Urteil des BGH vom 12.12.2013

Leitsatzentscheidung zu Vergütung, Treu Und Glauben, Versicherungsnehmer, Lebensversicherung, Versicherer

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 124/13
Verkündet am:
12. Dezember 2013
K i e f e r
Justizangestellter
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
BGB §§ 307 Bk, Cb, 346, 357, 652; VVG §§ 61, 62
a) Ein Versicherungsvertreter kann sich von seinem Kunden für die Vermittlung
einer Lebensversicherung mit Nettopolice eine Vergütung versprechen las-
sen.
b) Zu den Beratungs- und Hinweispflichten des Versicherungsvertreters im Fal-
le des Abschlusses einer selbständigen Vergütungsvereinbarung mit dem
Kunden.
c) Zur Bemessung des Wertersatzanspruchs des Versicherungsvertreters,
wenn der Kunde die Vergütungsvereinbarung widerrufen hat.
BGH, Urteil vom 12. Dezember 2013 - III ZR 124/13 - LG Stuttgart
AG Stuttgart
- 2 -
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 12. Dezember 2013 durch den Vizepräsidenten Schlick und die Richter
Wöstmann, Tombrink, Dr. Remmert und Reiter
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 4. Zivilkammer
des Landgerichts Stuttgart vom 13. März 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die - damals noch unter S. Vertriebsmanagement GmbH firmie-
rende - Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung restlicher Vergütung für die am
22. August 2007 erfolgte Vermittlung einer fondsgebundenen Lebens- und Ren-
tenversicherung ("Superior InvestmentRente" nach dem Tarif "L. 1") bei der
A. Lebensversicherung S. A. (Luxemburg) in Anspruch.
Bei der vermittelten Versicherung handelte es sich um eine sogenannte
Nettopolice, bei der die zu zahlenden Versicherungsprämien keinen Provisions-
anteil für die Vermittlung des Vertrags enthielten. Stattdessen schlossen die
1
2
- 3 -
Parteien eine vorformulierte "Vergütungsvereinbarung", wonach sich die Be-
klagte verpflichtete, an die Klägerin eine (Vermittlungs-)Vergütung in Höhe von
1.301,40 € in 60 Monatsraten zu je 21,69 € - bei einem angegebenen Barzah-
lungspreis von 1.201,46 € und einem effektiven Jahreszins von 3,36 % - zu ent-
richten. In Nummer 1 der Vergütungsvereinbarung wird darauf hingewiesen,
dass die Klägerin "als Versicherungsvertreter von Lebensversicherungen im
Auftrag der A. Lebensversicherung S.A. tätig" sei und in dieser
Eigenschaft dem Kunden die angebotene Lebens- und Rentenversicherung ver-
mittele. In Nummer 2 der Vereinbarung wird mit Fettdruck hervorgehoben, dass
der Versicherungsvermittler vom Kunden für die Vermittlung und für seine Bera-
tungs- und sonstigen Leistungen im Zusammenhang mit dem Abschluss des
Versicherungsvertrags eine einmalige Vergütung erhalte, der Versicherungstarif
keine Abschlusskosten enthalte und der Versicherungsvermittler deshalb von
der Versicherungsgesellschaft für seine Tätigkeit keine Provision oder sonstige
Vergütung erhalte. In Nummer 4 und 5 wird mit Fettdruck darauf hingewiesen,
dass der Vergütungsanspruch des Versicherungsvermittlers mit Zustandekom-
men des Versicherungsvertrags entstehe und der Kunde wegen der rechtlichen
Unabhängigkeit der Vergütungsvereinbarung vom Versicherungsvertrag auch
bei vorzeitiger Beendigung des Versicherungsvertrags zur Zahlung der Vergü-
tung verpflichtet sei. Am Ende enthält das verwendete Formular folgende Wi-
derrufsbelehrung:
Widerrufsrecht
Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen
ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail)
widerrufen. Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Beleh-
rung. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige Ab-
sendung des Widerrufs. Der Widerruf ist zu richten an: …
- 4 -
Widerrufsfolgen
Im Falle eines wirksamen Widerrufs sind die beiderseits empfan-
genen Leistungen zurückzugewähren und ggf. gezogene Nutzun-
gen (z.B. Zinsen) herauszugeben."
