Urteil des BGH vom 27.08.2015

Leitsatzentscheidung zu Berufungsschrift, Verschulden, Einverständnis, Blanko

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
III ZB 60/14
vom
27. August 2015
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 130 Nr. 6, § 519 Abs. 4, § 520 Abs. 5, § 233 Ga
Die aus einem Blankoexemplar ausgeschnittene und auf die Telefax-
Vorlage eines bestimmenden Schriftsatzes (hier: Berufungsschrift und Be-
rufungsbegründung) geklebte Unterschrift des Prozessbevollmächtigten
einer Partei erfüllt nicht die an eine eigenhändige Unterschrift nach § 130
Nr. 6 i.V.m. § 519 Abs. 4, § 520 Abs. 5 ZPO zu stellenden Anforderungen.
BGH, Beschluss vom 27. August 2015 - III ZB 60/14 - LG München I
AG München
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. August 2015 durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Herrmann und die Richter Wöstmann, Tombrink,
Dr. Remmert und Reiter
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss der
13. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 7. Oktober 2014
- 13 S 1241/14 - wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu
tragen.
Der Beschwerdewert wird auf
1.275 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung von 1.275 € (nebst Zinsen
und vorgerichtlichen Anwaltskosten) im Zusammenhang mit einem zwischen
den Parteien geschlossenen Unterrichtsvertrag in Anspruch. Das Amtsgericht
hat die Beklagte mit Versäumnisurteil vom 13. September 2013 antragsgemäß
verurteilt. Nach Einspruchseinlegung hat es das Versäumnisurteil - mit Aus-
nahme eines geringfügigen Teils der vorgerichtlichen Anwaltskosten - aufrecht-
erhalten. Das Urteil vom 25. November 2013 ist dem damaligen Prozessbe-
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vollmächtigten der Beklagten, Rechtsanwalt V. S. , am 21. Dezember
2013 zugestellt worden. Hiergegen ist mit Telefax vom 21. Januar 2014 unter
dem Briefkopf des Prozessbevollmächtigten der Beklagten Berufung eingelegt
worden. Innerhalb verlängerter Frist sind am 25. April 2014 und 29. April 2014
- wiederum unter dem Briefkopf von Rechtsanwalt S. - das Rechtsmittel
begründende Schriftsätze per Telefax bei dem Berufungsgericht eingegangen.
Sämtliche Schriftsätze weisen eine als "S. " lesbare Unterschrift auf, wobei
oberhalb der Unterschrift jeweils eine horizontal verlaufende Linie erkennbar ist.
Nachdem das Berufungsgericht die Beklagte aufgefordert hatte, das Zustande-
kommen der Unterschriften auf den beiden Berufungsbegründungen zu erläu-
tern, teilte Rechtsanwalt G. , der damals Mitarbeiter in der Kanzlei S. war
und später die anwaltliche Vertretung der Beklagten übernommen hat, mit
Schriftsatz vom 16. Juli 2014 mit, er habe die Angelegenheit bearbeitet. Auf
Wunsch der Mandantin und mit Einverständnis von Rechtsanwalt S. , der
alle Schriftsätze gekannt habe, habe er am 21. Januar 2014 gemäß seinem
handschriftlichen Entwurf Berufung eingelegt. Rechtsanwalt S. habe auf
einem leeren Blatt seine Unterschrift geleistet. Da deren Position nicht genau
gepasst habe, habe er, Rechtsanwalt G. , die Unterschrift ausgeschnitten, auf
den Berufungsschriftsatz geklebt und an das Berufungsgericht gefaxt. Bei den
beiden Schriftsätzen zur Berufungsbegründung sei - nach Billigung der hand-
schriftlichen Entwürfe durch Rechtsanwalt S. - in gleicher Weise verfahren
worden.
Ebenfalls mit Schriftsatz vom 16. Juli 2014 hat Rechtsanwalt S. die-
se Schilderung bestätigt und ergänzend ausgeführt, die handschriftlichen Ent-
würfe der Schriftsätze vom 21. Januar 2014 sowie vom 25. und 29. April 2014
seien von ihm geprüft und gebilligt und anschließend von Rechtsanwalt G.
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(am PC) in Reinschrift getippt worden. Das Ausschneiden und Aufkleben der
blanko gegebenen Unterschriften sei mit seinem Einverständnis erfolgt.
Mit Hinweisverfügung vom 21. Juli 2014 - zugestellt am 25. Juli 2014 -
hat das Berufungsgericht Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit einer lediglich
"aufgeklebten" Unterschrift geäußert. Daraufhin beantragte Rechtsanwalt G.
mit am 8. August 2014 eingegangenem Telefax, der Beklagten Wiedereinset-
zung in den vorigen Stand gegen die etwaige Versäumung der Berufungs- und
Berufungsbegründungsfrist zu gewähren.
Mit Beschluss vom 7. Oktober 2014 hat das Landgericht unter Zurück-
weisung des Wiedereinsetzungsantrags die Berufung als unzulässig verworfen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, dass eine Beteiligung des ursprünglich be-
stellten Rechtsanwalts S. am Berufungsverfahren nicht erkennbar sei, da
bereits die Berufungseinlegung lediglich mit aufgeklebter Unterschrift erfolgt sei.
