Urteil des BGH vom 23.07.2015

Leitsatzentscheidung zu Auskunft, Sozialversicherungsrechtlicher Status, Öffentlich, Körperschaft

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 196/14
Verkündet am:
23. Juli 2015
P e l l o w s k i
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB §§ 195, 199 Abs. 1, § 839 Fm; SGB IV § 28h
Zur Verjährung eines Amtshaftungsanspruchs, der aus der Erteilung einer
unrichtigen Auskunft (hier: der Einzugsstelle über den Fortbestand der Ren-
ten- und Arbeitslosenversicherungspflicht) hergeleitet wird, wenn ein sozial-
gerichtliches Verfahren mit dem Ziel geführt worden ist, einen im Wider-
spruch zu jener Auskunft ergangenen belastenden Verwaltungsakt (hier: Zu-
rückweisung eines Antrags auf Bewilligung von Arbeitslosengeld) zu
beseitigen (Fortführung von BGH, Urteile vom 6. Mai 1993 - III ZR 2/92,
BGHZ 122, 317 und vom 12. Oktober 2000 - III ZR 121/99, WM 2001, 145).
BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 - III ZR 196/14 - KG Berlin
LG Berlin
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 23. Juli 2015 durch den Vizepräsidenten Schlick und die Richter Seiters,
Tombrink, Dr. Remmert und Reiter
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 9. Zivilsenats
des Kammergerichts vom 21. Mai 2014 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger nimmt die beklagte Krankenkasse aus Amtshaftung auf
Schadensersatz in Anspruch. Er war seit dem 1. September 1998 als ge-
schäftsführender Gesellschafter einer GmbH tätig und bei der Beklagten kran-
kenversichert. Die Beklagte war Einzugsstelle für die Sozialversicherungsbei-
träge des Klägers.
Mit Schreiben vom 6. November 2001 teilte die Beklagte dem Kläger auf
sein Schreiben vom 1. November 2001 mit, nach Überprüfung seiner geänder-
ten Arbeitsbedingungen - unter anderem wurde seine Einlage zum Stammkapi-
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tal auf 25.500 DM (von 50.000 DM GmbH-Gesamtstammkapital) erhöht - ergä-
ben sich keine Änderungen bei der versicherungsrechtlichen Beurteilung. Er sei
nach wie vor versicherungspflichtig in der Renten- und Arbeitslosenversiche-
rung. Dementsprechend wurden auch nach November 2001 für den Kläger die
Beiträge zur gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung entrichtet.
Der Kläger kündigte das Dienstverhältnis mit der GmbH zum 1. Oktober
2004 und beantragte für die Zeit vom 2. Oktober 2004 bis zur Aufnahme einer
selbständigen Tätigkeit am 1. Januar 2005 die Zahlung von Arbeitslosengeld.
Nachdem die Bundesagentur für Arbeit dem Antrag mit Bescheid vom 3. De-
zember 2004 zunächst stattgegeben hatte, erließ sie einen Rückforderungsbe-
scheid. Diesen hob sie mit Bescheid vom 7. September 2005 auf und bewilligte
das beantragte Arbeitslosengeld.
Am 30. Juli 2007 beantragte der Kläger erneut Arbeitslosengeld. Der An-
trag wurde von der Bundesagentur für Arbeit mit Bescheid vom 9. August 2007
zurückgewiesen. Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies die
Bundesagentur für Arbeit mit Bescheid vom 10. Oktober 2007 zurück. Die ge-
gen diesen Bescheid gerichtete Klage wies das Sozialgericht Chemnitz mit
Urteil vom 29. Oktober 2009 ab. Berufung und Nichtzulassungsbeschwerde des
Klägers blieben ohne Erfolg.
Der Kläger bezieht seit dem 1. Dezember 2008 Altersrente.
Er hat behauptet, er habe der Beklagten im Jahr 2001 seine geänderten
Arbeitsbedingungen angezeigt, um eine Klärung zu erhalten, ob er gleichwohl
weiterhin als Arbeitnehmer einzustufen sei. Hätte ihm die Beklagte mitgeteilt,
dass er als Selbständiger einzustufen sei, hätte er - mit Einverständnis der Mit-
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gesellschafter - seinen Geschäftsführeranstellungsvertrag angepasst und sei-
nen Gesellschaftsanteil auf 23 % des Stammkapitals begrenzt, um den Arbeit-
nehmerstatus zu erhalten. Infolge der fehlerhaften Auskunft der Beklagten sei
ihm Arbeitslosengeld in Höhe von
24.351,88 € entgangen und wegen der nicht
geleisteten Pflichtbeiträge für die Zeit der Arbeitslosigkeit ein erheblicher Ren-
tenschaden entstanden. Zudem sei er angesichts der ausbleibenden Zahlungen
von Arbeitslosengeld zur Sicherung seines Lebensunterhalts gezwungen gewe-
sen, seine Lebensversicherung vorzeitig zu kündigen. Hierdurch habe er einen
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erlust von 3.466,91 € erlitten.