Versicherungsbeginn war der 1. November 2007. Die Beklagte zahlte für
die Monate November 2007 bis November 2008 insgesamt 13 Raten an die
Klägerin. Ab Dezember 2008 stellte sie die Zahlungen ein. Nach Gesamtfällig-
stellung berechnete die Klägerin eine restliche Vergütungsforderung von
825,09
€, die sie mit der vorliegenden Klage nebst Zinsen und Kosten geltend
macht. Mit Anwaltsschreiben vom 20. Oktober 2011 erklärte die Beklagte den
Widerruf der Vergütungsvereinbarung.
Die Beklagte hat unter anderem eingewandt, die Vergütungsvereinba-
rung sei gemäß § 307 BGB unwirksam. Im Übrigen habe sie die Vereinbarung
wirksam widerrufen. Auf einen Wertersatzanspruch könne sich die Klägerin
nicht mit Erfolg stützen, weil ihr als Wertersatz nicht mehr als der bereits ver-
einnahmte Betrag zustehe. Zudem sei die Klägerin ihr, der Beklagten, wegen
Aufklärungspflichtverletzungen zum Schadensersatz verpflichtet.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte
Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageforderung weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen
Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
3
4
5
6
- 5 -
I.
Das Berufungsgericht hat einen Vergütungs- oder Wertersatzanspruch
der Klägerin mit der Begründung verneint, dass die Vergütungsvereinbarung
(jedenfalls) gemäß § 307 Abs. 1, § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB unwirksam sei. Es hat
hierzu im Wesentlichen ausgeführt: Bei der streitgegenständlichen Vergütungs-
regelung handele es sich um eine kontrollfähige allgemeine Geschäftsbedin-
gung. Die formularmäßige Abbedingung des in §§ 165, 174, 178 VVG a.F.
(§§ 168, 165, 171 VVG n.F.) niedergelegten Schicksalsteilungsgrundsatzes,
wonach der Provisionsanspruch vom (Fort-)Bestand des Prämienanspruchs ab-
hänge, sei zwar für den Vergütungsanspruch des Versicherungsmaklers als
zulässig anerkannt. Der Versicherungsvertreter unterscheide sich aber wesent-
lich vom Versicherungsmakler. Während der Versicherungsvertreter, als wel-
cher die Klägerin hier gehandelt habe, im Lager des Versicherers stehe und
dessen Interessen wahrzunehmen habe, habe der Versicherungsmakler die
Position eines unabhängigen neutralen Mittlers zwischen dem Kunden und dem
Versicherer. Anders als im Maklerrecht (§ 652 BGB) gebe es im Recht des Ver-
sicherungsvertreters keine gesetzliche Regelung, deren Inhalt mit dem durch
die Vergütungsvereinbarung intendierten Regelungszweck (Schicksalstren-
nung) unmittelbar in Einklang zu bringen sei. Der wesentliche Grundgedanke
der §§ 87, 87a Abs. 2 und § 92 Abs. 4 HGB begründe vielmehr eine Rechtsla-
ge, in welcher das Schicksal des Provisionsanspruchs vom Bestand eines Prä-
mienanspruchs abhänge (Schicksalsteilung). Davon weiche die hier verwendete
formularvertragliche Regelung in nicht zu vereinbarender Weise ab. Die inten-
dierte Schicksalstrennung von Versicherungsprämie und Vertreterprovision er-
schwere dem Kunden in tatsächlicher Hinsicht eine vorzeitige Kündigung des
auf eine sehr langfristige Dauer (hier 31 Jahre) angelegten Versicherungsver-
hältnisses. Die Nettopolice biete nicht stets eine transparentere Kostenstruktur
7
- 6 -
und sei auch nicht zwingend preisgünstiger als eine Bruttopolice. Wolle sich ein
Versicherungsvermittler eine vom Fortbestand des Versicherungsvertrags un-
abhängige Provision versprechen lassen, so stehe es ihm frei, als Versiche-
rungsmakler aufzutreten und die damit verbundenen erhöhten Beratungspflich-
ten mitsamt der Verwirkungsmöglichkeit nach § 654 BGB zu tragen.
