Urteil des BGH vom 24.03.2016

Trennung der Verfahren, Reiter, Vorbescheid, Vertretung

ECLI:DE:BGH:2016:240316BIIIZB116.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
III ZB 116/15
vom
24. März 2016
in dem Rechtsstreit
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. März 2016 durch den
Vorsitzenden Richter Dr. Herrmann und die Richter Wöstmann, Seiters,
Tombrink und Reiter
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss der
6. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 28. August 2015
- 6 T 82/15 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens tragen die Beklag-
ten.
Beschwerdewert: 1.788,56
Gründe:
I.
Die Parteien streiten über die Berechnung der Anwaltsgebühren in einer
Wildschadenssache.
Die Beklagten sind Landwirte und bewirtschaften jeweils Flächen in der
Gemarkung W. . Diese gehören zu dem Jagdbezirk, für welchen der Kläger
als Pächter in dem mit der Jagdgenossenschaft abgeschlossenen Pachtvertrag
die Verpflichtung zum Wildschadensersatz übernommen hat. In den Wintermo-
naten 2012/2013 waren auf einer Reihe von Flurstücken, die die Beklagten
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überwiegend mit Winterraps eingesät hatten, Schäden durch Rotwild und in
geringem Umfang auch durch Schwarzwild entstanden. Die Beklagten meldeten
die Schäden bei der zuständigen Verbandsgemeinde an. Daraufhin fand ein
Ortstermin auf den betroffenen Flurstücken zur Schadensbesichtigung und
-schätzung statt. Die Verbandsgemeinde erließ unter demselben Aktenzeichen
gegen den Kläger bezüglich des Wildschadens des Beklagten zu 1 einen Vor-
bescheid über 8.721,58
€ und bezüglich des Wildschadens des Beklagten zu 2
einen Vorbescheid über 5.915,90
€. Der Kläger erhob daraufhin gegen beide
Beklagte gemeinsam Klage vor dem Amtsgericht mit dem Ziel der Aufhebung
der Vorbescheide und der Feststellung, dass er nicht verpflichtet sei, den Wild-
schaden zu ersetzen. Die Beklagten ließen sich im Verfahren von demselben
Prozessbevollmächtigten vertreten. Die von ihnen in der Klageerwiderung bean-
tragte Trennung in zwei Verfahren lehnte das Amtsgericht ab. Hierfür bestehe
"im Hinblick auf § 60 ZPO keine Veranlassung, weil die Ansprüche im Wesentli-
chen gleichartig sind und deshalb aus ökonomischen Gründen in einem Pro-
zess geltend gemacht werden können". Das Amtsgericht wies die Klage ab und
setzte den Streitwert auf 14.637,48
€ fest. Gegen das Urteil legte der Kläger
Berufung ein. Im Berufungsverfahren schlossen die Parteien einen Vergleich.
Danach verpflichtete sich der Kläger, 7.000
€ an den Beklagten zu 1 und
4.500
€ an den Beklagten zu 2 zu zahlen. Von den Kosten des Rechtsstreits
sollten der Kläger 80 %, die Beklagten als Gesamtschuldner 20 % tragen.
Die Beklagten haben anschließend für beide Instanzen Anträge auf Kos-
tenfestsetzung gestellt und hierbei jeweils getrennte Gebühren für den Beklag-
ten zu 1 nach einem Streitwert von 8.721,58
€ und für den Beklagten zu 2 nach
einem Streitwert von 5.915,90
€ geltend gemacht. Das Amtsgericht (Rechts-
pflegerin) hat die vom Kläger an die Beklagten als Gesamtgläubiger zu erset-
zenden Kosten auf 997,90 € für die 1. Instanz und auf 1.900,72 € für die 2. In-
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stanz festgesetzt. Hierbei ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass der
Prozessbevollmächtigte der Beklagten im Sinne des § 15 Abs. 2 RVG in der-
selben Angelegenheit tätig geworden sei und die Gebühren deshalb nur einmal,
insoweit aber gemäß § 22 Abs. 1 RVG nach dem kumulierten Streitwert von
14.637,48
€ angefallen seien. Die gegen diese Beschlüsse eingelegte Be-
schwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom
Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Beklagten.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die
Instanzgerichte sind rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass es sich bei der
anwaltlichen Vertretung der Beklagten um dieselbe Angelegenheit handelt.
Nach § 7 Abs. 1, § 15 Abs. 2 RVG kann der Rechtsanwalt in derselben
Angelegenheit die Gebühren nur einmal fordern, auch wenn er für mehrere Auf-
traggeber tätig wird. Bezieht sich die Angelegenheit auf mehrere Gegenstände,
werden deren Werte zusammengerechnet (§ 22 Abs. 1 RVG).