Schon aus dem Erscheinungsbild der Schriftsätze ergebe sich nicht, dass sich
auf der Urschrift der Fernkopie tatsächlich die Unterschrift ihres Urhebers befin-
de. Damit lasse sich den bei Gericht eingegangenen Schriftstücken nicht ent-
nehmen, ob der bevollmächtigte Rechtsanwalt sich diese zu Eigen gemacht
habe. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
lägen nicht vor. Es hätte dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten klar sein
müssen, dass die bloße Verbindung einer separat gefertigten Unterschrift mit
einem Schriftsatz den Anforderungen des § 130 Nr. 6 ZPO nicht genüge.
Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.
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II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522
Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nicht zulässig,
weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung
des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Ent-
scheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern (§ 574 Abs. 2 ZPO).
1.
Das Berufungsgericht hat die Berufung zu Recht als unzulässig verwor-
fen. Entgegen der Auffassung der Beschwerde hat es dabei die Anforderungen
an eine wirksame eigenhändige Unterschrift nach § 130 Nr. 6 ZPO nicht in einer
Art und Weise überspannt, die das Verfahrensgrundrecht der Beklagten auf
Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem
Rechtsstaatsprinzip) verletzen würde.
a) Die hier maßgeblichen Rechtsfragen sind höchstrichterlich bereits ge-
klärt. Gemäß § 130 Nr. 6 ZPO i.V.m. § 519 Abs. 4, § 520 Abs. 5 ZPO müssen
die Berufungsschrift und die Berufungsbegründung als bestimmende Schriftsät-
ze grundsätzlich von einem zur Vertretung bei dem Berufungsgericht berechtig-
ten Rechtsanwalt eigenhändig unterschrieben sein. Die Unterschrift soll die
Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung ermöglichen
und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die Verantwortung für
den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzu-
reichen. Zugleich soll sichergestellt werden, dass es sich bei dem Schriftstück
nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des
Berechtigten dem Gericht zugeleitet wird. Für den Anwaltsprozess bedeutet
dies, dass die Berufungsschrift und die Berufungsbegründung von einem dazu
bevollmächtigten und bei dem Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt zwar
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nicht selbst verfasst, aber nach eigenverantwortlicher Prüfung genehmigt und
unterschrieben sein müssen (st. Rspr., vgl. nur Senatsbeschluss vom 26. Juli
2012 - III ZB 70/11, NJW-RR 2012, 1142 Rn. 6; BGH, Urteil vom 29. Oktober
1997 - VIII ZR 141/97, NJW-RR 1998, 574; Beschlüsse vom 23. Juni 2005
- V ZB 45/04, NJW 2005, 2709; vom 10. Oktober 2006 - XI ZB 40/05, NJW
2006, 3784 Rn. 7; vom 26. Oktober 2011 - IV ZB 9/11, BeckRS 2011, 26453
Rn. 6 und vom 12. September 2012 - XII ZB 642/11, NJW 2012, 3378 Rn. 16).
Das Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift entfällt nicht dadurch,
dass die Berufung - was zulässig ist - per Telefax eingelegt und begründet wird.
In diesem Fall genügt zwar die Wiedergabe der Unterschrift in Kopie, jedoch
muss es sich bei der Kopiervorlage um den eigenhändig unterschriebenen Ori-
ginalschriftsatz handeln (Senatsbeschluss vom 26. Juli 2012 aaO Rn. 6; BGH,
Beschluss vom 23. Juni 2005 aaO). Die Wirksamkeit der Prozesshandlung setzt
somit voraus, dass die Kopiervorlage von einem postulationsfähigen Rechtsan-
walt unterschrieben worden ist und dessen Unterschrift auf der Kopie wieder-
gegeben wird.
Mit dem äußeren Merkmal der Unterschrift ist aus Gründen der Rechtssi-
cherheit auch ohne einen darüber hinausgehenden Nachweis davon auszuge-
hen, dass der Anwalt den Prozessstoff eigenverantwortlich durchgearbeitet hat
und die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes tragen will. Für ein
Rechtsmittelgericht besteht deshalb in aller Regel kein Anlass, den Inhalt einer
anwaltlich unterschriebenen Berufungsbegründung darauf zu überprüfen, in
welchem Umfang und wie gründlich der Anwalt den Prozessstoff tatsächlich
selbst durchgearbeitet hat (BGH, Beschlüsse vom 23. Juni 2005 aaO und vom
12. September 2012 aaO Rn.16). Dementsprechend ist eine Blankounterschrift
grundsätzlich geeignet, die Form zu wahren. Dabei muss allerdings gewährleis-
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tet sein, dass der Rechtsanwalt den Inhalt des noch zu erstellenden Schriftsat-
zes so genau festgelegt hat, dass er dessen eigenverantwortliche Prüfung be-
reits vorab bestätigen konnte (BGH, Beschlüsse vom 23. Juni 2005 aaO
S. 2710 und vom 12. September 2012 aaO Rn. 17 f). So kann ein Schriftsatz
zum Beispiel vom ortsabwesenden Rechtsanwalt telefonisch diktiert und an-
schließend - etwa anhand der Textdatei oder durch Übersendung per Telefax -
überprüft worden sein (BGH, Beschluss vom 12. September 2012 aaO Rn. 18).