II.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist die Vergütungsregelung
nicht gemäß § 307 Abs. 1 und 2 BGB unwirksam.
Ob es sich bei dieser Regelung, wie die Revision meint, um eine gemäß
§ 307 Abs. 3 Satz 1 BGB der Kontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB entzoge-
ne (reine) Preisvereinbarung handelt, kann dahinstehen. Jedenfalls ist eine ge-
gen die Gebote von Treu und Glauben verstoßende Benachteiligung des Kun-
den zu verneinen.
a) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats kann ein Versiche-
rungsmakler mit seinen Kunden wirksam vereinbaren, dass der Kunde bei der
Vermittlung eines Lebensversicherungsvertrags mit Nettopolice (ratenweise)
eine Maklerprovision zu zahlen hat und der Kunde auch bei einer Kündigung
des Versicherungsvertrags zur Fortzahlung der vereinbarten Provision verpflich-
tet bleibt. Einer solchen Vereinbarung stehen weder zwingende Vorschriften
des Versicherungsvertragsgesetzes (§ 165 Abs. 1, § 174 Abs. 1 und § 178 VVG
a.F.; jetzt: § 168 Abs. 1, § 165 Abs. 1 und § 171 VVG) noch § 305c Abs. 1,
8
9
10
11
- 7 -
§ 307 BGB entgegen. Auch ist in diesem Fall der "Schicksalsteilungsgrund-
satz", wonach bei einer Bruttoversicherungspolice - bei der die Provision des
Versicherungsmaklers in die Versicherungsprämie "eingepreist" ist - die Cour-
tage des Versicherungsmaklers das Schicksal der Versicherungsprämie teilt, im
Verhältnis der Maklervertragsparteien nicht anwendbar (grundlegend hierzu
Senatsurteile vom 20. Januar 2005 - III ZR 251/04, BGHZ 162, 67, 72 ff sowie
III ZR 207/04, VersR 2005, 404 ff; siehe auch Urteile vom 19. Mai 2005 - III ZR
240/04, VersR 2005, 1144, 1145; III ZR 309/04, NJW-RR 2005, 1425 f sowie
III ZR 322/04, VersR 2005, 978, 979).
b) Die Frage, ob auch dann, wenn es sich bei dem Versicherungsvermitt-
ler im Sinne des § 59 Abs. 1 VVG n.F. (= § 42a Abs. 1 VVG a.F.) nicht um ei-
nen Versicherungsmakler, sondern um einen Versicherungsvertreter handelt,
Lebensversicherungen in Form von "Nettopolicen" - also in der Form, dass der
Versicherungsvermittler im Erfolgsfalle seine Vergütung vereinbarungsgemäß
vom Versicherungsnehmer und nicht vom Versicherer erhält - vertrieben wer-
den können, ist bisher in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht
entschieden worden. In der instanzgerichtlichen Rechtsprechung und in der
Literatur werden derartige Vereinbarungen wohl überwiegend für zulässig ge-
halten (bejahend insbesondere OLG Naumburg, VersR 2012, 1034, 1036; s. im
Übrigen die Übersicht bei Reiff, VersR 2012, 645, 647 f und r+s 2013, 525,
531). Auch nach Auffassung des erkennenden Senats können Vergütungsab-
reden der vorliegenden Art wirksam getroffen werden.