Der Kläger begehrt den Ersatz des ihm entgangenen Arbeitslosengelds,
des Verlusts aus der vorzeitigen Kündigung der Lebensversicherung und eines
ihm bereits entstandenen Rentenschadens von 3.587
,76 €, insgesamt einen
Betrag von 31.406,55 €. Er begehrt des Weiteren die Feststellung, dass die Be-
klagte ihm ab 1. Dezember 2012 einen Betrag von 149,49 € monatlich zu zah-
len hat, solange seine Berechtigung zum Bezug der Altersrente fortdauert.
Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.
Die am 27. Dezember 2011 beim Landgericht eingegangene Klage ist
der Beklagten am 22. März 2012 zugestellt worden. Das Landgericht hat die
Klage wegen Verjährung des Schadensersatzanspruchs abgewiesen. Der Klä-
ger hat das landgerichtliche Urteil mit der Berufung angegriffen und geltend
gemacht: Seine Ansprüche seien nicht verjährt. Er habe erst durch das Urteil
des Sozialgerichts Chemnitz Kenntnis von den Ansprüchen gegen die Beklagte
erlangt. Neben der Geltendmachung eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld ge-
genüber der Bundesagentur für Arbeit sei ihm eine Klageerhebung gegen die
Beklagte zur Verfolgung des Amtshaftungsanspruchs unzumutbar gewesen,
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weil er in beiden Prozessen widersprüchlich hätte vortragen müssen. Das
Kammergericht hat die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO
zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vom erkennenden
Senat zugelassene Revision des Klägers.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des ange-
fochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beru-
fungsgericht.
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts scheitert die Durchsetzung des
geltend gemachten Amtshaftungsanspruchs an der Verjährungseinrede der Be-
klagten. Der Kläger habe bereits Ende des Jahres 2007 Kenntnis von den den
Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners im Sinne
von § 199 Abs. 1 BGB gehabt. Hinreichende Kenntnis habe der Verletzte, wenn
er aufgrund der ihm bekannten Tatsachen gegen eine bestimmte Person eine
Schadensersatzklage erheben könne, die bei verständiger Würdigung so viel
Erfolgsaussicht habe, dass sie ihm zumutbar sei. Für die Kenntnis sei auf die
Fälligkeit des ersten einklagbaren Teils des Schadens abzustellen. Der Kläger
habe Ende des Jahres 2007 gewusst, dass ihm wegen der nach seiner Auffas-
sung falschen Auskunft der Beklagten bereits ein Schaden in Gestalt der vorzei-
tigen Auflösung der Lebensversicherung entstanden sei und ein weiterer Scha-
den drohe.
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Die Zumutbarkeit der Klageerhebung lasse sich nicht mit der Begrün-
dung verneinen, der Kläger habe gegen die Bundesagentur für Arbeit den An-
spruch auf Arbeitslosengeld und gegen die Beklagte den Amtshaftungsan-
spruch geltend machen und hierbei in beiden Prozessen widersprüchlich vor-
tragen müssen. Unzumutbar sei die Erhebung der Amtshaftungsklage nur,
wenn sich die verwaltungsgerichtliche Klage und der parallel zu führende Amts-
haftungsprozess gegen dieselbe öffentlich-rechtliche Körperschaft richteten. Die
unterschiedlichen Träger der Sozialversicherung könnten insoweit nicht als die-
selbe Person betrachtet werden.
II.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1.
Ein - revisionsrechtlich zu unterstellender - Schadensersatzanspruch des
Klägers aus Amtshaftung ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts
nicht verjährt. Die auf den Anspruch des Klägers anwendbare regelmäßige Ver-
jährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB) begann nach § 199 Abs. 1 BGB kei-
nesfalls vor dem Schluss des Jahres 2009, nachdem die gegen den Wider-
spruchsbescheid der Bundesagentur für Arbeit gerichtete Klage des Klägers
durch Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 29. Oktober 2009 abgewiesen
worden war. Sie wurde durch die Erhebung der Klage im Jahr 2012 in vorlie-
gendem Rechtsstreit gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB rechtzeitig gehemmt.
Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB
mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläu-
biger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des
Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
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Die erforderliche Kenntnis beziehungsweise grob fahrlässige Unkenntnis als
Voraussetzung für den Beginn der Verjährungsfrist ist vorhanden, wenn der
Geschädigte aufgrund der ihm bekannten Tatsachen gegen eine bestimmte
Person eine Schadensersatzklage, sei es auch nur eine Feststellungsklage,
erheben kann, die bei verständiger Würdigung so viel Erfolgsaussicht hat, dass
sie ihm zumutbar ist (Senat, Urteile vom 11. Januar 2007 - III ZR 302/05, BGHZ
170, 260 Rn. 28; vom 21. April 2005 - III ZR 264/04, NVwZ 2006, 245, 248; vom
22. Januar 2004 - III ZR 99/03, WM 2004, 2026, 2027; vom 12. Oktober 2000
- III ZR 121/99, WM 2001, 145, 146 und vom 6. Mai 1993 - III ZR 2/92, BGHZ
122, 317, 325).
a) Besteht die Amtspflichtverletzung, wie hier, in einer dem Geschädigten
günstigen Auskunft, ist es ihm regelmäßig vor Abschluss des von ihm auf der
Grundlage der erhaltenen Auskunft betriebenen verwaltungsrechtlichen Verfah-
rens nicht zuzumuten, eine Amtshaftungsklage zu erheben, da erst der Aus-
gang des verwaltungs- oder - wie hier - sozialgerichtlichen Prozesses dem Ge-
schädigten die erforderliche Kenntnis verschafft, ob überhaupt eine Amtspflicht-
verletzung vorgelegen hat und ein Schaden entstanden ist (vgl. Senat, Urteile
vom 21. April 2005 aaO und vom 6. Mai 1993 aaO S. 324 f; Staudinger/Wöst-
mann, BGB § 839 [Neubearbeitung 2013] Rn. 382). Würde man dem Geschä-
digten ansinnen, parallel zu dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren, sei es
auch nur zur Fristwahrung, eine Amtshaftungsklage wegen der Erteilung der
Auskunft zu erheben, würde man ihm zumuten, sich prozessual widersprüchlich
zu verhalten. Er müsste sich dann im Amtshaftungsprozess auf den Rechts-
standpunkt stellen, dass die Auskunft rechts- und amtspflichtwidrig gewesen
sei, während er im Verfahren vor den Fachgerichten von der Rechtmäßigkeit
der Auskunft und der Rechtswidrigkeit des zu ihr in Widerspruch stehenden Be-
scheids ausgehen müsste. In derartigen Fällen wird erst durch das fachgericht-
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liche Verfahren die Grundlage für die Beurteilung der Frage geschaffen, ob die
Versagung des beantragten Bescheids beziehungsweise der beantragten Leis-
tung rechtmäßig gewesen ist. Erst durch die Zustellung des verwaltungsgericht-
lichen Urteils erlangt der Geschädigte diejenigen Kenntnisse, die es ihm zumut-
bar machen, die Amtshaftungsklage wegen der amtspflichtwidrigen Auskunft zu
erheben (vgl. Senat, Urteile vom 6. Mai 1993 und vom 12. Oktober 2000, je-
weils aaO).
Diese Erwägungen sind vor dem Hintergrund zu verstehen, dass sich die
fachgerichtliche Klage und der parallel zu führende Amtshaftungsprozess ge-
gen dieselbe öffentlich-rechtliche Körperschaft richten. Für einen Rückgriff ge-
gen einen Dritten gelten sie nicht. So hat der Senat in einem Fall der Notarhaf-
tung, bei dem es nicht um eine verwaltungsgerichtliche Klage, sondern um ei-
nen Zivilrechtsstreit zur Abwehr des - durch eine vom Notar fehlerhaft entworfe-
ne Garantieerklärung entstandenen - Schadens ging, entschieden, die Zumut-
barkeit einer vorsorglichen Feststellungsklage gegen den beklagten Notar lasse
sich nicht mit Rücksicht auf unzumutbar widersprüchliches Verhalten verneinen
(Senat, Urteil vom 22. Januar 2004 aaO). Dem Geschädigten ist nämlich ein
unterschiedlicher prozessualer Vortrag im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der
Amtshandlung eher zumutbar, wenn er gegenüber zwei verschiedenen Pro-
zessgegnern erfolgt, als wenn er gegenüber demselben Prozessgegner erfolgt.
b) Das Berufungsgericht hat die vorgenannte Senatsrechtsprechung ge-
sehen und zutreffend wiedergegeben. Nach seiner Auffassung können die un-
terschiedlichen Träger der Sozialversicherung nicht als ein und dieselbe Person
betrachtet werden.