b) Nach diesen Maßstäben ist das Berufungsgericht zu Recht davon
ausgegangen, dass die von Rechtsanwalt G. aus dem jeweiligen Blanko-
exemplar ausgeschnittenen und auf die Telefax-Vorlage geklebten Unterschrif-
ten des damaligen Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht geeignet wa-
ren, die an eine eigenhändige Unterschrift nach § 130 Nr. 6 i.V.m. § 519 Abs. 4,
§ 520 Abs. 5 ZPO zu stellenden Anforderungen zu erfüllen.
Durch die hier gewählte Verfahrensweise war nicht gewährleistet, dass
Rechtsanwalt S. durch seine Blankounterschrift die Verantwortung für den
Inhalt der Berufungsschrift und der Berufungsbegründung vorab übernahm. Zu-
treffend weist die Beschwerdeerwiderung darauf hin, dass das blanko unter-
zeichnete Schriftstück zur Erstellung der Schriftsätze vom 21. Januar 2014 und
vom 25./29. April 2014 nicht verwendet wurde. Weder wurde der Text in das
Blankoexemplar eingefügt noch mit diesem verbunden (vgl. BGH, Beschlüsse
vom 20. Dezember 1965 - VIII ZB 33/65, NJW 1966, 351 und vom 12. Septem-
ber 2012 aaO Rn. 2; siehe auch MüKoBGB/Einsele, 7. Aufl., § 126 Rn. 11).
Vielmehr hat Rechtsanwalt G. die Unterschrift aus dem Blankoexemplar aus-
geschnitten und auf einen Schriftsatz geklebt, dessen Inhalt dem damaligen
Prozessbevollmächtigten der Beklagten nur als handschriftlicher Entwurf be-
kannt war. Auf diese Weise ist eine Collage entstanden, die auch mittels einer
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früheren, in ganz anderem Zusammenhang geleisteten Unterschrift hätte er-
stellt werden können und die es ermöglichte, die ausgeschnittene Unterschrift
- je nach Festigkeit der Klebeverbindung - gegebenenfalls mehrfach zu verwen-
den. Insoweit ist der vorliegende Fall rechtlich nicht anders zu beurteilen als die
Fälle, in denen ein mittels eines normalen Telefaxgeräts übermittelter bestim-
mender Schriftsatz lediglich eine eingescannte Unterschrift aufweist, die nach
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs den Formerfordernissen des
§ 130 Nr. 6 ZPO nicht genügt (BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2006 - XI ZB
40/05, NJW 2006, 3784 Rn. 11). Es war ebenso wie bei einer eingescannten
Unterschrift nicht gewährleistet, dass Rechtsanwalt S. die Verantwortung
für den Inhalt der Rechtsmittelschriftsätze übernommen hatte und es sich nicht
lediglich um ungeprüfte Entwürfe handelte. Im vorliegenden Fall war es auch
tatsächlich so, dass Rechtsanwalt S. zum Zeitpunkt der Leistung der Blan-
kounterschriften nur handschriftliche Entwürfe von Schriftsätzen vorlagen, die
Rechtsanwalt G. anschließend am PC fertig stellen sollte. Ohne Kenntnis des
endgültigen Textes war Rechtsanwalt S. nicht in der Lage, dessen eigen-
verantwortliche Prüfung vorab zu bestätigen.
2.
Auch hinsichtlich der Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags ist
die Rechtsbeschwerde nicht zulässig, da die Voraussetzungen des § 574
Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass der Wie-
dereinsetzungsantrag unbegründet ist. Denn es fehlt an einem Wiedereinset-
zungsgrund. Nach § 233 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu
gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die Beru-
fungsfrist (§ 517 ZPO) oder die Berufungsbegründungsfrist (§ 520 Abs. 2 ZPO)
einzuhalten. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten ist einer Partei
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zuzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO). So liegt der Fall hier. Die Formunwirksamkeit
sowohl der Berufungseinlegung als auch der Berufungsbegründung beruht da-
rauf, dass der damalige Berufungsanwalt eine mit § 130 Nr. 6 ZPO unvereinba-
re Verfahrensweise gewählt hat. Seine im Widerspruch zur höchstrichterlichen
Rechtsprechung stehende Auffassung, dass das Kriterium der Eigenhändigkeit
der Unterschrift auch bei einer aus dem Blankoexemplar ausgeschnittenen und
auf ein anderes Schriftstück geklebten Unterschrift gegeben sei, beruhte auf
einem vermeidbaren Rechtsirrtum und damit auf einem Verschulden, welches
sich die Beklagte gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss (vgl. BGH,
Beschluss vom 23. Juni 2005 aaO).
Herrmann
Wöstmann
Tombrink
Remmert
Reiter
Vorinstanzen:
AG München, Entscheidung vom 25.11.2013 - 264 C 19631/13 -
LG München I, Entscheidung vom 07.10.2014 - 13 S 1241/14 -