aa) Auch wenn nach der herkömmlichen Übung der Versicherungsmak-
ler - ebenso wie der Versicherungsvertreter - im Erfolgsfalle seine Provision
vom Versicherer und nicht vom Versicherungsnehmer erhält (so genannte Brut-
topolice), so besteht doch zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versi-
12
13
- 8 -
cherungsmakler ein "vollwertiger" Maklervertrag. Der Versicherungsmakler ist
Interessenvertreter des Versicherungsnehmers und daher zu einer umfassen-
den Betreuung aller Versicherungsinteressen seines Kunden und zu einer ent-
sprechenden Beratung in Bezug auf den von ihm zu vermittelnden oder bereits
vermittelten Versicherungsvertrag verpflichtet (Senatsurteile vom 20. Januar
2005 - III ZR 251/04 aaO S. 78; vom 19. Mai 2005 - III ZR 309/04 aaO S. 1426;
vom 14. Juni 2007 - III ZR 269/06, NJW-RR 2007, 1503, 1504 Rn. 10 und vom
16. Juli 2009 - III ZR 21/09, NJW-RR 2009, 1688 Rn. 8).
Im Unterschied dazu steht der Versicherungsvertreter im Lager des Ver-
sicherers, dessen Interessen er bei seiner Vermittlungstätigkeit im Auge zu be-
halten hat (vgl. § 86 Abs. 1 Halbsatz 2 i.V.m. § 92 Abs. 2 HGB). Hieraus kann
aber nicht geschlossen werden, dass ein Versicherungsvertreter aufgrund der
gegenüber dem Versicherer bestehenden Loyalitätspflichten von vornherein
nicht in der Lage ist, den Versicherungsnehmer - wie in der Vergütungsverein-
barung versprochen - in einer dessen Bedürfnissen und Interessen angemes-
sen Rechnung tragenden Art und Weise zu beraten. Einer derartigen Sichtwei-
se steht schon entgegen, dass durch das - vorliegend bereits einschlägige -
Gesetz zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts vom 19. Dezember
2006 (BGBl. I S. 3232) dem Versicherungsvermittler allgemein (also sowohl
dem Versicherungsmakler als auch dem Versicherungsvertreter, vgl. § 42a
Abs. 1 VVG a.F.; jetzt § 59 Abs. 1 VVG) umfassende Beratungs- und Dokumen-
tationspflichten gegenüber dem Versicherungsnehmer auferlegt worden sind
(§§ 42c, 42d VVG a.F.; jetzt §§ 61, 62 VVG). Diese Pflichten (auch) des Versi-
cherungsvertreters sind derart zentral (vgl. Prölls/Martin/Dörner, VVG, 28. Aufl.,
§ 61 Rn. 1), dass er bei Verletzung dieser Pflichten dem Versicherungsnehmer
gegenüber persönlich zum Schadensersatz verpflichtet ist (§ 42e VVG a.F.;