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Dem kann für den vorliegenden Fall nicht gefolgt werden. Zwar handelt
es sich bei der Beklagten als Gegner im Amtshaftungsprozess und der Bunde-
sagentur für Arbeit als Gegner im sozialgerichtlichen Verfahren - formal be-
trachtet - um zwei unterschiedliche Prozessgegner und zwei unterschiedliche
öffentlich-rechtliche Körperschaften. Dennoch kann, worauf die Revision zu
Recht hinweist, aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falles die Be-
klagte im Verhältnis zur Bundesagentur für Arbeit nicht als "Dritte" angesehen
werden mit der Folge, dass es dem Kläger zumutbar wäre, in dem gegen die
Beklagte gerichteten Amtshaftungsprozess anders vorzutragen als in dem ge-
gen den Bescheid der Bundesagentur für Arbeit gerichteten sozialgerichtlichen
Verfahren.
Die Beklagte wurde, als sie mit Schreiben vom 6. November 2001 die auf
die Arbeitslosen- und Rentenversicherungspflicht des Klägers bezogene Aus-
kunft erteilte, nicht als Träger der Sozialversicherung tätig, sondern als Ein-
zugsstelle nach § 28h Abs. 2 Satz 1 SGB IV. Als solche und nicht als Träger
der Krankenversicherung wird sie vom Kläger in Anspruch genommen. Die Auf-
gaben der Einzugsstelle werden in § 28h SGB IV festgelegt. Nach § 28h Abs. 1
Satz 1 SGB IV ist der Gesamtsozialversicherungsbeitrag an die Krankenkassen
(Einzugsstellen) zu zahlen. Die Beklagte steht dabei als Einzugsstelle in einem
öffentlich-rechtlichen Treuhandverhältnis zur Bundesagentur für Arbeit als
Fremdversicherungsträger. Im Rahmen des Treuhandverhältnisses tritt sie zwar
im Außenverhältnis zum Beitragsschuldner als Anspruchsinhaberin auf. Im In-
nenverhältnis bleibt jedoch die Bundesagentur für Arbeit Anspruchsinhaberin, in
deren Interesse die Beklagte als Einzugsstelle zu handeln hat (BSGE 101, 1
Rn. 15 mwN aus der Rechtsprechung des BSG; Wehrhahn in Kasseler Kom-
mentar zum Sozialversicherungsrecht, § 28h SGB IV [2014] Rn. 2 mwN;
jurisPK-SGB IV/Scheer, 2. Aufl., § 28h Rn. 66).
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Diese "Inkassotätigkeit" (Scheer aaO) der Beklagten für die Bundesagen-
tur für Arbeit bringt die Beklagte in eine solche Nähe zur Bundesagentur, dass
eine allein an die formale Parteirolle anknüpfende Sichtweise in vorliegendem
Zusammenhang nicht gerechtfertigt erscheint. Zwar handelte es sich bei der
dem Kläger erteilten Auskunft der Beklagten nicht unmittelbar um eine Inkasso-
tätigkeit. Die Beklagte erteilte die Auskunft jedoch in ihrer Eigenschaft als "Ein-
zugsstelle" (§ 28h Abs. 2 Satz 1 SGB IV) und im Hinblick darauf, dass etwaige
Beiträge später auch von ihr - für die Bundesagentur für Arbeit - eingezogen
werden würden.
Die treuhänderische Verbundenheit der Beklagten und der Bundesagen-
tur für Arbeit und die Tätigkeit der Beklagten im Aufgabenbereich der Bunde-
sagentur für Arbeit stehen mithin einer Betrachtung der beiden öffentlich-
rechtlichen Körperschaften als voneinander verschiedene Prozessgegner des
Klägers entgegen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist deshalb
die Senatsrechtsprechung zur Unzumutbarkeit widersprüchlichen Prozessvor-
trags gegenüber derselben öffentlich-rechtlichen Körperschaft entsprechend
anwendbar. Ein widersprüchlicher Prozessvortrag in gegen den öffentlich-recht-
lichen "Treuhänder" und den öffentlich-rechtlichen "Treugeber" geführten Paral-
lelprozessen ist dem Kläger nicht zumutbar.