Ob von einer oder mehreren Angelegenheiten auszugehen ist, lässt sich
nicht allgemein, sondern nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der jeweiligen
Umstände beantworten, wobei insbesondere der Inhalt des erteilten Auftrags
maßgeblich ist. Weisungsgemäß erbrachte anwaltliche Leistungen betreffen in
der Regel dieselbe Angelegenheit, wenn zwischen ihnen ein innerer Zusam-
menhang besteht und sie sowohl inhaltlich als auch in der Zielrichtung so weit-
gehend übereinstimmen, dass von einem einheitlichen Rahmen anwaltlicher
Tätigkeit gesprochen werden kann (vgl. nur Senat, Beschluss vom 17. Dezem-
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ber 2015 - III ZB 61/15, juris Rn. 3; BGH, Urteile vom 21. Juni 2011 - VI ZR
73/10, NJW 2011, 3167 Rn. 9 ff und vom 8. Mai 2014 - IX ZR 219/13, NJW
2014, 2126 Rn. 14). Hierbei setzt die Annahme einer Angelegenheit nicht vor-
aus, dass der Anwalt nur eine Prüfungsaufgabe zu erfüllen hat. Von einem ein-
heitlichen Rahmen kann vielmehr auch dann gesprochen werden, wenn der
Anwalt verschiedene, in ihren Voraussetzungen voneinander abweichende An-
spruchsgrundlagen zu prüfen oder mehrere getrennte Prüfungsaufgaben zu
erfüllen hat. Die Angelegenheit ist dabei vom Gegenstand der anwaltlichen Tä-
tigkeit abzugrenzen, der das konkrete Recht oder Rechtsverhältnis bezeichnet,
auf das sich die anwaltliche Tätigkeit bezieht. Eine Angelegenheit kann insoweit
mehrere Gegenstände umfassen. Es ist grundsätzlich ausreichend, wenn die
Gegenstände in dem Sinne einheitlich vom Anwalt bearbeitet werden können,
dass sie verfahrensrechtlich zusammengefasst oder in einem einheitlichen Vor-
gehen geltend gemacht werden können. Ein innerer Zusammenhang ist zu be-
jahen, wenn die verschiedenen Gegenstände bei objektiver Betrachtung und
unter Berücksichtigung des mit der anwaltlichen Tätigkeit nach dem Inhalt des
Auftrags erstrebten Erfolgs zusammengehören. Der Annahme derselben Ange-
legenheit steht dabei, wie sich auch aus § 7 Abs. 1 RVG ergibt, nicht entgegen,
dass der Anwalt mehrere Personen vertritt (vgl. nur BGH, Urteile vom 21. Juni
2011, aaO Rn. 10 f und vom 8. Mai 2014, aaO Rn. 15 f).
Bei den streitigen Wildschäden handelt es sich nicht um zwei Angele-
genheiten in einem gerichtlichen Verfahren, sondern um zwei Gegenstände
anwaltlicher Tätigkeit in derselben Angelegenheit. Ohne Erfolg verweisen die
Beklagten insoweit darauf, dass sie den Auftrag zur Vertretung an ihren Pro-
zessbevollmächtigten jeweils nur bezogen auf die sie betreffenden Anträge aus
der Klageschrift erteilt hätten. Genauso wenig ist entscheidend, dass es um
Schadensfälle an Flächen zweier verschiedener Personen geht, die - etwa zur
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Frage der Einhaltung der Meldefrist nach § 34 BJagdG - gegebenenfalls unter-
schiedlich zu prüfen waren und gegebenenfalls auch zu einem unterschied-
lichen Ergebnis hätten führen können. Bei ihrer gegenteiligen Argumentation
übersehen die Beklagten, dass im gerichtlichen Verfahren der für die Bejahung
einer Angelegenheit notwendige Zusammenhang grundsätzlich schon dadurch
hergestellt wird, dass das Gericht von einer Trennung der Verfahren wegen ih-
res Sachzusammenhangs absieht oder bei zwei ursprünglich getrennten Ver-
fahren wegen ihres Sachzusammenhangs eine Verbindung herbeiführt. Regel-
mäßig ist das gerichtliche Verfahren in einem Rechtszug eine Angelegenheit
(vgl. nur Ahlmann in Riedel/Sußbauer, 10. Aufl., RVG, § 15 Rn. 10; Hartmann,
Kostengesetze, 46. Aufl., § 15 RVG Rn. 16; Mayer in Gerold/Schmitt, 22. Aufl.,
RVG, § 15 Rn. 5 f, 14). Werden bisher getrennte Verfahren vom Gericht ver-
bunden, liegt ab diesem Zeitpunkt nur noch eine gebührenrechtliche Angele-
genheit vor, wobei die Gegenstandswerte zu addieren und aus dieser Summe
diejenigen Gebühren zu errechnen sind, deren Tatbestand nach der Verbin-
dung erfüllt wird (vgl. nur BGH, Beschluss vom 14. April 2010 - IV ZB 6/09,
NJW 2010, 3377 Rn. 13 mwN; Ahlmann, aaO Rn. 19; Bischof, RVG, 7. Aufl.,
§ 15 Rn. 24). Genauso liegt eine gebührenrechtliche Angelegenheit vor, wenn
Ansprüche gegen zwei Parteien von vornherein zum Gegenstand eines Klage-
verfahrens gemacht werden und das Gericht eine Trennung wegen des zwi-
schen den verschiedenen Gegenständen der anwaltlichen Tätigkeit bejahten
Zusammenhangs ablehnt. Auch in diesem Fall wird der Rechtsanwalt nur in
derselben Angelegenheit tätig. Dies bedeutet entgegen der Auffassung der Be-
klagten nicht, dass es damit im Belieben des Klägers stehe, unterschiedliche
Angelegenheiten durch eine Klage zu derselben Angelegenheit zu machen und
dadurch über die Gebührenansprüche des Prozessbevollmächtigen der Gegen-
seite zu entscheiden. Fehlt der innere Zusammenhang zwischen zwei Wild-
schäden, handelt es sich um zwei Angelegenheiten und sind die Verfahren zu
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trennen. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Die Beklagten können insoweit
nicht, nachdem ein Verfahren durch zwei Instanzen geführt worden ist, nach-
träglich im Kostenfestsetzungsverfahren mit Erfolg geltend machen, sie müss-
ten gebührenrechtlich so gestellt werden, als ob über beide Vorbescheide in
verschiedenen Verfahren entschieden worden wäre.
Herrmann
Wöstmann
Seiters
Tombrink
Reiter
Vorinstanzen:
AG St. Goar, Entscheidung vom 06.03.2015 - 31 C 167/13 -
LG Koblenz, Entscheidung vom 28.08.2015 - 6 T 82/15 -