jetzt § 63 VVG). Angesichts dieser Normenlage wäre es wenig verständlich,
14
- 9 -
wenn man es dem Versicherungsvertreter verwehren wollte, Beratungstätigkei-
ten - die in erheblichem Umfang schon gesetzlich vorgegeben sind - zum Ge-
genstand vertraglicher Entgeltvereinbarungen mit dem Versicherungsnehmer
zu machen. Denn die vertraglich nochmals bekräftigten Beratungspflichten des
Versicherungsvertreters unterscheiden sich - soweit sie die Frage betreffen, ob
die (wahrheitsgemäß dargestellten) Eigenschaften des angebotenen Produkts
den Bedürfnissen und Interessen des Versicherungsnehmers entsprechen - in
ihrem Umfang und in ihrer Intensität nicht von den Pflichten des Versiche-
rungsmaklers (BGH, Urteil vom 6. November 2013 - I ZR 104/13, BeckRS 2013,
20765 Rn. 21).
bb) Die getroffene Vergütungsvereinbarung steht auch nicht in Wider-
spruch zu einem gesetzlichen Leitbild (so auch OLG Naumburg aaO). Zwar
kann insoweit zur Rechtfertigung der Abrede nicht auf § 652 BGB verwiesen
werden, da ein Versicherungsvertreter aufgrund seiner Stellung zum Versiche-
rer nicht in der Lage ist, eine dem gesetzlichen Leitbild entsprechende Makler-
tätigkeit zu entfalten. Andererseits kann auch bei der vorliegenden Konstellation
die Wirksamkeit der Abrede nicht mit der Begründung verneint werden, sie ver-
stoße gegen den Schicksalsteilungsgrundsatz (so zutreffend Reiff, VersR 2012,
645, 650 und r+s 2013, 525, 531 f). Auch hier gilt, dass die Vorschriften des
§ 87a Abs. 2 und des § 92 Abs. 4 HGB lediglich den Risikoausgleich zwischen
dem Handels- beziehungsweise Versicherungsvertreter und dem Unternehmer
im Auge haben (vgl. Senatsurteil vom 20. Januar 2005 - III ZR 251/04 aaO
S. 76 f) und nicht das Rechtsverhältnis zwischen dem Versicherungsnehmer
und dem Versicherungsvermittler betreffen. Da es vorliegend nur um das letzte-
re Verhältnis geht, kann auch offen bleiben, ob die Regelungen des Handelsge-
setzbuchs über die Provision des Versicherungsvertreters überhaupt Vereinba-
rungen zulassen, wonach der Versicherungsvertreter vom Versicherer keinerlei
15
- 10 -
Vergütung erhält, dafür aber selbständige Vergütungsvereinbarungen mit sei-
nen Kunden schließen darf (s. dazu Reiff aaO S. 653 bzw. S. 533).
cc) Schutzwürdige Interessen des Versicherungsnehmers, die so ge-
wichtig wären, dass selbständigen Vergütungsvereinbarungen mit dem Versi-
cherungsvertreter die Wirksamkeit versagt werden müsste, sind nicht ersicht-
lich. Insbesondere gleicht sich unter wirtschaftlicher Betrachtungsweise der
Umstand, dass sich der Versicherungsnehmer einem Provisionsanspruch des
Versicherungsvertreters ausgesetzt sieht, bei regulärem Versicherungsverlauf
dadurch aus, dass die vermittelte "provisionsbereinigte" Nettopolice-Lebensver-
sicherung als solche preisgünstiger ist als eine herkömmliche Bruttopolice-Le-
bensversicherung (vgl. Reiff, VersR 2012, 645, 651 und r+s 2013, 525, 532).
Da der Vermittler bei der vorgenommenen Trennung zwischen Vermittlungs-
und Versicherungsgeschäft nach ordnungsgemäßer Beratung bereits mit Zu-
standekommen des Versicherungsvertrags seine Pflichten vollständig erfüllt
hat, ist es nur folgerichtig, dass eine spätere Kündigung des Versicherungsver-
trags auf die Höhe seiner Vergütung keinen Einfluss hat. Andererseits ist nicht
Versicherungsvertrags bei einer Nettopolice deutlich schlechter stellen kann als
bei einer (dem Schicksalsteilungsgrundsatz unterliegenden) Bruttopolice. Auf
den Umstand, dass der Kunde bei der Nettopolice auch dann zur Zahlung der
(vollen) Vergütung verpflichtet bleibt, wenn der vermittelte Versicherungsvertrag
nach kurzer Zeit beendet wird, muss der Versicherungsvertreter im Rahmen
seiner Beratung deshalb deutlich hinweisen. Denn er kann bei seinen Kunden
nicht als allgemein bekannt voraussetzen, dass die bei wirtschaftlicher Betrach-
tungsweise scheinbar "aufkommensneutrale" - weil auf den ersten Blick ledig-
lich die Art und Weise des Aufbringens der Kosten des Vertriebs der Versiche-
rungsprodukte modifizierende - gesonderte Vergütungsvereinbarung sich im
16
- 11 -
Falle einer vorzeitigen Kündigung derart nachteilig auswirken kann (entgegen
Reiff aaO S. 656 bzw. S. 534). Die Situation stellt sich insoweit beim Versiche-
rungsvertreter anders dar als beim Versicherungsmakler, bei dem eine Vergü-
tungsabrede vergleichbaren Inhalts dem gesetzlichen Leitbild des § 652 BGB
entspricht (vgl. dazu Senatsurteil vom 14. Juni 2007 aaO S. 1504 f Rn. 12).