2.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich - entgegen der Auf-
fassung der Revisionsbeklagten - auch nicht aus anderen Gründen als richtig
dar (§ 561 ZPO).
a) Entgegen der Auffassung der Revision ist eine Pflichtverletzung der
Beklagten nicht schon deshalb zu verneinen, weil die Beklagte dem Kläger kei-
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ne "verbindliche" Auskunft erteilen wollte. Zwar hat ein förmliches Anfragever-
fahren nach § 7a SGB IV, in dem das Vorliegen einer Beschäftigung verbindlich
geklärt wird, nicht stattgefunden; über einen diesbezüglichen Antrag, der erst
infolge des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt
vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2954) mit Wirkung vom 1. Januar 2005 für
geschäftsführende Gesellschafter einer GmbH zwingend zu stellen ist (§ 7a
Abs. 1 Satz 2 SGB IV nF), hätte im Übrigen nicht die Beklagte, sondern seiner-
zeit die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (heute: die Deutsche Ren-
tenversicherung Bund) entscheiden müssen. Indes bedeutet eine mangelnde
Rechtsverbindlichkeit der Auskunft nicht, dass diese nicht Grundlage für ein
schutzwürdiges Vertrauen des Klägers sein könnte. Nach der ständigen Recht-
sprechung des Senats müssen Auskünfte, die ein Beamter erteilt, dem Stand
seiner Erkenntnismöglichkeit entsprechend sachgerecht, das heißt vollständig,
richtig und unmissverständlich sein, so dass der Empfänger der Auskunft ent-
sprechend disponieren kann (vgl. Senat, Urteile vom 10. Juli 2003 - III ZR
155/02, BGHZ 155, 354, 357 [zu "nicht rechtsverbindlich" erteilten Rentenaus-
künften] und vom 11. Oktober 2007 - III ZR 301/06, VersR 2008, 252 Rn. 14;
Staudinger/Wöstmann aaO Rn. 150 mwN). Die mangelnde Rechtsverbindlich-
keit einer Auskunft kann daher nur dahin verstanden werden, dass mit ihr eine
verbindliche Regelung des Versicherungsverhältnisses noch nicht verbunden
ist. Dies ändert allerdings nichts daran, dass die Versicherungsträger und vor-
liegend auch die Beklagte als sozialversicherungsrechtliche Einzugsstelle nach
den vorstehenden Grundsätzen verpflichtet sind, Auskünfte vollständig, eindeu-
tig und vor allem richtig zu erteilen, weil sich der Auskunftsbegehrende grund-
sätzlich auf die Richtigkeit der Auskunft verlassen darf und er einen Anspruch
hat, in seinem Vertrauen hierauf geschützt zu werden (Senat, Urteil vom 10. Juli
2003 aaO; BSGE 44, 114, 121). Auch dort, wo eine Amtspflicht zur Erteilung
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der Auskunft nicht besteht, muss die Auskunft, wenn sie gleichwohl erteilt wird,
diesen Erfordernissen genügen (Staudinger/Wöstmann aaO).
b) Soweit die Revisionsbeklagte in Frage stellt, ob für den Kläger sein
sozialversicherungsrechtlicher Status bei der Gestaltung seines Arbeitsvertrags
entscheidend gewesen sei, handelt es sich um eine Würdigung, die dem
Tatrichter vorbehalten bleibt.
