurch geheilt werden kann, dass der Mahnbescheid dem gesetz-
lichen Vertreter (hier: dem Betreuer) tatsächlich zugeht, ist umstritten.
a) Eine Heilung gemäß § 189 ZPO für möglich halten das Landessozial-
gericht Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 22. August 2014 - L 13 SB 97/14,
juris Rn. 14 ff) und Teile des Schrifttums (Zöller/Stöber, ZPO, 30. Aufl., § 189
Rn. 5, 6; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 170 Rn. 12; so wohl auch
Musielak/Wittschier, ZPO, 11. Aufl., § 189 Rn. 3; unklar MüKoZPO/Häublein,
4. Aufl., § 170 Rn. 4, 5 und § 189 Rn. 7, 8). Ein anderer Teil des Schrifttums
verneint demgegenüber eine Heilungsmöglichkeit nach § 189 ZPO (Thomas/
Putzo/Hüßtege, ZPO, 35. Aufl., § 170 Rn. 3; Hk-ZPO/Eichele, 6. Aufl., §170
Rn. 1; BeckOK-ZPO/Dörndorfer, Stand 15. September 2014, § 170 Rn. 3;
PG/Tombrink/Kessen, ZPO, 6. Aufl., § 170 Rn. 3).
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b) Der erkennende Senat schließt sich in Übereinstimmung mit dem Be-
rufungsgericht der erstgenannten Auffassung an.
aa) Für diese Ansicht sprechen zunächst der Wortlaut und die Systema-
tik von § 189 ZPO. Danach ergibt sich kein Anhalt für eine Einschränkung der
Heilungsmöglichkeit, insbesondere nicht für einen Ausschluss der Anwendbar-
keit auf die Unwirksamkeit der Zustellung an eine prozessunfähige Person ge-
mäß § 170 Abs. 1 Satz 2 ZPO. Dass § 170 Abs. 1 Satz 2 ZPO die Unwirksam-
keit ausdrücklich anordnet, hat lediglich klarstellenden Charakter (s. Gesetz-
entwurf der Bundesregierung zum Zustellungsreformgesetz, BT-Drucks.
14/4554, S. 17; so auch LSG NRW aaO Rn. 16). Das Berufungsgericht weist
ferner zutreffend darauf hin, dass eine Heilung gemäß § 189 Alt. 2 ZPO auch
dann eintreten kann, wenn der Empfänger des zuzustellenden Schriftstücks (s.
§ 182 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) nicht mit der Person identisch ist, die auf dem Schrift-
stück beziehungsweise dessen Umschlag als Adressat der Zustellung angege-
ben ist (s. § 182 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), sofern die Zustellung nach den gesetzlichen
Bestimmungen an den tatsächlichen Empfänger hätte gerichtet werden können
(oder sogar, wie hier, hätte gerichtet werden müssen).
bb) Hinzu treten Erwägungen des Gesetzgebers und der Zweck der in
Frage stehenden Vorschriften.
§ 189 ZPO soll nach der Regelungsabsicht des Gesetzgebers für jede
Zustellung gelten (s. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Zustellungsre-
formgesetz aaO S. 25; s. auch LSG NRW aaO). Dieser Norm liegt das Prinzip
der Zweckerreichung zugrunde. Gelangt das zuzustellende Schriftstück zum
richtigen Empfänger, so hat die Zustellung - mit Wirkung ex nunc - ihren Zweck
erfüllt. Wollte man der Zustellung in diesem Falle gleichwohl die Wirksamkeit
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(durch Heilung) versagen, so wäre dies eine unnötige Förmelei. Vor diesem
Hintergrund ist § 189 ZPO weit auszulegen (s. dazu etwa BGH, Urteil vom
27. Januar 2011 - VII ZR 186/09, BGHZ 188, 128, 144 Rn. 47 mwN; Stein/
Jonas/Roth aaO § 189 Rn. 1; MüKoZPO/Häublein aaO § 189 Rn. 1 mwN in dor-
tiger Fn. 3).
Die besondere Schutzbedürftigkeit der prozessunfähigen Person steht
der Heilungsmöglichkeit nach § 189 ZPO nicht entgegen. Zu Recht hat das Be-
rufungsgericht ausgeführt, dass der gesetzliche Vertreter, der eine an die von
ihm vertretene prozessunfähige Person gerichtete Sendung erhält, hierauf in
aller Regel nicht anders reagiert als auf ein Schriftstück, das an ihn in seiner
Eigenschaft als gesetzlicher Vertreter der prozessunfähigen Person adressiert
ist. In beiden Fällen erkennt er, dass die Sendung der Sache nach die prozess-
unfähige Person betrifft und er als ihr gesetzlicher Vertreter gehalten ist, den
Inhalt des Schriftstücks zur Kenntnis zu nehmen und die danach gebotenen
Maßnahmen zu ergreifen.
2.
Zutreffend hat das Berufungsgericht auch die Rückwirkung des tatsächli-
chen Zugangs des Mahnbescheids beim Betreuer der Klägerin (spätestens) am
4. Januar 2009 auf den Zeitpunkt der Einreichung des Mahnantrags am 22. De-
zember 2008 gemäß § 167 ZPO bejaht. § 167 ZPO erfasst auch die erst durch
eine (insgesamt noch "demnächst" erfolgende) Heilung wirksam gewordene
Zustellung (s. etwa Thomas/Putzo/Hüßtege aaO § 167 Rn. 9; Zöller/Greger,
aaO § 167 Rn. 16; Stein/Jonas/Roth aaO § 167 Rn. 17), da die Fiktion des
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§ 189 ZPO sämtliche Rechtsfolgen einer wirksamen Zustellung herbeiführt (vgl.
PG/Tombrink/Kessen aaO § 189 Rn. 6).
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Herrmann
Seiters
Remmert
Reiter
Vorinstanzen:
LG Osnabrück, Entscheidung vom 29.01.2014 - 3 O 217/09 -
OLG Oldenburg, Entscheidung vom 11.06.2014 - 5 U 38/14 -