2.
Der Wirksamkeit einer die Provisionspflicht des Versicherungsnehmers
(auch) gegenüber einem Versicherungsvertreter begründenden Vereinbarung
stehen auch keine zwingenden, zur Nichtigkeit nach § 134 BGB führenden Vor-
schriften des Versicherungsvertragsgesetzes entgegen. Unter dem insoweit
maßgeblichen Aspekt einer Erschwerung des dem Versicherungsnehmer un-
abdingbar eingeräumten Rechts zur vorzeitigen Kündigung der abgeschlosse-
nen Lebensversicherung macht es keinen wesentlichen Unterschied, ob die
Provisionsabrede mit einem Versicherungsmakler (s. dazu nur Senatsurteil vom
20. Januar 2005 - III ZR 251/04 aaO S. 72 ff) oder einem Versicherungsvertre-
ter abgeschlossen wird. Diesbezüglich dürfte sich die Rechtslage im Übrigen
auch dann nicht anders darstellen, wenn - was hier nicht der Fall ist - die Le-
bensversicherung nach dem 1. Januar 2008 abgeschlossen worden ist und
deshalb die Vorschrift des § 169 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 VVG n. F. über den
Mindestrückkaufswert im Fall des Frühstornos und die Bestimmung des § 169
Abs. 5 Satz 2 VVG n.F. über das Abzugsverbot zur Anwendung kommen
(s. dazu Reiff, VersR 2012, 645, 647, 651 und r+s 2013, 525, 528 f, 532 - unter
Hinweis auf die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes
zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, BT-Drucks. 16/3945, S. 53 und S.
102).
3.
Trotz (anfänglicher) Wirksamkeit der Vergütungsvereinbarung kann die
Klägerin von der Beklagten freilich die vertraglich vereinbarte Vergütung nicht
17
18
- 12 -
beanspruchen, weil die Beklagte ihre auf den Abschluss der Vergütungsverein-
barung gerichtete Willenserklärung wirksam widerrufen hat. Dies haben beide
Vorinstanzen zutreffend dargelegt.
a) Auf das streitgegenständliche Schuldverhältnis sind gemäß Art. 229
§ 22 Abs. 2 EGBGB das Bürgerliche Gesetzbuch und die BGB-Informations-
pflichten-Verordnung in der bis zum 11. Juni 2010 geltenden Fassung anzu-
wenden, weil der fragliche Vertrag im Jahr 2007 geschlossen worden ist und es
sich nicht um ein unbefristetes Schuldverhältnis im Sinne des Art. 229 § 22
Abs. 3 EGBGB handelt.