c) Im Hinblick auf den vom Kläger in Gestalt des ihm entgangenen Ar-
beitslosengelds geltend gemachten Schaden fehlt es - entgegen der Auffas-
sung der Revisionsbeklagten - auch nicht deshalb an einem Kausalzusammen-
hang, weil dem Kläger unabhängig von der Frage seines sozialversicherungs-
rechtlichen Status kein Anspruch auf Zahlung von Arbeitslosengeld ab dem
1. August 2007 zustand.
Zwar trifft es zu, dass der Kläger innerhalb der vom 1. August 2007 an
rückwärts zu berechnenden zweijährigen Rahmenfrist nicht mehr als 12 Monate
in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat (vgl. § 118 Abs. 1 Nr. 3,
§ 123 Satz 1, § 124 Abs. 1 SGB III, jeweils in der Fassung des Art. 1 des Dritten
Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember
2003, BGBl. I S. 2848). Auch ist den Urteilen des Sozialgerichts Chemnitz vom
29. Oktober 2009 und des Sächsischen Landessozialgerichts vom 7. April 2011
zu entnehmen, dass der Kläger einen Anspruch auf Arbeitslosengeld ab dem
1. August 2007 nicht aus dem Restanspruch des ab 2. Oktober 2004 mit Be-
scheid vom 2. Dezember 2004 bewilligten Anspruchs herleiten konnte, obwohl
die Frist des § 147 Abs. 2 SGB III (in der Fassung des Art. 1 des Arbeitsförde-
rungs-Reformgesetzes vom 24. März 1997, BGBl. I S. 594) noch nicht abgelau-
fen war. Denn der Bewilligungsbescheid begründete nicht die - im Rahmen des
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§ 147 Abs. 2 SGB III aF maßgebliche - materielle Anspruchsberechtigung
(Stammrecht), sondern nur den Leistungsanspruch im engeren Sinne (Zah-
lungsanspruch; vgl. BSG, NZS 1995, 418, 419; zur Unterscheidung zwischen
Stammrecht und Einzelanspruch auf Auszahlung vgl. auch BSGE 95, 191
Rn. 21).
Maßgeblich für einen Restanspruch des Klägers nach § 147 Abs. 2 SGB
III aF ist allein, ob dem Kläger am 2. Oktober 2004 ein materieller Anspruch auf
Arbeitslosengeld (Stammrecht) zustand (zur Maßgeblichkeit des Stammrechts
im Rahmen von § 147 Abs. 2 SGB III aF vgl. Kreikebohm/Mutschler, Kommen-
tar zum Sozialrecht, 2. Aufl. 2011, § 147 SGB III Rn. 4, 14). Ein solches Stamm-
recht entstand, wenn zum vorgenannten Zeitpunkt die gesetzlichen Tatbe-
standsvoraussetzungen erfüllt waren, ohne dass es hierfür notwendigerweise
eines Bewilligungsbescheids bedurfte (vgl. BSGE 95, 191 aaO). Insofern über-
sieht die Revisionsbeklagte, dass das Sozialgericht Chemnitz und das Landes-
sozialgericht Sachsen einen solchen Anspruch auf der Grundlage der zu die-
sem Zeitpunkt bestehenden Beteiligung des Klägers an der GmbH verneint ha-
ben. Über ein etwaiges Stammrecht des Klägers zu diesem Zeitpunkt, wenn er
zuvor - nach Erteilung einer zutreffenden Auskunft der Beklagten - entspre-
chend seinem Vortrag den Geschäftsführeranstellungsvertrag angepasst und
seinen Gesellschaftsanteil auf 23 % des Stammkapitals begrenzt hätte, wird in
den vorgenannten Urteilen naturgemäß keine Aussage getroffen. Das Sozialge-
richt hat ausgeführt, der Kläger habe aufgrund des von ihm innegehabten An-
teils am Stammkapital jedenfalls eine Sperrminorität besessen, und aus diesem
Grund ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis verneint. Nach
seinen Feststellungen war nach dem Gesellschaftsvertrag für Gesellschafterbe-
schlüsse eine Mehrheit von mehr als 76 % der Stimmanteile notwendig. Mit ei-
nem Gesellschaftsanteil von 23 % des Stammkapitals hätte der Kläger mithin
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eine - der Versicherungspflicht nach Auffassung des Sozialgerichts entgegen
stehende - Sperrminorität nicht erreicht. Dementsprechend hätte ihm am 2. Ok-
tober 2004 ein materieller Anspruch auf Arbeitslosengeld (Stammrecht) zuge-
standen mit der Folge, dass am 1. August 2007 seit der Entstehung dieses An-
spruchs noch nicht vier Jahre verstrichen gewesen wären und der Kläger nach
§ 147 Abs. 2 SGB III aF einen Restanspruch hätte geltend machen können.
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Das angefochtene Urteil ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache
ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO), das die
erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zu dem vom Kläger geltend ge-
machten - nicht verjährten - Anspruch nachzuholen haben wird.
Schlick
Seiters
Tombrink
Remmert
Reiter
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 19.12.2012 - 36 O 47/12 -
KG Berlin, Entscheidung vom 21.05.2014 - 9 U 60/13 -
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