b) Der Beklagten stand das ausgeübte Widerrufsrecht nach § 355 Abs. 1
BGB a.F. zu. Da die Vergütung für die Vermittlung der fraglichen Versicherung
in Teilzahlungen zu erbringen war, handelte es sich um ein Teilzahlungsge-
schäft im Sinne von § 499 Abs. 2 BGB a.F. Gemäß § 501 Satz 1 i.V.m. § 495
Abs. 1 und § 355 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. konnte die Beklagte ihre auf Ab-
schluss der Vergütungsvereinbarung gerichtete Willenserklärung deshalb in-
nerhalb von zwei Wochen widerrufen. Diese Frist war zum Zeitpunkt ihrer Wi-
derrufserklärung nicht abgelaufen. Denn der in dem verwendeten Formular ent-
haltene Hinweis, die Frist für den Widerruf beginne "frühestens mit Erhalt dieser
Belehrung", genügte nicht den Anforderungen nach § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB
a.F. und darüber hinaus entsprach das verwendete Formular nicht in jeder
Hinsicht dem Muster der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV, so dass die
Widerrufsfrist nicht in Gang gesetzt worden war (vgl. dazu im Einzelnen die
wortgleiche Widerrufsbelehrungen betreffenden Senatsurteile vom 1. März
2012 - III ZR 83/11, NZG 2012, 427, 428 f Rn. 14 ff; vom 19. Juli 2012 - III ZR
252/11, BGHZ 194, 150, 154 ff Rn. 12 ff; vom 18. Oktober 2012 - III ZR 106/11,
19
20
- 13 -
NJW 2012, 3718, 3719 Rn. 22 und vom 17. Januar 2013 - III ZR 145/12,
NJW-RR 2013, 885, 886 Rn. 9 ff, jeweils mwN).
4.
Allerdings kommt ein Wertersatzanspruch der Klägerin nach § 357
Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB in einer die von ihr bisher
vereinnahmten Beträge übersteigenden Höhe in Betracht.
a) Nach der Rechtsprechung des Senats stellt die Vermittlung einer Le-
bens- und Rentenversicherung durch einen Versicherungsmakler eine Makler-
leistung im Sinne des § 652 BGB dar, die mit Abschluss des vermittelten
Hauptvertrags vollständig erbracht ist und in Natur nicht zurückgegeben werden
kann. Als Wertersatz wird indessen nicht entsprechend § 346 Abs. 2 Satz 2
Halbsatz 1 BGB das vertraglich vereinbarte Entgelt geschuldet. Maßgeblich für
die Bemessung des Wertersatzes, den der Verbraucher nach dem (wirksamen)
Widerruf eines Teilzahlungsgeschäfts für bis dahin erbrachte Maklerleistungen
des Unternehmers gewähren muss, ist vielmehr der objektive Wert der Makler-
leistung, soweit dieser das vertragliche Entgelt nicht übersteigt (s. hierzu Se-
natsurteile vom 19. Juli 2012 aaO S. 157 ff Rn. 18 ff und vom 17. Januar 2013
aaO S. 886 f Rn. 13 f). Insoweit ist im Ausgangspunkt, wie bei Dienstleistungen
allgemein, auf die übliche oder (bei Fehlen einer solchen) auf die angemessene
Vergütung abzustellen, die für eine solche Leistung zu bezahlen ist (vgl. nur
Senatsurteil vom 15. April 2010 - III ZR 218/09, BGHZ 185, 192, 201 ff
Rn. 23 ff), nicht dagegen auf den konkret-individuellen Wert des Erlangten für
den Schuldner (Senatsurteile vom 19. Juli 2012 aaO S. 162 Rn. 25 und vom
17. Januar 2013 aaO S. 887 Rn. 15).
21
22
- 14 -
Eine Kündigung des Versicherungsvertrags hat dabei für sich genommen
auf die Höhe des Wertersatzanspruchs des Versicherungsmaklers keine Aus-
wirkungen. Zwar entfaltet die Maklerleistung erst und nur im Erfolgsfall ihren
vollen Wert. Kommt es aber zum Abschluss des Hauptvertrags, wird dieser
Wert bereits realisiert; der Makler hat seine Leistung in vollem Umfang erbracht
(s. dazu Senatsurteile vom 1. März 2012 aaO S. 429 Rn. 19 mwN; vom 19. Juli
2012 aaO S. 162 f Rn. 26 und vom 17. Januar 2013 aaO Rn. 16).
b) Diese Rechtsprechung ist auf die vorliegende Fallgestaltung übertrag-
bar. Die Klägerin hat, wovon im Revisionsverfahren mangels gegenteiliger
Feststellungen des Berufungsgerichts auszugehen ist, die ihr obliegende Bera-
tungs- und Vermittlungsleistung vollständig erbracht. Der Erfolg, von dessen
Eintritt die Vergütungspflicht - und damit auch die Pflicht, im Falle eines Wider-
rufs Wertersatz zu leisten - abhängig ist, ist mit Abschluss der vermittelten Ren-
ten- und Lebensversicherung eingetreten. Auch hier ist eine etwaige nachfol-
gende Kündigung des Versicherungsvertrags ohne Auswirkungen auf die Höhe
des Wertersatzanspruchs.
5.
Das Berufungsurteil war nach alledem aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO)
und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsge-
richt zurückzuverweisen, da die Sache noch nicht zur Endentscheidung reif ist
(§ 563 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 ZPO).
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Das Berufungsgericht wird sich mit dem Vorbringen der Beklagten zu
befassen haben, im Zusammenhang mit dem Abschluss der Vergütungsverein-
barung sei keine ordnungsgemäße Beratung erfolgt. Hinsichtlich des Umfangs
23
24
25
26
27
- 15 -
der Belehrungs- und Hinweispflichten ist zu beachten, dass auch über die Aus-
wirkungen des Abschlusses einer Nettopolice im Fall einer vorzeitigen Kündi-
gung aufzuklären ist. Fehlt es an einer solchen Belehrung, besteht eine tatsäch-
liche Vermutung dafür, dass sich die Beklagte bei gehöriger Belehrung nicht für
eine "Nettopolice" entschieden hätte.
b) Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangen, dass der Klä-
gerin ein Wertersatzanspruch zusteht, so ist bei der Frage, welche Vergütung
vorliegend als üblich beziehungsweise als angemessen anzusehen ist, Folgen-
des zu beachten:
Die übliche Vergütung, die ein Versicherungsvertreter bei Abschluss ei-
nes Versicherungsvertrags als (Handels-)Vertreterprovision vom Versicherer
erhält, kann nicht ohne weiteres als Vergleichsmaßstab verwendet werden, weil
durch sie die für den Versicherer erbrachte Vermittlungsleistung entlohnt wird
und nicht die Beratungs- und Vermittlungsleistung für den Versicherungsneh-
mer. Insoweit liegt es näher, sich an der üblichen Provision eines Versiche-
rungsmaklers zu orientieren. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass auch
dann, wenn man dem Versicherungsvertreter im Falle eines eigenständigen
Beratungsvertrags mit dem Versicherungsnehmer umfängliche Beratungs- und
Hinweispflichten auferlegt, der Wert einer Versicherungsvertreterberatung be-
ziehungsweise -vermittlung bei der gebotenen typisierten und objektivierten Be-
trachtungsweise deutlich unter dem Wert einer Versicherungsmaklerleistung
liegt. Denn eine der wesentlichen Pflichten des Versicherungsmaklers, seiner
Beratung eine größere Zahl von auf dem Markt angebotenen Versicherungsver-
trägen und von Versicherern zu Grunde zu legen (§ 42b Abs. 1 Satz 1 VVG
a.F.; jetzt § 60 Abs. 1 Satz 1 VVG), kann der Versicherungsvertreter nicht oder
nur unzureichend erfüllen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Klägerin Le-
28
29
- 16 -
bensversicherungen ausschließlich im Auftrag der A. Lebensversi-
cherung S.A. vermittelt haben sollte.
Schlick
Wöstmann
Tombrink
Remmert
Reiter
Vorinstanzen:
AG Stuttgart, Entscheidung vom 05.07.2012 - 14 C 2183/12 -
LG Stuttgart, Entscheidung vom 13.03.2013 - 4 S 258/12 -